Nr. 86. Die serbische Gesandtschaft in Berlin an das Auswärtige, 20. Juli 1914

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Nr. 86
Die serbische Gesandtschaft in Berlin an das Auswärtige Amt1


                                                            Berlin, den 20. Juli 19142

     Gleich nach dem verabscheuungswürdigen Attentat in Sarajevo
begann die österreichisch-ungarische Presse die Schuld an dem Ver-
brechen Serbien und den großserbischen Ideen zuzuschreiben. So-
wohl die k. Regierung als auch die öffentliche Meinung haben
dieses Verbrechen auf das Schärfste verurteilt und deutlich
ihrem Abscheu Ausdruck verliehen. Alle Feste an dem Tage des
Attentats wurden abgesagt. Die Presse in Österreich-Ungarn hörte
jedoch nicht auf, schwere Anklagen und Beschuldigungen gegen
Serbien und großserbische Ideen zu erheben und ganz tendenziöse
Nachrichten in die Welt zu streuen, wodurch die serbische Presse
herausgefordert wurde. Die k. Regierung versuchte durch Rat-
schläge an die serbische Presse dieselbe zur ruhigen Verhaltung
und nur zu einer notwendigen Abwehr gegenüber den ganz tenden-
ziösen Nachrichten zu bestimmen. Diese Ratschläge wurden von
einigen serbischen Blättern, die gar keine Bedeutung besitzen, nicht
befolgt, da dieselben durch die Verbreitung der unglaublichsten
Nachrichten und die Tendenz in den Blättern Österreich-Ungarns,
das Verbrechen politisch gegen Serbien und das serbische Volk aus-
zunützen, neue Nahrung erfuhren. Die Polemik, die zwischen der
serbischen und österreichisch-ungarischen Presse entstand, wurde durch
den Umstand verschärft, daß die österreichisch-ungarische Presse
gewisse Stellen aus den ganz bedeutungslosen serbischen Zeitungen
herausgriff und dazu noch verschärfte und der Öffentlichkeit über-
gab mit der Tendenz, die öffentliche Meinung in Europa zu alar-
mieren. Die k. Regierung besaß gar keine Handhabe, die Pole-
mik in der serbischen Presse, die durch die Haltung der öster-
reichisch-ungarischen Presse hervorgerufen wurde, zum Stillschweigen zu
bringen, da in Serbien die Pressefreiheit durch die Verfassung garan-
tiert ist.
     Die k. Regierung hat sofort die Bereitwilligkeit ausge-
sprochen, jeden serbischen Untertan, für den die Beweise für die
Mitschuld an dem Verbrechen in Sarajevo gegeben würden, gericht-
lich zu belangen.
     Die österreichisch-ungarische Regierung hat bis zu dem heutigen
Tage der k. Regierung keine Forderungen übermittelt bezüglich
der Untersuchung und gerichtlichen Belangung irgendwelcher
Persönlichkeiten. Es wurden nur Angaben über Aufenthaltsorte
einiger aus dem Priesterseminar in Paveratz relegierten Studenten
verlangt, welchem Verlangen auch ohne weiteres stattgegeben wurde.
     Die öffentliche Meinung in Österreich-Ungarn und Europa wird
noch immer durch die Presse-Kampagne gegen Serbien gereizt, und wie
groß die Erregung ist, geht deutlich aus den Interpellationen einiger
ungarischer Parteichefs im ungarischen Parlament und der Antwort
des ungarischen Ministerpräsidenten hervor. Aus den Diskussionen
ersieht man, daß die Monarchie bei der k. Regierung Schritte
zu unternehmen beabsichtigt, — in welchem Sinne und in
welcher Form ist nicht angedeutet. Wenn man die Erregung der
öffentlichen Meinung und alles, was geschehen ist und noch geschieht,
in Betracht zieht, so kann man sich der Befürchtung nicht ver-
schließen, daß nicht vielleicht ein Schritt vorbereitet wird, der
schlechte Folgen für die nachbarschaftlichen Beziehungen Serbiens
und Österreich-Ungjirns haben könnte. Diese Befürchtung wird
noch durch die Diskussionen im ungarischen Parlament bekräftigt.
Die k. Regierung hat durch ihre Haltung und ihre Arbeit Be-
weise gegeben, daß sie alles tut, was zur Beruhigung der Ge-
müter beitragen kann, und was im Interesse der Ruhe und der guten
Beziehungen zu allen Nachbarn liegt.
     Besonders war die Sorge der k. Regierung darauf ge-
richtet, die Beziehungen zu der Nachbarmonarchie, die infolge der
letzten Kriege kälter geworden sind, zu bessern und inniger zu
gestalten. Die k. Regierung ist fest davon überzeugt, daß die Lebens -
interessen Serbiens verlangen, daß der Frieden und die Ruhe auf
dem Balkan je mehr und länger aufrechterhalten werden, und läßt
sich nur durch einen solchen Wunsch und solche Politik leiten. Die
k. Regierung befürchtet, daß die erregte öffenthche Meinung
in Österreich-Ungarn nicht vielleicht einen Anlaß biete, damit die
österreichisch-ungarische Regierung einen Schritt unternimmt, welcher
auf eine Erniedrigung Serbiens abzielen würde, welche man seitens
Serbiens nicht annehmen könnte.
     Die k. Regierung bietet3 daher die k. Regierung, den auf-
richtigen Willen und Wunsch Serbiens, mit der Nachbarmonarchie
freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten und jedem Versuch
auf dem serbischen Territorium, der darauf abzielen würde,
die Ruhe und Sicherheit in der Nachbarmonarchie zu stören, ener-
gisch entgegenzutreten, zur Kenntnis nehmen zu wollen. Ebenso ist die
k. Regierung geneigt, den Forderungen Österreich-Ungarns, die sie
an die k. Regierung stellen sollte bezüglich der gerichtlichen Ver-
folgung der Mitschuldigen, wenn es solche geben sollte, entgegenzu-
kommen.
     Die k. Regierung könnte nur solche Forderungen nicht
erfüllen, die auch jeder andere Staat, der auf seine Würde und Un-
abhängigkeit bedacht ist, nicht erfüllen könnte.
     Indem die k. Regierung aufrichtig bestrebt ist, die Situation
besser zu gestalten und gutnachbarschaftliche Beziehungen mit
der Nachbarmonarchie zu sichern und zu befestigen, bittet
sie die ihr freundschaftlich gesinnte k. Regierung, diese Er-
klärungen gütigst zur Kenntnis nehmen und im Sinne der Ver-
söhnlichkeit, sollte es sich Gelegenheit dazu bieten, gefälligst wirken
zu wollen4.


1 Nicht unterfertigte Aufzeichnung der serbischen Gesandtschaft in Berlin.
2 Eingangsvermerk des Ausvrärtigen Amts: 20. Juli nachm.
3 So im Original für »bittet«.
4 Siehe Nr. 91 und 93.