Nr. 292 Der Botschafter in Paris an den Reichskanzler, 28. Juli 1914

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Nr. 292
Der Botschafter in Paris an den Reichskanzler1


                                                  Paris, den 24. Juli 19142
     Bei meiner Unterredung mit dem den Ministerpräsidenten und
Minister des Äußern vertretenden Justizminister Herrn Bienvenu-
Martin über den österreichisch-serbischen Konflikt habe ich mit be-
sonderem Nachdruck hervorgehoben, daß die k. Regierung
den Streit als eine ausschließlich zwischen den beiden Beteiligten
auszutragende Sache betrachte und sich der Hoffnung hingebe, daß
wie sie selbst, so auch die Regierungen anderer Mächte, aufs
ernsteste für Lokalisierung des Konfliktes bemüht sein werden.
     Die hiesige Auffassung nach den ersten Eindrücken ist Ew. Exz.
bereits bekannt — eigener Wille zur Nichteinmischung, aber dieser
Wille, wie stets in Balkanfragen, durch Rücksichtnahme auf Ruß-
land beeinträchtigt. Man hat hier zwar Verständnis dafür, daß das'
Wiener Kabinett sich durch die serbischen Umtriebe zu einem
energischen Vorstoß gedrängt gesehen hat, meint aber, daß die Form
eine unnötig scharfe sei und daß die Forderungen in einzelnen
Punkten so weit gehen, daß ihre Annahme mit der Souveränität und
der Würde eines selbständigen Staates nicht vereinbar erscheine.
In diesem Übermaß der Forderungen liege ein der Erhaltung des
Friedens nicht günstiges Moment, denn es sei nicht anzunehmen,
daß Rußland einer derartigen Demütigung eines Slawenstaates
gegenüber gleichgültig bleiben könne.
     Ich habe meine rein persönliche Meinung geäußert, ich fände
es begreiflich, daß Österreich-Ungarn nach den mit Serbien seit
Jahren und in letzter Zeit besonders gemachten schlimmen Erfah-
rungen die Würde dieses Staates nicht mit dem gleichen Maßstabe
messe wie diejenige anderer Staaten. Österreich-Ungarn, weit ent-
fernt, das Feuer an Europa legen zu wollen, erwerbe sich meiner
Ansicht nach geradezu ein Verdienst um Erhaltung des Friedens,
wenn es, nachdem vielfache Appelle an die Anstandspflichten des
serbischen Nachbarn erfolglos geblieben, nun dazu schreite, mit
starker Hand den nicht nur für seine Integrität, sondern auch für
den allgemeinen Frieden überaus gefährlichen Brandherd zu er-
sticken. Im übrigen könne ich nur betonen, daß uns das Wiener
Kabinett nicht um Rat befragt habe, und daß wir noch weniger es
zu dem scharfen Schritt in Belgrad veranlaßt haben. Aber nachdem
seine Forderungen zur öffentlichen Kenntnis gelangt, könnten wir sie
nur für durchaus berechtigt halten.
     Herr Bienvenu-Martin, der mit auswärtigen Dingen wenig ver-
traut ist, ließ noch den stellvertretenden politischen Direktor Ber-
thelot an der Unterredung teilnehmen. Beide suchten von mir zu
erfahren, ob die österreichisch-ungarische Demarche in Belgrad nur
als eine ernste Mahnung oder aber als ein Ultimatum aufzufassen
sei, und ob demgemäß noch Platz für Verhandlungen über einzelne
der Forderungen, die Serbien schwerlich annehmen könne, bleibe
oder nicht.
     Ich habe es vermieden, über diesen Punkt auch nur eine per-
sönliche Meinung zu äußern und nur erneut darauf hingewiesen,
daß es sich für andere Mächte dringend empfehle, sich jeder Ein-
mischung zu enthalten, da ein Heraustreten aus neutraler Haltung
bei dem »jeu des alliances« unabsehbare Folgen haben müßte.

                                                            v.   S c h o e n


1 Nach der Ausfertigung.
2 Abgegangen 26. Juli; Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 28. Juli vorm