II, 23. Unterredung des Grafen Berchtold mit dem russischen Geschäftsträger, 24. Juli 1914: Difference between revisions

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Unterredung des Grafen Berchtold mit dem russischen Geschäftsträger[1]


Tagesbericht Nr. 3578


W i e n , den 24. Juli 1914            


Ich habe den russischen Geschäftsträger am 24. Juli vormittag empfangen und ihn versichert, daß ich spezielles Gewicht darauf gelegt habe, ihn sobald als möglich von unserem Schritte in Belgrad in Kenntnis zu setzen und ihm diesbezüglich unseren Standpunkt darzulegen.

Indem Fürst Kudascheff für diese Aufmerksamkeit dankte, verhehlte er mir nicht seine Beunruhigung über unser kategorisches Vorgehen gegen Serbien, wobei er bemerkte, daß man in St. Petersburg immer präokkupiert gewesen sei, ob nicht unsere Demarche die Form einer Demütigung für Serbien annehmen werde, was nicht ohne Reperkussion in Rußland bleiben könnte.

Ich ließ es mir angelegen sein, den russischen Geschäftsträger in dieser Richtung zu beruhigen. Nichts liege uns ferner, als Serbien demütigen zu wollen, woran wir nicht das geringste Interesse hätten. Auch sei mein Bestreben dahin gegangen, alles aus der Note zu eliminieren, was einen solchen Eindruck erwecken könnte. Unser Ziel bestehe lediglich darin, die unhaltbare Situation Serbiens zur Monarchie zu klären und zu diesem Zwecke die dortige Regierung zu veranlassen, einerseits die gegen den derzeitigen Bestand der Monarchie gerichteten Strömungen öffentlich zu desavouieren und durch administrative Maßnahmen zu unterdrücken, andrerseits uns die Möglichkeit zu bieten, uns von der gewissenhaften Durchführung dieser Maßnahmen Rechenschaft zu geben. Ich führte des längeren aus, welche Gefahr ein weiteres Gewährenlassen der großserbischen Propaganda nicht nur für die Integrität der Monarchie, sondern auch für das Gleichgewicht und den Frieden in Europa nach sich ziehen würde und wie sehr alle Dynastien, nicht zuletzt die russische, durch die Einbürgerung der Auffassung bedroht erscheinen, daß eine Bewegung ungestraft bleiben könne, die sich des Mordes als eines nationalistischen Kampfmittels bedient. Schließlich verwies ich darauf, daß wir keine Gebietserwerbung, sondern bloß die Erhaltung des Bestehenden bezweckten, ein Standpunkt, der bei der russischen Regierung ebenso Verständnis finden müsse, wie es uns selbstverständlich erscheine, daß Rußland keinen Angriff auf seine territoriale Integrität gewähren lassen würde.

Fürst Kudascheff bemerkte darauf, daß er den Standpunkt seiner Regierung nicht kenne und auch nicht wisse, wie sich Serbien zu den einzelnen Forderungen stellen werde. Seine persönliche Impression gehe dahin, daß wir Unmögliches von der Regierung eines konstitutionellen Staates verlangen; es komme ihm vor, als würde von jemand gefordert werden, zuerst beim Fenster hinauszuspringen und dann über die Stiege zurückzukommen. Daß der Wortlaut der Regierungserklärung und des Armeebefehles von uns vorgeschrieben werde, erscheine ihm als eine starke Demütigung Serbiens. Weiters sei ihm der Punkt aufgefallen, wonach wir die Mitwirkung unserer Organe bei der Repression der gegen die Monarchie gerichteten Propaganda verlangen. Dies sei wohl nicht mit dem Völkerrechte in Einklang zu bringen. Rußland habe allerdings auch Abmachungen mit Frankreich und Deutschland wegen Etablierung russischer Sicherheitsorgane in diesen Staaten. Dies bilde aber ein »Privileg« und kein »Recht«. Nicht minder sei es völkerrechtswidrig, die Bestrafung der Schuldigen auf serbischem Boden zu verlangen, man könne höchstens die Auslieferung verlangen. (Was Fürst Kudascheff damit meinte, ist nicht recht klar, und ließ er sich auf meine Einwendung, daß sich dieses Petit nicht im Widerspruch mit dem Völkerrecht befindet, nicht näher ein.) Die kurze Befristung flößt dem russischen Geschäftsträger auch große Besorgnis ein. Was werde geschehen, wenn dieselbe verlaufe, ohne daß eine zufriedenstellende Antwort von Serbien gegeben werde?

Auf meine Erwiderung, daß dann unser Gesandter und das Gesandtschaftspersonal abzureisen hätten, reflektierte Fürst Kudascheff mit dem Bemerken: »Alors c'est la guerre«.

Zum Schlusse unserer Unterredung betonte der Geschftsträger, daß er nicht ermangeln werde, seiner Regierung die Auskünfte zur Kenntnis zu bringen, die ich ihm über unseren Schritt gegeben, namentlich auch in der Richtung, daß unsererseits keine Demütigung Serbiens beabsichtigt sei.




  1. Vgl. die Fassung im Österreichisch-ungarischen Rotbuch, Nr. 18.



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