View source for 2. Französische Kriegsvorbereitungen

[[Main_Page | WWI Document Archive ]] > [[Official Papers]] > [[Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 &mdash; Volume 5 (Commentary)]] > [[VI. Die deutsch-französische Krise]] > '''2. Französische Kriegsvorbereitungen'''<hr>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die französische Regierung hat sehr frühzeitig militärische <br>
Maßnahmen getroffen. Diese standen offensichtlich mit denen <br>
Rußlands in Zusammenhang. Am 27. Juli wurden die Manöver <br>
abgebrochen und die Truppen in ihre Standorte zurückgeführt. <br>
In Rußland war dies bereits am 25. Juli geschehen. In Deutsch- <br>
land wurde diese Maßnahme erst am 29. Juli verfügt. Am 28. Juli <br>
fanden offenkundige Mobilmachungsvorbereitungen statt. Als <br>
die Meldung über schnell fortschreitende militärische Maßnahmen <br>
Frankreichs sich mehrten, insbesondere auch Truppenverschie- <br>
bungen an der Ostgrenze bekannt wurden, sah sich die deutsche <br>
Regierung veranlaßt, am 29. Juli eine freundschaftliche Warnung <br>
nach Paris zu richten und darauf hinzuweisen, daß derartige Maß- <br>
nahmen Deutschland zu Gegenmaßregeln zwingen und dadurch <br>
die Spannung erhöhen würden (Weißbuch Nr. 341). Viviani stellte <br>
die französischen Kriegsvorbereitungen noch am gleichen Tage <br>
nicht in Abrede, versicherte jedoch, daß sie keinen bedrohlichen <br>
Charakter hätten (Weißbuch Nr. 367, Gelbbuch Nr. 101). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Tatsächlich standen jedoch die französischen Kriegsvor- <br>
bereitungen mit den russischen offenbar im engsten Zusammen- <br>
hange. Ob diese Übereinstimmung auf den französisch-russischen <br>
Verträgen oder auf besonderen Vereinbarungen beruhte, ist noch <br>
nicht ersichtlich. Es ist keineswegs gesagt, daß anläßlich des <br>
Besuchs Poincarés hierüber eine Abrede getroffen wurde. Artikel II <br>
der französisch - russischen Militärkonvention vom 17. August <br>
1892 lautet: <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Im Falle der Mobilisation der Streitkräfte des Dreibundes oder einer <br>
der ihm angehörigen Mächte werden Frankreich und Rußland, bei der ersten <br>
Nachricht von diesem Ereignis und ohne vorhergehende Vereinbarung, un- <br>
verzüglich und gleichzeitig ihre gesamten Streitkräfte mobilisieren und sie in <br>
möglichster Nähe ihrer Grenzen konzentrieren." <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In Österreich-Ungarn war die Mobilisierung von 8 Korps <br>
gegen Serbien im Gange. Rußland hat mit dieser Tatsache Frank- <br>
reich gegenüber seine Teilmobilmachung begründet (Gelbbuch <br>
Nr. 95, 101), während es dieselbe in Berlin lediglich mit der Kriegs- <br>
erklärung an Serbien motivierte (Blaubuch Nr. 70, I). Diese Tat- <br>
sache oder die falschen Meldungen über eine österreichisch-unga- <br>
rische Mobilisierung gegen Rußland (Gelbbuch Nr. 77, 90, 91) mögen <br>
die französischen Kriegsmaßnahmen auf Grund des Bündnisvertrages <br>
herbeigeführt haben. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Andererseits hat aber der französische Botschafter in Peters- <br>
burg bereits am 24. Juli erklärt, Frankreich werde alle Verpflich- <br>
tungen erfüllen, die das Bündnis mit Rußland nach sich ziehen <br>
müßte (Blaubuch Nr. 6). Noch e h e &nbsp; d i e &nbsp; r u s s i s c h e &nbsp; G e - <br>
s a m t m o b i l m a c h u n g &nbsp; b e s c h l o s s e n &nbsp; w a r , &nbsp; g a b &nbsp; e r <br>
i m &nbsp; A u f t r a g e &nbsp; s e i n e r &nbsp; R e g i e r u n g &nbsp; (das betreffende Tele- <br>
gramm fehlt im Gelbbuch) d i e &nbsp; E r k l ä r u n g &nbsp; a b , &nbsp; d a ß &nbsp; R u ß - <br>
l a n d &nbsp; v o l l s t ä n d i g &nbsp; a u f &nbsp; d i e &nbsp; U n t e r s t ü t z u n g &nbsp; d e s <br>
v e r b ü n d e t e n &nbsp; F r a n k r e i c h s &nbsp; z ä h l e n &nbsp; k ö n n e . Sa- <br>
sonow dankte für diese Zusicherung am 29. Juli (Orangebuch Nr. 58) <br>
und erklärte, daß er mit der wahrscheinlichen Unvermeidlichkeit <br>
des Krieges rechne. Viviani bestätigte hierauf noch am selben <br>
Tage seine frühere Zusage, „Frankreich ist entschlossen, alle seine <br>
Bündnispflichten zu erfüllen" (Gelbbuch Nr. 101). Statt Rußland <br>
vor übereilten Schritten zu warnen, ließ er am 30. Juli in Peters- <br>
burg lediglich den Rat erteilen, „unmittelbar keinerlei Anordnungen <br>
zu treffen, die Deutschland einen Vorwand zu einer ganzen oder <br>
teilweisen Mobilmachung seiner Kräfte bieten würde" (Gelbbuch <br>
Nr. 101). Dieser Rat konnte die russische Gesamtmobilmachung <br>
nicht aufhalten, sollte es auch nicht. Diese verspätete Warnung <br>
änderte ebenfalls nichts an der Tatsache, daß Frankreich augen- <br>
scheinlich von vornherein bereit war, Rußland beizustehen und <br>
es wegen der serbischen Frage zum europäischen Kriege kommen <br>
zu lassen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Nach Bekanntwerden der russischen Gesamtmobilmachung <br>
nötigten die weit vorgeschrittenen Kriegsvorbereitungen Frank- <br>
reichs ebenso wie seine bekannten Bündnisverpfhchtungen gegen- <br>
über Rußland die deutsche Regierung, von der französischen eine <br>
Erklärung darüber zu verlangen, „ob sie in einem russisch-deutschen <br>
Kriege neutral bleiben wolle" (Weißbuch Nr. 491). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Über die französische Haltung konnte in Anbetracht der vor- <br>
geschrittenen militärischen Maßnahmen kein Zweifel bestehen. <br>
Viviani telegraphierte noch am 31. Juli nach Petersburg: <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Ich habe nicht die Absicht, dem deutschen Botschafter eine Erklärung <br>
über Frankreichs Haltung im Falle eines Konfliktes zwischen Deutschland <br>
und Rußland abzugeben, und ich werde mich darauf beschränken, ihm zu sagen, <br>
F r a n k r e i c h &nbsp; w e r d e &nbsp; s i c h &nbsp; d u r c h &nbsp; s e i n e &nbsp; I n t e r e s s e n &nbsp; l e i t e n <br>
l a s s e n . Die Regierung der Republik schuldet in der Tat nur ihren Ver- <br>
bündeten über ihre Absichten Rechenschaft." (Gelbbuch Nr. 117.) <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Tatsächlich erteilte Viviani dem deutschen Botschafter am <br>
1. August mittags diese unzweideutige Antwort (Weißbuch Nr. 571). <br>
Schoen hatte deshalb keinen Anlaß, die Frage der Gewährung von <br>
Bürgschaften für Frankreichs Neutralität zu berühren. Gleich- <br>
zeitig mit der Anfrage nach der französischen Haltung im Kriegs- <br>
falle war ihm folgende Weisung zugegangen: <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Wenn, wie nicht anzunehmen, französische Regierung erklärt, neutral <br>
zu bleiben, wollen Euere Exzellenz französischer Regierung erklären, daß <br>
wir als Pfand für Neutralität Überlassung der Festungen Toul und Verdun <br>
fordern müssen, die wir besetzen und nach Beendigung des Krieges mit Ruß- <br>
land zurückgeben würden." (Weißbuch Nr. 491.) <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die zweifellos sehr weitgehende Forderung der Besetzung <br>
französischer Festungen durch deutsche Truppen war angesichts <br>
der politischen und militärischen Lage nicht ungerechtfertigt. Mit <br>
einer widerruflichen Neutralitätserklärung konnte sich Deutsch- <br>
land nicht begnügen. Für ihre Innehaltung hätten seitens Frank- <br>
reichs greifbare Bürgschaften geboten werden müssen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In der ersten Sitzung der Pariser Friedenskonferenz hat Poin- <br>
care am 18. Januar 1919 in seiner Eröffnungsrede, einem welt- <br>
geschichtlichen Dokument des Hasses, ausgeführt, der deutsche <br>
Botschafter sei angewiesen worden zu erklären: „Wir werden von <br>
Euch eine Neutralitätserklärung nur annehmen, wenn Ihr uns <br>
B r i e y , Toul und Verdun ausliefert." Die Forderung nach realen <br>
Garantien ist der französischen Regierung seinerzeit nicht bekannt <br>
gewesen, hat also auf ihre Haltung keinen Einfluß ausüben können. <br>
Im übrigen hat sich die deutsche Regierung am 1. August bereit <br>
gezeigt, für die französische Neutralität die Garantie Englands <br>
anzunehmen (Weißbuch Nr. 575, 578 und 579). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Lage in Paris am 1. August kennzeichnet das Telegramm <br>
Iswolskis von diesem Tage, in dem es heißt: <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Ungeachtet der heute mäßigeren Demarche des deutschen Botschafters <br>
ist die französische Regierung wegen der außerordentliciien miütärischen Maß- <br>
nahmen Deutschlands an der französischen Grenze äußerst besorgt, denn sie <br>
ist davon überzeugt, daß unter der Hülle des sogenannten ,Kriegs(gefahr)- <br>
zustandes' die wirkliche Mobilmachung vor sich geht, was die französische Armee <br>
in eine ungünstige Lage bringen kann. Andererseits ist es a u s p o l i t i s c h e n <br>
E r w ä g u n g e n &nbsp; i n &nbsp; b e z u g &nbsp; s o w o h l &nbsp; a u f &nbsp; I t a l i e n &nbsp; a l s &nbsp; a u c h <br>
E n g l a n d &nbsp; f ü r &nbsp; F r a n k r e i c h &nbsp; s e h r &nbsp; w i c h t i g , &nbsp; d a ß &nbsp; s e i n e &nbsp; M o - <br>
b i l m a c h u n g &nbsp; d e r j e n i g e n &nbsp; D e u t s c h l a n d s &nbsp; n i c h t &nbsp; v o r a u s - <br>
g e h t , &nbsp; s o n d e r n &nbsp; a l s &nbsp; e i n e &nbsp; A n t w o r t &nbsp; a u f &nbsp; d i e &nbsp; l e t z t e r e &nbsp; e r - <br>
s c h e i n t . Diese Frage wird augenblicklich im Elysee im Ministerrat erwogen, <br>
und es ist sehr wahrscheinlich, daß er die allgemeine Mobilmachung beschließen<br> 
wird." (Orangebuch Nr. 73, vervollständigter Text nach der deutschen All- <br>
gemeinen Zeitung vom 20. Mai 1919.) <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Als die französische Regierung am 1. August um 3,40 Uhr <br>
nachmittags Pariser Zeit (Blaubuch Nr. 136), die allgemeine Mobil- <br>
machung verfügte, hat sie diese Maßnahme unzutreffenderweise <br>
mit der angeblich vorher erfolgten deutschen Mobilmachung be- <br>
gründet (Gelbbuch Nr. 127). Diese letztere wurde erst am 1 . August, <br>
5 Uhr nachmittags mitteleuropäischer Zeit, angeordnet. In Wirk- <br>
lichkeit wurde die französische Mobilmachung, wie aus dem Orange- <br>
buch (Nr. 74) bekannt ist, auf die Nachricht hin verfügt, die deutsche <br>
Regierung habe die Einstellung der russischen Rüstungen gefordert <br>
und angekündigt, daß widrigenfalls die deutsche Mobilisierung <br>
erfolgen müsse.