III, 25. Graf Berchtold an die k. u. k. Botschafter in Petersburg, London, Paris und Rom, 29. Juli 1914

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Telegramm in Ziffern


W i e n , den 29. Juli 1914           
Chiffr. 11 Uhr 40 M. p. m.           


Adresse:
1. Graf   S z á p á r y   in Petersburg, Nr. 193,
2. Graf   M e n s d o r f f   in London, Nr. 182,
3. Graf   S z é c s e n   in Paris, Nr. 172,

4. Herr von   M é r e y   in Rom, Nr. 900[1].


I — 4


Ich habe heute dem kaiserlich deutschen Botschafter das nachfolgende Memoire in Beantwortung eines von demselben bei mir unternommenen Schrittes[2] zukommen lassen:


Memoire


Die k. u. k. Regierung hat mit dem ergebensten Danke von der Mitteilung Kenntnis genommen, welche ihr der Herr kaiserlich deutsche Botschafter am 28. 1. M. gemacht hat in betreff des Ersuchens des englischen Kabinettes, die kaiserlich deutsche Regierung möge ihren Einfluß beim Wiener Kabinette dahin geltend machen, daß dieses die Antwort aus Belgrad entweder als genügend betrachte oder aber als Grundlage für Besprechungen annehme. Zu der Aussprache des Herrn englischen Staatssekretärs zu Fürst Lichnowsky möchte die k. u. k. Regierung zunächst darauf aufmerksam machen, daß die serbische Antwortnote keineswegs, wie dies Sir E. Grey anzunehmen scheint, eine Zustimmung zu allen unseren Forderungen mit einer einzigen Ausnahme impliziere, daß vielmehr in den meisten Punkten Vorbehalte formuliert sind, welche den Wert der gemachten Zugeständnisse wesentlich herabdrücken. Die Ablehnung betreffe aber gerade jene Punkte, welche einige Garantie für die faktische Erreichung des angestrebten Zweckes enthalten.

Die k. u. k. Regierung kann ihre Überraschung über die Annahme nicht unterdrücken, als ob ihre Aktion gegen Serbien Rußland und den russischen Einfluß am Balkan treffen wolle, denn dies hätte zur Voraussetzung, daß die gegen die Monarchie gerichtete Propaganda nicht allein serbischen, sondern russischen Ursprungs sei. Wir sind bisher vielmehr von der Auffassung ausgegangen, daß das offizielle Rußland diesen der Monarchie feindlichen Tendenzen fernestehe und richtet sich unsere gegenwärtige Aktion ausschließlich gegen Serbien, während unsere Gefühle für Rußland, wie wir Sir E. Grey versichern können, durchaus freundschaftliche sind.

Im übrigen muß die k. u. k. Regierung darauf hinweisen, daß sie zu ihrem lebhaften Bedauern nicht mehr in der Lage ist, zu der serbischen Antwortnote im Sinne der englischen Anregung Stellung zu nehmen, da im Zeitpunkte des hier gemachten deutschen Schrittes der Kriegszustand zwischen der Monarchie und Serbien bereits eingetreten war und die serbische Antwortnote demnach durch die Ereignisse bereits überholt ist.

Die k. u. k. Regierung erlaubt sich bei diesem Anlasse darauf aufmerksam zu machen, daß die königlich serbische Regierung noch vor Erteilung ihrer Antwort mit der Mobilisierung der serbischen Streitkräfte vorgegangen ist, und daß sie auch nachher drei Tage verstreichen ließ, ohne die Geneigtheit kundzugeben, den Standpunkt ihrer Antwortnote zu verlassen, worauf unsererseits die Kriegserklärung erfolgte.

Wenn im übrigen das englische Kabinett seinen Einfluß auf die russische Regierung im Sinne der Erhaltung des Friedens zwischen den Großmächten und der Lokalisierung des uns durch die jahrelangen serbischen Umtriebe aufgezwungenen Krieges geltend zu machen sich bereit findet, so kann das die k. u. k. Regierung nur begrüßen.

W i e n , am 29. Juli 1914.

Vorstehendes zu Eurer Exzellenz Information.


Notiz


Der kaiserliche Botschafter in London meldet:

»Soeben ließ mich Sir Edward Grey zu sich kommen und bat, Euerer Exzellenz von Nachstehendem Kenntnis zu geben.

Der serbische Geschäftsträger habe ihm soeben den Wortlaut der serbischen Antwort auf die österreichische Note übermittelt. Es gehe aus derselben hervor, daß Serbien in einem Umfange den österreichischen Forderungen entgegengekommen sei, wie er es niemals für möglich gehalten habe; bis auf einen Punkt, die Teilnahme österreichischer Beamter an dem gerichtlichen Untersuchungen, habe Serbien tatsächlich in alles eingewilligt, was von ihm verlangt worden ist. Es sei klar, daß diese Nachgiebigkeit Serbiens lediglich auf einen Druck von Petersburg zurückzuführen sei.

Werde sich Österreich nicht mit dieser Antwort begnügen, beziehungsweise werde diese Antwort vom Wiener Kabinette nicht als Grundlage für friedliche Unterhandlungen betrachtet oder gehe Österreich gar zur Besetzung von Belgrad vor, welches vollkommen wehrlos daliege, so sei es vollkommen klar, daß Österreich nur nach einem Vorwande suche, um Serbien zu erdrücken. In Serbien solle aber alsdann Rußland und der russische Einfluß auf dem Balkan getroffen werden. Daß Rußland dem nicht gleichgültig zusehen könne und es als eine direkte Herausforderung auffassen müsse, sei klar. Daraus würde der fürchterlichste Krieg entstehen, den Europa jemals gesehen habe, und niemand wisse, wohin ein solcher Krieg führen könne.

Deutschland hätte sich, so meinte der Minister, wiederholt und so noch gestern mit der Bitte an ihn gewandt, in Petersburg im mäßigenden Sinne Vorstellungen zu erheben. Diesen Bitten habe er stets gerne entsprochen und sich während der letzten Krise Vorwürfe aus Rußland zugezogen, daß er sich zu sehr auf die deutsche und zu wenig auf die russische Seite stelle. Nun wende er sich mit der Bitte an die deutsche Regierung, ihren Einfluß beim Wiener Kabinette dahin geltend zu machen, daß man die Antwort aus Belgrad entweder als genügend betrachte oder aber als Grundlage für Besprechungen. Er sei überzeugt, daß es in der Hand der kaiserlichen Regierung liege, die Sache durch entsprechende Vorstellungen zu erledigen, und er betrachte es als eine gute Vorbedeutung für die Zukunft, wenn es uns beiden abermalig gelänge, durch unseren beiderseitigen Einfluß auf unsere Verbündeten den Frieden Europas gesichert zu haben. Ich fand Sir Edward Grey zum ersten Male verstimmt. Er sprach mit großem Ernst und schien von der deutschen Regierung auf das bestimmteste zu erwarten, daß es ihrem Einfluß gelingen möge, die Frage beizulegen. Er wird noch heute ein statement im House of Commons machen, worin er seinen Standpunkt zum Ausdrucke bringt. Ich bin auf jeden Fall der Überzeugung, daß, falls es jetzt doch noch zum Kriege käme, wir mit den englischen Sympathien und der britischen Unterstützung nicht mehr zu rechnen hätten, da man in dem Vorgehen Österreichs alle Zeichen üblen Willens erblicken würde.«

Nachdem wir bereits einen englischen Konferenzvorschlag abgelehnt haben, ist es uns unmöglich, auch diese englische Anregung a limine abzuweisen. Durch eine Ablehnung jeder Vermittlungsaktion würden wir für die Konflagration vor der ganzen Welt verantwortlich gemacht und als die eigentlichen Treiber zum Kriege hingestellt werden. Das würde auch unsere eigene Stellung im Lande unmöglich machen, wo wir als die zum Kriege Gezwungenen dastehen müssen. Unsere Situation ist um so schwieriger, als Serbien scheinbar sehr weit nachgegeben hat. Wir können daher die Rolle des Vermittlers nicht abweisen und müssen den englischen Vorschlag dem Wiener Kabinette zur Erwägung unterbreiten, zumal London und Paris fortgesetzt auf Petersburg einwirken.

Erbitte Graf Berchtolds Ansicht über die englische Anregung ebenso wie über Wunsch Herrn Sazonows, mit Wien direkt zu verhandeln.


(gez.) Bethmann Hollweg


W i e n , den 28. Juli 1914




  1. Vgl. die Fassung im Österreich¬ungarischen Rotbuch, Nr. 44.
  2. Kaiserlich deutsche Botschaft in Wien.



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