Nr. 125. Der Reichskanzler an den Gesandten im kaiserlichen Gefolge, 23. Juli 1914

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Nr. 125
Der Reichskanzler an den Gesandten im kaiserlichen Gefolge1


Telegramm 89                                Berlin, den 23. Juli 191423

     Österreichisch-ungarische Note soll heute nachmittag bzw.
abend in Belgrad übergeben, morgen früh in Wien publiziert
werden. Ultimatum würde somit den 25., abends, ablaufen. Unsere
Haltung wird zunächst sein, daß es sich um eine Auseinandersetzung
handle, welche nur Österreich und Serbien etwas angeht. Erst
Eingreifen anderer Macht würde uns in Konflikt einbeziehen. Daß
dies sofort geschieht, namentlich, daß England sich gleich
zum Eingreifen entschließt, ist nicht anzunehmen. Schon die Reise
des Präsidenten Poincaré, der heute abend Kronstadt verläßt, den
25. Stockholm, den 27. Kopenhagen, den 29. Kristiania besucht und
den 31. Dunkerque eintrifft, dürfte alle Entschlüsse verzögern4.
     Englische Flotte soll nach Mitteilung des Admiralstabes den
27. auseinandergehen und Heimatshäfen aufsuchen. Etwaige vor-
zeitige Rückberufung unserer Flotte könnte allgemeine Beunruhi-
gung hervorrufen und namentlich in England als verdächtig er-
achtet werden,
     Bitte nach Rücksprache mit Admiral von Müller Sr. M. in
diesem Sinne Vortrag zu halten. Bemerke hierzu, daß Admiralstab
folgendes Gutachten abgibt:
     »Wenn mit der Möglichkeit einer unmittelbar bevorstehenden
Kriegserklärung Englands gerechnet werden muß, so ist vom mili-
tärischen Standpunkt aus auch mit Sicherheit mit einem Überfall
unserer Flotte durch die englische Flotte zu rechnen. Unsere Flotte
darf bei ihrer5 numerischen Unterlegenheit dieser Möglichkeit
keinenfalls ausgesetzt werden. Sobald mit der Möglichkeit des
Ausbruchs eines Krieges mit England innerhalb von jeweilig
6 Tagen zu rechnen ist, muß daher die Flotte zurückgerufen
werden«.
                                                       B e t h m a n n   H o l l w e g


1 Nach dem von Jagow niedergeschriebenen und gezeichneten Konzept.
Telegramm wurde im Namen des Kanzlers von Jagow abgesandt.
2 Aufgegeben in Berlin 340 nachm., angekommen in Balholm 930 nachm.
Die jetzt bei den Akten befindliche Entzifferung des Hoflagers trügt den
Vermerk von Wedels Hand: »S. M. entspr. Vortrag gehalten. Balholm,
23. 7. 14.« Text des Telegramms an Wedel wurde Reichskanzler von
Jagow telegraphisch nach Hohenfinow mitgeteilt, Telegramm 23. Juli
30 nachm. zum Hapttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 111, 115, 116.
4 Siehe Nr. 50, 93, 96, 108, 112.
5 Das in Behnckes Bericht auf »ihrer« folgende Wort »großen« von Jagow
hier fortgelassen, siehe Nr. 111.