I. Die Vorgeschichte: Difference between revisions

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Kautsky verfällt ferner nicht in den Fehler vieler anderer An-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Kautsky verfällt ferner nicht in den Fehler vieler anderer An- <br>
kläger der Zentralmächte, seine Betrachtung erst mit dem Attentat  
kläger der Zentralmächte, seine Betrachtung erst mit dem Attentat <br>
von Sarajewo zu beginnen, sondern geht auch auf die Vorgeschichte  
von Sarajewo zu beginnen, sondern geht auch auf die Vorgeschichte <br>
des Krieges ein. Aber gerade dabei macht sich die Beschränkung  
des Krieges ein. Aber gerade dabei macht sich die Beschränkung <br>
der Quellen nachteilig fühlbar. Gewiß kann man vielem, was ge-  
der Quellen nachteilig fühlbar. Gewiß kann man vielem, was ge- <br>
sagt wird, beistimmen. Es ist eine traurige Wahrheit, daß Deutsch-  
sagt wird, beistimmen. Es ist eine traurige Wahrheit, daß Deutsch- <br>
land schließlich nur noch mit Staaten befreundet und verbündet  
land schließlich nur noch mit Staaten befreundet und verbündet <br>
war, „die ihre Lebensfähigkeit verloren hatten" (K. Seite 24), mit  
war, „die ihre Lebensfähigkeit verloren hatten" (K. Seite 24), mit <br>
Österreich und der Türkei. Die inneren Verhältnisse des morschen,  
Österreich und der Türkei. Die inneren Verhältnisse des morschen, <br>
von rivalisierenden und sich befeindenden Nationalitäten bewohnten  
von rivalisierenden und sich befeindenden Nationalitäten bewohnten <br>
Donaustaates und die harte, selbstsüchtige Wirtschaftspolitik der  
Donaustaates und die harte, selbstsüchtige Wirtschaftspolitik der <br>
ungarischen A.Sirarier gegen das vergeblich zum Meere strebende  
ungarischen A.Sirarier gegen das vergeblich zum Meere strebende <br>
Serbien sind zutreffend gekennzeichnet. Aber es heißt doch die  
Serbien sind zutreffend gekennzeichnet. Aber es heißt doch die <br>
Grenze gerechter Kritik überschreiten, wenn man von einem öster-  
Grenze gerechter Kritik überschreiten, wenn man von einem öster- <br>
reichischen „Imperialismus" spricht (K. Seite 26), und die Schilde-  
reichischen „Imperialismus" spricht (K. Seite 26), und die Schilde- <br>
rung der Persönlichkeit des slawenfreundlichen, die Wiederher-  
rung der Persönlichkeit des slawenfreundlichen, die Wiederher- <br>
stellung des Dreikaiserbündnisses anstrebenden Erzherzogs Franz  
stellung des Dreikaiserbündnisses anstrebenden Erzherzogs Franz <br>
Ferdinand als eines Mannes, „der allein auf die Gewalt, baute"  
Ferdinand als eines Mannes, „der allein auf die Gewalt, baute" <br>
(a. a. O.), wird manchem Widerspruch begegnen;"^-. ^•'' -i;'-'^''' " -  
(a. a. O.), wird manchem Widerspruch begegnen;"^-. ^•'' -i;'-'^''' " - <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Bei der Entwicklung der Balkankrisen wird die „frivole 'Ge-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Bei der Entwicklung der Balkankrisen wird die „frivole 'Ge- <br>
fährdung des Weltfriedens" durch die Annexion von Bosnien und  
fährdung des Weltfriedens" durch die Annexion von Bosnien und <br>
der Herzegowina scharf gebrandmarkt (K. Seite 27), aber die friedens-  
der Herzegowina scharf gebrandmarkt (K. Seite 27), aber die friedens- <br>
gefährdenden Bestrebungen Rußlands und seiner Ententefreunde  
gefährdenden Bestrebungen Rußlands und seiner Ententefreunde <br>
werden nicht ei-wähnt. Das Streben nach der Herrschaft über die  
werden nicht ei-wähnt. Das Streben nach der Herrschaft über die <br>
Meerengen, einem Ziele, von dem die politischen und militärischen  
Meerengen, einem Ziele, von dem die politischen und militärischen <br>
Leiter des Zarenreichs wohl wußten und sogar protokollarisch fest-  
Leiter des Zarenreichs wohl wußten und sogar protokollarisch fest- <br>
legten, man könne nicht voraussetzen, daß es „außerhalb eines  
legten, man könne nicht voraussetzen, daß es „außerhalb eines <br>
europäischen Krieges" erreicht werden könnte (Weißbuch Juni 1919,  
europäischen Krieges" erreicht werden könnte (Weißbuch Juni 1919, <br>
Seite 175), die unter russischer Patronanz erfolgende Gründung  
Seite 175), die unter russischer Patronanz erfolgende Gründung <br>
des Balkanbundes, der zuerst gegen die Türkei, dann gegen die  
des Balkanbundes, der zuerst gegen die Türkei, dann gegen die <br>
Donaumonarchie als Sturmbock dienen sollte, die Einweihung  
Donaumonarchie als Sturmbock dienen sollte, die Einweihung <br>
Frankreichs und Englands in die Ziele dieses Bundes, nach seiner  
Frankreichs und Englands in die Ziele dieses Bundes, nach seiner <br>
Auflösung die weitgehenden russischen Versprechungen an Serbien,  
Auflösung die weitgehenden russischen Versprechungen an Serbien, <br>
um sich dessen Mitwirkung als Stoßtruppe gegen die österreichische  
um sich dessen Mitwirkung als Stoßtruppe gegen die österreichische <br>
Südflanke zu sichern — all das sind seit dem Frühsommer 1919  
Südflanke zu sichern — all das sind seit dem Frühsommer 1919 <br>
bekannte Tatsachen, an denen der objektive Forscher nicht schwei-  
bekannte Tatsachen, an denen der objektive Forscher nicht schwei- <br>
gend vorübergehen kann. Wie würde es gegen die politischen  
gend vorübergehen kann. Wie würde es gegen die politischen <br>
Leiter Deutschlands ausgenützt werden, wenn von ihnen der Minister  
Leiter Deutschlands ausgenützt werden, wenn von ihnen der Minister <br>
eines verbündeten Staates ähnliche kriegsdrohende Äußerungen  
eines verbündeten Staates ähnliche kriegsdrohende Äußerungen <br>
berichten könnte wie Sasonow von König Georg und Sir Edward  
berichten könnte wie Sasonow von König Georg und Sir Edward <br>
Grey anläßlich der Verhandlungen über eine englisch-russische  
Grey anläßlich der Verhandlungen über eine englisch-russische <br>
Marinekonvention im September 1912 (Weißbuch Juni 1919,  
Marinekonvention im September 1912 (Weißbuch Juni 1919, <br>


Seite 195)1 ■:\/::'::n'T:' ::'::.]"' :-i ^  
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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Auch von Widersprüchen ist die Kautskysche Darstellung nicht  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Auch von Widersprüchen ist die Kautskysche Darstellung nicht <br>
frei. Er erzählt selbst, daß er im Jahre 1902 in einer Schrift: „Die  
frei. Er erzählt selbst, daß er im Jahre 1902 in einer Schrift: „Die <br>
soziale Revolution" nachstehendes Urteil abgegeben hat (K. Seite 31  
soziale Revolution" nachstehendes Urteil abgegeben hat (K. Seite 31<br>
und 32, Sperrdruck von Kautsky):  
und 32, Sperrdruck von Kautsky): <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Die einzige Friedensbürgschaft liegt heute in der Angst vor dem  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Die einzige Friedensbürgschaft liegt heute in der Angst vor dem <br>
revolutionären Proletariat. Es bleibt abzuwarten, wie lange diese den  
revolutionären Proletariat. Es bleibt abzuwarten, wie lange diese den <br>
sich häufenden Konfliktsursachen gegenüber standhalten wird. Und es  
sich häufenden Konfliktsursachen gegenüber standhalten wird. Und es <br>
gibt eine Reihe von Machten, die noch kein selbständiges revolutionäres  
gibt eine Reihe von Machten, die noch kein selbständiges revolutionäres <br>
Proletariat zu fürchten haben, und manche von ihnen werden völlig  
Proletariat zu fürchten haben, und manche von ihnen werden völlig <br>
von einer skrupellosen, brutalen Clique von Männern der hohen Finanz  
von einer skrupellosen, brutalen Clique von Männern der hohen Finanz <br>
beherrscht. Diese Mächte, bisher in der internationalen Politik unbe-  
beherrscht. Diese Mächte, bisher in der internationalen Politik unbe- <br>
deutend oder friedliebend, treten jetzt als internationale Störenfriede  
deutend oder friedliebend, treten jetzt als internationale Störenfriede <br>
immer mehr hervor. So vor allem die Vereinigten Staaten,  
immer mehr hervor. So vor allem die Vereinigten Staaten, <br>
daneben England und Japan. Rußland figurierte ehedem In der  
daneben England und Japan. Rußland figurierte ehedem In der <br>
Liste der internationalen Störenfriede an erster Stelle, sein heldenmütiges  
Liste der internationalen Störenfriede an erster Stelle, sein heldenmütiges <br>
Proletariat hat es augenblicklich von ihr abgesetzt. Aber ebenso wie  
Proletariat hat es augenblicklich von ihr abgesetzt. Aber ebenso wie <br>
der Übermut eines im Innern schrankenlosen Regimes, das keine revolu-  
der Übermut eines im Innern schrankenlosen Regimes, das keine revolu- <br>
tionäre Klasse in seinem Rücken scheut, kann auch die Verzweiflung  
tionäre Klasse in seinem Rücken scheut, kann auch die Verzweiflung <br>
eines wankenden Regimes einen Krieg entzünden, wie es 1870 bei Na-  
eines wankenden Regimes einen Krieg entzünden, wie es 1870 bei Na- <br>
poleon III. der Fall war und vielleicht noch bei Nikolaus II, der Fall  
poleon III. der Fall war und vielleicht noch bei Nikolaus II, der Fall <br>
sein wird. Von diesen Mächten und ihren Gegensätzen, und  
sein wird. Von diesen Mächten und ihren Gegensätzen, und <br>
nicht etwa von dem zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen  
nicht etwa von dem zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen <br>
Österreich und Italien, droht heute dem Weltfrieden die größte Gefahr."  
Österreich und Italien, droht heute dem Weltfrieden die größte Gefahr." <br>
Mit diesem in den späteren Auflagen gestrichenen Urteil —  
Mit diesem in den späteren Auflagen gestrichenen Urteil — <br>
eine genaue Zeitangabe der Streichung wird leider unterlassen —  
eine genaue Zeitangabe der Streichung wird leider unterlassen —<br>
stimmt es nicht überein, wenn das vorliegende Buch schon in den  
stimmt es nicht überein, wenn das vorliegende Buch schon in den <br>
bescheidenen Anfängen des deutschen Flottenbaues im Jahre 1897  
bescheidenen Anfängen des deutschen Flottenbaues im Jahre 1897 <br>
den Übergang zu einer Weltpolitik sehen will, die, „wenn sie einen  
den Übergang zu einer Weltpolitik sehen will, die, „wenn sie einen <br>
Sinn hatte, nur den haben konnte: Aufrichtung der Beherrschung  
Sinn hatte, nur den haben konnte: Aufrichtung der Beherrschung <br>
der Welt durch Deutschland !" (K. Seite 17). Wer solches behauptet,  
der Welt durch Deutschland !" (K. Seite 17). Wer solches behauptet, <br>
hat sich wohl nie mit Bleistift und Papier klar gemacht, über welche  
hat sich wohl nie mit Bleistift und Papier klar gemacht, über welche <br>
Land- und Seestreitkräfte Deutschland gegenüber der „WeIt"  
Land- und Seestreitkräfte Deutschland gegenüber der „WeIt" <br>
verfügte, die es angeblich gewaltsam unterjochen wollte. Darauf  
verfügte, die es angeblich gewaltsam unterjochen wollte. Darauf <br>
wird im nächsten, von den „Rüstungen" handelnden Abschnitt  
wird im nächsten, von den „Rüstungen" handelnden Abschnitt <br>
noch eingegangen werden. Hier sei nur erwähnt, daß niemand,  
noch eingegangen werden. Hier sei nur erwähnt, daß niemand, <br>
der das Flottenprogramm von 1897 kennt, ernstlich glauben kann,  
der das Flottenprogramm von 1897 kennt, ernstlich glauben kann, <br>
es habe die Einleitung des „Wettrüstens mit England" (a. a. O.)  
es habe die Einleitung des „Wettrüstens mit England" (a. a. O.) <br>
bedeutet. Daß die spätere deutsche Flottenpolitik, weniger  
bedeutet. Daß die spätere deutsche Flottenpolitik, weniger <br>
wegen ihres Umfangs als wegen mancher lärmenden Begleiterschei-  
wegen ihres Umfangs als wegen mancher lärmenden Begleiterschei- <br>
nungen, ein Haupthindernis für eine Verständigung mit England  
nungen, ein Haupthindernis für eine Verständigung mit England <br>
bildete, soll nicht bestritten werden. Auch ist zuzugeben, daß die  
bildete, soll nicht bestritten werden. Auch ist zuzugeben, daß die <br>
insulare Lage des Vereinigten Königreichs das Streben erklärt und  
insulare Lage des Vereinigten Königreichs das Streben erklärt und <br>
rechtfertigt, sich die Zufuhr zur See von Lebensmitteln und Roh-  
rechtfertigt, sich die Zufuhr zur See von Lebensmitteln und Roh- <br>
stoffen auch im Kriegsfalle unbedingt zu sichern. Ein Vertreter  
stoffen auch im Kriegsfalle unbedingt zu sichern. Ein Vertreter <br>
des Pazifismus aber sollte, wenn er in solcher Weise den britischen  
des Pazifismus aber sollte, wenn er in solcher Weise den britischen<br>
Marinismus verteidigt, den Hinweis nicht unterlassen, daß Eng-  
Marinismus verteidigt, den Hinweis nicht unterlassen, daß Eng- <br>
lands Versorgung zur See nicht nur ebenso gut, sondern weit besser  
lands Versorgung zur See nicht nur ebenso gut, sondern weit besser<br>
durch das Bekenntnis zur Freiheit der Meere zu sichern gewesen  
durch das Bekenntnis zur Freiheit der Meere zu sichern gewesen <br>
wäre, wie sie Cobden 1862 gefordert hatte: Beseitigung des See-  
wäre, wie sie Cobden 1862 gefordert hatte: Beseitigung des See- <br>
beuterechts, Beschränicung der Blockade mit Ausnahme der Konter-  
beuterechts, Beschränicung der Blockade mit Ausnahme der Konter- <br>
bande auf befestigte oder verteidigte Hafenplätze, Beseitigung  
bande auf befestigte oder verteidigte Hafenplätze, Beseitigung <br>
des Visitationsrechts neutraler Schiffe. Die furchtbare Waffe der  
des Visitationsrechts neutraler Schiffe. Die furchtbare Waffe der <br>
rücksichtslosen Blockade hat zudem gezeigt, daß es ein Irrtum ist,  
rücksichtslosen Blockade hat zudem gezeigt, daß es ein Irrtum ist, <br>
zu glauben, nur die Insel England sei „im Falle eines Krieges dem  
zu glauben, nur die Insel England sei „im Falle eines Krieges dem <br>
Hungertode ausgeliefert" (K. Seite 18). Das kontinentale Deutsch-  
Hungertode ausgeliefert" (K. Seite 18). Das kontinentale Deutsch- <br>
land hat nicht nur im Kriege, sondern gegen alle Gesetze von Mensch-  
land hat nicht nur im Kriege, sondern gegen alle Gesetze von Mensch- <br>
lichkeit und Völkerrecht auch nach Einstellung der Feindselig-  
lichkeit und Völkerrecht auch nach Einstellung der Feindselig- <br>
keiten unter dieser schrecklichsten aller Kriegswaffen furchtbar  
keiten unter dieser schrecklichsten aller Kriegswaffen furchtbar <br>
gelitten und bleibt selbst nach Abschluß des schmählichsten und  
gelitten und bleibt selbst nach Abschluß des schmählichsten und <br>
demütigendsten Friedens von einer Erneuerung dieses teuflischen  
demütigendsten Friedens von einer Erneuerung dieses teuflischen <br>
Mittels ständig bedroht. Auffallend im Munde eines Vorkämpfers  
Mittels ständig bedroht. Auffallend im Munde eines Vorkämpfers <br>
internationaler Verständigung sind auch die Ausführungen auf  
internationaler Verständigung sind auch die Ausführungen auf <br>
Seite 19, wo England mehr oder minder das Recht zu einem Prä-  
Seite 19, wo England mehr oder minder das Recht zu einem Prä- <br>
ventivkrieg gegen Deutschland wegen dessen Flottenbauten zuge-  
ventivkrieg gegen Deutschland wegen dessen Flottenbauten zuge- <br>
sprochen wird.  
sprochen wird. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Aber nicht nur der Flottenbau von 1897, sondern auch die  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Aber nicht nur der Flottenbau von 1897, sondern auch die <br>
meisten anderen „deutschen Provokationen", die auf Seite 21—23  
meisten anderen „deutschen Provokationen", die auf Seite 21—23 <br>
aufgezählt sind, fallen in die Zeit vor dem 1902 gefällten Urteil,  
aufgezählt sind, fallen in die Zeit vor dem 1902 gefällten Urteil, <br>
nämlich das Telegramm an den Burenpräsidenten Krüger 1896,  
nämlich das Telegramm an den Burenpräsidenten Krüger 1896, <br>
die Proklamation Kaiser Wilhelms an die Mohammedaner 1898, das  
die Proklamation Kaiser Wilhelms an die Mohammedaner 1898, das <br>
Verhalten Deutschlands auf der ersten Haager Konferenz 1899, die  
Verhalten Deutschlands auf der ersten Haager Konferenz 1899, die <br>
Kaiserrede an die nach China ziehenden Truppen 1900. An „Provo-  
Kaiserrede an die nach China ziehenden Truppen 1900. An „Provo- <br>
kationen" nach 1902 werden nur die Tangerfahrt 1905 und die  
kationen" nach 1902 werden nur die Tangerfahrt 1905 und die <br>
Entsendung des „Panther" nach Agadir 1911 aufgezählt, zwei  
Entsendung des „Panther" nach Agadir 1911 aufgezählt, zwei <br>
Ereignisse, die, so sehr man sie bedauern mag, an sich wohl kaum  
Ereignisse, die, so sehr man sie bedauern mag, an sich wohl kaum <br>
ausreichen, um die 1902 ausgesprochene Auffassung von Grund aus  
ausreichen, um die 1902 ausgesprochene Auffassung von Grund aus <br>
umzustoßen.  
umzustoßen. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Immerhin ist Kautsky, im Gegensatz zu manchem seiner Partei-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Immerhin ist Kautsky, im Gegensatz zu manchem seiner Partei- <br>
freunde, gerecht genug, zuzugeben, daß der Militarismus nicht eine  
freunde, gerecht genug, zuzugeben, daß der Militarismus nicht eine <br>
auf Deutschland beschränkte Erscheinung war, sondern daß auch  
auf Deutschland beschränkte Erscheinung war, sondern daß auch <br>
Frankreich und Rußland „davon mehr als genug" hatten  
Frankreich und Rußland „davon mehr als genug" hatten <br>
(K. Seite 33). Wenn aber unmittelbar vorher gesagt wird, daß die  
(K. Seite 33). Wenn aber unmittelbar vorher gesagt wird, daß die <br>
1902 noch in erster Linie als „internationale Störenfriede" bezeich-  
1902 noch in erster Linie als „internationale Störenfriede" bezeich- <br>
neten angelsächsischen Staaten „bis zum Weltkriege überhaupt  
neten angelsächsischen Staaten „bis zum Weltkriege überhaupt <br>
keinen Militarismus kannten", so mag das wohl für die nordameri-  
keinen Militarismus kannten", so mag das wohl für die nordameri- <br>
kanische Union gelten. Wer aber das Buch von Lord Roberts:  
kanische Union gelten. Wer aber das Buch von Lord Roberts: <br>
„41 Jahre in Indien" kennt, wer gelesen hat, welche Überfalls-  
„41 Jahre in Indien" kennt, wer gelesen hat, welche Überfalls- <br>
pläne gegen Deutschland Lord Fisher schmiedete, wie Lord (damals  
pläne gegen Deutschland Lord Fisher schmiedete, wie Lord (damals <br>
Mr.) Haidane, nachdem er im Januar 1906 die Besprechungen  
Mr.) Haidane, nachdem er im Januar 1906 die Besprechungen <br>
zwischen dem französischen und englischen Generalstabe eingeleitet  
zwischen dem französischen und englischen Generalstabe eingeleitet <br>
hatte, sich im September desselben Jahres im preußischen Kriegs-  
hatte, sich im September desselben Jahres im preußischen Kriegs- <br>
ministerium Belehrung holte, um den Hauptmangel der englischen  
ministerium Belehrung holte, um den Hauptmangel der englischen <br>
Heeresorganisation, die langsame Mobilmachung der britischen  
Heeresorganisation, die langsame Mobilmachung der britischen <br>
Hilfstruppen in einem etwaigen deutsch-französischen Kriege, zu  
Hilfstruppen in einem etwaigen deutsch-französischen Kriege, zu <br>
beheben, der muß zugeben, daß England seine militaristische Periode,  
beheben, der muß zugeben, daß England seine militaristische Periode, <br>
die durch die Namen Irland, Indien, Ägypten gekennzeichnet ist,  
die durch die Namen Irland, Indien, Ägypten gekennzeichnet ist, <br>
auch während der letzten Generation noch nicht überwunden hatte.  
auch während der letzten Generation noch nicht überwunden hatte. <br>
Die entsetzlichen Nachrichten über das Blutbad von Amritsar im  
Die entsetzlichen Nachrichten über das Blutbad von Amritsar im <br>
April 1919 bilden dafür einen neuen Beleg.  
April 1919 bilden dafür einen neuen Beleg. <br>


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Revision as of 16:19, 25 November 2015

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 5 (Commentary) > Glossen zu den Vorkriegsakten > I. Die Vorgeschichte


     Das Jahr 1919 hat zahlreiche amtliche Veröffentlichungen über
den Ursprung des Weltkrieges gebracht. Die deutschen Akten
sind vollständig erschienen, von den österreichischen der erste Teil,
aus den russischen Archiven ist manches wichtige Dokument hervor-
gezogen worden ; der serbische Diplomat Boghitschewitsch hat dazu
mehrfache Ergänzungen geliefert. Selbst das Dunkel in Frankreich
ist wenigstens etwas gelichtet worden durch das dritte französische
Gelbbuch, das allerdings erstaunlich wenig beachtet worden, in
Deutschland sogar fast gänzlich unbekannt geblieben ist. Wer
heute über den Ursprung des Krieges schreiben will, muß diese
Publikationen in ihrer Gesamtheit berücksichtigen. Kautsky tut
das nicht, sondern stützt sich ausschließlich auf das deutsche und
österreichische Material. Das deutsche Weißbuch vom Juni 1919
wird zwar erwähnt (K. Seite 45)*) und an mehreren Stellen heftig
bekämpft, die darin enthaltenen russischen Enthüllungen aber
werden mit Stillschweigen übergangen. Das Kautskysche Buch
ist daher ein, noch dazu nicht immer unparteiischer, Kommentar
zu den deutschen und österreichischen Akten, aber der Titel „Wie
der Weltkrieg entstand" ist nicht gerechtfertigt.
          Ein einleitendes Kapitel: „Die Schuldigen" vertritt den meiner
Auffassung nach völlig begründeten Standpunkt, daß man sich
nicht damit begnügen dürfe, den Kapitalismus und den dadurch
erzeugten Imperialismus, das Streben nach gewaltsamer Ausdehnung
des Staatsgebiets, für die ungeheure Katastrophe verantwortlich
zu machen. Ich teile die Auffassung, daß es trotz Kapitalismus
und Imperialismus möglich gewesen wäre, das Unheil zu vermeiden.
Die geschichtliche Forschung darf sich nicht auf so allgemeine
Redensarten beschränken. Sie muß versuchen festzustellen, in-
wieweit besondere politische Institutionen oder bestimmte Träger
solcher Institutionen als Ursache und Urheber des Völkerringens
anzusehen sind.

     Kautsky verfällt ferner nicht in den Fehler vieler anderer An-
kläger der Zentralmächte, seine Betrachtung erst mit dem Attentat
von Sarajewo zu beginnen, sondern geht auch auf die Vorgeschichte
des Krieges ein. Aber gerade dabei macht sich die Beschränkung
der Quellen nachteilig fühlbar. Gewiß kann man vielem, was ge-
sagt wird, beistimmen. Es ist eine traurige Wahrheit, daß Deutsch-
land schließlich nur noch mit Staaten befreundet und verbündet
war, „die ihre Lebensfähigkeit verloren hatten" (K. Seite 24), mit
Österreich und der Türkei. Die inneren Verhältnisse des morschen,
von rivalisierenden und sich befeindenden Nationalitäten bewohnten
Donaustaates und die harte, selbstsüchtige Wirtschaftspolitik der
ungarischen A.Sirarier gegen das vergeblich zum Meere strebende
Serbien sind zutreffend gekennzeichnet. Aber es heißt doch die
Grenze gerechter Kritik überschreiten, wenn man von einem öster-
reichischen „Imperialismus" spricht (K. Seite 26), und die Schilde-
rung der Persönlichkeit des slawenfreundlichen, die Wiederher-
stellung des Dreikaiserbündnisses anstrebenden Erzherzogs Franz
Ferdinand als eines Mannes, „der allein auf die Gewalt, baute"
(a. a. O.), wird manchem Widerspruch begegnen;"^-. ^• -i;'-'^' " -

     Bei der Entwicklung der Balkankrisen wird die „frivole 'Ge-
fährdung des Weltfriedens" durch die Annexion von Bosnien und
der Herzegowina scharf gebrandmarkt (K. Seite 27), aber die friedens-
gefährdenden Bestrebungen Rußlands und seiner Ententefreunde
werden nicht ei-wähnt. Das Streben nach der Herrschaft über die
Meerengen, einem Ziele, von dem die politischen und militärischen
Leiter des Zarenreichs wohl wußten und sogar protokollarisch fest-
legten, man könne nicht voraussetzen, daß es „außerhalb eines
europäischen Krieges" erreicht werden könnte (Weißbuch Juni 1919,
Seite 175), die unter russischer Patronanz erfolgende Gründung
des Balkanbundes, der zuerst gegen die Türkei, dann gegen die
Donaumonarchie als Sturmbock dienen sollte, die Einweihung
Frankreichs und Englands in die Ziele dieses Bundes, nach seiner
Auflösung die weitgehenden russischen Versprechungen an Serbien,
um sich dessen Mitwirkung als Stoßtruppe gegen die österreichische
Südflanke zu sichern — all das sind seit dem Frühsommer 1919
bekannte Tatsachen, an denen der objektive Forscher nicht schwei-
gend vorübergehen kann. Wie würde es gegen die politischen
Leiter Deutschlands ausgenützt werden, wenn von ihnen der Minister
eines verbündeten Staates ähnliche kriegsdrohende Äußerungen
berichten könnte wie Sasonow von König Georg und Sir Edward
Grey anläßlich der Verhandlungen über eine englisch-russische
Marinekonvention im September 1912 (Weißbuch Juni 1919,

Seite 195)1 ■:\/::'::n'T:' ::'::.]"' :-i ^

     Auch von Widersprüchen ist die Kautskysche Darstellung nicht
frei. Er erzählt selbst, daß er im Jahre 1902 in einer Schrift: „Die
soziale Revolution" nachstehendes Urteil abgegeben hat (K. Seite 31
und 32, Sperrdruck von Kautsky):

     „Die einzige Friedensbürgschaft liegt heute in der Angst vor dem
revolutionären Proletariat. Es bleibt abzuwarten, wie lange diese den
sich häufenden Konfliktsursachen gegenüber standhalten wird. Und es
gibt eine Reihe von Machten, die noch kein selbständiges revolutionäres
Proletariat zu fürchten haben, und manche von ihnen werden völlig
von einer skrupellosen, brutalen Clique von Männern der hohen Finanz
beherrscht. Diese Mächte, bisher in der internationalen Politik unbe-
deutend oder friedliebend, treten jetzt als internationale Störenfriede
immer mehr hervor. So vor allem die Vereinigten Staaten,
daneben England und Japan. Rußland figurierte ehedem In der
Liste der internationalen Störenfriede an erster Stelle, sein heldenmütiges
Proletariat hat es augenblicklich von ihr abgesetzt. Aber ebenso wie
der Übermut eines im Innern schrankenlosen Regimes, das keine revolu-
tionäre Klasse in seinem Rücken scheut, kann auch die Verzweiflung
eines wankenden Regimes einen Krieg entzünden, wie es 1870 bei Na-
poleon III. der Fall war und vielleicht noch bei Nikolaus II, der Fall
sein wird. Von diesen Mächten und ihren Gegensätzen, und
nicht etwa von dem zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen
Österreich und Italien, droht heute dem Weltfrieden die größte Gefahr."
Mit diesem in den späteren Auflagen gestrichenen Urteil —
eine genaue Zeitangabe der Streichung wird leider unterlassen —
stimmt es nicht überein, wenn das vorliegende Buch schon in den
bescheidenen Anfängen des deutschen Flottenbaues im Jahre 1897
den Übergang zu einer Weltpolitik sehen will, die, „wenn sie einen
Sinn hatte, nur den haben konnte: Aufrichtung der Beherrschung
der Welt durch Deutschland !" (K. Seite 17). Wer solches behauptet,
hat sich wohl nie mit Bleistift und Papier klar gemacht, über welche
Land- und Seestreitkräfte Deutschland gegenüber der „WeIt"
verfügte, die es angeblich gewaltsam unterjochen wollte. Darauf
wird im nächsten, von den „Rüstungen" handelnden Abschnitt
noch eingegangen werden. Hier sei nur erwähnt, daß niemand,
der das Flottenprogramm von 1897 kennt, ernstlich glauben kann,
es habe die Einleitung des „Wettrüstens mit England" (a. a. O.)
bedeutet. Daß die spätere deutsche Flottenpolitik, weniger
wegen ihres Umfangs als wegen mancher lärmenden Begleiterschei-
nungen, ein Haupthindernis für eine Verständigung mit England
bildete, soll nicht bestritten werden. Auch ist zuzugeben, daß die
insulare Lage des Vereinigten Königreichs das Streben erklärt und
rechtfertigt, sich die Zufuhr zur See von Lebensmitteln und Roh-
stoffen auch im Kriegsfalle unbedingt zu sichern. Ein Vertreter
des Pazifismus aber sollte, wenn er in solcher Weise den britischen
Marinismus verteidigt, den Hinweis nicht unterlassen, daß Eng-
lands Versorgung zur See nicht nur ebenso gut, sondern weit besser
durch das Bekenntnis zur Freiheit der Meere zu sichern gewesen
wäre, wie sie Cobden 1862 gefordert hatte: Beseitigung des See-
beuterechts, Beschränicung der Blockade mit Ausnahme der Konter-
bande auf befestigte oder verteidigte Hafenplätze, Beseitigung
des Visitationsrechts neutraler Schiffe. Die furchtbare Waffe der
rücksichtslosen Blockade hat zudem gezeigt, daß es ein Irrtum ist,
zu glauben, nur die Insel England sei „im Falle eines Krieges dem
Hungertode ausgeliefert" (K. Seite 18). Das kontinentale Deutsch-
land hat nicht nur im Kriege, sondern gegen alle Gesetze von Mensch-
lichkeit und Völkerrecht auch nach Einstellung der Feindselig-
keiten unter dieser schrecklichsten aller Kriegswaffen furchtbar
gelitten und bleibt selbst nach Abschluß des schmählichsten und
demütigendsten Friedens von einer Erneuerung dieses teuflischen
Mittels ständig bedroht. Auffallend im Munde eines Vorkämpfers
internationaler Verständigung sind auch die Ausführungen auf
Seite 19, wo England mehr oder minder das Recht zu einem Prä-
ventivkrieg gegen Deutschland wegen dessen Flottenbauten zuge-
sprochen wird.

     Aber nicht nur der Flottenbau von 1897, sondern auch die
meisten anderen „deutschen Provokationen", die auf Seite 21—23
aufgezählt sind, fallen in die Zeit vor dem 1902 gefällten Urteil,
nämlich das Telegramm an den Burenpräsidenten Krüger 1896,
die Proklamation Kaiser Wilhelms an die Mohammedaner 1898, das
Verhalten Deutschlands auf der ersten Haager Konferenz 1899, die
Kaiserrede an die nach China ziehenden Truppen 1900. An „Provo-
kationen" nach 1902 werden nur die Tangerfahrt 1905 und die
Entsendung des „Panther" nach Agadir 1911 aufgezählt, zwei
Ereignisse, die, so sehr man sie bedauern mag, an sich wohl kaum
ausreichen, um die 1902 ausgesprochene Auffassung von Grund aus
umzustoßen.

     Immerhin ist Kautsky, im Gegensatz zu manchem seiner Partei-
freunde, gerecht genug, zuzugeben, daß der Militarismus nicht eine
auf Deutschland beschränkte Erscheinung war, sondern daß auch
Frankreich und Rußland „davon mehr als genug" hatten
(K. Seite 33). Wenn aber unmittelbar vorher gesagt wird, daß die
1902 noch in erster Linie als „internationale Störenfriede" bezeich-
neten angelsächsischen Staaten „bis zum Weltkriege überhaupt
keinen Militarismus kannten", so mag das wohl für die nordameri-
kanische Union gelten. Wer aber das Buch von Lord Roberts:
„41 Jahre in Indien" kennt, wer gelesen hat, welche Überfalls-
pläne gegen Deutschland Lord Fisher schmiedete, wie Lord (damals
Mr.) Haidane, nachdem er im Januar 1906 die Besprechungen
zwischen dem französischen und englischen Generalstabe eingeleitet
hatte, sich im September desselben Jahres im preußischen Kriegs-
ministerium Belehrung holte, um den Hauptmangel der englischen
Heeresorganisation, die langsame Mobilmachung der britischen
Hilfstruppen in einem etwaigen deutsch-französischen Kriege, zu
beheben, der muß zugeben, daß England seine militaristische Periode,
die durch die Namen Irland, Indien, Ägypten gekennzeichnet ist,
auch während der letzten Generation noch nicht überwunden hatte.
Die entsetzlichen Nachrichten über das Blutbad von Amritsar im
April 1919 bilden dafür einen neuen Beleg.


  • ) Es werden bezeichnet das Kautskysche Buch mit K.,

die „Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch" mit D.,
die Schrift von Dr. Roderich Gooss: „Das Wiener Kabinett und die
Entstehung des Weltkrieges" mit G.