III, 159. Graf Mensdorff an Grafen Berchtold, 7. August 1914: Difference between revisions

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Bericht Z. 38/P




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L o n d o n ,  den 7. August 1914, Abend</p>
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    Heute nachmittags Grey gesehen. Ich erwartete die Ansage des Abbruches unserer diplomatischen Beziehungen. Er sagte mir aber, er habe keine Instruktionen an Bunsen geschickt; derselbe bleibt also vorläufig in Wien und ich hier »unless you want to precipitate matters«, wogegen ich protestierte. Ich sagte, ich habe nichts von Wien, was natürlich sei, nachdem man uns hier keine Chiffretelegramme mehr durchläßt. Ich würde aber weiter warten.
</blockquote>
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    Ich führte wieder nach Möglichkeit aus, ob es denn unerläßlich sei, daß wir und England in einen Kriegszustand gelangen. »Would it not be better to limit the area of hostilities? Would it not be useful, if two Powers  —  one of each group remained in touch etc.« Auf das alles wollte er nicht recht eingehen. »I cannot speak of the future, only of the present.«  Ich habe den bestimmten Eindruck, daß, wenn wir mit Frankreich in einen Kriegszustand gelangen, wir es auch mit England sein werden. Ich kann vorläufig nur warten et ronger mon frein.
</blockquote>
<blockquote>
    Meine beiden Militärs, Accurti und Horváth, drängen in mich, sie fortzulassen respektive nach Wien zu telegraphieren, um anzufragen. Da wir ohne Chiffre sind, kann ich es nicht tun. Ich kann nicht die Verantwortung auf mich nehmen, daß hier bekannt und ausposaunt wird, unsere Militär­ und Marineattachés seien abgereist, um einzurücken. Dies könnte Entschlüsse präcipitieren, während es vielleicht in unserem Interesse liegt, daß dieselben nicht oder wenigstens noch nicht gefaßt werden.
</blockquote>
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    Lange Konversation mit Grey. Er ist sehr bitter über Angriff auf Belgien und beklagt überhaupt die Art, wie in Berlin alles in die Hände der Militärs übergegangen war, so daß er absolut nicht feststellen konnte, während er verhandelte, wo die Autorität in Berlin lag.
</blockquote>
<blockquote>
    Grey ist verzweifelt darüber, daß seine Bestrebungen, Frieden zu erhalten, gescheitert sind. Über den Krieg sagte er mir wiederholt: »I hate it, i hate it«. Er kam zurück auf alle unsere gemeinsamen Bemühungen im vorigen Jahre während der Balkankonferenzen. Er hatte ernstlich gehofft, daß, wenn auch die jetzige schwere Gefahr überwunden werde, man den Frieden auf Jahre sichern könne. »I was quite ready if ever Russia had been aggressive  —  in the case of France it was not likely that she should  —  to stand by Germany and that we might come to some sort of understanding between the Powers.« Nun sei alles das gescheitert und der allgemeine Krieg mit seinen scheußlichen und widerwärtigen Folgen ausgebrochen.
</blockquote>
<blockquote>
    Ich glaube, der Angriff auf die Neutralität Belgiens hat alles verdorben, so wie das Angebot für die Neutralität Englands, das er in seinem Blaubuch veröffentlicht, und das ihn sehr entrüstet hat.
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    Im übrigen sprach er wieder von den unabsehbaren Folgen dieses Weltkrieges. »It is the greatest step towards Socialism that could possibly have been made . . . We shall have labour Governements [sic] in every country after this.«
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    Das sehr interessante Blaubuch möchte ich als Beilage dieses Berichtes vorlegen. Es ist in jeder Beziehung von Beginn zu Ende historisch sehr bedeutend. Für die Charakteristik Greys und seine ernsten Bemühungen, den Frieden zu erhalten, möchte ich auf einen Passus in Nr. 111 hinweisen, Telegramm an Goschen vom 31. Juli, worin er sagt, er habe Lichnowsky erklärt, daß, wenn es klar würde, daß Deutschland und Österreich­Ungarn sich bemühten den Frieden zu erhalten und  »reasonable«  Vorschläge machen würden, er sie in Petersburg und Paris unterstützen und so weit gehen würde, zu erklären, daß, falls Rußland und Frankreich sie nicht annehmen, die britische Regierung nichts mehr mit den Konsequenzen zu tun hätte (also die Ententemächte ihrem Schicksal überlassen würde). Sonst aber, erklärte er, müßte England, falls Frankreich involviert sei, hineingezogen werden.
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    Alle Leute sehr freundschaftlich für mich persönlich.
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    Alle gaben mir die Versicherung, daß hier absolut kein feeling gegen Österreich­Ungarn bestehe.
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    Lord Rosebery kam heute zu mir. Wie immer voll Sympathie und Verständnis für unsere Sache. Findet mit Recht, in dieser Krise sei vor allem Rußland zu tadeln. »We figth [sic] for a Balance of Power without seeming to see that we are going to establish the supremacy of Russia all over the world.«
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    Ich gab ihm messages an König Georg  —  für den Fall, daß ich abreisen müßte, ohne Seine Majestät zu sehen.
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    In einigen Zeitungen, der »Times«, »Daily Mail«, also der Presse Lord Northcliffs, fanden sich einige nicht gerade freundliche Bemerkungen, wieso es komme, daß ich noch hier sei, nachdem wir mit Rußland im Kriegszustande seien und England mit Deutschland.
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    Ich berührte dies im Foreign Office insoweit, als ich Grey und Tyrrell sagte:  »I see the papers are beginning to jeer at me«,  worauf Grey meinte,  »I hope you will not mind it«  und ich insistierte in keiner Weise, weil ich überzeugt bin, daß, je leichter ich darüber hinweggehe, desto mehr das Foreign Office sich bemühen wird, derartige Manifestationen zu verhindern.</blockquote>
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    Der k. u. k. Botschafter:<br>           
    (gez.) A.  M e n s d o r f f</p>





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WWI Archive > Dokumente zum Kriegsausbruch > III, 159. Graf Mensdorff an Grafen Berchtold, 7. August 1914



Bericht Z. 38/P


L o n d o n , den 7. August 1914, Abend


Heute nachmittags Grey gesehen. Ich erwartete die Ansage des Abbruches unserer diplomatischen Beziehungen. Er sagte mir aber, er habe keine Instruktionen an Bunsen geschickt; derselbe bleibt also vorläufig in Wien und ich hier »unless you want to precipitate matters«, wogegen ich protestierte. Ich sagte, ich habe nichts von Wien, was natürlich sei, nachdem man uns hier keine Chiffretelegramme mehr durchläßt. Ich würde aber weiter warten.

Ich führte wieder nach Möglichkeit aus, ob es denn unerläßlich sei, daß wir und England in einen Kriegszustand gelangen. »Would it not be better to limit the area of hostilities? Would it not be useful, if two Powers — one of each group remained in touch etc.« Auf das alles wollte er nicht recht eingehen. »I cannot speak of the future, only of the present.«  Ich habe den bestimmten Eindruck, daß, wenn wir mit Frankreich in einen Kriegszustand gelangen, wir es auch mit England sein werden. Ich kann vorläufig nur warten et ronger mon frein.

Meine beiden Militärs, Accurti und Horváth, drängen in mich, sie fortzulassen respektive nach Wien zu telegraphieren, um anzufragen. Da wir ohne Chiffre sind, kann ich es nicht tun. Ich kann nicht die Verantwortung auf mich nehmen, daß hier bekannt und ausposaunt wird, unsere Militär­ und Marineattachés seien abgereist, um einzurücken. Dies könnte Entschlüsse präcipitieren, während es vielleicht in unserem Interesse liegt, daß dieselben nicht oder wenigstens noch nicht gefaßt werden.

Lange Konversation mit Grey. Er ist sehr bitter über Angriff auf Belgien und beklagt überhaupt die Art, wie in Berlin alles in die Hände der Militärs übergegangen war, so daß er absolut nicht feststellen konnte, während er verhandelte, wo die Autorität in Berlin lag.

Grey ist verzweifelt darüber, daß seine Bestrebungen, Frieden zu erhalten, gescheitert sind. Über den Krieg sagte er mir wiederholt: »I hate it, i hate it«. Er kam zurück auf alle unsere gemeinsamen Bemühungen im vorigen Jahre während der Balkankonferenzen. Er hatte ernstlich gehofft, daß, wenn auch die jetzige schwere Gefahr überwunden werde, man den Frieden auf Jahre sichern könne. »I was quite ready if ever Russia had been aggressive — in the case of France it was not likely that she should — to stand by Germany and that we might come to some sort of understanding between the Powers.« Nun sei alles das gescheitert und der allgemeine Krieg mit seinen scheußlichen und widerwärtigen Folgen ausgebrochen.

Ich glaube, der Angriff auf die Neutralität Belgiens hat alles verdorben, so wie das Angebot für die Neutralität Englands, das er in seinem Blaubuch veröffentlicht, und das ihn sehr entrüstet hat.

Im übrigen sprach er wieder von den unabsehbaren Folgen dieses Weltkrieges. »It is the greatest step towards Socialism that could possibly have been made . . . We shall have labour Governements [sic] in every country after this.«

Das sehr interessante Blaubuch möchte ich als Beilage dieses Berichtes vorlegen. Es ist in jeder Beziehung von Beginn zu Ende historisch sehr bedeutend. Für die Charakteristik Greys und seine ernsten Bemühungen, den Frieden zu erhalten, möchte ich auf einen Passus in Nr. 111 hinweisen, Telegramm an Goschen vom 31. Juli, worin er sagt, er habe Lichnowsky erklärt, daß, wenn es klar würde, daß Deutschland und Österreich­Ungarn sich bemühten den Frieden zu erhalten und »reasonable«  Vorschläge machen würden, er sie in Petersburg und Paris unterstützen und so weit gehen würde, zu erklären, daß, falls Rußland und Frankreich sie nicht annehmen, die britische Regierung nichts mehr mit den Konsequenzen zu tun hätte (also die Ententemächte ihrem Schicksal überlassen würde). Sonst aber, erklärte er, müßte England, falls Frankreich involviert sei, hineingezogen werden.

Alle Leute sehr freundschaftlich für mich persönlich.

Alle gaben mir die Versicherung, daß hier absolut kein feeling gegen Österreich­Ungarn bestehe.

Lord Rosebery kam heute zu mir. Wie immer voll Sympathie und Verständnis für unsere Sache. Findet mit Recht, in dieser Krise sei vor allem Rußland zu tadeln. »We figth [sic] for a Balance of Power without seeming to see that we are going to establish the supremacy of Russia all over the world.«

Ich gab ihm messages an König Georg — für den Fall, daß ich abreisen müßte, ohne Seine Majestät zu sehen.

In einigen Zeitungen, der »Times«, »Daily Mail«, also der Presse Lord Northcliffs, fanden sich einige nicht gerade freundliche Bemerkungen, wieso es komme, daß ich noch hier sei, nachdem wir mit Rußland im Kriegszustande seien und England mit Deutschland.

Ich berührte dies im Foreign Office insoweit, als ich Grey und Tyrrell sagte: »I see the papers are beginning to jeer at me«, worauf Grey meinte, »I hope you will not mind it«  und ich insistierte in keiner Weise, weil ich überzeugt bin, daß, je leichter ich darüber hinweggehe, desto mehr das Foreign Office sich bemühen wird, derartige Manifestationen zu verhindern.


Der k. u. k. Botschafter:
(gez.) A. M e n s d o r f f



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