III, 71. Graf Szápáry an Grafen Berchtold, 31. Juli 1914

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Telegramm Nr. 182


P e t e r s b u r g , den 31. Juli 1914
Aufg. 2 Uhr 55 M. p. m.
Eingetr. 9 Uhr • / . a. m. 1./8.


C h i f f r e


Da ich heute für Herrn Sazonow keine Aufträge besaß und unsere gestrige Konversation ein durchaus negatives Ergebnis hatte, sah ich mich nicht veranlaßt, das Auswärtige Amt aufzusuchen.

Die Situation ist am heutigen Tage noch unklarer als bisher. Der italienische Botschafter hatte, da Herr Sazonow sowie Herr Neratow an einem Kronrat in Peterhof teilnahmen, eine Unterredung mit Fürst Trubetzkoi, welcher ihm erklärte, die Situation sei eine durchaus veränderte, da wir Belgrad, »eine offene Stadt«, an dem Tage beschossen hätten, wo wir die Anwendung der ein solches Vorgehen angeblich verbietenden Haager Bestimmungen in Aussicht gestellt hätten. Dieses Argument scheint ein vorbedachtes, weil Herr Sazonow mir im Moment, als er die Nachricht von der Beschießung Belgrads erhielt (mein gestriges Telegramm Nr. 180[1]), eine analoge Bemerkung machte.

Der deutsche Botschafter, welcher den russischen Minister heute vor dem Kronrate gesehen und ihm nochmals ins Gewissen geredet hatte, sprach ihn nach dessen Rückkehr aus Peterhof nochmals, ohne daß die Konversation neue Momente aufgewiesen hätte. Der hieraus zu ziehende Schluß scheint mir zu sein, daß man auch in der heutigen Beratung in Peterhof zu keiner klaren Stellungnahme gekommen sei.

Auffallend ist, daß während wir bisher täglich stundenlang das Gejohle demonstrierenden Pöbels (wie verlautet, durch Herrn Maklakow bezahlte Hooligans) hören konnten, heute um die Botschaft fast vollkommene Stille herrscht. Der mit dem Auswärtigen Amte in engsten Beziehungen stehende Journalist Bogacki, Korrespondent des »Rußkoje Slowo«, fand sich abends persönlich auf der Botschaft ein und erkundigte sich darüber sehr aufgeregt, ob die in der Stadt umlaufenden Gerüchte von einem österreichisch¬ungarischerseits wegen der russischen Mobilisierung ergangenen Ultimatum richtig seien. Dies wäre doch bedauerlich, da ein irreparabler Schritt. Auch die Zeitung »Rjetcha« erkundigte sich auffallend, ob Nachrichten aus Wien eingetroffen seien.

Die Stimmung in der ruhigen Bürgerschaft, besonders in industriellen und finanziellen Kreisen soll seit heute eine Reaktion aufweisen, da die Furcht vor den ökonomischen Folgen eines Krieges um sich greift.

Im Ministerrate sollen sich Sazonow und der sehr maßgebende Kriwoschein gegen den Krieg einsetzen, auch Handelsminister Timaschow soll unter dem Eindrucke der Mißstimmung der wirtschaftlichen Kreise stehen. An der Spitze der Kriegspartei soll neben den Militärs der Minister des Innern Maklakow einhergehen, der auch die — übrigens unglaublich matten — Demonstrationen durch Verteilung von ein bis drei Rubeln organisieren soll. Merkwürdigerweise soll auch Ministerpräsident Goremykin für die Opportunität eines Krieges im Ministerrat eingetreten sein.

Eine Klärung der Situation, die allerdings auch sehr unvermittelt eintreten könnte, muß bis auf weiteres noch abgewartet werden.

Sollte der Zustand der Unentschlossenheit andauern, werde ich versuchen, auf den Ministerpräsidenten durch Vorweisung unserer Publikation über die serbische Note einzuwirken.

Von der zur Aufklärung der russischen Mobilisierung in Aussicht gestellten note explicative verlautet bisher in Petersburg nichts.




  1. Siehe III, Nr. 19.



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