Nr. 279 Der Reichskanzler an den Botschafter in London, 28. Juli 1914

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Nr. 279
Der Reichskanzler an den Botschafter in London1


Telegramm 184                          Berlin, den 28. Juli 19142

     Sir Edw. Grey hat ausdrücklich und wiederholt erklärt, daß
ihn der österreichisch-serbische Konflikt nichts angehe, daß er
dagegen in einem österreichisch-russischen Konflikt zu vermitteln
bereit sei und dabei auf unsere Älithilfe rechne. Mit diesem Stand-
punkt hatten wir uns vollkommen einverstanden erklärt. Jetzt hat
Sir Edward diesen Standpunkt verlassen und unsere Vermittlungs-
aktion dahin erbeten, daß Österreich die serbische Antwort als ge-
nügend oder doch wenigstens als Grundlage für weitere Besprechun-
gen ansehen möchte3.
     Das erstere petitum ist unerfüllbar. Wir können Wien un-
möglich4 anraten, die serbische Antwort, die es sofort, und ohne daß
sie zu unserer Kenntnis gekommen wäre, als ungenügend zurückge-
wiesen hat, nachträglich zu sanktionieren. Wir sind England sehr
weit entgegengekommen, wenn wir bezüglich des zweiten petitums
die Vermittlungsaktion übernommen haben5. Ich rechne mit Be-
stimmtheit darauf, daß England diesen unsern entgegenkommenden
Schritt gebührend einschätzen wird. Ob die serbische Antwort bis
an die Grenze des Möglichen geht, habe ich noch nicht nachprüfen
können, da sie erst soeben in meine Hände gelangt ist. Verdächtig
ist die Tatsache, daß Serbien, noch bevor es seine Antwort übergab,
mobilisiert hat. Das läßt auf ein schlechtes Gewissen schließen.
     Die Annahme Sir Edwards, daß es Österreich auf eine Nieder-
werfung Serbiens abgesehen habe, kann ich um so weniger als zu-
treffend ansehen, als es Rußland ausdrücklich erklärt hat, es strebe
keinerlei Territorialerwerb an oder wolle den Bestand des serbischen
Königreichs antasten, eine Erklärung, die auf Rußland ihren Ein-
druck nicht verfehlt hat. Österreich will — und dazu hat es nicht nur
das Recht, sondern auch die Pflicht — Sicherheit dagegen haben,
daß nicht seine Existenz durch die großserbische Agitation, die
schließlich in der Freveltat von Sarajevo ihren Ausdruck gefunden
hat, immer weiter unterhöhlt wird. Das hat mit Prestigepolitik
oder mit einem Ausspielen des Dreibundes gegen die Triple-Entente
schlechterdings nichts zu tun6.
     So sehr wir in völliger Übereinstimmung mit England und
hoffentlich in fortgeseztem Zusammenwirken mit ihm nach allen
Richtungen bestrebt sind, den europäischen Frieden aufrechtzuer-
halten , so wenig können wir ein Recht Rußlands oder gar der
Triple-Entente anerkennen, für die serbisclien Umtriebe gegen Öster-
reich einzutreten.
     Ew. pp. ersuche ich ergebenst, nach diesen Gesichtspunkten
Ihre Sprache zu regeln.

                                                            B e t h m a n n   H o l l w e g


1 Nach dem Konzept von der Hand des Reichskanzlers. Ursprünglich vom
Kanzler geschriebenes Datum 27. Juli, nachher in 28. Juli geändert.
2 28. Juli 20 vorm. zum Haupttelegraphenamt.
3 Siehe Nr. 258.
4 »unmöglich« vom Kanzler aus »nicht« geändert.
5 »bezüglich . . . . . . . . . . übernommen haben« vom Kanzler geändert aus dem
ursprünglich von ihm niedergeschriebenen: »in Adaptierung dem veränder-
ten Standpunkt Sir Edwards folgend, eine Vermittlungsaktion dahin über-
nommen haben, daß wir Wien den englischen Wunsch, die serbische
Antwort als Grundlage für Besprechungen anzusehen, zur Erwägung vor-
gelegt haben.« 
6Der hier ursprünglich folgende Satz; «Ein Recht Rußlands oder gar der
Triple-Entente, für die serbischen Umtriebe gegen Österreich einzutreten,
können wir nicht anerkennen« ist vom Kanzler wieder gestrichen.