Nr. 254. Der Generaldirektor der Hapag an den Staatssekretär des Auswärtigen, 27. Juli 1914

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Nr. 254
Der Generaldirektor der Hapag an den Staatssekretär des Auswärtigen1


Geheim !       Z. Zt. London (Ritz Hotel), den 24. Juli 19142 3

                      Hochverehrte Exzellenz !

     Ich habe also gestern abend bei Haidane mit Sir Edward Grey
gegessen und habe nach dem Diner Gelegenheit genommen, den
Herren zu sagen, daß mich die durch die Presse gegangene Nach-
richt über anglo-russische Flottenverhandlungen insofern unangenehm
berührt hätte, als ich fürchten müßte, daß die Bestätigung oder auch
nur die fortgesetzte Verbreitung solcher Nachricht die freundlichen
Beziehungen zwischen England und Deutschland aufs neue trüben
könnte, indem man deutscherseits sich vielleicht gezwungen sähe,
solche neue Situation in Form vermehrter Kriegsschiffbauten zu
kompensieren. Mich interessiere natürlich intensiv die Frage, ob
auf die freundschaftlichen Beziehungen, zu deren Herbeiführung
ich selbst ein Geringes habe tun dürfen, ein Schatten gefallen sei,
und nicht minder natürlich fühlte ich mich versucht, die indiskrete
Frage Grey vorzulegen, ob und in welchem Umfange die Nachrich-
ten über diese anglo-russischen Verhandlungen zutreffend seien; er
spräche ja nur mit einem Privatmanne und brauche deshalb nicht
nach einer diplomatischen Abwehr dieser Frage zu suchen; er könne
die Frage unbeantwortet lassen, wenn sie ihm nicht passe.
     Das Ergebnis meiner Unterhaltung mit Grey und Haidane darf
ich in folgenden Notizen zusammenfassen:

      1. Grey erklärt, daß die freundlichen Beziehungen, welche
          als ein Ergebnis der damaligen Haidaneschen Mission
          zu betrachten seien, nicht nur im ganzen Umfange un-
          getrübt geblieben, sondern durch die Kooperation von
          Deutschland und England während der Balkanschwierig-
          keiten und durch die anderen inzwischen gepflogenen
          Verhandlungen noch verstärkt seien.

      2. Die politische Situation habe sich im Laufe des letzten
          Jahrzehnts ja so gestaltet, daß auch England einer
          Gruppe angehöre, und es sei natürlich, daß von Mit-
          gliedern dieser Gruppe Fragen zur Diskussion gestellt
          würden, deren Verhandlung man nicht ohne weiteres
          ablehnen könne. Wie es England in dieser Beziehung
          mit Frankreich und Rußland gehe, so würde es wohl
          Deutschland innerhalb seiner Gruppe mit Österreich und
          Italien gehen.

      3. Das wolle er mir aber gern erklären, daß keine solche
          Flottenkonvention bestehe, und daß es nicht in Englands
          Absicht läge, in eine derartige Konvention zu willigen.

     Haidane, der sich dem Herrn Reichskanzler herzlich empfehlen
läßt, unterstrich die Greyschen Erklärungen noch ganz besonders,
als ich mit ihm noch einige Zeit, nachdem Grey gegangen war, zu-
sammensaß, und deutete mir an, daß die unruhigen französischen
Freunde sehr oft aus Gründen interner Natur Fragen in die Öffent-
lichkeit würfen, die ernsthaft nicht zu diskutieren wären, Grey glaubt,
daß die Kräfteverteilung, wie sie sich in den beiden Gruppen ergeben
habe, die glücklichste Garantie für die Erhaltung des Weltfriedens
oder jedenfalls doch des Friedens zwischen den Großmächten bilde.
Auf der Hand läge es, daß die starken Rüstungen Deutschlands auch
die anderen Mächte zu großen Ausgaben und Anstrengungen auf
dem Gebiet der Rüstungen führen. Das sei natürlich höchst be-
dauerlich und zweifellos eine starke Belastungsprobe für ein fried-
liches Zusammenarbeiten.
     Die österreichische Note an Serbien wird hier sehr milde be-
urteilt. Das hängt zum Teil wohl zusammen mit der gegenwärtigen
Situation, denn die Ulster-Frage beherrscht die Stunde. Die Herren
waren gestern abend ganz außerordentlich pessimistisch gestimmt.
     Ich esse heute abend mit Winston Churchill und denke Montag
nach Cöln zu reisen, wo am 29. und 30. Juli Konferenzen der nord-
atlantischen Schiffahrtsgesellschaften stattfinden.
     Ich bin, hochverehrte Exzellenz, mit den verbindlichsten Grüßen

                                                       Ihr aufrichtig ergebener
                                                                  B a l l i n


1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 27. Juli nachm., zum Journal
29. Juli.
3 Siehe Nr. 56 und 57.