Nr. 359 Der Kaiser an den Zaren, 29. Juli 1914

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Nr. 359
Der Kaiser an den Zaren1

Telegramm (ohne Nummer)                Berlin, den 29. Juli 19142

     I received your telegram3 and share your wish that peace
should be maintained. But as I told you in my first telegram4, I
cannot consider Austria's5 action against Servia an "ignoble" war6.
Austria knows by experience that Servian promises on paper are
wholly unreliable. I understand its action must be judged as tren-
ding to get full guarantee that the Servian promises shall become
real facts. This my reasoning is borne out7 by the Statement of
the Austrian cabinet that Austria does not want to make any terri-
torial conquests at the expense of Servia. I therefore suggest that8
Das hinter »facts« zunächst von ihm Niedergeschriebene hat er wieder ge-
strichen, ebenso das im Entwurf hinter »ignoble war« zunächst folgende:
»It is an expedition in order to punish Servia.« I therefore suggest that
it would be quite9 possible for Russia10 to remain a spectator of11
the austro-servian conflict without involving12 Europe in13 the most
horrible war she ever witnessed. I think a direct understanding
between your Government14 and Vienna possible and desirable and
as I already telegraphed to you, my Government is continuing its
exertions to promote it. Of course military measures on the part
of Russia which would be looked upon by Austria as threatening
would precipitate a calamity we both wish to avoid and jeopardize
my Position as mediator which I readily accepted on your appeal
to my friendship and my help15.

                                                                      W i l l y16

                                        Ü b e r s e t z u n g

     Ich habe Dein Telegramm erhalten und teile Deinen Wunsch nach Er-
haltung des Friedens. Allein, wie ich Dir in meinem ersten Telegramm ge-
sagt habe, kann ich Österreichs Vorgehen gegen Serbien nicht als einen
unwürdigen Krieg ansehen. Österreich weiß aus Erfahrung, daß serbische
Versprechungen auf dem Papier gänzlich unzuverlässig sind. Meiner Ansicht
nach ist Österreichs Aktion dahin zu beurteilen, daß sie volle Bürgschaft da-
für zu schaffen anstrebt, daß die serbischen Versprechungen auch wirklich
zur Tat werden.
     Diese meine Auffassung wird bestätigt durch die Erklärung des öster-
reichischen Kabinetts, daß Österreich nicht beabsichtigt, irgendwelche terri-
torialen Eroberungen auf Kosten Serbiens zu machen.
     Ich rege daher an, daß es für Rußland durchaus möglich wäre, bei dem
österreichisch-serbischen Konflikt in der Rolle des Zuschauers zu verharren,
ohne Europa in den entsetzlichsten Krieg zu verwickeln, den es je gesehen hat.
     Ich halte eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung und
Wien für möglich und wünschenswert und, wie ich Dir schon telegraphiert
habe, setzt meine Regierung ihre Bemühungen fort, diese Verständigung zu
fördern. Natürlich würden militärische Maßnahmen von selten Rußlands, die
Österreich als Drohungen ansehen würde, ein Unheil beschleunigen, das wir
beide zu vermeiden wünschen, und meine Stellung als Vermittler gefährden
die ich auf Deinen Appell an meine Freundschaft und meinen Beistand bereit-
willig übernommen habe.


1 Der deutsche Entwurf von Jagows Hand, der dann in englischer Über-
setzung dem Kaiser vorgelegt wurde, lautet: »Habe Dein Telegramm er-
halten und teile mit Dir den Wunsch nach Frieden. Aber wie ich schon
in meinem ersten Telegramm ausführte, kann ich in der österreichischen
Aktion gegen Serbien nicht einen ,ignoble war', sondern nur eine ge-
rechte Strafexpedition erblicken. Daß sie nicht mehr ist, beweist die von
dem Wiener Kabinett Deiner Regierung abgegebene Zusicherung, daß
Österreich keinen territorialen Gewinn in Serbien anstrebt. Ich glaube
deshalb, daß es Dir unter dieser Garantie möglich sein wird, dem ser-
bisch-österreichischen Konflikt zuzuschauen, ohne die Welt in einen der
fürchterlichsten Kriege zu stürzen. Eine direkte Verständigung zwischen
Dir und Wien halte ich für möglich und erwünscht, und will ich sie gern
unterstützen. Russische Mobilisierungsmaßregeln gegen Österreich könnten
aber set the house in flame und müßten auch mich in die schwierigste
Lage bringen.« Den englischen Entwurf hat der Kaiser wesentlich ge-
ändert und ergänzt.
2 Auf dem vom Kaiser geänderten englischen Entwurf oben der Rand-
vermerk von des Kaisers Hand: »N. Pal. 29. VII. 14 630 N.M.« Das Tele-
gramm wurde dann von Potsdam aus offen abgesandt.
3 Siehe Nr. 332.
4 Siehe Nr. 335.
5 »Austria's« vom Kaiser aus »the Austria« des Entwurfs geändert.
6 Hier folgendes »Austria knows . . . . . . . . . . real facts« vom Kaiser beigefügt.
Das hinter »facts« zunächst von ihm Niedergeschriebene hat er wieder ge
-strichen, ebenso das das im Entwurf hinter »ignoble war« zunächst folgendene :
»It is an exhibition in order to punish Servia.«
7 »This . . . . . . . . . . out« vom Kaiser aus ursprünglichem »That it is not
more is clearly proved« des Entwurfs geändert.
8 »I therefore suggest that« vom Kaiser aus ursprünglichem »I think that
given this guarantee« des Entwurfs geändert.
9 »quite« vom Kaiser eingefügt.
10 »Russia« vom Kaiser aus »you« des Entwurfs geändert.
11 »of« vom Kaiser aus »in« des Entwurfs geändert.
12 »involving« aus »driving« des Entwurfs geändert.
13 »in« vom Kaiser aus »into« des Entwurfs geändert.
14 »your Government« vom Kaiser aus »you« des Entwurfs geändert
15 »and as I already . . . . . . . . . . . my help« vom Kaiser geändert aus ursprüng-
lichem Text des Entwurfs »and am quite ready to promote it. But mobilisation
of your army against Austria could set the house on fire and would
bring myself into the most difficult position«.
16 Vgl. Deutsches Weißbuch vom Mai 1915 S. 34 Nr. 22. III. — Siehe auch
Nr. 366.