II, 72. Graf Mensdorff an Grafen Berchtold, 27. Juli 1914

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Graf Mensdorff an Grafen Berchtold[1]


Telegramm Nr. 114


L o n d o n , den 27. Juli 1914            
Aufg. 8 Uhr 5 M. p. m.            
Eingetr.9 Uhr • / . a. m. 28.7.            


C h i f f r e


Erhalten Euer Exzellenz Telegramm Nr. 172 von heute und Inhalt soeben Sir E. Grey mitgeteilt[2].

Daran anknüpfend, erklärte ich ihm ausführlich, daß unser[3] ............... nicht Aggressive, sondern Selbstverteidigung und Selbsterhaltung sei und wir keine territorialen Eroberungen noch Vernichtung serbischer Unabhängigkeit beabsichtigen. Wir wollen gewisse Genugtuung für Vergangenheit und Garantien für die Zukunft.

Als meine persönliche Ansicht verwertete ich einige Anhaltspunkte aus dem Erlaß Euer Exzellenz an Graf Szápáry.

Sir R. Grey sagte mir, er sei sehr enttäuscht darüber, daß wir die serbische Antwort so behandeln, als wenn sie ganz ablehnend wäre, indes sie doch größte Demütigung bedeute, der sich ein unabhängiger Staat jemals unterworfen hat, und eigentlich alle Punkte annehme. Ich verwies darauf, daß gerade Auslassung des Punktes über Teilnahme unserer Organe geeignet sei, alle übrigen Zusicherungen illusorisch zu machen.

Staatssekretär sagte mir, deutscher Botschafter habe ihn vor zwei Tagen gebeten, seinen mäßigenden Einfluß in Petersburg geltend zu machen. Er habe geantwortet, es wäre nicht möglich, von Rußland zu verlangen, daß es auf Serbien einwirke, noch weiter zu gehen, als es in seiner Antwort getan habe.

Er hätte geglaubt, diese Antwort würde eine Basis liefern, auf welcher die vier anderen Regierungen ein befriedigendes Arrangement ausarbeiten könnten. Das war seine Idee beim Vorschlag einer Konferenz.

Die Konferenz würde sich versammeln unter der Voraussetzung, daß sowohl Österreich-Ungarn und Rußland sich jeder militärischen Operation enthalten würden während des Versuches der anderen Mächte, einen befriedigenden Ausweg zu finden.

(Heutige Erklärung Sir E. Greys im Unterhaus führte Konferenzprojekt aus.)

Als er vom Enthalt militärischer Operationen unsererseits gegen Serbien sprach, machte ich die Bemerkung, ich fürchte, es sei vielleicht schon zu spät. Staatssekretär meinte, wenn wir entschlossen sind, unter allen Umständen mit Serbien Krieg zu führen und voraussetzen, daß Rußland ruhig bleiben wird, so nehmen wir ein großes Risiko auf uns. Können wir Rußland dazu bewegen, ruhig zu bleiben, sei alles gut, und er habe nichts mehr zu sagen. Wenn nicht, sind die Möglichkeiten und Gefahren unberechenbar.

Als Symptom der Beunruhigung sagte er mir, die große englische Flotte, die nach den Manövern in Portsmouth konzentriert wurde und heute auseinandergehen sollte, würde vorläufig dort bleiben. »Wir hätten keine Reserven einberufen, aber nachdem sie versammelt sind, können wir sie in diesem Augenblick nicht nach Hause schicken.« Staatssekretär war betrübt und beunruhigt, nicht aber gereizt, wie mir mein deutscher Kollege heute früh sagte.

Seine Idee einer Konferenz hat den Zweck, wenn möglich Kollision zwischen den Großmächten hintanzuhalten, und er dürfte also auf Isolierung des Konfliktes hinzielen. Falls aber Rußland mobilisiert und Deutschland in Aktion tritt, so fällt die Konferenz von selbst in Bruch.




  1. Vgl. Österreichisch-ungarisches Rotbuch, Nr. 38.
  2. Siehe II, Nr. 62.
  3. Chiffre fehlt.



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