Nr. 244. Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler, 27. Juli 1914

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Nr. 244
Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler1


                                                  Fiuggi, den 25. Juli 19142

     Bei gestriger Diskussion mit Herrn Salandra und Marquis di
San Giuliano3, die wiederholt zu scharfen Zusammenstößen zwischen
dem Marquis di San Giuliano und mir führte, schienen sich auf
italienischer Seite drei Punkte abzuzeichnen. Erstens Furcht vor
der öffentlichen Meinung Italiens, zweitens das Bewußtsein militäri-
scher Schwäche und drittens der Wunsch, bei dieser Gelegenheit
etwas für Italien herauszuschlagen, wenn möglich das Trentino.
     Die Möglichkeit, daß Italien sich eventuell auch gegen Öster-
reich wenden könnte, sprach Marquis di San Giuliano nicht direkt
aus, sie klang nur in leisen Andeutungen durch. Ich habe diese
Andeutungen nicht aufgegriffen, weil ich es für richtig hielt, eine
solche Möglichkeit überhaupt gar nicht zuzulassen. Ich habe den
Eindruck, daß auch die Besetzung rein serbischen Territoriums ein
derartiges Vorgehen Italiens noch nicht ohne weiteres auslösen würde.
Es würde nur die an sich schon nicht unverdächtigen Beziehungen
Italiens zu Rußland verdichten. Dagegen würde ich es für außer-
ordentlich erwünscht halten, wenn Österreich die Besetzung des
Lowtschen, namentlich zunächst, vermeiden könnte. Ist das nicht
möglich, so muß Österreich vorher hier Kompensationsanerbietungen
machen. Denn die Besetzung des Lowtschen wird tatsächlich ganz
Italien alarmieren und die Regierung unter Umständen weiter
drängen als sie will. Man muß bei allen diesen Dingen im Auge
behalten, daß dieses Kabinett weit weniger stark und daher weit
weniger widerstandsfähig ist als das Ministerium Giolitti.
     S. M. der König wird nach Lage der hiesigen parlamentarischen
und demokratischen Verhältnisse nicht in der Lage sein, einen aus-
schlaggebenden Einfluß auszuüben.
     Wie schon gemeldet, vertrat Marquis di San Giuliano auf Grund
der Fassung der österreichischen Note mit Nachdruck die These, daß
das Vorgehen Österreichs gegen Serbien ein aggressives sei, daß daher
auch alle sich etwa ergebenden Einmischungen Rußlands und Frank-
reichs den Krieg nicht zu einem defensiven machen würden, und
daß damit der casus foederis nicht gegeben sei. Ich habe diesen
Standpunkt schon aus taktischen Gründen lebhaft bekämpft. Vor-
aussichtlich wird aber Italien an dieser Möglichkeit, zu entschlüpfen,
festhalten.
     Das Gesamtresultat ist also : Auf eine aktive Hilfe Italiens
in einem etwa entstehenden europäischen Konflikt wird man schwer-
lich rechnen können. Eine direkt feindliche Haltung Italiens gegen
Österreich dürfte sich, soweit sich heute übersehen läßt, durch ein
kluges Verhalten Österreichs verhindern lassen.

                                                                      F l o t o w


1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts : 27. Juli vorm. Randvermerk des
Reichskanzlers vom 27. Juli: »S. M. vorgetragen B. H. 27.«, darunter der
Vermerk des Kanzlers vom gleichen Tage: »S. M. hält es für unbedingt
erforderlich, daß sich Österreich mit Italien rechtzeitig wegen der Kom-
pensationsfrage verständigt. Das soll Herrn von Tschirschky zur Weiter-
gabe an Graf Berchtold im ausdrücklichen Auftrage S. M. mitgeteilt
werden. B. H. 27." Siehe Nr. 267.
3 Siehe Nr. 156.