II, 61. Graf Szápáry an Grafen Berchtold, 26. Juli 1914

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Graf Szápáry an Grafen Berchtold[1]


Telegramm Nr. 168


P e t e r s b u r g , den 26. Juli 1914            
Aufg. 4 Uhr 30 M. a. m. 27./7.            
Eingetr. 3 Uhr 30 p. m. 27./7.            


C h i f f r e   -   G e h e i m


Ich habe heute Herrn Sazonow absichtlich von den Gerüchten über russische

Mobilisierungsmaßnahmen nichts erwähnt, um meinem deutschen Kollegen die Vorhand zu lassen.

Unmittelbar nach der von mir geführten Unterredung machte Graf Pourtalès den russischen Minister in der ernstesten Weise darauf aufmerksam, daß heutzutage Mobilisierungsmaßnahmen als diplomatisches Druckmittel höchst gefährlich seien. Denn in diesem Falle gelange die rein militärische Erwägung der Generalstäbe zum Wort, und wenn in Deutschland einmal auf den Knopf gedrückt werde, sei die Sache unaufhaltsam. Her[r] Sazonow versicherte dem deutschen Botschafter unter Ehrenwort, daß die bezüglichen Gerüchte unrichtig seien, daß bisher kein Pferd und kein Reservist eingezogen sei, und daß es sich lediglich um vorbereitende Maßnahmen in den Militärbezirken Kiew und Odessa, vielleicht Kasan und Moskau handle.

Unmittelbar darauf erhielt der kaiserlich deutsche Militärattaché per Kurier spät abends eine Einladung zu Kriegsminister Suchomlinow, welcher sich darauf berief, daß Graf Pourtalès dem Minister des Äußern über die russischen Rüstungen gesprochen habe, und da der Botschafter einzelne militärische Details mißverstanden haben könnte, nehme er Gelegenheit, ihn ausführlicher zu informieren. Major von Eggeling faßt diese Mitteilungen und seine Eindrücke in folgendem mir zur Verfügung gestellten Telegramm nach Berlin zusammen:

Militärattaché meldet über Gespräch mit Kriegsminister: Herr Sazonow hat ihn gebeten, mich über militärische Lage aufzuklären. Der Kriegsminister gab mir sein Ehrenwort, daß noch keinerlei Mobilisierungsordre ergangen sei. Vorläufig würden lediglich vorbereitende Maßnahmen getroffen, kein Pferd ausgehoben, kein Reservist eingezogen. Wenn Österreich serbische Grenze überschreite, werden auf Österreich gerichtete Militärbezirke Kiew, Odessa, Moskau, Kasan mobilisiert. Unter keinen Umständen an deutscher Front Warschau, Wilna, Petersburg. Man wünscht dringend Frieden mit Deutschland. Auf meine Frage, zu welchem Zweck die Mobilisierung gegen Österreich, Achselzucken und Hinweis auf Diplomaten. Sprach dem Minister aus, daß man bei uns Würdigung für freundschaftliche Absicht zeigen, aber auch Mobilmachung gegen Österreich allein als sehr bedrohlich ansehen werde. Minister betonte nachdrücklichst und wiederholt dringendes Bedürfnis und Wunsch nach Frieden. Hatte Eindruck großer Nervosität und Besorgnis. Halte Wunsch nach Frieden für aufrichtig, militärische Angaben insoweit für zutreffend, daß völlige Mobilmachung wohl nicht angeordnet, vorbereitende Maßnahmen aber sehr weitgehend. Man ist sichtlich bestrebt, Zeit zu gewinnen zu neuen Verhandlungen und zur Fortsetzung der Rüstungen. Auch verursacht innere Lage unverkennbar schwere Besorgnis. Grundzug der Stimmung, Hoffnun[g] auf Deutschland und Vermittlung Seiner Majestät. Obwohl die unverzügliche Informierung des deutschen Militärattachés auf Nervosität Sazonows schließen läßt und Mobilisierung nur gegen Österreich im Falle des Überschreitens serbischer Grenze eher Absicht der Ausübung diplomatischen. Druckes zu verraten scheint, darf neben Unwahrhaftigkeit hierländiger Versicherungen mangelnde Einheitlichkeit des diplomatischen und militärischen Vorgehens sowie Bedeutung des Zeitgewinnes für russische Mobilisierung nicht außer acht gelassen werden.

Der Charakter der im Zuge befindlichen militärischen Maßnahmen scheint der Mentalität Kaiser Nikolaus speziell angepaßt, da bei Vermeidung der eigentlich ihm unsympathischen Kriegsmaßnahmen gewisse Bereitschaft erzielt wird. Andererseits ist die Spekulation auf künftige militärische Passivität bezeichnend, ein Spiel, welches durch entsprechende Stellungnahme deutscherseits rechtzeitig durchkreuzt werden müßte.




  1. Vgl. die Fassung im Österreichisch-ungarischen Rotbuch, Nr. 28.



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