II, 42. Graf Berchtold an den Grafen Szápáry in Petersburg, 25. Juli 1914

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Graf Berchtold an den Grafen Szápáry in Petersburg[1]


Erlaß Nr. 3530.


W i e n , den 25. Juli 1914            


G e h e i m


In dem Augenblick, wo wir uns zu einem ernsten Vorgehen gegen Serbien entschlossen haben, sind wir uns natürlich auch der Möglichkeit eines sich aus der serbischen Differenz entwickelnden Zusammenstoßes mit Rußland bewußt gewesen. Wir konnten uns aber durch diese Eventualität nicht in unserer Stellungnahme gegenüber Serbien beirren lassen, weil grundlegende staatspolitische Konsiderationen uns vor die Notwendigkeit stellten, der Situation ein Ende zu machen, daß ein russischer Freibrief Serbien die dauernde, ungestrafte und unstrafbare Bedrohung der Monarchie ermögliche.

Für den Fall, daß Rußland den Moment für die große Abrechnung mit den europäischen Zentralmächten bereits für gekommen erachten sollte und daher von vornherein zum Krieg entschlossen wäre, erscheint allerdings nachstehende Instruierung Euer Exzellenz überflüssig.

Es wäre aber immerhin möglich, daß Rußland die gegebene Gelegenheit als eine Verlegenheit empfinde, daß es nicht so angriffslustig und kriegsbereit ist, wie die »Nowoje Wremja« und die »Birschewija Wjedomosti« es glauben machen wollen, und wie es Herr Poincaré und Herr Iswolski vielleicht wünschen mögen.

Es wäre denkbar, daß Rußland, nach der eventuellen Ablehnung unserer Forderungen durch Serbien und angesichts der sich für uns ergebenden Notwendigkeit eines bewaffneten Vorgehens, mit sich selbst zu Rate ginge, und daß es sogar gewillt sein könnte, sich von dem aufbrausenden slawischen Solidaritätsgefühl nicht mitreißen zu lassen.

Dieser Situation sind die nachfolgenden Darlegungen angepaßt, die Euer Exzellenz im gegebenen Moment und in der Ihnen geeignet erscheinenden Weise und nach der von Ihnen zu ermessenden Opportunität bei Herrn Sazonow und dem Herrn Ministerpräsidenten verwerten wollen:

Ich setze im allgemeinen voraus, daß Euer Exzellenz unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein enges Einvernehmen mit Ihrem deutschen Kollegen hergestellt haben, der seitens seiner Regierung gewiß beauftragt worden sein dürfte, der russischen Regierung keinen Zweifel darüber zu lassen, daß Österreich-Ungarn im Falle eines Konfliktes mit Rußland nicht allein stehen würde.

Unseren Schritt in Belgrad, dem Herrn russischen Minister des Äußern zu erklären und in überzeugender Weise verständlich zu machen, wird Euer Exzellenz wohl kaum gelingen.

Es gibt aber ein Moment, das seinen Eindruck auf den russischen Minister des Äußern nicht verfehlen kann, und das ist die Betonung des Umstandes, daß die österreich-ungarische Monarchie, dem von ihr seit Jahrzehnten festgehaltenen Grundsatze entsprechend, auch in der gegenwärtigen Krise und bei der bewaffneten Austragung des Gegensatzes zu Serbien keinerlei eigennützige Motive verfolgt.

Die Monarchie ist territorial saturiert und trägt nach serbischem Besitz kein Verlangen. Wenn der Kampf mit Serbien uns aufgezwungen wird, so wird dies für uns kein Kampf um territorialen Gewinn, sondern lediglich ein Mittel der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung sein.

Der Inhalt des Zirkularerlasses, der an sich schon beredt genug ist, wird in das rechte Licht gerückt durch das Dossier über die serbische Propaganda gegen die Monarchie und die Zusammenhänge, die zwischen dieser Propaganda und dem Attentat vom 28. Juni bestehen.

Auf dieses Dossier, das Euer Exzellenz mit einem speziellen Erlasse zukommt (ich bemerke hier, um Mißverständnisse vorzubeugen, daß das Dossier den Mächten nur für den Fall einer Ablehnung unserer Forderungen übermittelt werden wird), wollen Euer Exzellenz die Aufmerksamkeit des Herrn russischen Ministers ganz speziell lenken und dartun, es sei eine in der Geschichte singuläre Erscheinung, daß eine Großmacht die aufrührerischen Umtriebe eines angrenzenden kleinen Staates durch so lange Zeit mit so beispielloser Langmut geduldet hätte, wie Österreich-Ungarn jene Serbiens.

Die Hauptursache, warum wir so lange gleichmütig geblieben wären, sei darin zu suchen, daß wir Serbien nicht während jener Periode seiner staatlichen Entwicklung zur Rechenschaft ziehen wollten, in welcher es dem alten türkischen Erbfeind gegenüberstand.

Wir wollten keine Politik gegen das Aufstreben der christlichen Balkanstaaten machen und haben daher--trotzdem uns der geringe Wert serbischer Versprechungen bekannt war--nach der Annexionskrise vom Jahre 1908 zugelassen, daß sich Serbien beinahe um das Doppelte vergrößere.

Heute liegen die Dinge anders: Serbien hat seine Aspirationen der Turkei gegenüber durchgesetzt, und die Monachrie [sic] kann gegen Serbien vorgehen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, daß sie die freie Entwicklung des serbischen Staates behindern wolle.

Anderseits hat die subversive Bewegung, die in Serbien gegen die Monarchie genährt wird, inzwischen so exzessive Formen angenommen, daß das monarchische und dynastische Interesse durch die serbische Wühlarbeit bedroht erscheint.

Wir müssen annehmen, daß das konservative, kaisertreue Rußland ein energisches Vorgehen unserseits gegen diese Bedrohung aller staatlichen Ordnung begreiflich und sogar notwendig finden wird.

Daß wir bei unserem Vorgehen   n i c h t   v o n   d e m   W u n s c h e   e i n e r   Z u r ü c k d r ä n g u n g   d e s   o r t h o d o x e n   S l a w e n t u m s   geleitet sind, habe ich schon früher angedeutet.

Euer Exzellenz können dieses Moment dem Herrn russischen Minister des Äußern gegenüber auch mit dem Hinweis darauf entsprechend illustrieren, daß wir uns derzeit nur in einem Gegensatze zu Serbien befinden, während unsere Beziehungen zu Montenegro vollkommen normal und freundnachbarlich geblieben sind.

Wir haben uns in der Tat--was die nach Österreich-Ungarn getragene großserbische Agitation anbelangt--über Montenegro nicht zu beklagen, und auch das Dossier, das Euer Exzellenz Herrn Sazonow übergeben haben, enthält kein Material gegen das genannte Königreich. Wenn Euer Exzellenz in Ihrem Gespräch mit Herrn Sazonow an diesem Punkte angelangt sein werden, wird der Moment gekommen sein, an die Aufstellung unserer Beweggründe und Absichten den Hinweis zu knüpfen, daß wir zwar--wie Euer Exzellenz bereits in der Lage gewesen wären, darzulegen--keinen territorialen Gewinn anstreben und auch die Souveränität des Königreiches nicht anzutasten gedächten, daß wir aber anderseits zur Durchsetzung unserer Forderungen bis zum Äußersten gehen und auch vor der Möglichkeit europäischer Verwicklungen nicht zurückschrecken würden.

Daß wir bisher, soweit es an uns lag, bestrebt waren, den Frieden zu erhalten, den auch wir als das kostbarste Gut der Völker betrachten, zeige der Verlauf der letzten 40 Jahre und die geschichtliche Tatsache, daß unser allergnädigster Herr sich den glorreichen Namen eines Hüters des Friedens erworben hätte.

Wir würden eine Störung des europäischen Friedens schon deshalb auf das lebhafteste bedauern, weil wir stets der Ansicht waren, daß die Aufteilung des türkischen Erbes und das Erstarken der Balkanstaaten zur staatlichen und politischen Selbständigkeit auch alle Möglichkeit eines Gegensatzes zwischen uns und Rußland beseitigt hätte; weil wir immer bereit waren, die wohlverstandenen großen politischen Interessen Rußlands bei unserer eigenen politischen Orientierung zu berücksichtigen, und weil wir endlich immer gehofft hatten, daß die gleichen konservativen, monarchischen und dynastischen Interessen der drei Kaiserreiche für alle Zukunft nicht ohne heilsame Rückwirkung auf ihre politischen Beziehungen bleiben würden.

Eine weitere Duldung der serbischen Umtriebe hätte unsere staatliche Existenz untergraben, unseren Bestand als Großmacht, daher auch das europäische Gleichgewicht, in Frage gestellt. Wir sind aber überzeugt, daß es Rußlands eigenstes, von seinen friedichen Staatsleitern wohlverstandenes Interesse ist, daß das gegenwärtige europäische, für den Weltfrieden so nützliche Gleichgewicht erhalten bleibe. Unsere Aktion gegen Serbien, in welcher Form immer sie erfolgt, ist eine durchaus konservative und ihr Zweck, die notwendige Erhaltung unserer europäischen Stellung.




  1. Vgl. Die Fassung im Österreichisch-ungarischen Rotbuch, Nr. 26.



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