Nr. 66. Der Geschäftsträger in Bukarest an den Reichskanzler, 18. Juli 1914

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Nr. 66
Der Geschäftsträger in Bukarest an den Reichskanzler1


Geheim !                                         Sinaia, den 14. Juli 19142

     Graf Czemin hatte, wie mir S. M. der König letzten Freitag
sagte3, tags zuvor bei Höchstdemselben Audienz gehabt. Ob und
welche Mitteilungen der österreichische Gesandte zu machen hatte,
entzieht sich meiner Kenntnis. Meinen Ausführungen gegenüber
zeigte S. M. weder Überraschung noch Beunruhigung.
     Ich hatte den Eindruck, daß dem Könige, auch abgesehen von
Höchstdessen Auffassung, daß Bulgarien jetzt nicht bündnisfähig
sei, auch der augenblickhche Zeitpunkt nicht geeignet erscheine, der-
artigen bindenden Abmachungen, wie sie Kaiser Franz Joseph vorschlägt,
näher zu treten. S. M. vertritt vielmehr die Ansicht, daß die
Veränderungen am Balkan noch nicht zum Abschluß gelangt sind
und man sich dort augenblicklich in einem Übergangsstadium be-
fände, das für derartige Abmachungen, die ruhigere Zeiten erfordern,
nicht vorteilhaft wäre.
     Höchstderselbe hat sich auch darüber nicht spontan ausgespro-
chen, ob Er von Serbien abrücken und der gegen den Bestand der
Donaumonarchie gerichteten Agitation in Rumänien entgegentreten
könnte. Ich hatte mich daher in der Befürchtung, die Audienz
werde ihr Ende erreichen, bevor mir auf die Bitten unseres Aller-
gnädigsten Herrn eine Antwort zuteil würde, veranlaßt gesehen, an
S. M. die Frage zu richten, welche Stellung Sie Allerhöchstdenselben
gegenüber einnehme. Aus der mir erteilten Antwort war zu ent-
nehmen, daß der Monarch sowohl von Serbien abzurücken, als auch
der hier im Lande herrschenden Agitation gegen Österreich-Ungarn
entgegenzutreten bereit ist. Allerdings knüpft sich an die Gewäh-
rung der letzteren Bitte die Erwartung, daß in Ungarn das Be-
streben gezeigt wird, dem Könige diese Aufgabe dadurch zu er-
leichtern, daß man den dortigen Rumänen gewisses Entgegenkom-
men erweise. Es unterhegt keinem Zweifel, daß es bei der Aus-
dehnung, die die österreichfeindliche Stimmung hierzulande nun
einmal genommen hat, wohl eines Hinweises auf den guten Willen
der Nachbarmonarchie bedürfen wird, um allmählich eine Beschwich-
tigung der Gemüter herbeizuführen. Dies dürfte sich ferner schon
aus dem Grunde empfehlen, weil man wohl darauf gefaßt sein darf,
daß von französischer und russischer Seite alles geschehen wird,
um die österreichfeindhche Agitation zu schüren, in der Absicht,
Rumänien von Österreich und damit vom Dreibund loszulösen.
S. M. meinte, die Agitation werde über den Sommer wohl zur Ruhe
kommen, im Winter aber aufs neue entbrennen können. Graf Tisza
habe einen viel versprechenden Anlauf genommen, um die Frage
der ungarländischen Rumänen einer Lösung entgegenzubringen ; allein
es sei leider dabei geblieben. Unterdessen habe sich aach auf un-
garischer Seite, insbesondere auch in der Presse, eine Agitation
gegen Rumänien gebildet, die eine Verständigung nur noch erschwere.
     Tatsächlich besteht nunmehr auf beiden Seiten der Karpathen
eine gereizte Stimmung, die bei jedem Anlaß in der Presse zum
Ausdruck kommt. Es war sicherlich ein Fehler, daß die österreichisch-
ungarischen Zeitungen die Aktion des Grafen Tisza mit solcher
Emphase verkündet haben. Hierdurch sind die Erwartungen,
die sich hier an dieselbe knüpften, nur noch gesteigert worden.
Die Enttäuschung aber war eine doppelte, als das gewünschte
Resultat ausblieb oder doch unbefriedigend erschien. Wenn die
ungarische Regierung die Führer der Agitation etwa durch ge-
schickte Verwendung im Staatsdienste mundtot zu machen ver-
möchte, so würde auch nach Ansicht hiesiger leitender Persönlich-
keiten viel gewonnen sein.
     Von den Mitteilungen, die ich S. M. gemacht habe, wollte
Höchstderselbe, wie er mir sagte, auch Herrn Bratianu Kenntnis
geben.

                                                                      W a l d b u r g


1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 18. Juli nachm. Am 21. Juli der
Botschaft in Wien mitgeteilt.
3 Freitag 10. Juli; siehe Nr. 41.