III, 45. Graf Berchtold an Grafen Szápáry in Petersburg, 30. Juli 1914

From World War I Document Archive
Jump to navigation Jump to search

WWI Archive > Dokumente zum Kriegsausbruch > III, 45. Graf Berchtold an Grafen Szápáry in Petersburg, 30. Juli 1914



Graf Berchtold an Grafen Szápáry in Petersburg[1]


Telegramm Nr. 202


W i e n , den 30. Juli 1914           
Chiffr. 1 Uhr 40 M. a. m. 31./7.           


Ich habe heute Herrn Schebeko zu mir bitten lassen, um ihm auseinanderzusetzen, daß — allem Anscheine nach — ein Mißverständnis über unsere letzte Konversation (28. Juli) vorliegen müsse, indem mir gemeldet worden sei, daß Herr Sazonow über meine glatte Ablehnung seiner Proposition bezüglich Aussprache mit Euer Exzellenz peinlich berührt sei, wie nicht minder darüber, daß kein Gedankenaustausch zwischen mir und Schebeko stattgefunden habe.

Was ersteren Punkt anbelangt, hatte ich bereits Euer Exzellenz telegraphisch freigestellt, auch weiterhin etwa seitens Herrn Sazonows gewünschte Erläuterungen bezüglich der Note — welche übrigens durch den Kriegsausbruch überholt erscheint — zu geben. Es könne sich dies allerdings nur im Rahmen nachträglicher Aufklärungen bewegen, da es niemals in unserer Absicht gelegen war, von den Punkten der Note etwas abhandeln zu lassen.

Auch hätte ich Euer Exzellenz ermächtigt, unsere speziellen Beziehungen zu Rußland mit Herrn Sazönow freundschaftlich zu besprechen. (Wie ich bei dieser Gelegenheit sicherstellen konnte, stammte die Anregung hiezu nicht von Herrn Sazonow, sondern war eine gesprächsweise fallengelassene Idee Herrn Schebekos.)

Daß Herr Sazonow sich darüber beklagen konnte, es hätte kein Gedankenaustausch zwischen Herrn Schebeko und mir stattgefunden, muß auf einen Irrtum beruhen, da wir — Schebeko und ich — vor zwei Tagen nahezu drei Viertelstunden lang die aktuellen Fragen durchgesprochen hatten, was mir der Botschafter mit dem Bemerken bestätigte, er habe Herrn Sazonow in ausführlicher Weise über diese Unterredung referiert.

Herr Schebeko führte dann aus, warum man in St. Petersburg unser Vorgehen gegen Serbien mit solcher Besorgnis betrachte. Wir seien eine Großmacht, die gegen den kleinen serbischen Staat vorgehe, ohne daß man in St. Petersburg etwas darüber wisse, was wir mit demselben vorhätten, ob wir dessen Souveränität tangieren, ihn ganz niederwerfen oder gar zertreten wollten. Durch historische und andere Bande mit Rußland verbunden, könne letzterem das weitere Schicksal Serbiens nicht gleichgültig sein. Man habe sich in St. Petersburg angelegen sein lassen, mit allem Nachdruck auf Belgrad einzuwirken, daß es alle unsere Forderungen erfülle, allerdings zu einer Zeit, wo man noch nicht wissen konnte, w a s für Forderungen wir nachmals gestellt. Aber selbst bezüglich dieser Forderungen würde man alles einsetzen, um wenigstens das mögliche durchzubringen.

Ich erinnerte den Botschafter daran, daß wir wiederholt betont hätten, wir wollten keine Eroberungspolitik in Serbien treiben, auch dessen Souveränität nicht antasten, bloß einen Zustand herstellen, der uns Sicherheit biete gegen Beunruhigung seitens Serbiens. Hieran knüpfte ich eine längere Erörterung unseres unleidlichen Verhältnisses zu Serbien. Auch gab ich Herrn Schebeko deutlich zu verstehen, in welch hohem Maße die russische Diplomatie an diesen Zuständen schuld sei, was er durchaus nicht ableugnete, nur seinen Minister diesfalls in Schutz nahm und als Antagonisten einer solchen Politik hinstellte.

Im weiteren Verlaufe unserer Unterredung erwähnte ich die nunmehr zu meiner Kenntnis gelangte russische Mobilisierung. Nachdem sich dieselbe auf die Militärbezirke Odessa, Kiew, Moskau und Kasan beschränke, trage dieselbe einen hostilen Charakter gegen die Monarchie. Was der Grund hievon sei, wisse ich nicht, da ja gar kein Streitfall zwischen uns und Rußland existiere. Österreich­Ungarn habe ausschließlich gegen Serbien mobilisiert, gegen Rußland nicht, was allein aus dem Umstande zu ersehen sei, daß das I., X. und XI. Korps nicht mobilisiert worden seien. Bei dem Umstande jedoch, daß Rußland offensichtlich gegen uns mobilisiere, müßten auch wir unsere Mobilisierung erweitern, wobei ich jedoch ausdrücklich erwähnen wolle, daß diese Maßnahme selbstverständlich keinen feindseligen Charakter gegen Rußland trage und lediglich als die notwendige Gegenmaßnahme gegen die russische Mobilisierung zu betrachten sei.

Ich bat Herrn Schebeko, dies nach Hause zu melden, was er mir zusagte.

Vorstehendes zu Euer Exzellenz Orientierung und Regelung Ihrer Sprache.




  1. Vgl. die Fassung im Österreichisch­ungarischen Rotbuch, Nr. 50.



WWI Archive > Dokumente zum Kriegsausbruch > III, 45. Graf Berchtold an Grafen Szápáry in Petersburg, 30. Juli 1914