1. Zur Vorgeschichte der österreichisch-serbischen Krise

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WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 5 (Commentary) > II. Der österreichisch-serbische Konflikt > 1. Zur Vorgeschichte der österreichisch-serbischen Krise


     Die Krisis, die zum Weltkriege geführt hat, ist aus dem
österreichisch-serbischen Konflikte hervorgegangen, der, seit
langem latent, infolge der Ermordung des Erherzog-Thronfolgers
Franz Ferdinand und seiner Gemahlin zum Ausbruch kam und zur
Überreichung der Note vom 23. Juli 1914 führte. Die Vorgeschichte
dieser Note beginnt nicht mit dem Attentate von Sarajevo, auch
nicht mit der bosnischen Annexionskrise von 1908/09, wie es von
gegnerischer Seite meist dargestellt wird, sondern reicht weiter
zurück. Man muß auf die Spannung in den austro-serbischen
Beziehungen zurückgehen, die 1903 bei der Thronbesteigung
König Peters einsetzte, nachdem schon unter dessem Vorgänger
Alexander nach dem Rücktritt König Milans im Jahre 1889 die
Beziehungen Österreich-Ungarns zu Serbien die frühere Herzlich-
keit eingebüßt hatten.
     Am 1. März 1906 brach ein Zollkrieg zwischen Österreich-
Ungarn und Serbien aus, der sich nach kurzer Unterbrechung
durch ein Handelsprovisorium bis zum 1. September 1908 fort-
setzte und sich für die Zeit vom 1. April 1909 bis zum 24. Januar
1911 in verschärfter Form wiederholte. Diese handelspolitischen
Konflikte gaben den Serben nicht nur zur wirtschaftlichen Emanzi-
pation von Österreich-Ungarn Anlaß, sondern auch zur handels-
und verkehrspolitischen Annäherung an den werdenden Vier-
verband.
     Die Loyalitätserklärung Serbiens vom 31. März 1909 blieb
auf dem Papier. Zwar haben der Friedjung-Prozeß und der
Agramer Hochverratsprozeß von 1909 nicht zur Überführung
Schuldiger und zur Entlarvung der Urheber der großserbischen,
gegen den Bestand der Donau-Monarchie gerichteten Bewegung
geführt. Ziel und Ursprung dieser Bestrebungen lassen sich aber
deutlich aus dem seither veröffentlichten serbischen und russischen
Urkundenmaterial erkennen.
     Obwohl Österreich-Ungarn durch die Räumung und Nicht-
wiederbesetzung des Sandschaks auch Serbien gegenüber Ent-
gegenkommen bewies und die durch den Bukarester Frieden vom
10. August 1913 erfolgte erhebliche Machtsteigerung Serbiens
schließlich ruhig hinnahm, trieb letzteres seine dem ausdrück-
lichen Willen der Großmächte widersprechenden albanischen
Aspirationen schon im Herbst 1913 wieder so weit, daß ein auf
acht Tage befristetes Ultimatum erforderlich wurde. Weitere
feindliche Handlungen lassen sich für die erste Hälfte des Jahres
1914 ermitteln*).
     Die ganze Außenpolitik Serbiens basierte, wie sich heute nach-
weisen läßt, damals aber schon offenbar geworden war, auf der
Hoffnung, bei einer künftigen Aufteilung Österreich-Ungarns
große Gebietsteile des Nachbarstaates zu erwerben. In diesen
Hoffnungen wurde Serbien von Rußland bestärkt, und zwar nicht
allein von panslawistischen Kreisen, sondern auch von den ver-
antwortlichen Leitern der russischen Politik. Auf Grund dieses
großserbischen Programms wurde von Belgrad aus in Österreich
und Ungarn eine intensive Propaganda betrieben, welche die Los-
reißung der Serbien von Rußland in Aussicht gestellten Gebietsteile
anläßlich des mit Sicherheit erwarteten kriegerischen Konfliktes
vorbereiten sollte.


 *) Helfferich, Vorgeschichte des Weltkrieges, S. 184.