Nr. 373 Der Reichskanzler an den englischen Botschafter, 29. Juli 1914

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Nr. 373
Der Reichskanzler an den englischen Botschafter1
(mündlich)


                                                  Berlin, den 29. Juli 19142

     Unsere Bemühungen gehen fortgesetzt auf Erhaltung des
Friedens. Sollte durch einen russischen Angriff auf Österreich und
die hieraus für uns resultierenden Bündnispflichten zu unserem
größten Bedauern doch eine europäische Konflagration unvermeid-
lich werden, so hoflfen wir, daß England Zuschauer bleiben wird.
Soweit wir die englische Politik beurteilen können, würde sie mit
Rücksicht auf das europäische Gleichgewicht eine Zerschmetterung
Frankreichs nicht zulassen wollen. Letztere wird aber von uns
keineswegs beabsichtigt. Wir können dem englischen Kabinett —
v o r a u s s ä t z l i c h  dessen  n e u t r a l e r  Haltung — versichern,
daß wir selbst im Falle eines siegreichen Krieges keine territoriale
Bereicherung auf Kosten Frankreichs in Europa anstreben. Wir
können ihm ferner zusichern, daß wir die Neutralität und Integri-
tät Hollands so lange respektieren werden, als diese von unseren
Gegnern respektiert wird. Was Belgien betrifft, so wissen wir
nicht, zu welchen Gegenoperationen uns die Aktion Frankreichs in
einem etwaigen Kriege nötigen könnte. Aber vorausgesetzt, daß
Belgien nicht gegen uns Partei nimmt, würden wir auch für diesen
Fall uns zu einer Versicherung bereit finden, wonach Belgiens Inte-
grität nach Beendigung des Krieges nicht angetastet werden darf.
     Diese eventuellen Zusicherungen erschienen uns als geeignete
Grundlagen für eine weitere Verständigung mit England, an der
unsere Politik bisher dauernd gearbeitet hat. Die Zusicherung
einer neutralen Haltung Englands im gegenwärtigen Konflikt would
enable me to a general neutral ity agreement in the future of which
it would be premature to discuss the details at the present moment3.


1 In Maschinenschrift vorliegender, von Jagow paraphierter Entwurf mit
handschriftlichen Änderungen des Reichskanzlers; vgl. engl. Blaubuch 1914
Nr. 85, siehe ferner Nr. 497.
2 Randvermerk des Reichskanzlers vom 31. Juli: »Nebenstehende Er-
klärung habe ich am 29. Juli dem Botschafter Sir Edward Goschen münd-
lich gemacht, v. B. H. 31. 7. 14.« Die Erklärung wurde nach dem
englischen Blaubuch spät abends gemacht.
3 Im Entwurf folgte hinter »Konflikt«: »und die Inaussichtnahme eines all-
gemeinen Neutralitätsvertrages für die Zukunft würden wir mit einer
Flottenverständigung beantworten können«. Der Reichskanzler strich das
und schrieb dafür: »würde uns die Möglichkeit schaffen, einen allge-
meinen Neutralitätsvertrag für die Zukunft in Aussicht zu nehmen. Ich
kann mich über die Details und die Basis eines solchen Vertrages natür-
lich heute nicht näher äußern, da ja England dabei sich über die ganze
Frage äußern würde.« Auch dieses strich dann der Kanzler und wählte
den englischen Text »would enable moment«.