View source for 1. Der Standpunkt der deutschen Regierung von 1914

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wenn man von der lächerlichen Beschuldigung absieht, <br>
Deutschland habe die Weltherrschaft durch einen Weltkrieg er- <br>
ringen wollen, sind die Hauptvorwürfe, die der Feindbund gegen <br>
uns erhebt, daß Deutschland das Ultimatum an Serbien veran- <br>
laßt bzw. zugelassen hat, daß es den Konferenzvorschlag Greys <br>
ablehnte, daß es Österreich nicht davon abhielt, gegen Serbien <br>
militärisch vorzugehen, schließlich, daß es auf die russische Mobil- <br>
machung hin Rußland den Krieg erklärte. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Diese Anklagen gehen von der falschen Voraussetzung aus, <br>
daß die österreichisch-ungarische Politik in Berlin bestimmt wurde. <br>
Die Balkankriege haben deutlich genug gezeigt, daß der deutsche <br>
Einfluß auf Wien seine Grenzen hatte. Die Note an Serbien ist <br>
ohne deutsche Mitwirkung abgefaßt worden. Deutschland billigte <br>
ein Vorgehen Österreich-Ungarns gegen Serbien, weil es in seinem <br>
eigenen Interesse lag, daß den großserbischen Treibereien ein Ende <br>
bereitet würde. Die Wahl der Mittel wurde Wien überlassen, zu- <br>
mal die ganze Angelegenheit als eine interne Frage der Donau- <br>
monarchie angesehen worden ist. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der Konferenzvorschlag wurde abgelehnt, weil er eine Ein- <br>
mischung in den österreichisch - serbischen Streit bedeutete und <br>
nicht als ein Mittel angesehen wurde, die Krise rasch und befrie- <br>
digend zu lösen, Grey hat selbst diesen Vorschlag zugunsten <br>
der direkten Besprechungen zwischen Wien und Petersburg <br>
fallen lassen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Abgesehen davon, daß es ein gefährliches Beginnen gewesen <br>
wäre, einer Großmacht in den Arm zu fallen, die entschlossen war, <br>
ihr Recht durchzusetzen, hätte jeder Versuch, Österreich-Ungarn <br>
an einem militärischen Vorgehen gegen Serbien zu verhindern, <br>
ehe nicht alle friedlichen Mittel erschöpft waren, eine nicht gerecht- <br>
fertigte Begünstigung Serbiens dargestellt. Sobald in Berlin be- <br>
kannt wurde, daß Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt <br>
und Verhandlungen auf Grund der serbischen Antwortnote ab- <br>
gelehnt hatte, richtete (am 28. Juli) die deutsche Regierung den <br>
Vorschlag nach Wien, die Operationen auf die Besetzung eines <br>
Faustpfandes zu beschränken. Durch ein unbedingtes Veto gegen <br>
einen Krieg mit Serbien hätte Deutschland seinen einzigen verläß- <br>
lichen Bundesgenossen verloren. Nicht einmal Italien hat einen <br>
derartigen Schritt unternommen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die russische Gesamtmobilmachung war, wie die sie veran- <br>
lassenden Generäle im Suchomlinowprozeß bestätigt haben, gegen <br>
Deutschland gerichtet. Sie ist durch keinerlei deutsche Maßnahme <br>
provoziert worden. Die russischen Nachrichten von angeblichen <br>
weitgehenden Kriegsvorbereitungen Deutschlands waren unzu- <br>
treffend. Die russische Regierung hat anläßlich der Gesamtmobil- <br>
machung der deutschen keinerlei Erklärungen oder Zusicherungen <br>
abgegeben, obwohl sie wußte, daß Deutschland eine derartige <br>
Bedrohung als Kriegsgrund ansehen mußte. Das Wort des Zaren, <br>
seine Truppen würden die Grenzen nicht überschreiten, solange <br>
verhandelt würde, bot keinerlei Sicherheit und Gewähr für die <br>
Zukunft.