A. Die deutsche Auffassung

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WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 5 (Commentary) > III. Das Verhalten der Mächte > 1. Der deutsche Lokalisierungsvorschlag > A. Die deutsche Auffassung


     Die deutsche Regierung ist offenbar der Ansicht gewesen,
daß auch im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen
Österreich-Ungarn und Serbien die Möglichkeit einer Gefährdung
des europäischen Friedens durch Lokalisierung des Konfliktes
ausgeschlossen werden könne. Bei einem österreichisch-serbischen
Krieg ließen sich die Rechte und legitimen Interessen dritter
Staaten auf dem Wege diplomatischer Verhandlungen wahren,
wenn nur ein direktes Eingreifen in den österreichisch-serbischen
Streit unterblieb. Der Gang der Ereignisse hat dieser Auffassung
insofern recht gegeben, als. durch die vermittelnde Tätigkeit der
deutschen Regierung die Grundlage für eine Verständigung ge-
funden wurde, die alle Beteiligten befriedigen konnte. Lediglich
die Haltung der russischen Regierung, die ohne jegliche Provo-
kation deutscherseits Heer und Flotte gegen das die Vermittlung
betreibende Deutsche Reich mobilisierte, hat die Möglichkeit ver-
nichtet, einen Ausgleich zu schaffen.
     Andererseits war es von vornherein klar, daß jedes Eingreifen
dritter Mächte infolge der verschiedenen Bündnispflichten unab-
sehbare Folgen nach sich ziehen würde. Die deutsche Regierung
wies daher, noch ehe sie den Wortlaut des österreichisch-ungarischen
Ultimatums kannte, ihre Botschafter an, bei den Regierungen der
Dreiverbandsmächte zu erklären, daß es das ernste Bestreben der
Mächte sein müsse, den ausbrechenden Konflikt auf die beiden
direkt Beteiligten zu beschränken, da es sich in der vorliegenden
Frage um eine lediglich zwischen Österreich-Ungarn und Serbien
zum Austrag zu bringende Angelegenheit handele (Weißbuch
Nr. 100).
     Es sei daran erinnert, daß die französische Regierung, die über
die Entstehung des Balkanbundes und seine Ziele genau unter-
richtet war, zu Anfang des ersten Balkankrieges eine sicherlich
mit Petersburg vereinbarte Formel für eine allseitige Desinter-
essementserklärung vorschlug. Dies entspricht dem deutschen
Lokalisierungsvorschlag, der gegen Rußland gerichtet war, ebenso
wie die französische Formel von 1912 sich gegen Österreich-
Ungarn richtete.