Nr. 41a. Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt, 14. Juli 1914

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Nr. 41 a
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1


                                                  Wien, den 13. Juli 19142

     Die Haltung der hiesigen Presse verfolgt sichtlich die vom
Ballhausplatz inspirierte Tendenz, die öffentliche Meinung nicht
vorzeitig zu beunruhigen. Zugleich wird aber durch ausführliche
Reproduktion der serbischen Preßartikel für deren weiteste Ver-
breitung gesorgt und darauf hingewiesen, daß Serbien durch seine
Wühlereien, die in dem Attentat auf den Thronfolger gipfelten, allen
Kredit in Europa verloren haben müsse. So bemerkt die heutige
Wiener Sonn- und Montagszeitung, daß Europa zum Glück wisse,
was es von den bewußten Entstellungen, die man jetzt von Belgrad
aus über die ganze Welt zu verbreiten suche, zu halten habe. Ins-
besondere werde man in England nicht an die Lüge glauben, daß die
serbischen Staatsangehörigen der Monarchie in den südlichen Ländern
unterdrückt worden seien. Die Serben glaubten selbst nicht mehr
daran, daß das Recht auf ihrer Seite sei.
     In einem anscheinend offiziösen Entrefilet bemerkt dasselbe
Blatt:
     »Mit Rücksicht darauf, daß die Untersuchung über das
Sarajevoer Mordattentat noch nicht zum Abschlüsse gelangt ist, sind
auch alle Kombinationen über Form und Inhalt einer allfälligen
diplomatischen Aktion Österreich-Ungarns bei der Belgrader Re-
gierung verfrüht und müßig. Die verschiedenen Meldungen, die
über Ischler Audienz des Grafen Berchtold in die Welt gesetzt
wurden, haben eine entschiedene Zurückweisung erfahren und sind
endlich ganz verstummt. Um so gesprächiger ist man in Belgrad.
Die serbischen Blätter strengen sich seit Tagen an, Beweise dafür
zu erbringen, daß die Monarchie keinen Rechtstitel zu irgendwelchen
Forderungen besitzt, und wehren sich heute schon gegen Zu-
mutungen, die bisher niemand gestellt hat. Ein besonders voreiliger
Herr in Konstantinopel, der dortige serbische Geschäftsträger, unter-
nimmt sogar schon Einschüchterungsversuche für den Fall, als
Österreich-Ungarn es wagen sollte, mit Serbien einen Streit anzu-
fangen. Das Treiben der Herrschaften erinnert ganz an den Mann,
der durch den Wald läuft und vor Angst aus Leibeskräften schreit.
Er muß sich fortwährend hören, damit ihn die Furcht nicht über-
wältigt.« 
     Die Tendenz, die Äußerungen der Presse noch in Schranken zu
halten, geht auch aus einer offiziösen Budapester Korrespondenz der
Wiener Sonn- und Montagszeitung hervor, in der es heißt, daß die
Nachricht von der Einberufung eines neuerlichen gemeinsamen
Ministerrats an maßgebender Stelle als unrichtig bezeichnet werde.
Die Notwendigkeit eines neuen Ministerrats bestehe nicht, da die
gemeinsame Regierung bereits über alle Eventualitäten übereinge-
kommen sei. Die Meldung sei offenbar durch ein Mißverständnis
entstanden. Graf Tisza beabsichtige nämlich, auf einen Tag nach
Wien zu reisen, um sich über den Abschluß der Sarajevoer Unter-
suchung zu informieren, nachdem die Opposition in Ungarn neuer-
liche Interpellationen über die großserbische Bewegung vorbereite,
und Graf Tisza seine letzte Rede, falls eine Notwendigkeit bestehen
sollte, zu ergänzen beabsichtige.
     Auch auf die Börse wird einzuwirken gesucht, die in den letzten
Tagen sehr stark nachgegeben hatte. In der Presse wird an die
Großbanken appelliert, deren Pflicht es sei, »sich in die Bresche zu
stellen, wenn eine eminente Gefahr einer aller Voraussicht nach sogar
ganz unmotivierten Entwertung drohe. Das Großkapital solle durch
seine Haltung den Kunden und dem ganzen Markte zeigen, ein wie
schlechter Berater in schweren Zeiten der Pessimismus sei.« 
     Die »Montags-Revue« schreibt: »Die Frage, ob und in welchem
Umfange eine Mitschuld des offiziellen Serbien an der Tragödie von
Sarajevo nachweisbar, kann noch nicht abschließend beantwortet
werden. Gewiß ist aber, daß die Vorgänge und Kundgebungen der
letzten Tage die ganze Unverfrorenheit und Tollkühnheit der ser-
bischen Austrophobie enthüllen.
     Man kann es nur billigen, wenn bei den Entscheidungen unserer
Regierung auch weiterhin jede Voreiligkeit, jedes Nachgeben gegen
Temperamentswallungen vermieden bleibe. Auch unsere öffentliche
Meinung muß ihre Ruhe bewahren. Selbst dann, wenn eine diplo-
matische Auseinandersetzung über das Drama von Sarajevo den
gleichen Verlauf nähme, wie frühere Diskussionen, in welchen das
amtliche Serbien uns vorerst durch läppische Ableugnungen ver-
höhnte und uns schließlich Versprechungen erteilte, deren Ein-
haltung nicht einen Augenblick ernstlich beabsichtigt war. Niemand
wird bei uns so naiv sein, von einer in Belgrad veranstalteten
Forschung nach Mitschuldigen der Mörder konkrete Ergebnisse zu
erwarten. Auch das Eingehen des Belgrader Kabinetts auf die
Forderung nach formeller Desavouierung der großserbischen Propa-
ganda, nach künftiger Unterdrückung dieser Bewegung wäre ledig-
lich ein diplomatischer Erfolg von sehr geringer greifbarer Be-
deutung. Nur Tatsachen könnten beweisen, daß man sich in
Belgrad unter der Wucht eines internationalen Verdikts zu einer
Umkehr bequemt, die eine wirkliche Klärung des Verhältnisses zu
Österreich-Ungarn ermöglichen würde.« 
     Nach der Mordtat von Sarajevo müsse das Verhältnis Öster-
reich-Ungarns zu Serbien nur vom Standpunkte des nüchternsten
Realismus beurteilt und geregelt werden. In Belgrad habe man Ent-
scheidungen zu treffen, deren Tragweite noch über die sachliche Er-
wägung einer hochernsten Kontroverse hinausreiche. Es handele
sich um eine letzte Erprobung der Vernunft und Einsicht der
Staatslenker Serbiens. Werde die Probe nicht bestanden, so müßte
die offizielle Politik der Monarchie durch das Beharren bei der bis-
herigen Methode den unentbehrlichen Rückhalt verlieren. Sie würde
unverständlich für die Bevölkerung Österreich-Ungarns werden.

                                             v o n   T s c h i r s c h k y


1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 14. Juli nachm.