Nr. 385 Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien, 30. Juli 1914

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Nr. 385
Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien1


Telegramm 187                               Berlin, den 29. Juli 19142

     Rußland hat mitgeteilt, daß es Kasan, Kiew, Moskau, Odessa
mobilisiert, weil Österreich 8 Korps mobilisiert habe, und diese Maß-
regel zum Teil als gegen Rußland gerichtet angesehen werden müsse3.
     Russische Mobilisation bedeute aber noch keineswegs wie in
Westeuropa den Krieg, russische Armee könne lange Zeit Gewehr
bei Fuß stehen, ohne Grenze zu überschreiten, Beziehungen zu Wien
seien nicht abgebrochen, und Rußland wolle, wenn irgend möglich,
Krieg vermeiden. Wir haben Petersburg darauf aufmerksam gemacht,
daß Mobilisation wahrscheinlich österreichische Gegenmaßregel hervor-
rufen würde und Stein dadurch ins Rollen kommen könnte.
     Rußland beschwert sich, daß Unterhaltungen weder durch Herrn
Schebeko noch durch Graf Szápáry Fortlauf genommen hätten. Wir
müssen daher, um allgemeine Katastrophe aufzuhalten oder jeden-
falls doch Rußland ins Unrecht zu setzen, dringend wünschen, daß
Wien Konversationen gemäß Telegramm Nr. 1744 beginnt und fortsetzt.

                                                                 B e t h m a n n   H o l l w e g


1 Nach dem Konzept. Entwurf von Jagows Hand. Ein erster von Rosenberg
geschriebener Entwurf war von Jagow gestrichen worden. Rosenbergs
Entwurf hatte gelautet: »Der russische Botschafter hat hier heute mit-
geteilt, daß Rußland morgen gegen Österreich mobilisieren wird. Um
Rußland mit einer derartigen Maßnahme vor aller Welt ins Unrecht zu
setzen, erscheint es uns dringend geboten, daß das dortige Kabinett ohne
Verzug in Petersburg und bei den übrigen Großmächten die von uns
empfohlene Erklärung abgibt. Unser Rat bezweckt kein Flaumachen,
sondern lediglich eine Verbesserung unserer moralischen Position vor der
öffentlichen Meinung Europas.« 
2 30. Juli 1230 vorm. zum Haupttelegraphenamt, abgefertigt 410 vorm., an-
gekommen auf der Botschaft in Wien 60 vorm.
3 Siehe Nr. 343.
4 Siehe Nr. 323.