Nr. 372 Der Große Generalstab an das Auswärtige Amt, 29. Juli 1914

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Nr. 372
Der Große Generalstab an das Auswärtige Amt1


                                                            Berlin, den 29. Juli 19142

                                           3. Bericht

               N a c h r i c h t e n  b i s  29.  J u l i  40 n a c h m.


                                        Ö s t e r r e i c h

     Den Oberbefehl gegen Serbien hat der Erzherzog Friedrich über-
nommen. Gegen Serbien werden 1. Kav.-Div. (Temesvar) zu 36 Esks.
und 10. Kav.-Div. (Budapest) zu 30 Esks. mobil gemacht. Die
gesamte Mobilmachung verläuft fast ohne Störung, nur ein Mangel
an Landfuhrwerk soll sich bei Aufstellung der Trains im Bezirk des
VII. A.-K. (Temesvar) fühlbar machen. Das III. A.-K. wird mit nur
39 Batl. aufgestellt, die Gesamtstärke der Armee wird sich nun-
mehr auf rund 400 000 Mann ermäßigen. Der Mitrowitzer Save-
übergang soll ohne Kampf in österreichische Hände gefallen sein.
Die Donaimionitore stehen versammelt bei Neusatz. Die Flotte liegt
bei Sebenico vereinigt. Landsturm ist bei sämtlichen acht Armee-
korps aufgerufen.


                         S e r b i e n  u n d  M o n t e n e g r o

     Soweit aus der Presse ersichtlich, Lage wie folgt : Die Truppen
südlich Semendria gehen morawaaufwärts zurück, an der Donau ver-
bleiben nur schwächere Kräfte, darunter Landsturm. An der unteren
Drina bei Lesnitza und südlich sind starke Freiwilligenabteilungen
in der Bildung begriffen. Kleinere Feuergefechte entwickelten sich
an beiden Flüssen. Die Hauptgruppen der serbischen Westfront bei
Valjevo und Uschitze werden verstärkt. Von Novibasar her sollen
Teile der neugebildeten Ibar-Division zum Lim marschieren und Teile
bis Priboj an die Grenze vorgeschoben haben. Dieser linke serbische
Flügel hat Verbindung mit dem rechten Flügel der Montenegriner,
der in Stärke einer Brigade mit Artillerie in Gegend Plevlje gemeldet
wird. Je ein bis zwei weitere Brigaden sollen am Rjegos und bei
Grahovo versammelt sein. Der Lowtschen wird weiter verstärkt.
Die montenegrinischen Hauptkräfte scheinen um Niksitsch versammelt
zu werden. König und Regierung begaben sich nach Podgoritza,
wo ein höherer serbischer Offizier eintraf. Das serbische Haupt-
quartier scheint zunächst in Nisch zu bleiben. Der serbische General-
stabschef soll entgegen den Pressemeldungen nicht freigelassen sein.
Über Wien werden umfangreiche Desertionen serbischer Soldaten ge-
meldet, die mit ihren Waffen auf ungarischem Gebiet ankommen und
über mangelhafte Verpflegung klagen sollen. Nach einer Äußerung
des bulgarischen Gesandten soll auch in Nisch Mangel an Nahrungs-
mitteln herrschen.


                                   G r i e c h e n l a n d

     Es wird bekannt, daß Bündnisvertrag sich nicht auf Unter-
stützung Serbiens gegen Österreich bezieht. Griechenland will neutral
bleiben. Presse und Bevölkerung gegen Österreich gesinnt.


                         R u m ä n i e n,  B u l g a r i e n

     Nichts Neues.

                                        T ü r k e i

     Türkei will Neutralität zunächst wahren, fürchtet aber Anfang
August einen griechischen Flottenüberfall (??).


                                        B e l g i e n

     Armee wird durch Einziehung von drei Jahrgängen von 55 000
auf 100 000 Mann gebracht. Einziehung dieser Reserven ist befohlen.
Grenzdienst soll verschärft werden. Belgien will Einfall der Franzosen
wie Deutschen verhindern ; entsprechende Maßnahmen : Armierung
der Werke, Vorbereiten der Kunstbauten zur Sprengung usw.


                                        H o l l a n d

     Die Mobilmachung wird vorbereitet, die wichtigsten Maas- und
Yssel-Übergänge militärisch besetzt. Forts werden besetzt und armiert,
Verpflegung anscheinend reichlich.


                                   F r a n k r e i c h

     1. G r e n z g e b i e t. Grenzschutzübungen. Erhöhte Tätigkeit.
Kraftwagen sollen bei Audun, Longuyon vmd Longwy bereitstehen.
Miltärischer Bahnschutz durchgeführt. Arbeit an Rampen. Tele-
phonverkehr zwischen Paris und Deutschland heute stellenweise unter-
brochen. Eisenbahnmaterial zurückgeführt. In Toul und Epinal
keine Waggons für Handel mehr hergegeben. Armierung der Bel-
forter Forts im Gange.

     2. I m  I n n e r n. An Strecke Paris-Herbesthal Bahnbewachung
und Abstellung zahlreicher leerer Züge festgestellt. Auf Kasernen -
höfen in Paris 28. Juli Feldfahrzeuge bemerkt. Keine allgemeine
Reservisteneinziehung. Höchstens Einziehung jüngsten Jahrgangs
möglich. — Oberstl. Dupont, Chef 2. Abt. Genst., sprach Verwun-
derung über geringe Schutzmaßregeln Deutschlands aus. Nur bei
Metz seien Vorbereitungen festgestellt, die von denen seitens der
Franzosen weit übertroffen würden. — Kriegsbegeisterung im Lande
nicht vorhanden. Flotte bleibt bei Toulon. Französische Presse
ergeht sich teilweise in Schmähungen über Deutschland. —
Eine Störung der telephonischen Verbindung mit der Feste Kaiserin
bei Metz wird auf äußere Einwirkung zurückgeführt.


                                        E n g l a n d

     Offiziere und Mannschaften vom Urlaub zurückbeordert, eine
Maßregel, die bei geringster politischer Spannung einsetzt. Die
1. Flotte nahm Kriegsmaterial auf bei Portland. Eine U-Boot-
Flottille ist unbekannt ausgelaufen. Die 2. Flotte, in den Heimat-
häfen, füllt ihre Mannschaftsbestände auf. Marineschulen sind ge-
schlossen. Die Probemobilmachung der 2. Division Aldershot war
schon längere Zeit in Aussicht genommen.


                                        I t a l i e n

     Ist durch Eisenbahnerstreik, die lybischen und albanischen An-
gelegenheiten stark in Anspruch genommen, hofft aber, die Eisen-
bahner befriedigen zu können, sichert Österreich freie Hand in Serbien
zu, verlangt dafür freie Hand in Albanien. Die Haltung der nord-
italienischen Presse war heute etwas serbenfreundlich.


                                        R u ß l a n d

     Zur Verstärkung der überall mobilisierten Grenzwache sind
Truppen verschiedener Waffengattungen herangezogen worden, an
einzelnen Stellen, z. B. Tschenstochau, Alexandrowo, Wirballen, auch
Pioniere, anscheinend Sprengkommandos. Der militärische Grenz-
und Bahnschutz scheint im ganzen Grenzgebiet durchgeführt. Der
Ausspruch der Mobilisierung im Militärbezirk Wilna und Warschau
immer noch nicht bestätigt. Reservisten noch nicht in größerer
Zahl einberufen. Pässe nach einzelnen Meldungen nicht mehr erteilt.
Anweisung an die Reservisten, sich bereitzuhalten, soll ergangen
sein. Pferde aushebungen von einzelnen Stellen an der Grenze ge-
meldet. (Es kann Sicherheitsmaßnahme oder Requisition für die
Mobilisierung der Grenzwache sein.) Rollendes Material wird überall
bereitgestellt. Güter wurden an der ganzen preußisch-russischen
Grenze nicht mehr angenommen.

     Im besonderen : Infanterie-Regimenter 110 und 111 mit Artillerie
und einem Dragoner-Regiment stehen bei Wirballen, Grenze von
westlich Suwalki bis Schirwindt stark besetzt. Truppen gemeldet : in
Ratschki (alle Waffen, ohne Stärkeangabe) ; bei Schtschutschin Kavallerie
und Infanterie ; von Ostrolenka im Marsch zur Grenze (ohne Stärke-
angabe); in Mlawa (Teile des Infanterie-Regiments 8 und 29 aus
Warschau) ; bei Bschetz (südwestlich Wlozlawek) alle Waffen, mehrere
Regimenter (?).

     Minensperre Dünamünde wird bestätigt, zweimalige Öffnung
täglich, Leuchtfeuer gelöscht. Die Schären, zwischen Helsingfors und
Hangö für Handelsschiffe gesperrt, Leuchtfeuer gelöscht, Bojen ent-
fernt. Schiffahrt nach Petersburg ungehindert.

     Die offiziöse Presse hält serbische Antwort für ausreichend,
glaubt Rumänien auf Seite des Dreibundes suchen zu müssen.

                                                  gez. v.  G r i e s h e i m

                                                 Für  die  R i c h t i g k e i t :

                                                 v.  B a r t e n w er f f e r ,
                                                                 Major


1 Nach der vom Generalstab übersandten Vervielfältigung. Der 1. und
2. Bericht vom 27. und 28. Juli sind nicht bei den Akten des Auswärtigen
Amts. Siehe Anmerkung 3 zu Nr. 341.
2 Eingangsvermerk: 29. Juli nachm. Hat Zimmermann, Jagow und dem
Reichskanzler vorgelegen, vom Reichskanzler am 31. zurück.