Nr. 401 Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt, 30. Juli 1914

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Nr. 401
Der Botschafter in Petersburg an das Auswärtige Amt1


Telegramm 189                                              Petersburg, den 30. Juli 19142
Dringend!







ist die Russ. Mobil-
machung ein
freundschaftlicher
Weg ? !



richtig



sehr gut




gut !






ja.


Blödsinn ! Diese
Sorte von Politik
birgt die ernstesten
Gefahren für den
Zaren in Sich !

aha ! Wie ich es
schon vermuthete !


noch nichts erfolgt

richtig









Das war eine Theil-
mobilmachung von
6 Corps zu be-
grentztem Zweck !


     Hatte eben mit Sasonow, der mich um Mitter-
nacht rufen ließ, 11/2Stündige Unterredung. Zweck
des Ministers war, mich zu überreden, bei meiner
Regierung Teilnahme an Konversation zu vieren
zu befürworten, um Mittel ausfindig zu machen,
Österreich auf freundschaftlichem3 Wege zu he-
wegen, die Souveränität Serbiens antastenden For-
derungen fallen zu lassen4. Ich habe lediglich
Wiedergabe der Unterredung zugesagt und mich
auf den Standpunkt gestellt, daß mir jeder Ge-
dankenaustausch sehr schwierig, wenn nicht im-
möglich scheine, seitdem sich Rußland zu dem ver-
hängnisvollen Schritt der Mobilmachung ent-
schlossen habe. Rußland verlange von uns Öster-
reich gegenüber dasjenige zu tun, was Österreich
Serbien gegenüber vorgeworfen werde, nämlich
Eingriff in seine Souveränitätsrechte. Nachdem
Österreich durch Erklärung seines territorialen
Desinteressements, welches seitens eines im Kriege
befindlichen Staats sehr viel bedeute, versprochen
habe, auf russische Interessen Rücksicht zu nehmen,
sollte man die österreichisch-ungarische Monarchie
jetzt ihre Regelung mit Serbien allein regeln
lassen. Beim Friedensschluß werde immer noch
Zeit sein, auf Schonung serbischer Souveränität
zurückzukommen. Ich habe sehr ernst hinzuge-
fügt, daß die ganze austro-serbische Angelegenheit
augenblicklich gegenüber der Gefahr europäischer
Konflagration in den Hintergrund trete. Ich habe
mir alle Mühe gegeben, die Größe dieser Gefahr
dem Minister vor Augen zu führen. Sasonow war
nicht davon abzubringen, daß Rußland Serbien
nicht im Stich lassen könne. Keine Regierung
würde ohne ernste Gefahren für die Monarchie eine
solche Politik hier führen können.
     Im Laufe der Unterredung wollte Sasonow
Widerspruch zwischen Telegramm Sr. M. des Kai-
sers und Königs an den Zaren5 und Ew. Exz. tele-
graphischer Weisung Nr. 1346 konstruieren. Ich
bin dem bestimmt entgegengetreten und habe
darauf hingewiesen, daß, selbst wenn wir schon
mobil gemacht hätten, der Appell meines Aller-
gnädigsten Herrn an die gemeinsamen Interessen
der Monarchen mit dieser Maßregel nicht in
Widerspruch stehen würde. Die Mitteilung, die
ich ihm heute nachmittag7 im Auftrage Ew. Exz.
gemacht hätte, sei keine Drohung gewesen, sondern
eine freundschaftliche Warnung unter Hinweis
auf die automatische Wirkung, die hiesige Mobil-
machung infolge deutsch-österreichischen Bünd-
nisses bei uns hervorrufen tnüsse. Sasonow er-
klärte, daß Rückgängigmachung des Mobil-
machungsbefehls nicht mehr möglich8 sei, und daß
österreichische Mobilmachung daran schuld sei.
     Habe aus Äußerungen Sasonows Eindruck, daß
Allerhöchstes Telegramm Wirkung auf Zaren
nicht verfehlt hat, fürchte aber, daß der Minister
eifrig bemüht ist, daran zu arbeiten, daß Zar fest-
bleibt.                                    P o u r t a l è s

     Wenn Mobilmachung nicht mehr rückgängig zu machen ist — was
nicht wahr ist — , warum hat dann überhaupt der Zar meine Vermitt-
lung 3 Tage nachher angerufen ohne die Erlassung des Mobilmachungs-
befehles zu erwähnen?! Das zeigt doch klar, daß die Mobilmachung ihm
selbst übereilt erschienen ist und er hinterher zur Beruhigung seines
erwachten Gewissens pro Forma diesen Schritt bei uns that, obwohl er
wußte, daß er zu nichts mehr nutze sei, da er sich nicht stark genug
fühlt, die Mobilisierung zu stoppen. Leichtsinn und Schwäche sollen die
Welt in den furchtbarsten krieg stürzen, der auf den Untergang Deutsch-
lands schließlich abzielt. Denn das läßt jetzt für mich keinen Zweifel
mehr zu: England, Rußland u. Frankreich haben sich verabredet — unter
zu Grunde Legung des casus foederis für uns Osterreich gegenüber —
den österreichisch-Serb. Konflikt zum Vorwand nehmend gegen uns den
Vernichtungskrieg zu führen. Daher Greys zynische Bemerkung an
Lichnowsky »solange der Krieg auf Rußland und Österreich beschränkt
bleibe würde England still sitzen, erst wenn loir uns und Frankreich hln-
einmischten würde er gezwungen sein aktiv gegen uns zu werden [«j.
D. h entweder wir sollen unseren Bundesgenossen schnöde verrathen und
Rußland preisgeben — damit den 3Bund sprengen oder für unsere Bundes-
treue von der spel Entente gemeinsam überfallen und bestraft werden, wo-
bei ihrem Neid endlich Befriedigung wird uns gemeinsam total zu rui-
nieren. Das ist in nuce die wahre nackte Situation, die langsam und,
sicher durch Edward VII. eingefädelt, fortgeführt, durch abgeleugnete Be-
sprechungen Englands mit Paris und Petersburg, systematisch ausge-
baut; schließlich durch Georg V. zum Abschluß gebracht und ins Werk
gesetzt wird. Dabei wird uns die Dummheit und Ungeschicklichkeit
unseres Verbündeten zum Fallstrick gemacht. Also die berühmte »Ein-
kreisung« Deutschlands ist nun doch endlich zur vollsten Thatsache ge-
worden, trotz aller Versuche unsrer Politiker und Diplomaten sie zu
hindern. Das Netz ist uns plötzlich über dem Kopf zugezogen und ho[h]n-
lächelnd hat England den glänzendsten Erfolg seiner beharrlich durch-
geführten pure antideutschen Weltpolitik , gegen die wir uns machtlos
erwiesen haben, indem es uns isolirt im Netze zappelnd aus unserer.
Bundestreue zu Österreich den Strick zu unserer Politischen und öko-
nomischen Vernichtung dreht. Eine großartige Leistung, die Bewunde-
rung erweckt, selbst bei dem, der durch sie zu Grunde geht! Edward VII.
ist nach seinem Tode noch stärker als Ich, der ich lebe! Und da hat es
Leute gegeben[,] die geglaubt haben, man könnte England gewinnen oder
beruhigen, durch diese oder jene kleinen Maßregeln!!! Unablässig, un-
nachgiebig hat es sein Ziel verfolgt, mit Noten, Feiertagsvorschlägen,
scares, Haidane etc. bis es soweit war. Und wir sind Ins Garn gelaufen
und haben sogar das Einertempo im Schiffbau eingeführt in rührendet
Hoffnung England damit zu beruhigen! ! ! Alle Warnungen, alle Bitten
meinerseits sind nutzlos verhallt. Jetzt kommt der Engl. sog. Dank dafür!
Aus dem Dilemma der Bundestreue gegen den ehrwürdigen, alten Kaiser
wird uns die Situation geschaffen, die England den erwünschten Vorwand
giebt uns zu vernichten, mit dem heuchlerischen Schein des Rechtes,
nämlich Frankreich zu helfen wegen Aufrechterhaltung der berüchtigten
balance of Power in Europa, d. h. Ausspielung aller Europ. Staaten zu
Englands Gunsten gegen uns! Jetzt muß dieses ganze Getriebe schonungs-
los aufgedeckt und Ihm öffentlich die Maske christlicher Friedfertigkeit
in der Öffentlichkeit schroff abgerissen werden und die Pharisäische
Fridensheuchelei an den Pranger gestellt werden ! ! Und unsere Consuln
in Türkei und Indien, Agenten etc. müßen die ganze Mohamedan. Welt
gegen dieses verhaßte, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden
Aufstände entflammen; denn wenn wir uns verbluten sollen, dann soll
England wenigstens Indien verlieren.
                                                                                     W.


1 Nach der Entzifferung. — Teilweise veröffentlicht im deutschen Weißbuch
vom Jahre 1915 S. 7.
2 Aufgegeben in St. Petersburg 430 vorm., angekommen im Auswärtigen
Amt 710 vorm. Eingangsvermerk: 30. Juli vorm. Abschrift der Entziffe-
rung, unter Fortlassung des Abschnitts »Habe aus Äußerungen . . . . . . . . . . fest-
bleibt«, am 30 Juli an den Kaiser gesandt, der auf dem Rand oben ver-
merkt: »7 h. abds.« Abschrift am 1. August ms Amt zurückgelangt, Reichs-
kanzler, Jagow und Zimmermann nahmen am 1. August von den Rand
bemerkungen des Kaisers Kenntnis.
3 »freundschaftlichen« vom Kaiser zweimal unterstrichen.
4 Am Rand Ausrufungszeichen und Fragezeichen des Kaisers.
5 Siehe Nr. 359.
6 Siehe Nr. 342.
7 Gemeint ist der 29. Juli. Siehe Nr. 378.
8 »nicht mehr möglich« vom Kaiser dreimal unterstrichen.