2. Vermittlungsvorschläge: Difference between revisions

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Am 27. Juli ging die serbische Antwortnote in Berlin, Peters-  
Am 27. Juli ging die serbische Antwortnote in Berlin, Peters- <br>
burg, Paris und London ein. Die Regierungen der Drei Verbands-  
burg, Paris und London ein. Die Regierungen der Drei Verbands- <br>
länder sahen sie als ausreichend und sehr entgegenkommend an.  
länder sahen sie als ausreichend und sehr entgegenkommend an. <br>


In absichtlicher und unabsichtUcher Verkennung der Methoden  
In absichtlicher und unabsichtUcher Verkennung der Methoden <br>
der serbischen Pohtik verschlossen sie sich der Hinterhältigkeit  
der serbischen Pohtik verschlossen sie sich der Hinterhältigkeit <br>
und Zweideutigkeit der Antwort auf manche der österreichisch-  
und Zweideutigkeit der Antwort auf manche der österreichisch- <br>
ungarischen Forderungen. Es ist auch ganz natürlich, daß sich  
ungarischen Forderungen. Es ist auch ganz natürlich, daß sich <br>
alle Fernerstehenden nur dem günstigen Gesamteindruck hin-  
alle Fernerstehenden nur dem günstigen Gesamteindruck hin- <br>
gaben, während das unmittelbar beteiligte Wiener Kabinett mit  
gaben, während das unmittelbar beteiligte Wiener Kabinett mit <br>
unerfreulicher Akribie nach Unzulänglichkeiten forschte.  
unerfreulicher Akribie nach Unzulänglichkeiten forschte. <br>


Am 27. Juli wandte sich Gray nach Berlin mit der Bitte, die  
Am 27. Juli wandte sich Gray nach Berlin mit der Bitte, die <br>
deutsche Regierung möge in Wien befürworten, daß sich Wien  
deutsche Regierung möge in Wien befürworten, daß sich Wien <br>
entweder mit der serbischen Antwort begnüge oder  
entweder mit der serbischen Antwort begnüge oder <br>
aber sie als Grundlage für Unterhandlungen be-  
aber sie als Grundlage für Unterhandlungen be- <br>
trachte (Weißbuch Nr. 258, Blaubuch Nr. 46). Die deutsche  
trachte (Weißbuch Nr. 258, Blaubuch Nr. 46). Die deutsche <br>
Regierung ist diesem Wunsche sogleich nachgekommen und hat  
Regierung ist diesem Wunsche sogleich nachgekommen und hat <br>
die Annahme des englischen Vorschlages in Wien mit folgenden  
die Annahme des englischen Vorschlages in Wien mit folgenden <br>
Worten empfohlen:  
Worten empfohlen: <br>


„Nachdem wir bereits einen englischen Konferenzvorschlag abgelehnt  
„Nachdem wir bereits einen englischen Konferenzvorschlag abgelehnt <br>
haben, ist es uns unmöglich, auch diese englische Anregung a limine abzu-  
haben, ist es uns unmöglich, auch diese englische Anregung a limine abzu- <br>
weisen. Durch eine Ablehnung jeder Vermittlungsaktion würden wir von  
weisen. Durch eine Ablehnung jeder Vermittlungsaktion würden wir von <br>
der ganzen Welt für die Konflagration verantwortlich gemacht und als die  
der ganzen Welt für die Konflagration verantwortlich gemacht und als die <br>
eigentlichen Treiber zum Kriege hingestellt werden. Das würde auch unsere  
eigentlichen Treiber zum Kriege hingestellt werden. Das würde auch unsere <br>
eigene Stellung im Lande unmöglich machen, wo wir als die zum Kriege Ge-  
eigene Stellung im Lande unmöglich machen, wo wir als die zum Kriege Ge- <br>
zwungenen dastehen müssen. Unsere Situation ist um so schwieriger, als  
zwungenen dastehen müssen. Unsere Situation ist um so schwieriger, als <br>
Serbien scheinbar sehr weit nachgegeben hat. Wir können daher die Rolle  
Serbien scheinbar sehr weit nachgegeben hat. Wir können daher die Rolle <br>
des Vermittlers nicht abweisen und müssen den englischen Vorschlag dem  
des Vermittlers nicht abweisen und müssen den englischen Vorschlag dem <br>
Wiener Kabinett zur Erwägung unterbreiten, zumal London und Paris fort-  
Wiener Kabinett zur Erwägung unterbreiten, zumal London und Paris fort- <br>
gesetzt auf Petersburg einwirken. Erbitte Graf Berchtolds Ansicht über die  
gesetzt auf Petersburg einwirken. Erbitte Graf Berchtolds Ansicht über die <br>
englische Anregung, ebenso wie über Wunsch Herrn Sasonows, mit Wien direkt  
englische Anregung, ebenso wie über Wunsch Herrn Sasonows, mit Wien direkt <br>
zu verhandeln." (Weißbuch Nr. 277.)  
zu verhandeln." (Weißbuch Nr. 277.) <br>


Die österreichisch-ungarische Regierung lehnte diesen Vor-  
Die österreichisch-ungarische Regierung lehnte diesen Vor- <br>
schlag jedoch am 29. Juli unter Hinweis auf die Eröffnung der  
schlag jedoch am 29. Juli unter Hinweis auf die Eröffnung der <br>
Feindseligkeiten durch Serbien und die inzwischen erfolgte Kriegs-  
Feindseligkeiten durch Serbien und die inzwischen erfolgte Kriegs- <br>
erklärung ab (Weißbuch Nr. 400, Rotbuch 1919, HI, Nr. 25).  
erklärung ab (Weißbuch Nr. 400, Rotbuch 1919, HI, Nr. 25). <br>


Berchtold hat anscheinend die von Szögyeny (in Rotbuch H,  
Berchtold hat anscheinend die von Szögyeny (in Rotbuch H, <br>
Nr. 68) gemeldete Warnung Jagows vor englischen Vorschlägen,  
Nr. 68) gemeldete Warnung Jagows vor englischen Vorschlägen, <br>
mit denen er sich „in keiner Weise identifiziere", auf diese An-  
mit denen er sich „in keiner Weise identifiziere", auf diese An- <br>
regung bezogen, obwohl sie von Bethmann Hollweg ,,zur Er-  
regung bezogen, obwohl sie von Bethmann Hollweg ,,zur Er- <br>
wägung unterbreitet", also empfohlen wurde (Rotbuch 1919, H,  
wägung unterbreitet", also empfohlen wurde (Rotbuch 1919, H, <br>
Nr. 82, HI, Nr. 25). Wie diese Auffassung entstehen konnte,  
Nr. 82, HI, Nr. 25). Wie diese Auffassung entstehen konnte, <br>
ist nicht recht verständlich, da Szögyeny berichtet hatte, ,,die  
ist nicht recht verständlich, da Szögyeny berichtet hatte, ,,die <br>
deutsche Regierung würde bei jedem einzelnen der-  
deutsche Regierung würde bei jedem einzelnen der- <br>
artigen Verlangen Englands in Wien demselben (?) auf das  
artigen Verlangen Englands in Wien demselben (?) auf das <br>
ausdrücklichste erklären, daß es in keiner Weise  
ausdrücklichste erklären, daß es in keiner Weise <br>
derartige Interventionsverlangen Österreich-Ungarn gegenüber  
derartige Interventionsverlangen Österreich-Ungarn gegenüber <br>
unterstütze und nur, um dem Wunsche Englands zu entsprechen,  
unterstütze und nur, um dem Wunsche Englands zu entsprechen, <br>
dieselben weitergebe", überdies erfolgte die Ablehnung in Wien  
dieselben weitergebe", überdies erfolgte die Ablehnung in Wien <br>
am 29. Juli abends (Rotbuch 1919, III, Nr. 25), also zu einer Zeit,  
am 29. Juli abends (Rotbuch 1919, III, Nr. 25), also zu einer Zeit, <br>
wo der nachstehend behandelte deutsche Vorschlag vom  
wo der nachstehend behandelte deutsche Vorschlag vom <br>
28. JuH (Weißbuch Nr. 323), der ebenfalls auf das von Serbien  
28. JuH (Weißbuch Nr. 323), der ebenfalls auf das von Serbien <br>
gezeigte Entgegenkommen Bezug nahm, bereits in Wien bekannt  
gezeigte Entgegenkommen Bezug nahm, bereits in Wien bekannt <br>
gewesen sein muß.  
gewesen sein muß. <br>


Nach der Ablehnung dieses englischen Vorschlages und nach  
Nach der Ablehnung dieses englischen Vorschlages und nach <br>
erfolgter Kriegserklärung an Serbien war jede Aussicht auf eine  
erfolgter Kriegserklärung an Serbien war jede Aussicht auf eine <br>
friedliche Beilegung des österreichisch -serbischen Streites  
friedliche Beilegung des österreichisch -serbischen Streites <br>
vorerst beseitigt. Die deutsche Regierung unterbreitete daraufhin  
vorerst beseitigt. Die deutsche Regierung unterbreitete daraufhin <br>
sogleich in Wien einen Vorschlag, der geeignet war, sowohl dem  
sogleich in Wien einen Vorschlag, der geeignet war, sowohl dem <br>
berechtigten Verlangen Österreich-Ungarns nach Genugtuung  
berechtigten Verlangen Österreich-Ungarns nach Genugtuung <br>
und Sicherheiten für die Zukunft Rechnung zu tragen, wie auch  
und Sicherheiten für die Zukunft Rechnung zu tragen, wie auch <br>
die Erhaltung Serbiens und die Wahrung der russischen Interessen  
die Erhaltung Serbiens und die Wahrung der russischen Interessen <br>
am Balkan zu gewährleisten. Es ist dies der auf Anregung des  
am Balkan zu gewährleisten. Es ist dies der auf Anregung des <br>
Kaisers (Weißbuch Nr. 293) zurückzuführende Vorschlag einer  
Kaisers (Weißbuch Nr. 293) zurückzuführende Vorschlag einer <br>
Besetzung Belgrads oder anderer serbischer Gebietsteile als Faust-  
Besetzung Belgrads oder anderer serbischer Gebietsteile als Faust- <br>
pfand (Weißbuch Nr. 323), der mit den Worten schließt:  
pfand (Weißbuch Nr. 323), der mit den Worten schließt: <br>


„Erkennt die russische Regierung die Berechtigung dieses Standpunktes  
„Erkennt die russische Regierung die Berechtigung dieses Standpunktes <br>
nicht an, so wird sie die öffentliche Meinung ganz Europas gegen sich haben,  
nicht an, so wird sie die öffentliche Meinung ganz Europas gegen sich haben, <br>
die im Begriffe steht, sich von Österreich abzuwenden. Als eine weitere Folge  
die im Begriffe steht, sich von Österreich abzuwenden. Als eine weitere Folge <br>
wird sich die allgemeine diplomatische und wahrscheinlich auch die militärische  
wird sich die allgemeine diplomatische und wahrscheinlich auch die militärische <br>
Lage sehr wesentlich zugunsten_österreich-Ungarns und seiner Verbündeten  
Lage sehr wesentlich zugunsten_österreich-Ungarns und seiner Verbündeten <br>
verschieben.  
verschieben. <br>


Euere Exzellenz wollen sich umgehend in diesem Sinne dem Grafen  
Euere Exzellenz wollen sich umgehend in diesem Sinne dem Grafen <br>
Berchtold gegenüber nachdrücklich aussprechen und eine entsprechende De-  
Berchtold gegenüber nachdrücklich aussprechen und eine entsprechende De- <br>
marche in St. Petersburg anregen. Sie werden es dabei sorgfältig zu vermeiden  
marche in St. Petersburg anregen. Sie werden es dabei sorgfältig zu vermeiden <br>
haben, daß der Eindruck entsteht, als wünschten wir Österreich zurückzuhalten.  
haben, daß der Eindruck entsteht, als wünschten wir Österreich zurückzuhalten. <br>
Es handelt sich lediglich darum, einen Modus zu finden, der die Verwirklichung  
Es handelt sich lediglich darum, einen Modus zu finden, der die Verwirklichung <br>
des von Österreich-Ungarn erstrebten Zieles, der großserbischen Propaganda  
des von Österreich-Ungarn erstrebten Zieles, der großserbischen Propaganda <br>
den Lebensnerv zu unterbinden, ermöglicht, ohne gleichzeitig einen Weltkrieg  
den Lebensnerv zu unterbinden, ermöglicht, ohne gleichzeitig einen Weltkrieg <br>
zu entfesseln und, wenn dieser schließlich nicht zu vermeiden ist, die Bedingungen,  
zu entfesseln und, wenn dieser schließlich nicht zu vermeiden ist, die Bedingungen, <br>
unter denen er zu führen ist, für uns nach Tunlichkeit zu verbessern."  
unter denen er zu führen ist, für uns nach Tunlichkeit zu verbessern." <br>


Am 29. Juli wurde erneut auf diesen Ausweg hingewiesen  
Am 29. Juli wurde erneut auf diesen Ausweg hingewiesen <br>
(Weißbuch Nr. 384).  
(Weißbuch Nr. 384). <br>


Daß diese von der deutschen Regierung vorgeschlagene  
Daß diese von der deutschen Regierung vorgeschlagene <br>
Lösung wohl am besten geeignet war, die Erweiterung des Kon-  
Lösung wohl am besten geeignet war, die Erweiterung des Kon- <br>
fliktes zu verhüten und den Interessen aller Parteien Rechnung  
fliktes zu verhüten und den Interessen aller Parteien Rechnung <br>
zu tragen, geht aus der Tatsache hervor, daß Grey (der von dem  
zu tragen, geht aus der Tatsache hervor, daß Grey (der von dem <br>
Telegramm nach Wien, Weißbuch Nr. 323, wußte — siehe Blau-  
Telegramm nach Wien, Weißbuch Nr. 323, wußte — siehe Blau- <br>
buch Nr. 75, Einleitung § 6, letzter Absatz, und Oman, S, 54)  
buch Nr. 75, Einleitung § 6, letzter Absatz, und Oman, S, 54) <br>
am folgenden Tage mit einem ähnlich lautenden Vorschlage  
am folgenden Tage mit einem ähnlich lautenden Vorschlage <br>
hervortrat (Weißbuch Nr. 368, Blaubuch Nr. 88). . Dieser wurde  
hervortrat (Weißbuch Nr. 368, Blaubuch Nr. 88). . Dieser wurde <br>
von Berlin nach Wien gleichfalls weitergegeben und energisch be-  
von Berlin nach Wien gleichfalls weitergegeben und energisch be- <br>
fürwortet (Weißbuch Nr. 395), ebenso wie das Telegramm des  
fürwortet (Weißbuch Nr. 395), ebenso wie das Telegramm des <br>
Königs von England an den Prinzen Heinrich von Preußen vom  
Königs von England an den Prinzen Heinrich von Preußen vom <br>
30. Juli, das den gleichen Vorschlag enthielt (Weißbuch Nr. 452, 464).  
30. Juli, das den gleichen Vorschlag enthielt (Weißbuch Nr. 452, 464). <br>
Schließlich hat auch Kaiser Wilhelm in einem persönlichen  
Schließlich hat auch Kaiser Wilhelm in einem persönlichen <br>
Telegramm an Kaiser Franz Joseph auf eine baldige Entscheidung  
Telegramm an Kaiser Franz Joseph auf eine baldige Entscheidung <br>
für die deutschen Vorschläge gedrängt (Weißbuch Nr. 437).  
für die deutschen Vorschläge gedrängt (Weißbuch Nr. 437). <br>


Auf die Nachricht hin, daß die direkten Besprechungen  
Auf die Nachricht hin, daß die direkten Besprechungen <br>
zwischen Wien und Petersburg zum Stillstand gekommen seien,  
zwischen Wien und Petersburg zum Stillstand gekommen seien, <br>
telegraphierte Bethmann Hollweg am 29. Juli nach Wien:  
telegraphierte Bethmann Hollweg am 29. Juli nach Wien: <br>


„Rußland beschwert sich, daß die Unterhaltungen weder durch Herrn  
„Rußland beschwert sich, daß die Unterhaltungen weder durch Herrn <br>
Schebeko noch durch Graf Szapary Fortlauf genommen hätten. Wir müssen  
Schebeko noch durch Graf Szapary Fortlauf genommen hätten. Wir müssen <br>
daher, um eine allgemeine Katastrophe aufzuhalten oder jedenfalls Rußland  
daher, um eine allgemeine Katastrophe aufzuhalten oder jedenfalls Rußland <br>
ins Unrecht zu setzen, dringend wünschen, daß Wien Konversationen (gemäß  
ins Unrecht zu setzen, dringend wünschen, daß Wien Konversationen (gemäß <br>
Weißbuch Nr. 323) beginnt und fortsetzt." (Weißbuch Nr. 385.)  
Weißbuch Nr. 323) beginnt und fortsetzt." (Weißbuch Nr. 385.) <br>


Als ebenfalls nach London gemeldet wurde, daß Sasonow die  
Als ebenfalls nach London gemeldet wurde, daß Sasonow die <br>
direkten Besprechungen als abgebrochen betrachte, schlug ferner  
direkten Besprechungen als abgebrochen betrachte, schlug ferner <br>
Grey am 29. Juli abermals die Vermittlung der vier  
Grey am 29. Juli abermals die Vermittlung der vier <br>
Mächte vor. (Blaubuch Nr. 84. In dem entsprechenden Tele-  
Mächte vor. (Blaubuch Nr. 84. In dem entsprechenden Tele- <br>
gramm Lichnowskys — Weißbuch Nr. 357 — ist der Vorschlag  
gramm Lichnowskys — Weißbuch Nr. 357 — ist der Vorschlag <br>
nicht enthalten.) Die deutsche Regierung, die sich bereits am  
nicht enthalten.) Die deutsche Regierung, die sich bereits am <br>
24. und 25. Juli mit einer Vermittlung zu vieren einverstanden  
24. und 25. Juli mit einer Vermittlung zu vieren einverstanden <br>
erklärt hatte, gab der österreichisch-ungarischen Regierung bei  
erklärt hatte, gab der österreichisch-ungarischen Regierung bei <br>
der Mitteilung des englischen Vorschlages, die Besetzung Belgrads  
der Mitteilung des englischen Vorschlages, die Besetzung Belgrads <br>
betreffend, den dringlichen Rat, die Vermittlung der Mächte  
betreffend, den dringlichen Rat, die Vermittlung der Mächte <br>
anzunehmen. Es heißt in diesem Telegramm (Weißbuch Nr. 395):  
anzunehmen. Es heißt in diesem Telegramm (Weißbuch Nr. 395): <br>


,,Wir stehen somit, falls Österreich jede Vermittlung ablehnt, vor einer  
,,Wir stehen somit, falls Österreich jede Vermittlung ablehnt, vor einer <br>
Konflagration, bei der England gegen uns, Italien und Rumänien nach allen  
Konflagration, bei der England gegen uns, Italien und Rumänien nach allen <br>
Anzeichen nicht mit uns gehen würden, so daß wir zwei gegen vier Großmächte  
Anzeichen nicht mit uns gehen würden, so daß wir zwei gegen vier Großmächte <br>
ständen. Deutschland fiele durch Gegnerschaft Englands das Hauptgewicht  
ständen. Deutschland fiele durch Gegnerschaft Englands das Hauptgewicht <br>
des Kampfes zu. Österreichs politisches Prestige, die Waffenehre seiner Armee,  
des Kampfes zu. Österreichs politisches Prestige, die Waffenehre seiner Armee, <br>
sowie seine berechtigten Ansprüche Serbien gegenüber könnten durch die  
sowie seine berechtigten Ansprüche Serbien gegenüber könnten durch die <br>
Besetzung Belgrads oder anderer Plätze hinreichend gewahrt werden. Es  
Besetzung Belgrads oder anderer Plätze hinreichend gewahrt werden. Es <br>
v/ürde durch Demütigung Serbiens seine Stellung im Balkan wie Rußland gegen-  
v/ürde durch Demütigung Serbiens seine Stellung im Balkan wie Rußland gegen- <br>
über wieder stark machen. Unter diesen Umständen müssen wir der Erwägung  
über wieder stark machen. Unter diesen Umständen müssen wir der Erwägung <br>
des Wiener Kabinetts dringend und nachdrücklich anheim-  
des Wiener Kabinetts dringend und nachdrücklich anheim- <br>
stellen, die Vermittlung zu den angegebenen ehrenvollen Be-  
stellen, die Vermittlung zu den angegebenen ehrenvollen Be- <br>
dingungen anzunehmen. Die Verantwortung für die sonst eintretenden  
dingungen anzunehmen. Die Verantwortung für die sonst eintretenden <br>
Folgen wäre für Österreich-Ungarn und uns eine ungemein schwere."  
Folgen wäre für Österreich-Ungarn und uns eine ungemein schwere." <br>


Die deutsche Regierung hat gleichzeitig mit vorstehendem  
Die deutsche Regierung hat gleichzeitig mit vorstehendem <br>
Telegramm auf die Meldung ihres Botschafters in Petersburg hin,  
Telegramm auf die Meldung ihres Botschafters in Petersburg hin, <br>
daß das Wiener Kabinett nach Mitteilung Sasonows den Weg  
daß das Wiener Kabinett nach Mitteilung Sasonows den Weg <br>
direkten Gedankenaustausches mit Petersburg nicht beschritten  
direkten Gedankenaustausches mit Petersburg nicht beschritten <br>
habe, folgende ernste Warnung nach Wien gesandt :  
habe, folgende ernste Warnung nach Wien gesandt: <br>


„Wir können Österreich-Ungarn nicht zumuten, mit Serbien zu ver-  
„Wir können Österreich-Ungarn nicht zumuten, mit Serbien zu ver- <br>
handeln, mit dem es im Kriegszustand begriffen ist. Die Verweigerung jeden  
handeln, mit dem es im Kriegszustand begriffen ist. Die Verweigerung jeden <br>
Meinungsaustausches mit Petersburg aber würde ein schwerer Fehler sein,  
Meinungsaustausches mit Petersburg aber würde ein schwerer Fehler sein, <br>
da er kriegerisches Eingreifen Rußlands geradezu provoziert, das zu vermeiden  
da er kriegerisches Eingreifen Rußlands geradezu provoziert, das zu vermeiden <br>
Österreich-Ungarn in erster Linie interessiert ist. Wir sind zwar be-  
Österreich-Ungarn in erster Linie interessiert ist. Wir sind zwar be- <br>
reit, unsere B u n d e s p f 1 i c h t zu erfüllen, müssen es  
reit, unsere B u n d e s p f l i c h t zu erfüllen, müssen es <br>
aber ablehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne  
aber ablehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne <br>
Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand  
Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand <br>
hineinziehen zu lassen. Auch in italienischer Frage scheint Wien  
hineinziehen zu lassen. Auch in italienischer Frage scheint Wien <br>
unsere Ratschläge zu mißachten. Bitte sich gegen Graf Berchtold sofort mit  
unsere Ratschläge zu mißachten. Bitte sich gegen Graf Berchtold sofort mit <br>
allem Nachdruck und großem Ernst aussprechen." (Weißbuch Nr. 396.)  
allem Nachdruck und großem Ernst aussprechen." (Weißbuch Nr. 396.) <br>


Schließlich sandte Bethmann Hollweg am 30. Juli noch  
Schließlich sandte Bethmann Hollweg am 30. Juli noch <br>
folgendes Telegramm nach Wien:  
folgendes Telegramm nach Wien: <br>


„Wenn Wien, wie nach dem telephonischen Gespräch Euerer Exzellenz  
„Wenn Wien, wie nach dem telephonischen Gespräch Euerer Exzellenz <br>
mit Herrn von Stumm anzunehmen, jedes Einlenken, insonderheit den letzten  
mit Herrn von Stumm anzunehmen, jedes Einlenken, insonderheit den letzten <br>
Greyschen Vorschlag (Weißbuch Nr. 395) ablehnt, ist es kaum mehr mög-  
Greyschen Vorschlag (Weißbuch Nr. 395) ablehnt, ist es kaum mehr mög- <br>
lich, Rußland die Schuld an der ausbrechenden europäischen Konflagration  
lich, Rußland die Schuld an der ausbrechenden europäischen Konflagration <br>
zuzuschieben. S. M. hat auf Bitten des Zaren die Intervention in Wien über-  
zuzuschieben. S. M. hat auf Bitten des Zaren die Intervention in Wien über- <br>
nommen, weil er sie nicht ablehnen konnte, ohne den unwiderleglichen Ver-  
nommen, weil er sie nicht ablehnen konnte, ohne den unwiderleglichen Ver- <br>
dacht zu erzeugen, daß wir den Krieg wollten. Das Gelingen dieser Intervention  
dacht zu erzeugen, daß wir den Krieg wollten. Das Gelingen dieser Intervention <br>
ist allerdings erschwert dadurch, daß Rußland gegen Österreich mobilisiert hat.  
ist allerdings erschwert dadurch, daß Rußland gegen Österreich mobilisiert hat. <br>
Dies haben wir heute England mit dem Hinzufügen mitgeteilt, daß wir eine  
Dies haben wir heute England mit dem Hinzufügen mitgeteilt, daß wir eine <br>
Aufhaltung der russischen und französischen Kriegsmaßnahmen in Petersburg  
Aufhaltung der russischen und französischen Kriegsmaßnahmen in Petersburg <br>
und Paris bereits in freundlicher Form angeregt hätten, einen neuen Schritt in  
und Paris bereits in freundlicher Form angeregt hätten, einen neuen Schritt in <br>
dieser Richtung also nur durch ein Ultimatum tun könnten, das den Krieg be-  
dieser Richtung also nur durch ein Ultimatum tun könnten, das den Krieg be- <br>
deuten würde. Wir haben deshalb Sir Edward Grey nahegelegt, seinerseits  
deuten würde. Wir haben deshalb Sir Edward Grey nahegelegt, seinerseits <br>
nachdrücklich in diesem Sinne in Paris und Petersburg zu wirken, und erhalten  
nachdrücklich in diesem Sinne in Paris und Petersburg zu wirken, und erhalten <br>
soeben seine entsprechende Zusicherung durch Lichnowsky. Glücken England  
soeben seine entsprechende Zusicherung durch Lichnowsky. Glücken England <br>
diese Bestrebungen, während Wien alles ablehnt, so dokumentiert Wien, daß  
diese Bestrebungen, während Wien alles ablehnt, so dokumentiert Wien, daß <br>
es unbedingt einen Krieg will, in den wir hineingezogen sind, während Ruß-  
es unbedingt einen Krieg will, in den wir hineingezogen sind, während Ruß- <br>
land schuldfrei bleibt. Das ergibt für uns der eigenen Nation gegenüber eine  
land schuldfrei bleibt. Das ergibt für uns der eigenen Nation gegenüber eine <br>
ganz unhaltbare Situation. Wir können deshalb nur dringend empfehlen,  
ganz unhaltbare Situation. Wir können deshalb nur dringend empfehlen, <br>
daß Österreich den Greyschen Vorschlag annimmt, der seine Position in jeder  
daß Österreich den Greyschen Vorschlag annimmt, der seine Position in jeder <br>
Beziehung wahrt.  
Beziehung wahrt. <br>


Euer Exzellenz wollen sich sofort nachdrücklichst in diesem Sinne Graf  
Euer Exzellenz wollen sich sofort nachdrücklichst in diesem Sinne Graf <br>
Berchtold, eventuell auch Graf Tisza gegenüber, äußern." (Weißbuch Nr. 441.)  
Berchtold, eventuell auch Graf Tisza gegenüber, äußern." (Weißbuch Nr. 441.) <br>


Die deutschen Vorschläge konnten, bei aller Halsstarrigkeit  
Die deutschen Vorschläge konnten, bei aller Halsstarrigkeit <br>
der Wiener Regierung, doch nicht ganz unberücksichtigt bleiben.  
der Wiener Regierung, doch nicht ganz unberücksichtigt bleiben. <br>
Am 29. Juli meldete der deutsche Botschafter, Berchtold sei (auch  
Am 29. Juli meldete der deutsche Botschafter, Berchtold sei (auch <br>
jetzt, nach der Kriegserklärung an Serbien) bereit, die Erklärung  
jetzt, nach der Kriegserklärung an Serbien) bereit, die Erklärung <br>
des territorialen Desinteressements nochmals  
des territorialen Desinteressements nochmals <br>
zu wiederholen. Bezüglich des deutschen Vorschlages einer Be-  
zu wiederholen. Bezüglich des deutschen Vorschlages einer Be- <br>
schränkung der militärischen Operationen behielt er sich die Ant-  
schränkung der militärischen Operationen behielt er sich die Ant- <br>
wort vor (Weißbuch Nr. 338). Am folgenden Tage, dem 30. Juli,  
wort vor (Weißbuch Nr. 338). Am folgenden Tage, dem 30. Juli, <br>
meldete der Botschafter in bezug auf die angeblich abgebrochenen  
meldete der Botschafter in bezug auf die angeblich abgebrochenen <br>
Verhandlungen mit Petersburg, Berchtold habe nur die Besprechung  
Verhandlungen mit Petersburg, Berchtold habe nur die Besprechung <br>
des serbisch - österreichischen Streites mit Rußland abgelehnt,  
des serbisch - österreichischen Streites mit Rußland abgelehnt, <br>
sei aber bereit, alle Österreich-Ungarn und Rußland direkt tangie-  
sei aber bereit, alle Österreich-Ungarn und Rußland direkt tangie- <br>
renden Fragen mit letzterem zu besprechen (Weißbuch Nr. 432),  
renden Fragen mit letzterem zu besprechen (Weißbuch Nr. 432), <br>
Am gleichen Tage meldete er, es liege in bezug auf die angeblich  
Am gleichen Tage meldete er, es liege in bezug auf die angeblich <br>
abgebrochenen Besprechungen ein Mißver-  
abgebrochenen Besprechungen ein Mißver- <br>
ständnis vor, und Berchtold habe bereits entsprechende  
ständnis vor, und Berchtold habe bereits entsprechende <br>
Instruktionen nach Petersburg gesandt (Weißbuch Nr. 448). Der  
Instruktionen nach Petersburg gesandt (Weißbuch Nr. 448). Der <br>
österreichisch-ungarische Botschafter hatte übrigens inzwischen  
österreichisch-ungarische Botschafter hatte übrigens inzwischen <br>
schon von sich aus die Verhandlungen wieder aufgenommen  
schon von sich aus die Verhandlungen wieder aufgenommen <br>
und die seinerseits bereits gemachten Zusicherungen erneuert  
und die seinerseits bereits gemachten Zusicherungen erneuert <br>
(Rotbuch 1919, III, Nr. 19). Berchtold selbst empfing am 30. Juli  
(Rotbuch 1919, III, Nr. 19). Berchtold selbst empfing am 30. Juli <br>
den russischen Botschafter zu einer beide Teile befriedigenden  
den russischen Botschafter zu einer beide Teile befriedigenden <br>
Aussprache über die Lage (Rotbuch 1919, III, Nr. 45). Das diese  
Aussprache über die Lage (Rotbuch 1919, III, Nr. 45). Das diese <br>
Unterredung betreffende Telegramm Schebekos ist in der Deut-  
Unterredung betreffende Telegramm Schebekos ist in der Deut- <br>
schen Allgemeinen Zeitung vom 20. Mai 1919 veröffentlicht  
schen Allgemeinen Zeitung vom 20. Mai 1919 veröffentlicht <br>
worden. Es schließt mit den Worten:  
worden. Es schließt mit den Worten: <br>


„Das ganze Gespräch trug den freundschaftlichsten Charakter, und ich  
„Das ganze Gespräch trug den freundschaftlichsten Charakter, und ich <br>
erhielt den Eindruck, daß Österreich wirklich den Wunsch hegt, zu einer Ver-  
erhielt den Eindruck, daß Österreich wirklich den Wunsch hegt, zu einer Ver- <br>
ständigung mit uns zu gelangen, es aber nicht für angängig hält, seine Operationen  
ständigung mit uns zu gelangen, es aber nicht für angängig hält, seine Operationen <br>
gegen Serbien einzustellen, bevor man nicht volle Genugtuung und ernste  
gegen Serbien einzustellen, bevor man nicht volle Genugtuung und ernste <br>
Garantien für die Zukunft erhalten habe. Zum Schluß betonte der Minister  
Garantien für die Zukunft erhalten habe. Zum Schluß betonte der Minister <br>
nochmals, daß Österreich jede aggressive Absicht gegen Rußland fern läge."  
nochmals, daß Österreich jede aggressive Absicht gegen Rußland fern läge." <br>


Auch der französische Botschafter in Wien berichtete, daß  
Auch der französische Botschafter in Wien berichtete, daß <br>
diese „hochwichtige Unterredung" zu einer Klärung der Lage  
diese „hochwichtige Unterredung" zu einer Klärung der Lage <br>
und zur Wiederaufnahme der direkten Besprechungen geführt habe  
und zur Wiederaufnahme der direkten Besprechungen geführt habe <br>
(Gelbbuch Nr. 104); ebenso der englische Botschafter, welcher  
(Gelbbuch Nr. 104); ebenso der englische Botschafter, welcher <br>
meldete, daß sein russischer Kollege ,,im ganzen nicht unzufrieden"  
meldete, daß sein russischer Kollege ,,im ganzen nicht unzufrieden" <br>
war (Blaubuch Nr. 96). Die deutsche Regierung konnte noch  
war (Blaubuch Nr. 96). Die deutsche Regierung konnte noch <br>
am 30. Juli ihrem Botschafter in London die Meldung aus Wien  
am 30. Juli ihrem Botschafter in London die Meldung aus Wien <br>
über diesen Erfolg der deutschen Schritte mitteilen (Weißbuch  
über diesen Erfolg der deutschen Schritte mitteilen (Weißbuch <br>
Nr. 433, 444). Sie sprach hierbei die Erwartung aus, ,,daß Eng-  
Nr. 433, 444). Sie sprach hierbei die Erwartung aus, ,,daß Eng- <br>
land in Petersburg auf gleiches Entgegenkommen, und nament-  
land in Petersburg auf gleiches Entgegenkommen, und nament- <br>
lich auf Einstellung seiner Kriegsmaßnahmen wirken werde".  
lich auf Einstellung seiner Kriegsmaßnahmen wirken werde". <br>
Diese Erwartung ging, trotz der englischen Zusage an Lichnowsky  
Diese Erwartung ging, trotz der englischen Zusage an Lichnowsky<br>
(Weißbuch Nr. 4-89) nicht in Erfüllung, wie Greys Telegramm nach  
(Weißbuch Nr. 4-89) nicht in Erfüllung, wie Greys Telegramm nach <br>
Petersburg vom 31. Juli (Blaubuch Nr. 110) zeigt.  
Petersburg vom 31. Juli (Blaubuch Nr. 110) zeigt. <br>


Auf die deutschen Vorstellungen hin nahm die österreichisch-  
Auf die deutschen Vorstellungen hin nahm die österreichisch- <br>
ungarische Regierung schließlich auch die von England gewünschte  
ungarische Regierung schließlich auch die von England gewünschte <br>
Vermittlung der Mächte an.  
Vermittlung der Mächte an. <br>


Das betreffende Telegramm (Rotbuch 1919, III, Nr. 65), das  
Das betreffende Telegramm (Rotbuch 1919, III, Nr. 65), das <br>
aber erst am 1. August nach Berlin abging, nach London und  
aber erst am 1. August nach Berlin abging, nach London und <br>
Petersburg nur ,,zur persönlichen Information" des Bot-  
Petersburg nur ,,zur persönlichen Information" des Bot- <br>
schafters gesandt wurde, schloß mit den Worten:  
schafters gesandt wurde, schloß mit den Worten: <br>


„Ich ersuche Euer Exzellenz, dem Herrn Staatssekretär für die uns durch  
„Ich ersuche Euer Exzellenz, dem Herrn Staatssekretär für die uns durch <br>
Herrn von Tschirschky gemachten Mitteilungen verbindlichst zu danken und  
Herrn von Tschirschky gemachten Mitteilungen verbindlichst zu danken und <br>
ihm zu erklären, daß wir trotz der Änderung, die in der Situation seither durch  
ihm zu erklären, daß wir trotz der Änderung, die in der Situation seither durch <br>
die Mobilisierung Rußlands eingetreten sei, in voller Würdigung der Bemühungen  
die Mobilisierung Rußlands eingetreten sei, in voller Würdigung der Bemühungen <br>
Englands um die Erhaltung des Weltfriedens gerne bereit seien, dem  
Englands um die Erhaltung des Weltfriedens gerne bereit seien, dem <br>
Vorschlag Sir E. Greys, zwischen uns und Serbien zu  
Vorschlag Sir E. Greys, zwischen uns und Serbien zu <br>
vermitteln, näherzutreten.  
vermitteln, näherzutreten. <br>


Die Voraussetzungen unserer Annahme seien jedoch natürlich, daß unsere  
Die Voraussetzungen unserer Annahme seien jedoch natürlich, daß unsere <br>
militärische Aktion gegen Serbien einstweilen ihren Fortgang nehme und daß  
militärische Aktion gegen Serbien einstweilen ihren Fortgang nehme und daß <br>
das englische Kabinett die russische Regierung vermöge, die gegen uns ge-  
das englische Kabinett die russische Regierung vermöge, die gegen uns ge- <br>
richtete Mobilisierung seiner Truppen zum Stillstand zu bringen, in welchem  
richtete Mobilisierung seiner Truppen zum Stillstand zu bringen, in welchem <br>
Falle wir selbstverständlich die uns durch die russische Mobilisierung aufge-  
Falle wir selbstverständlich die uns durch die russische Mobilisierung aufge- <br>
zwungenen defensiven militärischen Gegenmaßregeln in Galizien sofort rück-  
zwungenen defensiven militärischen Gegenmaßregeln in Galizien sofort rück- <br>
gängig machen werden."  
gängig machen werden." <br>


Am Abend des 30. Juli hatte also die österreiciiisch-ungarische  
Am Abend des 30. Juli hatte also die österreiciiisch-ungarische <br>
Regierung die deutschen Vorschläge immerhin teilweise ange-  
Regierung die deutschen Vorschläge immerhin teilweise ange- <br>
nommen, mit Ausnahme allerdings der Beschränkung der Ope-  
nommen, mit Ausnahme allerdings der Beschränkung der Ope- <br>
rationen gegen Serbien auf die Besetzung eines Faustpfandes. -^  
rationen gegen Serbien auf die Besetzung eines Faustpfandes. -^ <br>
Die Antwort auf diesen Vorschlag, dessen Annahme vom deutschen  
Die Antwort auf diesen Vorschlag, dessen Annahme vom deutschen <br>
Botschafter am 30. Juli an der Hand der analogen englischen  
Botschafter am 30. Juli an der Hand der analogen englischen <br>
Anregung erneut warm befürwortet wurde (Weißbuch Nr. 465),  
Anregung erneut warm befürwortet wurde (Weißbuch Nr. 465), <br>
wurde deutscherseits für den 31. Juli erwartet (Weißbuch Nr. 440).  
wurde deutscherseits für den 31. Juli erwartet (Weißbuch Nr. 440). <br>
Die Nachricht von der allgemeinen Mobilmachung in Rußland,  
Die Nachricht von der allgemeinen Mobilmachung in Rußland, <br>
die den Krieg bedeutete, hat den deutschen Bemühungen ein  
die den Krieg bedeutete, hat den deutschen Bemühungen ein <br>
Ende gemacht. Anderenfalls wäre, wenn die russische Kriegs-  
Ende gemacht. Anderenfalls wäre, wenn die russische Kriegs- <br>
partei dies noch zugelassen hätte, eine Einigung zwischen Peters-  
partei dies noch zugelassen hätte, eine Einigung zwischen Peters- <br>
burg und Wien erzielt worden, denn Sasonow hat sich von den  
burg und Wien erzielt worden, denn Sasonow hat sich von den <br>
Eröffnungen, die ihm der österreichisch-ungarische Botschafter  
Eröffnungen, die ihm der österreichisch-ungarische Botschafter <br>
am 31. Juli machte (Rotbuch 1919, III, Nr. 97), befriedigt erklärt.  
am 31. Juli machte (Rotbuch 1919, III, Nr. 97), befriedigt erklärt. <br>
In einer in London am 1. August übergebenen russischen Note  
In einer in London am 1. August übergebenen russischen Note <br>
heißt es:  
heißt es: <br>


„Der österreichisch-ungarische Botschafter erl<lärte die Bereitwilligkeit  
„Der österreichisch-ungarische Botschafter erl<lärte die Bereitwilligkeit <br>
seiner Regierung, den Inhalt des österreichischen Ultimatums an Serbien zu  
seiner Regierung, den Inhalt des österreichischen Ultimatums an Serbien zu <br>
erörtern. In seiner Antwort sprach Herr Sasonow seine Befriedigung aus  
erörtern. In seiner Antwort sprach Herr Sasonow seine Befriedigung aus <br>
und sagte, es sei wünschenswert, daß die Besprechungen in London unter Teil-  
und sagte, es sei wünschenswert, daß die Besprechungen in London unter Teil- <br>
nahme der Großmächte stattfänden." (Blaubuch Nr. 133.)  
nahme der Großmächte stattfänden." (Blaubuch Nr. 133.) <br>


Dank der deutschen V e r m i 1 1 1 u n g s t ä t i g -  
Dank der deutschen V e r m i t t l u n g s t ä t i g - <br>
keit war somit eine genügende Grundlage für eine  
keit war somit eine genügende Grundlage für eine <br>
Verständigung erreicht. Der europäische Frieden  
Verständigung erreicht. Der europäische Frieden <br>
wäre erhalten worden, wenn nicht Rußland durch seine gegen  
wäre erhalten worden, wenn nicht Rußland durch seine gegen <br>
das die Vermittlung betreibende Deutsche Reich gerichtete Mobil-  
das die Vermittlung betreibende Deutsche Reich gerichtete Mobil- <br>
machung den Krieg herbeigeführt hätte.  
machung den Krieg herbeigeführt hätte. <br>


Die Wiener Regierung hat aber an dem Teilerfolg der deutschen  
Die Wiener Regierung hat aber an dem Teilerfolg der deutschen <br>
Vermittlungstätigkeit kein Verdienst. Sie war, wie aus dem  
Vermittlungstätigkeit kein Verdienst. Sie war, wie aus dem <br>
Protokoll des Ministerrats vom 31. JuU (Rotbuch 1919, III, Nr. 79)  
Protokoll des Ministerrats vom 31. JuU (Rotbuch 1919, III, Nr. 79) <br>
klar hervorgeht, fest entschlossen, die Operationen gegen Serbien  
klar hervorgeht, fest entschlossen, die Operationen gegen Serbien <br>
auf keinen Fall, auch nicht mit Rücksicht auf die Gefahr eines  
auf keinen Fall, auch nicht mit Rücksicht auf die Gefahr eines <br>
Weltkrieges, einzustellen. Sie wollte sogar von dem  
Weltkrieges, einzustellen. Sie wollte sogar von dem <br>
deutschen Vorschlag der Beschränkung der  
deutschen Vorschlag der Beschränkung der <br>
Operationen auf die Besetzung eines Faust-  
Operationen auf die Besetzung eines Faust- <br>
pfandes nichts wissen. Berchtold erklärte, Österreich-  
pfandes nichts wissen. Berchtold erklärte, Österreich- <br>
Ungarn ,, hätte von einer einfachen Besetzung Belgrads gar nichts".  
Ungarn ,, hätte von einer einfachen Besetzung Belgrads gar nichts". <br>
Diese Auffassung ist aber niemals nach Berlin  
Diese Auffassung ist aber niemals nach Berlin <br>
mitgeteilt worden. Auf den ursprünglichen deutschen  
mitgeteilt worden. Auf den ursprünglichen deutschen <br>
Vorschlag erfolgte keine weitere Antwort, als die in dem Tele-  
Vorschlag erfolgte keine weitere Antwort, als die in dem Tele- <br>
gramm des Kaisers Franz Joseph vom 31. Juli enthaltene:  
gramm des Kaisers Franz Joseph vom 31. Juli enthaltene: <br>


„Die im Zuge befindliche Aktion meiner Armee gegen Serbien kann durch  
„Die im Zuge befindliche Aktion meiner Armee gegen Serbien kann durch <br>
die bedrohliche und herausfordernde Haltung Rußlands keine Störung erfahren."  
die bedrohliche und herausfordernde Haltung Rußlands keine Störung erfahren." <br>
(Weißbuch Nr. 432.)  
(Weißbuch Nr. 432.) <br>


Dies bedeutete die glatte Ablehnung des deutschen Vorschlages.  
Dies bedeutete die glatte Ablehnung des deutschen Vorschlages. <br>
Durch die inzwischen bekannt gewordene russische Gesamtmobil-  
Durch die inzwischen bekannt gewordene russische Gesamtmobil- <br>
machung wurde aber jede weitere deutsche Vermittlungstätigkeit  
machung wurde aber jede weitere deutsche Vermittlungstätigkeit <br>
illusorisch gemacht (Weißbuch Nr. 502, 503).  
illusorisch gemacht (Weißbuch Nr. 502, 503). <br>


In Wien entschloß man sich am 31. Juli mit Rücksicht auf  
In Wien entschloß man sich am 31. Juli mit Rücksicht auf <br>
das deutsche Drängen lediglich dazu, auf die englischen Vor-  
das deutsche Drängen lediglich dazu, auf die englischen Vor- <br>
schläge einzugehen ; man wollte dabei zwar in der Form Entgegen-  
schläge einzugehen ; man wollte dabei zwar in der Form Entgegen- <br>
kommen zeigen, aber ,, sorgsam vermeiden, den englischen Antrag in  
kommen zeigen, aber ,, sorgsam vermeiden, den englischen Antrag in <br>
meritorischer Hinsicht anzunehmen". Die Antwort auf Tschirschkys  
meritorischer Hinsicht anzunehmen". Die Antwort auf Tschirschkys <br>
Ersuchen vom 29. Juli (Rotbuch 1919, III, Nr. 65) wurde so  
Ersuchen vom 29. Juli (Rotbuch 1919, III, Nr. 65) wurde so <br>
spät nach Berlin gesandt, daß sie erst am 1. August dort an-  
spät nach Berlin gesandt, daß sie erst am 1. August dort an- <br>
langte. In den deutschen und österreichisch-ungarischen Akten  
langte. In den deutschen und österreichisch-ungarischen Akten <br>
hat sie weiter keine Spur hinterlassen. Es ist also anzunehmen,  
hat sie weiter keine Spur hinterlassen. Es ist also anzunehmen, <br>
daß sie der deutschen Regierung bis zum Erscheinen des ersten  
daß sie der deutschen Regierung bis zum Erscheinen des ersten <br>
österreichisch-ungarischen Rotbuches unbekannt geblieben ist.  
österreichisch-ungarischen Rotbuches unbekannt geblieben ist. <br>
Nur der österreichisch-ungarische Botschafter in London hat von  
Nur der österreichisch-ungarische Botschafter in London hat von <br>
jener Weisung seiner Regierung Gebrauch gemacht und Grey  
jener Weisung seiner Regierung Gebrauch gemacht und Grey <br>
bewogen, im Sinne dieses bedingten Entgegenkommens nach  
bewogen, im Sinne dieses bedingten Entgegenkommens nach <br>
Petersburg zu telegraphieren (Rotbuch 1919, III, Nr. 94, Blau-  
Petersburg zu telegraphieren (Rotbuch 1919, III, Nr. 94, Blau- <br>
buch Nr. 135).  
buch Nr. 135). <br>


Um nicht in ihrer Aktion gegen Serbien gestört zu werden,  
Um nicht in ihrer Aktion gegen Serbien gestört zu werden, <br>
knüpfte die Wiener Regierung ihr Entgegenkommen auf die  
knüpfte die Wiener Regierung ihr Entgegenkommen auf die <br>
englischen Vorschläge an die Bedingung, daß die russische Mo-  
englischen Vorschläge an die Bedingung, daß die russische Mo-<br>
bilisierung gegen Österreich-Ungarn eingestellt werde. Diese  
bilisierung gegen Österreich-Ungarn eingestellt werde. Diese <br>
Forderung läßt sich immerhin vertreten, denn es wäre für Öster-  
Forderung läßt sich immerhin vertreten, denn es wäre für Öster- <br>
reich-Ungarn doppelt nachteilig gewesen, unter dem militärischen  
reich-Ungarn doppelt nachteilig gewesen, unter dem militärischen <br>
Druck Rußlands nachgeben zu müssen. Ein solches Zurück-  
Druck Rußlands nachgeben zu müssen. Ein solches Zurück- <br>
weichen Wiens vor der russischen Kriegsdrohung mag ursprünglich  
weichen Wiens vor der russischen Kriegsdrohung mag ursprünglich <br>
das Ziel der Petersburger Regierung gewesen sein. Dann ist die  
das Ziel der Petersburger Regierung gewesen sein. Dann ist die <br>
gefährliche Maßnahme der am 25. Juli beschlossenen Teilmobil-  
gefährliche Maßnahme der am 25. Juli beschlossenen Teilmobil- <br>
machung als Erwiderung auf den schroffen Ton und die weit-  
machung als Erwiderung auf den schroffen Ton und die weit- <br>
gehenden Forderungen der österreichisch-ungarischen Note an  
gehenden Forderungen der österreichisch-ungarischen Note an <br>
Serbien anzusehen. Inzwischen waren aber Sasonow die mili-  
Serbien anzusehen. Inzwischen waren aber Sasonow die mili- <br>
tärischen Pferde durchgegangen, die er in sein diplomatisches  
tärischen Pferde durchgegangen, die er in sein diplomatisches <br>
Gefährt eingespannt hatte. Die russische Gesamtmobilmachung  
Gefährt eingespannt hatte. Die russische Gesamtmobilmachung <br>
änderte die Dinge von Grund auf. Die militärischen Druckmittel  
änderte die Dinge von Grund auf. Die militärischen Druckmittel <br>
wurden Selbstzweck, während die diplomatischen Verhandlungen  
wurden Selbstzweck, während die diplomatischen Verhandlungen <br>
nur noch zur Bemäntelung der Mobilmachung dienten.  
nur noch zur Bemäntelung der Mobilmachung dienten. <br>


Gänzlich von der Auseinandersetzung mit Serbien hypno-  
Gänzlich von der Auseinandersetzung mit Serbien hypno- <br>
tisiert, konnte oder wollte die Wiener Regierung den Ernst der  
tisiert, konnte oder wollte die Wiener Regierung den Ernst der <br>
Lage nicht erkennen. Sie hatte sich anscheinend ganz mit der  
Lage nicht erkennen. Sie hatte sich anscheinend ganz mit der <br>
Möglichkeit abgefunden, daß ,, Rußland den Moment für die große  
Möglichkeit abgefunden, daß ,, Rußland den Moment für die große <br>
Abrechnung mit den europäischen Zentralmächten bereits für ge-  
Abrechnung mit den europäischen Zentralmächten bereits für ge- <br>
kcmimen erachtete" (Rotbuch 1919, II, Nr. 42). Die ungeheuren  
kcmimen erachtete" (Rotbuch 1919, II, Nr. 42). Die ungeheuren <br>
Lasten des Weltkrieges sollten dann auf die breiten Schultern  
Lasten des Weltkrieges sollten dann auf die breiten Schultern <br>
des wehrhaften deutschen Bundesgenossen abgebürdet werden.  
des wehrhaften deutschen Bundesgenossen abgebürdet werden. <br>
Bella gerant alii. . . .  
Bella gerant alii. . . . <br>


Sehr befremdlich erscheint, daß Berchtold — möglicherweise  
Sehr befremdlich erscheint, daß Berchtold — möglicherweise <br>
mit Absicht — eine Antwort nach Berlin (London und Peters-  
mit Absicht — eine Antwort nach Berlin (London und Peters- <br>
burg) sandte, die sich nicht mit dem englischen Vorschlag deckte  
burg) sandte, die sich nicht mit dem englischen Vorschlag deckte <br>
(siehe Gooss, S. 237 ff.). Unverantwortlich ist, daß man in Wien  
(siehe Gooss, S. 237 ff.). Unverantwortlich ist, daß man in Wien <br>
auf den ursprünglichen deutschen Vorschlag der Besetzung  
auf den ursprünglichen deutschen Vorschlag der Besetzung <br>
eines Faustpfandes überhaupt nicht einging. Mit einer Leicht-  
eines Faustpfandes überhaupt nicht einging. Mit einer Leicht- <br>
fertigkeit, die fast den Verdacht der Böswilligkeit aufkommen  
fertigkeit, die fast den Verdacht der Böswilligkeit aufkommen <br>
lassen könnte, setzte man den Bundesgenossen den Gefahren  
lassen könnte, setzte man den Bundesgenossen den Gefahren <br>
eines Weltkrieges aus, um einiger Gradunterschiede willen, die  
eines Weltkrieges aus, um einiger Gradunterschiede willen, die <br>
bei dem Erfolge gegen Serbien auf dem Spiele standen. Das  
bei dem Erfolge gegen Serbien auf dem Spiele standen. Das <br>
Wiener Verhalten hat zudem den festwurzelnden Verdacht erzeugt,  
Wiener Verhalten hat zudem den festwurzelnden Verdacht erzeugt, <br>
daß Berlin die Vermittlung nicht ernstlich betrieben oder gar  
daß Berlin die Vermittlung nicht ernstlich betrieben oder gar <br>
seinerseits vereitelt habe.  
seinerseits vereitelt habe. <br>


Bei der Beurteilung der deutschen Vermittlungstätigkeit  
Bei der Beurteilung der deutschen Vermittlungstätigkeit <br>
in Wien muß zunächst der Gedanke abgelehnt werden, den die  
in Wien muß zunächst der Gedanke abgelehnt werden, den die <br>
Alliierten und Assoziierten Mächte in ihrer Erwiderung auf die  
Alliierten und Assoziierten Mächte in ihrer Erwiderung auf die <br>
deutschen Gegenvorschläge ausgesprochen haben, es sei der Ber-  
deutschen Gegenvorschläge ausgesprochen haben, es sei der Ber- <br>
liner Regierung mit ihren Vorstellungen nicht ernst gewesen,  
liner Regierung mit ihren Vorstellungen nicht ernst gewesen, <br>
und m.an könne annehmen, ,,daß nach einem in dem deutschen  
und m.an könne annehmen, ,,daß nach einem in dem deutschen <br>
Auswärtigen Amte üblichen Brauche offiziöse Mitteilungen oder  
Auswärtigen Amte üblichen Brauche offiziöse Mitteilungen oder <br>
eine vorherige Vereinbarung zwischen denjenigen stattgefunden  
eine vorherige Vereinbarung zwischen denjenigen stattgefunden <br>
hätten, die tatsächlich die Macht besaßen, und daß diese Mit-  
hätten, die tatsächlich die Macht besaßen, und daß diese Mit- <br>
teilungen oder diese Vereinbarung anders gelautet hätten, als die  
teilungen oder diese Vereinbarung anders gelautet hätten, als die <br>
durch den amtlichen Draht übermittelten Botschaften". Man  
durch den amtlichen Draht übermittelten Botschaften". Man <br>
mag dem Umstand keine Beweiskraft zumessen, daß keinerlei  
mag dem Umstand keine Beweiskraft zumessen, daß keinerlei <br>
Anzeichen für derartige geheime Verabredungen und für den  
Anzeichen für derartige geheime Verabredungen und für den <br>
Einfluß von Personen vorhanden sind, die außerhalb des Kreises  
Einfluß von Personen vorhanden sind, die außerhalb des Kreises <br>
der wirklich Verantwortlichen standen, jedoch „tatsächlich die  
der wirklich Verantwortlichen standen, jedoch „tatsächlich die <br>
Macht besaßen". Es kann sich aber niemand der Sinnlosigkeit  
Macht besaßen". Es kann sich aber niemand der Sinnlosigkeit <br>
der Vorstellung verschließen, daß Bethmann Hollweg mit seinen  
der Vorstellung verschließen, daß Bethmann Hollweg mit seinen <br>
so häufig wiederholten ernsten Mahnungen nicht das bezweckt  
so häufig wiederholten ernsten Mahnungen nicht das bezweckt <br>
hätte, was seine Worte sagten. Es ist auch unzutreffend, was die  
hätte, was seine Worte sagten. Es ist auch unzutreffend, was die <br>
Herausgeber des Deutschen Weißbuches, Montgelas und Schücking,  
Herausgeber des Deutschen Weißbuches, Montgelas und Schücking, <br>
in ihren Vorbemerkungen sagen, daß gerade ,, besonders delikate  
in ihren Vorbemerkungen sagen, daß gerade ,, besonders delikate <br>
Angelegenheiten zunächst in Privatbriefen zwischen den be-  
Angelegenheiten zunächst in Privatbriefen zwischen den be- <br>
teiligten Personen besprochen werden," und daß dieser Brauch  
teiligten Personen besprochen werden," und daß dieser Brauch <br>
,,auch in Angelegenheiten der auswärtigen Verwaltung eine be-  
,,auch in Angelegenheiten der auswärtigen Verwaltung eine be- <br>
deutsame Rolle gespielt habe". Der Umstand, daß außenpolitische  
deutsame Rolle gespielt habe". Der Umstand, daß außenpolitische <br>
Fragen in den allermeisten Fällen eine schnelle Behandlung er-  
Fragen in den allermeisten Fällen eine schnelle Behandlung er- <br>
fordern, verbietet bereits, daß sie ,, zunächst" privatim zwischen  
fordern, verbietet bereits, daß sie ,, zunächst" privatim zwischen <br>
den Beteiligten erörtert werden. Im deutschen diplomatischen  
den Beteiligten erörtert werden. Im deutschen diplomatischen <br>
Dienst sind Privatbriefe verhältnismäßig selten zur Ergänzung  
Dienst sind Privatbriefe verhältnismäßig selten zur Ergänzung <br>
der amtlichen Berichterstattung benutzt worden. Telegramme,  
der amtlichen Berichterstattung benutzt worden. Telegramme, <br>
die nur an eine bestimmte Person gerichtet sind, kommen kaum  
die nur an eine bestimmte Person gerichtet sind, kommen kaum <br>
vor. Im auswärtigen Dienst anderer Länder ist dies wesentlich  
vor. Im auswärtigen Dienst anderer Länder ist dies wesentlich <br>
anders. Die von Oman zitierten Telegramme sind fast zur Hälfte  
anders. Die von Oman zitierten Telegramme sind fast zur Hälfte <br>
„Sir E. Grey, private" adressiert. Im deutschen diplomatischen  
„Sir E. Grey, private" adressiert. Im deutschen diplomatischen <br>
Dienst wurden Privatbriefe in der Regel nur zwischen befreundeten,  
Dienst wurden Privatbriefe in der Regel nur zwischen befreundeten,<br>
also meist gleichaltcrigen Beamten gewechselt. In den Akten  
also meist gleichaltcrigen Beamten gewechselt. In den Akten <br>
findet sich kein einziges persönliches Schreiben von Pourtales an  
findet sich kein einziges persönliches Schreiben von Pourtales an <br>
Jagow, der einem jüngeren Jahrgang angehörte. Wohl aber finden  
Jagow, der einem jüngeren Jahrgang angehörte. Wohl aber finden <br>
sich solche vor, die Tschirschky, Flotow und Lichnowsky, die aus  
sich solche vor, die Tschirschky, Flotow und Lichnowsky, die aus <br>
derselben Altersklasse hervorgegangen sind, an ihn gerichtet  
derselben Altersklasse hervorgegangen sind, an ihn gerichtet <br>
haben. Die weitaus meisten Privatbriefe betreffen den Klatsch,  
haben. Die weitaus meisten Privatbriefe betreffen den Klatsch, <br>
der vor dem Krieg die große internationale Familie der Diplomaten  
der vor dem Krieg die große internationale Familie der Diplomaten <br>
aller Länder interessierte, und andere Nachrichten, die sich nicht  
aller Länder interessierte, und andere Nachrichten, die sich nicht <br>
für eine ernste Berichterstattung eigneten. In sonstigen Fällen  
für eine ernste Berichterstattung eigneten. In sonstigen Fällen <br>
wurde dieser Weg meist nur dann beschritten, wenn sich jemand  
wurde dieser Weg meist nur dann beschritten, wenn sich jemand <br>
seiner Sache nicht recht sicher fühlte und so zu vermeiden hoffte,  
seiner Sache nicht recht sicher fühlte und so zu vermeiden hoffte, <br>
sich gewissermaßen aktenmäßig zu blamieren: wenn z. B. seine  
sich gewissermaßen aktenmäßig zu blamieren: wenn z. B. seine <br>
Voraussagen nicht eintrafen. In diesem letzteren Sinne führte der  
Voraussagen nicht eintrafen. In diesem letzteren Sinne führte der <br>
Nebenweg meist nicht zum Ziel, denn Briefe von politischem Belang  
Nebenweg meist nicht zum Ziel, denn Briefe von politischem Belang <br>
sind in der Regel zu den Akten genommen worden, zum mindesten  
sind in der Regel zu den Akten genommen worden, zum mindesten <br>
im Auszuge.  
im Auszuge. <br>


Der ernsteste Einwand, der seitens der Alliierten und Asso-  
Der ernsteste Einwand, der seitens der Alliierten und Asso- <br>
ziierten Mächte gegen den Wert und die Bedeutung der deutschen  
ziierten Mächte gegen den Wert und die Bedeutung der deutschen <br>
Vermittlungstätigkeit in Wien zwischen dem 27. und 30, Juli  
Vermittlungstätigkeit in Wien zwischen dem 27. und 30, Juli <br>
erhoben wird, ist der, daß diese Vermittlung zu spät eingesetzt  
erhoben wird, ist der, daß diese Vermittlung zu spät eingesetzt <br>
habe. Aber nicht Deutschland, sondern Rußland trägt die Schuld  
habe. Aber nicht Deutschland, sondern Rußland trägt die Schuld <br>
daran, daß sich die Ereignisse so sehr überstürzt haben. Bereits  
daran, daß sich die Ereignisse so sehr überstürzt haben. Bereits <br>
am 27. Juli, ehe sie sich von der Nachgiebigkeit Serbiens selbst  
am 27. Juli, ehe sie sich von der Nachgiebigkeit Serbiens selbst <br>
überzeugt hatte, forderte die deutsche Regierung Wien zum Ein-  
überzeugt hatte, forderte die deutsche Regierung Wien zum Ein- <br>
lenken auf (Weißbuch Nr, 277). Unter Hinweis auf das serbische  
lenken auf (Weißbuch Nr, 277). Unter Hinweis auf das serbische <br>
Entgegenkommen machte sie am 28. Juli ihren an sich recht  
Entgegenkommen machte sie am 28. Juli ihren an sich recht <br>
glücklichen Vorschlag, es mit der Besetzung eines Faustpfandes  
glücklichen Vorschlag, es mit der Besetzung eines Faustpfandes <br>
bewenden zu lassen (Weißbuch Nr. 323). Dies geschah, ehe die  
bewenden zu lassen (Weißbuch Nr. 323). Dies geschah, ehe die <br>
russische Teilmobilmachung bekannt geworden war (Weißbuch  
russische Teilmobilmachung bekannt geworden war (Weißbuch <br>
Nr. 343, 385) und bevor Lichnowsky meldete, Grey habe ihm  
Nr. 343, 385) und bevor Lichnowsky meldete, Grey habe ihm <br>
mitgeteilt, England werde im Fall einer europäischen Konflagration  
mitgeteilt, England werde im Fall einer europäischen Konflagration <br>
nicht neutral bleiben (Weißbuch Nr. 368).  
nicht neutral bleiben (Weißbuch Nr. 368). <br>


Der deutschen 'Regierung war bekannt, daß für die öster-  
Der deutschen 'Regierung war bekannt, daß für die öster- <br>
reichisch-ungarische Mobilmachung gegen Serbien sechzehn Tage  
reichisch-ungarische Mobilmachung gegen Serbien sechzehn Tage <br>
zu rechnen seien (Weißbuch Nr. 19) und daß die eigentlichen Ope-  
zu rechnen seien (Weißbuch Nr. 19) und daß die eigentlichen Ope- <br>
rationen nicht vor dem 12. August beginfien würden (Weißbuch  
rationen nicht vor dem 12. August beginfien würden (Weißbuch <br>
Nr. 213, 245, 323). Sie durfte also glauben, daß reichlich Zeit  
Nr. 213, 245, 323). Sie durfte also glauben, daß reichlich Zeit <br>
zur Vermittlung vorhanden sei. Daß ein ernstes militärisches  
zur Vermittlung vorhanden sei. Daß ein ernstes militärisches <br>
Vorgehen gegen Serbien nicht unmittelbar auf die Kriegserklärung  
Vorgehen gegen Serbien nicht unmittelbar auf die Kriegserklärung <br>
folgen könne, wußten zweifellos auch die anderen europäischen  
folgen könne, wußten zweifellos auch die anderen europäischen <br>
Kabinette. Jeder Generalstab kannte die Schwierigkeiten des  
Kabinette. Jeder Generalstab kannte die Schwierigkeiten des <br>
Geländes und die Unzulänglichkeit der Bahnen in diesem Auf-  
Geländes und die Unzulänglichkeit der Bahnen in diesem Auf- <br>
marschgebiet. Der Vorwurf des zu späten Handelns stellt also  
marschgebiet. Der Vorwurf des zu späten Handelns stellt also <br>
nur einen Versuch der Dreiverbandsmächte dar, die Schuld an  
nur einen Versuch der Dreiverbandsmächte dar, die Schuld an <br>
der Überstürzung der Entwickelung, die sie in erster Linie traf,  
der Überstürzung der Entwickelung, die sie in erster Linie traf, <br>
auf Deutschland abzuwälzen.  
auf Deutschland abzuwälzen. <br>


Die Telegramme Bethmann Hollwegs zeigen eine stetige  
Die Telegramme Bethmann Hollwegs zeigen eine stetige <br>
Steigerung des Ernstes und der Dringlichkeit der Sprache. Im  
Steigerung des Ernstes und der Dringlichkeit der Sprache. Im <br>
wesentlichen handelt es sich aber um Variationen der gleichen  
wesentlichen handelt es sich aber um Variationen der gleichen <br>
Argumente. Zunächst erklärt er, daß Deutschland Vermittlungs-  
Argumente. Zunächst erklärt er, daß Deutschland Vermittlungs- <br>
vorschläge anderer Mächte eben wegen seiner Beziehungen zu  
vorschläge anderer Mächte eben wegen seiner Beziehungen zu <br>
diesen Mächten nicht ablehnen könne. Dieses Argument verstärkt  
diesen Mächten nicht ablehnen könne. Dieses Argument verstärkt <br>
er mit dem Hinweis darauf, daß Deutschland und Österreich bei  
er mit dem Hinweis darauf, daß Deutschland und Österreich bei <br>
der Ablehnung einer Vermittlung als Kriegstreiber erscheinen  
der Ablehnung einer Vermittlung als Kriegstreiber erscheinen <br>
würden. Die Folge wäre, daß sich die öffentliche Meinung Europas  
würden. Die Folge wäre, daß sich die öffentliche Meinung Europas <br>
von Österreich-Ungarn, bzw. von den Mittelmächten abkehren  
von Österreich-Ungarn, bzw. von den Mittelmächten abkehren <br>
würde. Daraus würde eine ungünstige diplomatische Situation  
würde. Daraus würde eine ungünstige diplomatische Situation <br>
erwachsen. Ferner würden die Verbündeten bei einer ablehnenden  
erwachsen. Ferner würden die Verbündeten bei einer ablehnenden <br>
Haltung für die etwaige Entstehung eines Weltbrandes verant-  
Haltung für die etwaige Entstehung eines Weltbrandes verant- <br>
wortlich werden. Ihre Aufgabe müsse sein, diese Katastrophe  
wortlich werden. Ihre Aufgabe müsse sein, diese Katastrophe <br>
aufzuhalten. Ihre Stellung im eigenen Lande würde anderenfalls  
aufzuhalten. Ihre Stellung im eigenen Lande würde anderenfalls <br>
unhaltbar. Zum mindesten müßte die Verantwortung auf Rußland  
unhaltbar. Zum mindesten müßte die Verantwortung auf Rußland <br>
abgewälzt werden. Schließlich als letztes und stärkstes Argument  
abgewälzt werden. Schließlich als letztes und stärkstes Argument <br>
drohte Bethmann mit der Kündigung der bundesgenössischen  
drohte Bethmann mit der Kündigung der bundesgenössischen <br>
Unterstützung. „Wir müssen es ablehnen, uns von Wien leicht-  
Unterstützung. „Wir müssen es ablehnen, uns von Wien leicht- <br>
fertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand  
fertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand <br>
hineinziehen zu lassen."  
hineinziehen zu lassen." <br>


Bethmann Hollweg schwankte offensichtlich zwischen der  
Bethmann Hollweg schwankte offensichtlich zwischen der <br>
Aufgabe einen ,, Modus zu finden, der die Verwirklichung des von  
Aufgabe einen ,, Modus zu finden, der die Verwirklichung des von <br>
Österreich-Ungarn erstrebten Zieles ermöglichte, der großserbischen  
Österreich-Ungarn erstrebten Zieles ermöglichte, der großserbischen <br>
Propaganda den Lebensnerv zu unterbinden," und zu verhindern,  
Propaganda den Lebensnerv zu unterbinden," und zu verhindern, <br>
daß gleichzeitig ein Weltkrieg entfesselt werde, bzw. wenn dieser  
daß gleichzeitig ein Weltkrieg entfesselt werde, bzw. wenn dieser <br>
nicht zu vermeiden sei, die Bedingungen, unter denen er zu führen  
nicht zu vermeiden sei, die Bedingungen, unter denen er zu führen <br>
wäre, nach Tunlichkeit zu verbessern (Weißbuch Nr. 323). Zweifel-  
wäre, nach Tunlichkeit zu verbessern (Weißbuch Nr. 323). Zweifel- <br>
los wünschte er, den Weltkrieg zu vermeiden. Er wollte aber,  
los wünschte er, den Weltkrieg zu vermeiden. Er wollte aber, <br>
wenn irgend möglich, das ursprüngliche Ziel, die Unterbindung  
wenn irgend möglich, das ursprüngliche Ziel, die Unterbindung <br>
der großserbischen Propaganda, nicht opfern. Von Tag zu Tag,  
der großserbischen Propaganda, nicht opfern. Von Tag zu Tag, <br>
fast von Stunde zu Stunde, trat das größere Ziel, die Erhaltung  
fast von Stunde zu Stunde, trat das größere Ziel, die Erhaltung <br>
des Weltfriedens, mehr in den Vordergrund. Daß dies dem Kanzler  
des Weltfriedens, mehr in den Vordergrund. Daß dies dem Kanzler <br>
zum Bewußtsein kam, sieht man in der Steigerung seiner Argu-  
zum Bewußtsein kam, sieht man in der Steigerung seiner Argu- <br>
mentation. Der Hinweis auf die Gefahr, daß die Mittelmächte als  
mentation. Der Hinweis auf die Gefahr, daß die Mittelmächte als <br>
Kriegstreiber erscheinen würden und daß dies die Stellung der  
Kriegstreiber erscheinen würden und daß dies die Stellung der <br>
deutschen Regierung im eigenen Lande unmöglich mache, ist der  
deutschen Regierung im eigenen Lande unmöglich mache, ist der <br>
Auftakt zu der Erklärung, daß Berlin Wien nicht unter allen Um-  
Auftakt zu der Erklärung, daß Berlin Wien nicht unter allen Um- <br>
ständen Gefolgschaft leisten werde. Die Warnung vor der Abkehr  
ständen Gefolgschaft leisten werde. Die Warnung vor der Abkehr <br>
der öffentlichen Meinung Europas ist im Grunde die gleiche Ar-  
der öffentlichen Meinung Europas ist im Grunde die gleiche Ar- <br>
gumentation, wie die, daß Rußland ins Unrecht gesetzt werden  
gumentation, wie die, daß Rußland ins Unrecht gesetzt werden <br>
müsse. Letztere wurde ja auch gelegentlich unterstrichen durch  
müsse. Letztere wurde ja auch gelegentlich unterstrichen durch <br>
einen Hinweis auf den (angeblich) von London und Paris auf Peters-  
einen Hinweis auf den (angeblich) von London und Paris auf Peters- <br>
burg ausgeübten Druck. Dies ,,ins Unrecht setzen" spielte in  
burg ausgeübten Druck. Dies ,,ins Unrecht setzen" spielte in <br>
jenem Augenblick, wie überhaupt in der Politik, eine besonders  
jenem Augenblick, wie überhaupt in der Politik, eine besonders <br>
große Rolle. Dieselbe Warnung, die von Berlin nach Wien ging,  
große Rolle. Dieselbe Warnung, die von Berlin nach Wien ging, <br>
ist auch von Paris nach Petersburg gerichtet worden. Die fran-  
ist auch von Paris nach Petersburg gerichtet worden. Die fran- <br>
zösische Regierung hat die russische gewarnt, sich nicht durch  
zösische Regierung hat die russische gewarnt, sich nicht durch <br>
offenkundige Mobilmachung gegenüber Deutschland ins Unrecht  
offenkundige Mobilmachung gegenüber Deutschland ins Unrecht <br>
zu setzen. Ursprünglich hatte sich Serbien gegen Österreich-  
zu setzen. Ursprünglich hatte sich Serbien gegen Österreich- <br>
Ungarn ins Unrecht gesetzt. Dies suchte die Wiener Regierung  
Ungarn ins Unrecht gesetzt. Dies suchte die Wiener Regierung <br>
zu benutzen, um den großserbischen Treibereien ein Ende zu machen.  
zu benutzen, um den großserbischen Treibereien ein Ende zu machen. <br>
Da sie in ihrem Vorgehen das Maß des Erwarteten und Zugebilligten  
Da sie in ihrem Vorgehen das Maß des Erwarteten und Zugebilligten <br>
erheblich überschritt, setzte sie sich ins Unrecht. Dies benutzte  
erheblich überschritt, setzte sie sich ins Unrecht. Dies benutzte <br>
Rußland, um seinerseits durch Mobilmachung und scharfes Vor-  
Rußland, um seinerseits durch Mobilmachung und scharfes Vor- <br>
gehen gegen Österreich-Ungarn, sowie durch einen Appell an die  
gehen gegen Österreich-Ungarn, sowie durch einen Appell an die <br>
Solidarität seiner Verbündeten eine europäische Krisis herbeizu-  
Solidarität seiner Verbündeten eine europäische Krisis herbeizu- <br>
führen, die mit einem, zum mindesten diplomatischen Erfolg des  
führen, die mit einem, zum mindesten diplomatischen Erfolg des <br>
Dreiverbandes enden sollte. Grey hat Lichnowsky am 31. Juli  
Dreiverbandes enden sollte. Grey hat Lichnowsky am 31. Juli <br>
(Weißbuch Nr. 489) auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß Wien  
(Weißbuch Nr. 489) auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß Wien <br>
seinerseits Rußland ins Unrecht setzte, damit das Gleichgewicht  
seinerseits Rußland ins Unrecht setzte, damit das Gleichgewicht <br>
wieder hergestellt werde, und er die Möglichkeit erhielte, auf Peters-  
wieder hergestellt werde, und er die Möglichkeit erhielte, auf Peters- <br>
burg und Paris einen Druck auszuüben. Fraglich erscheint, ob  
burg und Paris einen Druck auszuüben. Fraglich erscheint, ob <br>
es Grey mit seinen Absichten ernst war. Seine Argumentation  
es Grey mit seinen Absichten ernst war. Seine Argumentation <br>
stimmt aber jedenfalls mit der von Bethmann Hollweg überein.  
stimmt aber jedenfalls mit der von Bethmann Hollweg überein. <br>
Den Gegner ins Unrecht zu setzen, war namentlich bei dem etwaigen  
Den Gegner ins Unrecht zu setzen, war namentlich bei dem etwaigen <br>
Eintritt in den Krieg von überragender Bedeutung. Wie sehr sich  
Eintritt in den Krieg von überragender Bedeutung. Wie sehr sich <br>
Rußland durch seine ungerechtfertigte Mobilmachung gegen Deutsch-  
Rußland durch seine ungerechtfertigte Mobilmachung gegen Deutsch- <br>
land ins Unrecht gesetzt hat, zeigen deutlich die Bemühungen  
land ins Unrecht gesetzt hat, zeigen deutlich die Bemühungen <br>
der Ententemächte, diese Tatsache zu bemänteln bzw. totzu-  
der Ententemächte, diese Tatsache zu bemänteln bzw. totzu- <br>
schweigen.  
schweigen. <br>


Allmählich scheint die deutsche Regierung zu der Auffassung  
Allmählich scheint die deutsche Regierung zu der Auffassung <br>
gekommen zu sein, daß ihre Bundestreue von der Wiener Regierung  
gekommen zu sein, daß ihre Bundestreue von der Wiener Regierung <br>
mißbraucht werde. Diese Einsicht, verbunden mit der Erkenntnis,  
mißbraucht werde. Diese Einsicht, verbunden mit der Erkenntnis, <br>
daß Rußland auf das schnellste mobilisiere, und der Mitteilung,  
daß Rußland auf das schnellste mobilisiere, und der Mitteilung, <br>
daß England nicht neutral bleiben werde, haben jene Kopflosigkeit  
daß England nicht neutral bleiben werde, haben jene Kopflosigkeit <br>
verursacht, von der die deutschen Akten ein so beredtes Zeugnis  
verursacht, von der die deutschen Akten ein so beredtes Zeugnis <br>
ablegen. Die deutsche Regierung, die einen Weltkrieg nicht ge-  
ablegen. Die deutsche Regierung, die einen Weltkrieg nicht ge- <br>
wollt hatte, deren Präventivaktion gegen Serbien letzten Endes  
wollt hatte, deren Präventivaktion gegen Serbien letzten Endes <br>
nur den Zwecken der Erhaltung des europäischen Friedens dienen  
nur den Zwecken der Erhaltung des europäischen Friedens dienen <br>
sollte, sah sich plötzlich in einer Falle. Die Haltung ihres Bundes-  
sollte, sah sich plötzlich in einer Falle. Die Haltung ihres Bundes- <br>
genossen, den sie unterstützt hatte, versetzte sie ins Unrecht.  
genossen, den sie unterstützt hatte, versetzte sie ins Unrecht. <br>
Während sie bisher wohl geglaubt hatte, um den Weltkrieg zu  
Während sie bisher wohl geglaubt hatte, um den Weltkrieg zu <br>
vermeiden, genüge es, wenn Deutschland selbst ihn nicht wolle,  
vermeiden, genüge es, wenn Deutschland selbst ihn nicht wolle, <br>
sah sie sich jetzt diplomatisch eingefangen und erkannte, daß ihre  
sah sie sich jetzt diplomatisch eingefangen und erkannte, daß ihre <br>
Gegner sie um keinen Preis, auch nicht um den Preis einer diplo-  
Gegner sie um keinen Preis, auch nicht um den Preis einer diplo- <br>
matischen Niederlage, herauslassen würden. Denn der Entschluß  
matischen Niederlage, herauslassen würden. Denn der Entschluß <br>
zum Nachgeben, der überdies mit einer beispiellosen Schnelligkeit  
zum Nachgeben, der überdies mit einer beispiellosen Schnelligkeit <br>
hätte gefaßt werden müssen, hing nicht von Berlin, sondern von  
hätte gefaßt werden müssen, hing nicht von Berlin, sondern von <br>
Wien ab, und in Wien war man, wie wir heute wissen, wie man  
Wien ab, und in Wien war man, wie wir heute wissen, wie man <br>
damals aber schon geahnt haben muß, zum Einlenken in diesem  
damals aber schon geahnt haben muß, zum Einlenken in diesem <br>
Sinne nicht bereit. Der Kaiser hat die Lage ebenfalls so emp-  
Sinne nicht bereit. Der Kaiser hat die Lage ebenfalls so emp- <br>
funden und am 30. Juli in der Sprache seiner Marginalien folgender-  
funden und am 30. Juli in der Sprache seiner Marginalien folgender- <br>
maßen ausgedrückt: ,, England dekouvriert sich im Moment, wo  
maßen ausgedrückt: ,, England dekouvriert sich im Moment, wo <br>
es der Ansicht ist, daß wir im Läpp jagen eingestellt  
es der Ansicht ist, daß wir im Läpp jagen eingestellt <br>
sind und sozusagen erledigt!" (Weißbuch Nr. 368). ,, Dabei  
sind und sozusagen erledigt!" (Weißbuch Nr. 368). ,, Dabei <br>
wird uns die Dummheit und Ungeschicklichkeit un-  
wird uns die Dummheit und Ungeschicklichkeit un- <br>
seres Verbündeten zum Fallstrick gemacht....  
seres Verbündeten zum Fallstrick gemacht.... <br>
Das Netz wird uns plötzlich über den Kopf gezogen.. . ." (Weiß-  
Das Netz wird uns plötzlich über den Kopf gezogen.. . ." (Weiß- <br>
buch Nr. 401).
buch Nr. 401).

Revision as of 13:46, 3 November 2015

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 5 (Commentary) > IV. Der österreichisch-russische Konflikt > 2. Vermittlungsvorschläge


Am 27. Juli ging die serbische Antwortnote in Berlin, Peters-
burg, Paris und London ein. Die Regierungen der Drei Verbands-
länder sahen sie als ausreichend und sehr entgegenkommend an.

In absichtlicher und unabsichtUcher Verkennung der Methoden
der serbischen Pohtik verschlossen sie sich der Hinterhältigkeit
und Zweideutigkeit der Antwort auf manche der österreichisch-
ungarischen Forderungen. Es ist auch ganz natürlich, daß sich
alle Fernerstehenden nur dem günstigen Gesamteindruck hin-
gaben, während das unmittelbar beteiligte Wiener Kabinett mit
unerfreulicher Akribie nach Unzulänglichkeiten forschte.

Am 27. Juli wandte sich Gray nach Berlin mit der Bitte, die
deutsche Regierung möge in Wien befürworten, daß sich Wien
entweder mit der serbischen Antwort begnüge oder
aber sie als Grundlage für Unterhandlungen be-
trachte (Weißbuch Nr. 258, Blaubuch Nr. 46). Die deutsche
Regierung ist diesem Wunsche sogleich nachgekommen und hat
die Annahme des englischen Vorschlages in Wien mit folgenden
Worten empfohlen:

„Nachdem wir bereits einen englischen Konferenzvorschlag abgelehnt
haben, ist es uns unmöglich, auch diese englische Anregung a limine abzu-
weisen. Durch eine Ablehnung jeder Vermittlungsaktion würden wir von
der ganzen Welt für die Konflagration verantwortlich gemacht und als die
eigentlichen Treiber zum Kriege hingestellt werden. Das würde auch unsere
eigene Stellung im Lande unmöglich machen, wo wir als die zum Kriege Ge-
zwungenen dastehen müssen. Unsere Situation ist um so schwieriger, als
Serbien scheinbar sehr weit nachgegeben hat. Wir können daher die Rolle
des Vermittlers nicht abweisen und müssen den englischen Vorschlag dem
Wiener Kabinett zur Erwägung unterbreiten, zumal London und Paris fort-
gesetzt auf Petersburg einwirken. Erbitte Graf Berchtolds Ansicht über die
englische Anregung, ebenso wie über Wunsch Herrn Sasonows, mit Wien direkt
zu verhandeln." (Weißbuch Nr. 277.)

Die österreichisch-ungarische Regierung lehnte diesen Vor-
schlag jedoch am 29. Juli unter Hinweis auf die Eröffnung der
Feindseligkeiten durch Serbien und die inzwischen erfolgte Kriegs-
erklärung ab (Weißbuch Nr. 400, Rotbuch 1919, HI, Nr. 25).

Berchtold hat anscheinend die von Szögyeny (in Rotbuch H,
Nr. 68) gemeldete Warnung Jagows vor englischen Vorschlägen,
mit denen er sich „in keiner Weise identifiziere", auf diese An-
regung bezogen, obwohl sie von Bethmann Hollweg ,,zur Er-
wägung unterbreitet", also empfohlen wurde (Rotbuch 1919, H,
Nr. 82, HI, Nr. 25). Wie diese Auffassung entstehen konnte,
ist nicht recht verständlich, da Szögyeny berichtet hatte, ,,die
deutsche Regierung würde bei jedem einzelnen der-
artigen Verlangen Englands in Wien demselben (?) auf das
ausdrücklichste erklären, daß es in keiner Weise
derartige Interventionsverlangen Österreich-Ungarn gegenüber
unterstütze und nur, um dem Wunsche Englands zu entsprechen,
dieselben weitergebe", überdies erfolgte die Ablehnung in Wien
am 29. Juli abends (Rotbuch 1919, III, Nr. 25), also zu einer Zeit,
wo der nachstehend behandelte deutsche Vorschlag vom
28. JuH (Weißbuch Nr. 323), der ebenfalls auf das von Serbien
gezeigte Entgegenkommen Bezug nahm, bereits in Wien bekannt
gewesen sein muß.

Nach der Ablehnung dieses englischen Vorschlages und nach
erfolgter Kriegserklärung an Serbien war jede Aussicht auf eine
friedliche Beilegung des österreichisch -serbischen Streites
vorerst beseitigt. Die deutsche Regierung unterbreitete daraufhin
sogleich in Wien einen Vorschlag, der geeignet war, sowohl dem
berechtigten Verlangen Österreich-Ungarns nach Genugtuung
und Sicherheiten für die Zukunft Rechnung zu tragen, wie auch
die Erhaltung Serbiens und die Wahrung der russischen Interessen
am Balkan zu gewährleisten. Es ist dies der auf Anregung des
Kaisers (Weißbuch Nr. 293) zurückzuführende Vorschlag einer
Besetzung Belgrads oder anderer serbischer Gebietsteile als Faust-
pfand (Weißbuch Nr. 323), der mit den Worten schließt:

„Erkennt die russische Regierung die Berechtigung dieses Standpunktes
nicht an, so wird sie die öffentliche Meinung ganz Europas gegen sich haben,
die im Begriffe steht, sich von Österreich abzuwenden. Als eine weitere Folge
wird sich die allgemeine diplomatische und wahrscheinlich auch die militärische
Lage sehr wesentlich zugunsten_österreich-Ungarns und seiner Verbündeten
verschieben.

Euere Exzellenz wollen sich umgehend in diesem Sinne dem Grafen
Berchtold gegenüber nachdrücklich aussprechen und eine entsprechende De-
marche in St. Petersburg anregen. Sie werden es dabei sorgfältig zu vermeiden
haben, daß der Eindruck entsteht, als wünschten wir Österreich zurückzuhalten.
Es handelt sich lediglich darum, einen Modus zu finden, der die Verwirklichung
des von Österreich-Ungarn erstrebten Zieles, der großserbischen Propaganda
den Lebensnerv zu unterbinden, ermöglicht, ohne gleichzeitig einen Weltkrieg
zu entfesseln und, wenn dieser schließlich nicht zu vermeiden ist, die Bedingungen,
unter denen er zu führen ist, für uns nach Tunlichkeit zu verbessern."

Am 29. Juli wurde erneut auf diesen Ausweg hingewiesen
(Weißbuch Nr. 384).

Daß diese von der deutschen Regierung vorgeschlagene
Lösung wohl am besten geeignet war, die Erweiterung des Kon-
fliktes zu verhüten und den Interessen aller Parteien Rechnung
zu tragen, geht aus der Tatsache hervor, daß Grey (der von dem
Telegramm nach Wien, Weißbuch Nr. 323, wußte — siehe Blau-
buch Nr. 75, Einleitung § 6, letzter Absatz, und Oman, S, 54)
am folgenden Tage mit einem ähnlich lautenden Vorschlage
hervortrat (Weißbuch Nr. 368, Blaubuch Nr. 88). . Dieser wurde
von Berlin nach Wien gleichfalls weitergegeben und energisch be-
fürwortet (Weißbuch Nr. 395), ebenso wie das Telegramm des
Königs von England an den Prinzen Heinrich von Preußen vom
30. Juli, das den gleichen Vorschlag enthielt (Weißbuch Nr. 452, 464).
Schließlich hat auch Kaiser Wilhelm in einem persönlichen
Telegramm an Kaiser Franz Joseph auf eine baldige Entscheidung
für die deutschen Vorschläge gedrängt (Weißbuch Nr. 437).

Auf die Nachricht hin, daß die direkten Besprechungen
zwischen Wien und Petersburg zum Stillstand gekommen seien,
telegraphierte Bethmann Hollweg am 29. Juli nach Wien:

„Rußland beschwert sich, daß die Unterhaltungen weder durch Herrn
Schebeko noch durch Graf Szapary Fortlauf genommen hätten. Wir müssen
daher, um eine allgemeine Katastrophe aufzuhalten oder jedenfalls Rußland
ins Unrecht zu setzen, dringend wünschen, daß Wien Konversationen (gemäß
Weißbuch Nr. 323) beginnt und fortsetzt." (Weißbuch Nr. 385.)

Als ebenfalls nach London gemeldet wurde, daß Sasonow die
direkten Besprechungen als abgebrochen betrachte, schlug ferner
Grey am 29. Juli abermals die Vermittlung der vier
Mächte vor. (Blaubuch Nr. 84. In dem entsprechenden Tele-
gramm Lichnowskys — Weißbuch Nr. 357 — ist der Vorschlag
nicht enthalten.) Die deutsche Regierung, die sich bereits am
24. und 25. Juli mit einer Vermittlung zu vieren einverstanden
erklärt hatte, gab der österreichisch-ungarischen Regierung bei
der Mitteilung des englischen Vorschlages, die Besetzung Belgrads
betreffend, den dringlichen Rat, die Vermittlung der Mächte
anzunehmen. Es heißt in diesem Telegramm (Weißbuch Nr. 395):

,,Wir stehen somit, falls Österreich jede Vermittlung ablehnt, vor einer
Konflagration, bei der England gegen uns, Italien und Rumänien nach allen
Anzeichen nicht mit uns gehen würden, so daß wir zwei gegen vier Großmächte
ständen. Deutschland fiele durch Gegnerschaft Englands das Hauptgewicht
des Kampfes zu. Österreichs politisches Prestige, die Waffenehre seiner Armee,
sowie seine berechtigten Ansprüche Serbien gegenüber könnten durch die
Besetzung Belgrads oder anderer Plätze hinreichend gewahrt werden. Es
v/ürde durch Demütigung Serbiens seine Stellung im Balkan wie Rußland gegen-
über wieder stark machen. Unter diesen Umständen müssen wir der Erwägung
des Wiener Kabinetts dringend und nachdrücklich anheim-
stellen, die Vermittlung zu den angegebenen ehrenvollen Be-
dingungen anzunehmen. Die Verantwortung für die sonst eintretenden
Folgen wäre für Österreich-Ungarn und uns eine ungemein schwere."

Die deutsche Regierung hat gleichzeitig mit vorstehendem
Telegramm auf die Meldung ihres Botschafters in Petersburg hin,
daß das Wiener Kabinett nach Mitteilung Sasonows den Weg
direkten Gedankenaustausches mit Petersburg nicht beschritten
habe, folgende ernste Warnung nach Wien gesandt:

„Wir können Österreich-Ungarn nicht zumuten, mit Serbien zu ver-
handeln, mit dem es im Kriegszustand begriffen ist. Die Verweigerung jeden
Meinungsaustausches mit Petersburg aber würde ein schwerer Fehler sein,
da er kriegerisches Eingreifen Rußlands geradezu provoziert, das zu vermeiden
Österreich-Ungarn in erster Linie interessiert ist. Wir sind zwar be-
reit, unsere B u n d e s p f l i c h t zu erfüllen, müssen es
aber ablehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne
Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand
hineinziehen zu lassen. Auch in italienischer Frage scheint Wien
unsere Ratschläge zu mißachten. Bitte sich gegen Graf Berchtold sofort mit
allem Nachdruck und großem Ernst aussprechen." (Weißbuch Nr. 396.)

Schließlich sandte Bethmann Hollweg am 30. Juli noch
folgendes Telegramm nach Wien:

„Wenn Wien, wie nach dem telephonischen Gespräch Euerer Exzellenz
mit Herrn von Stumm anzunehmen, jedes Einlenken, insonderheit den letzten
Greyschen Vorschlag (Weißbuch Nr. 395) ablehnt, ist es kaum mehr mög-
lich, Rußland die Schuld an der ausbrechenden europäischen Konflagration
zuzuschieben. S. M. hat auf Bitten des Zaren die Intervention in Wien über-
nommen, weil er sie nicht ablehnen konnte, ohne den unwiderleglichen Ver-
dacht zu erzeugen, daß wir den Krieg wollten. Das Gelingen dieser Intervention
ist allerdings erschwert dadurch, daß Rußland gegen Österreich mobilisiert hat.
Dies haben wir heute England mit dem Hinzufügen mitgeteilt, daß wir eine
Aufhaltung der russischen und französischen Kriegsmaßnahmen in Petersburg
und Paris bereits in freundlicher Form angeregt hätten, einen neuen Schritt in
dieser Richtung also nur durch ein Ultimatum tun könnten, das den Krieg be-
deuten würde. Wir haben deshalb Sir Edward Grey nahegelegt, seinerseits
nachdrücklich in diesem Sinne in Paris und Petersburg zu wirken, und erhalten
soeben seine entsprechende Zusicherung durch Lichnowsky. Glücken England
diese Bestrebungen, während Wien alles ablehnt, so dokumentiert Wien, daß
es unbedingt einen Krieg will, in den wir hineingezogen sind, während Ruß-
land schuldfrei bleibt. Das ergibt für uns der eigenen Nation gegenüber eine
ganz unhaltbare Situation. Wir können deshalb nur dringend empfehlen,
daß Österreich den Greyschen Vorschlag annimmt, der seine Position in jeder
Beziehung wahrt.

Euer Exzellenz wollen sich sofort nachdrücklichst in diesem Sinne Graf
Berchtold, eventuell auch Graf Tisza gegenüber, äußern." (Weißbuch Nr. 441.)

Die deutschen Vorschläge konnten, bei aller Halsstarrigkeit
der Wiener Regierung, doch nicht ganz unberücksichtigt bleiben.
Am 29. Juli meldete der deutsche Botschafter, Berchtold sei (auch
jetzt, nach der Kriegserklärung an Serbien) bereit, die Erklärung
des territorialen Desinteressements nochmals
zu wiederholen. Bezüglich des deutschen Vorschlages einer Be-
schränkung der militärischen Operationen behielt er sich die Ant-
wort vor (Weißbuch Nr. 338). Am folgenden Tage, dem 30. Juli,
meldete der Botschafter in bezug auf die angeblich abgebrochenen
Verhandlungen mit Petersburg, Berchtold habe nur die Besprechung
des serbisch - österreichischen Streites mit Rußland abgelehnt,
sei aber bereit, alle Österreich-Ungarn und Rußland direkt tangie-
renden Fragen mit letzterem zu besprechen (Weißbuch Nr. 432),
Am gleichen Tage meldete er, es liege in bezug auf die angeblich
abgebrochenen Besprechungen ein Mißver-
ständnis vor, und Berchtold habe bereits entsprechende
Instruktionen nach Petersburg gesandt (Weißbuch Nr. 448). Der
österreichisch-ungarische Botschafter hatte übrigens inzwischen
schon von sich aus die Verhandlungen wieder aufgenommen
und die seinerseits bereits gemachten Zusicherungen erneuert
(Rotbuch 1919, III, Nr. 19). Berchtold selbst empfing am 30. Juli
den russischen Botschafter zu einer beide Teile befriedigenden
Aussprache über die Lage (Rotbuch 1919, III, Nr. 45). Das diese
Unterredung betreffende Telegramm Schebekos ist in der Deut-
schen Allgemeinen Zeitung vom 20. Mai 1919 veröffentlicht
worden. Es schließt mit den Worten:

„Das ganze Gespräch trug den freundschaftlichsten Charakter, und ich
erhielt den Eindruck, daß Österreich wirklich den Wunsch hegt, zu einer Ver-
ständigung mit uns zu gelangen, es aber nicht für angängig hält, seine Operationen
gegen Serbien einzustellen, bevor man nicht volle Genugtuung und ernste
Garantien für die Zukunft erhalten habe. Zum Schluß betonte der Minister
nochmals, daß Österreich jede aggressive Absicht gegen Rußland fern läge."

Auch der französische Botschafter in Wien berichtete, daß
diese „hochwichtige Unterredung" zu einer Klärung der Lage
und zur Wiederaufnahme der direkten Besprechungen geführt habe
(Gelbbuch Nr. 104); ebenso der englische Botschafter, welcher
meldete, daß sein russischer Kollege ,,im ganzen nicht unzufrieden"
war (Blaubuch Nr. 96). Die deutsche Regierung konnte noch
am 30. Juli ihrem Botschafter in London die Meldung aus Wien
über diesen Erfolg der deutschen Schritte mitteilen (Weißbuch
Nr. 433, 444). Sie sprach hierbei die Erwartung aus, ,,daß Eng-
land in Petersburg auf gleiches Entgegenkommen, und nament-
lich auf Einstellung seiner Kriegsmaßnahmen wirken werde".
Diese Erwartung ging, trotz der englischen Zusage an Lichnowsky
(Weißbuch Nr. 4-89) nicht in Erfüllung, wie Greys Telegramm nach
Petersburg vom 31. Juli (Blaubuch Nr. 110) zeigt.

Auf die deutschen Vorstellungen hin nahm die österreichisch-
ungarische Regierung schließlich auch die von England gewünschte
Vermittlung der Mächte an.

Das betreffende Telegramm (Rotbuch 1919, III, Nr. 65), das
aber erst am 1. August nach Berlin abging, nach London und
Petersburg nur ,,zur persönlichen Information" des Bot-
schafters gesandt wurde, schloß mit den Worten:

„Ich ersuche Euer Exzellenz, dem Herrn Staatssekretär für die uns durch
Herrn von Tschirschky gemachten Mitteilungen verbindlichst zu danken und
ihm zu erklären, daß wir trotz der Änderung, die in der Situation seither durch
die Mobilisierung Rußlands eingetreten sei, in voller Würdigung der Bemühungen
Englands um die Erhaltung des Weltfriedens gerne bereit seien, dem
Vorschlag Sir E. Greys, zwischen uns und Serbien zu
vermitteln, näherzutreten.

Die Voraussetzungen unserer Annahme seien jedoch natürlich, daß unsere
militärische Aktion gegen Serbien einstweilen ihren Fortgang nehme und daß
das englische Kabinett die russische Regierung vermöge, die gegen uns ge-
richtete Mobilisierung seiner Truppen zum Stillstand zu bringen, in welchem
Falle wir selbstverständlich die uns durch die russische Mobilisierung aufge-
zwungenen defensiven militärischen Gegenmaßregeln in Galizien sofort rück-
gängig machen werden."

Am Abend des 30. Juli hatte also die österreiciiisch-ungarische
Regierung die deutschen Vorschläge immerhin teilweise ange-
nommen, mit Ausnahme allerdings der Beschränkung der Ope-
rationen gegen Serbien auf die Besetzung eines Faustpfandes. -^
Die Antwort auf diesen Vorschlag, dessen Annahme vom deutschen
Botschafter am 30. Juli an der Hand der analogen englischen
Anregung erneut warm befürwortet wurde (Weißbuch Nr. 465),
wurde deutscherseits für den 31. Juli erwartet (Weißbuch Nr. 440).
Die Nachricht von der allgemeinen Mobilmachung in Rußland,
die den Krieg bedeutete, hat den deutschen Bemühungen ein
Ende gemacht. Anderenfalls wäre, wenn die russische Kriegs-
partei dies noch zugelassen hätte, eine Einigung zwischen Peters-
burg und Wien erzielt worden, denn Sasonow hat sich von den
Eröffnungen, die ihm der österreichisch-ungarische Botschafter
am 31. Juli machte (Rotbuch 1919, III, Nr. 97), befriedigt erklärt.
In einer in London am 1. August übergebenen russischen Note
heißt es:

„Der österreichisch-ungarische Botschafter erl<lärte die Bereitwilligkeit
seiner Regierung, den Inhalt des österreichischen Ultimatums an Serbien zu
erörtern. In seiner Antwort sprach Herr Sasonow seine Befriedigung aus
und sagte, es sei wünschenswert, daß die Besprechungen in London unter Teil-
nahme der Großmächte stattfänden." (Blaubuch Nr. 133.)

Dank der deutschen V e r m i t t l u n g s t ä t i g -
keit war somit eine genügende Grundlage für eine
Verständigung erreicht. Der europäische Frieden
wäre erhalten worden, wenn nicht Rußland durch seine gegen
das die Vermittlung betreibende Deutsche Reich gerichtete Mobil-
machung den Krieg herbeigeführt hätte.

Die Wiener Regierung hat aber an dem Teilerfolg der deutschen
Vermittlungstätigkeit kein Verdienst. Sie war, wie aus dem
Protokoll des Ministerrats vom 31. JuU (Rotbuch 1919, III, Nr. 79)
klar hervorgeht, fest entschlossen, die Operationen gegen Serbien
auf keinen Fall, auch nicht mit Rücksicht auf die Gefahr eines
Weltkrieges, einzustellen. Sie wollte sogar von dem
deutschen Vorschlag der Beschränkung der
Operationen auf die Besetzung eines Faust-
pfandes nichts wissen. Berchtold erklärte, Österreich-
Ungarn ,, hätte von einer einfachen Besetzung Belgrads gar nichts".
Diese Auffassung ist aber niemals nach Berlin
mitgeteilt worden. Auf den ursprünglichen deutschen
Vorschlag erfolgte keine weitere Antwort, als die in dem Tele-
gramm des Kaisers Franz Joseph vom 31. Juli enthaltene:

„Die im Zuge befindliche Aktion meiner Armee gegen Serbien kann durch
die bedrohliche und herausfordernde Haltung Rußlands keine Störung erfahren."
(Weißbuch Nr. 432.)

Dies bedeutete die glatte Ablehnung des deutschen Vorschlages.
Durch die inzwischen bekannt gewordene russische Gesamtmobil-
machung wurde aber jede weitere deutsche Vermittlungstätigkeit
illusorisch gemacht (Weißbuch Nr. 502, 503).

In Wien entschloß man sich am 31. Juli mit Rücksicht auf
das deutsche Drängen lediglich dazu, auf die englischen Vor-
schläge einzugehen ; man wollte dabei zwar in der Form Entgegen-
kommen zeigen, aber ,, sorgsam vermeiden, den englischen Antrag in
meritorischer Hinsicht anzunehmen". Die Antwort auf Tschirschkys
Ersuchen vom 29. Juli (Rotbuch 1919, III, Nr. 65) wurde so
spät nach Berlin gesandt, daß sie erst am 1. August dort an-
langte. In den deutschen und österreichisch-ungarischen Akten
hat sie weiter keine Spur hinterlassen. Es ist also anzunehmen,
daß sie der deutschen Regierung bis zum Erscheinen des ersten
österreichisch-ungarischen Rotbuches unbekannt geblieben ist.
Nur der österreichisch-ungarische Botschafter in London hat von
jener Weisung seiner Regierung Gebrauch gemacht und Grey
bewogen, im Sinne dieses bedingten Entgegenkommens nach
Petersburg zu telegraphieren (Rotbuch 1919, III, Nr. 94, Blau-
buch Nr. 135).

Um nicht in ihrer Aktion gegen Serbien gestört zu werden,
knüpfte die Wiener Regierung ihr Entgegenkommen auf die
englischen Vorschläge an die Bedingung, daß die russische Mo-
bilisierung gegen Österreich-Ungarn eingestellt werde. Diese
Forderung läßt sich immerhin vertreten, denn es wäre für Öster-
reich-Ungarn doppelt nachteilig gewesen, unter dem militärischen
Druck Rußlands nachgeben zu müssen. Ein solches Zurück-
weichen Wiens vor der russischen Kriegsdrohung mag ursprünglich
das Ziel der Petersburger Regierung gewesen sein. Dann ist die
gefährliche Maßnahme der am 25. Juli beschlossenen Teilmobil-
machung als Erwiderung auf den schroffen Ton und die weit-
gehenden Forderungen der österreichisch-ungarischen Note an
Serbien anzusehen. Inzwischen waren aber Sasonow die mili-
tärischen Pferde durchgegangen, die er in sein diplomatisches
Gefährt eingespannt hatte. Die russische Gesamtmobilmachung
änderte die Dinge von Grund auf. Die militärischen Druckmittel
wurden Selbstzweck, während die diplomatischen Verhandlungen
nur noch zur Bemäntelung der Mobilmachung dienten.

Gänzlich von der Auseinandersetzung mit Serbien hypno-
tisiert, konnte oder wollte die Wiener Regierung den Ernst der
Lage nicht erkennen. Sie hatte sich anscheinend ganz mit der
Möglichkeit abgefunden, daß ,, Rußland den Moment für die große
Abrechnung mit den europäischen Zentralmächten bereits für ge-
kcmimen erachtete" (Rotbuch 1919, II, Nr. 42). Die ungeheuren
Lasten des Weltkrieges sollten dann auf die breiten Schultern
des wehrhaften deutschen Bundesgenossen abgebürdet werden.
Bella gerant alii. . . .

Sehr befremdlich erscheint, daß Berchtold — möglicherweise
mit Absicht — eine Antwort nach Berlin (London und Peters-
burg) sandte, die sich nicht mit dem englischen Vorschlag deckte
(siehe Gooss, S. 237 ff.). Unverantwortlich ist, daß man in Wien
auf den ursprünglichen deutschen Vorschlag der Besetzung
eines Faustpfandes überhaupt nicht einging. Mit einer Leicht-
fertigkeit, die fast den Verdacht der Böswilligkeit aufkommen
lassen könnte, setzte man den Bundesgenossen den Gefahren
eines Weltkrieges aus, um einiger Gradunterschiede willen, die
bei dem Erfolge gegen Serbien auf dem Spiele standen. Das
Wiener Verhalten hat zudem den festwurzelnden Verdacht erzeugt,
daß Berlin die Vermittlung nicht ernstlich betrieben oder gar
seinerseits vereitelt habe.

Bei der Beurteilung der deutschen Vermittlungstätigkeit
in Wien muß zunächst der Gedanke abgelehnt werden, den die
Alliierten und Assoziierten Mächte in ihrer Erwiderung auf die
deutschen Gegenvorschläge ausgesprochen haben, es sei der Ber-
liner Regierung mit ihren Vorstellungen nicht ernst gewesen,
und m.an könne annehmen, ,,daß nach einem in dem deutschen
Auswärtigen Amte üblichen Brauche offiziöse Mitteilungen oder
eine vorherige Vereinbarung zwischen denjenigen stattgefunden
hätten, die tatsächlich die Macht besaßen, und daß diese Mit-
teilungen oder diese Vereinbarung anders gelautet hätten, als die
durch den amtlichen Draht übermittelten Botschaften". Man
mag dem Umstand keine Beweiskraft zumessen, daß keinerlei
Anzeichen für derartige geheime Verabredungen und für den
Einfluß von Personen vorhanden sind, die außerhalb des Kreises
der wirklich Verantwortlichen standen, jedoch „tatsächlich die
Macht besaßen". Es kann sich aber niemand der Sinnlosigkeit
der Vorstellung verschließen, daß Bethmann Hollweg mit seinen
so häufig wiederholten ernsten Mahnungen nicht das bezweckt
hätte, was seine Worte sagten. Es ist auch unzutreffend, was die
Herausgeber des Deutschen Weißbuches, Montgelas und Schücking,
in ihren Vorbemerkungen sagen, daß gerade ,, besonders delikate
Angelegenheiten zunächst in Privatbriefen zwischen den be-
teiligten Personen besprochen werden," und daß dieser Brauch
,,auch in Angelegenheiten der auswärtigen Verwaltung eine be-
deutsame Rolle gespielt habe". Der Umstand, daß außenpolitische
Fragen in den allermeisten Fällen eine schnelle Behandlung er-
fordern, verbietet bereits, daß sie ,, zunächst" privatim zwischen
den Beteiligten erörtert werden. Im deutschen diplomatischen
Dienst sind Privatbriefe verhältnismäßig selten zur Ergänzung
der amtlichen Berichterstattung benutzt worden. Telegramme,
die nur an eine bestimmte Person gerichtet sind, kommen kaum
vor. Im auswärtigen Dienst anderer Länder ist dies wesentlich
anders. Die von Oman zitierten Telegramme sind fast zur Hälfte
„Sir E. Grey, private" adressiert. Im deutschen diplomatischen
Dienst wurden Privatbriefe in der Regel nur zwischen befreundeten,
also meist gleichaltcrigen Beamten gewechselt. In den Akten
findet sich kein einziges persönliches Schreiben von Pourtales an
Jagow, der einem jüngeren Jahrgang angehörte. Wohl aber finden
sich solche vor, die Tschirschky, Flotow und Lichnowsky, die aus
derselben Altersklasse hervorgegangen sind, an ihn gerichtet
haben. Die weitaus meisten Privatbriefe betreffen den Klatsch,
der vor dem Krieg die große internationale Familie der Diplomaten
aller Länder interessierte, und andere Nachrichten, die sich nicht
für eine ernste Berichterstattung eigneten. In sonstigen Fällen
wurde dieser Weg meist nur dann beschritten, wenn sich jemand
seiner Sache nicht recht sicher fühlte und so zu vermeiden hoffte,
sich gewissermaßen aktenmäßig zu blamieren: wenn z. B. seine
Voraussagen nicht eintrafen. In diesem letzteren Sinne führte der
Nebenweg meist nicht zum Ziel, denn Briefe von politischem Belang
sind in der Regel zu den Akten genommen worden, zum mindesten
im Auszuge.

Der ernsteste Einwand, der seitens der Alliierten und Asso-
ziierten Mächte gegen den Wert und die Bedeutung der deutschen
Vermittlungstätigkeit in Wien zwischen dem 27. und 30, Juli
erhoben wird, ist der, daß diese Vermittlung zu spät eingesetzt
habe. Aber nicht Deutschland, sondern Rußland trägt die Schuld
daran, daß sich die Ereignisse so sehr überstürzt haben. Bereits
am 27. Juli, ehe sie sich von der Nachgiebigkeit Serbiens selbst
überzeugt hatte, forderte die deutsche Regierung Wien zum Ein-
lenken auf (Weißbuch Nr, 277). Unter Hinweis auf das serbische
Entgegenkommen machte sie am 28. Juli ihren an sich recht
glücklichen Vorschlag, es mit der Besetzung eines Faustpfandes
bewenden zu lassen (Weißbuch Nr. 323). Dies geschah, ehe die
russische Teilmobilmachung bekannt geworden war (Weißbuch
Nr. 343, 385) und bevor Lichnowsky meldete, Grey habe ihm
mitgeteilt, England werde im Fall einer europäischen Konflagration
nicht neutral bleiben (Weißbuch Nr. 368).

Der deutschen 'Regierung war bekannt, daß für die öster-
reichisch-ungarische Mobilmachung gegen Serbien sechzehn Tage
zu rechnen seien (Weißbuch Nr. 19) und daß die eigentlichen Ope-
rationen nicht vor dem 12. August beginfien würden (Weißbuch
Nr. 213, 245, 323). Sie durfte also glauben, daß reichlich Zeit
zur Vermittlung vorhanden sei. Daß ein ernstes militärisches
Vorgehen gegen Serbien nicht unmittelbar auf die Kriegserklärung
folgen könne, wußten zweifellos auch die anderen europäischen
Kabinette. Jeder Generalstab kannte die Schwierigkeiten des
Geländes und die Unzulänglichkeit der Bahnen in diesem Auf-
marschgebiet. Der Vorwurf des zu späten Handelns stellt also
nur einen Versuch der Dreiverbandsmächte dar, die Schuld an
der Überstürzung der Entwickelung, die sie in erster Linie traf,
auf Deutschland abzuwälzen.

Die Telegramme Bethmann Hollwegs zeigen eine stetige
Steigerung des Ernstes und der Dringlichkeit der Sprache. Im
wesentlichen handelt es sich aber um Variationen der gleichen
Argumente. Zunächst erklärt er, daß Deutschland Vermittlungs-
vorschläge anderer Mächte eben wegen seiner Beziehungen zu
diesen Mächten nicht ablehnen könne. Dieses Argument verstärkt
er mit dem Hinweis darauf, daß Deutschland und Österreich bei
der Ablehnung einer Vermittlung als Kriegstreiber erscheinen
würden. Die Folge wäre, daß sich die öffentliche Meinung Europas
von Österreich-Ungarn, bzw. von den Mittelmächten abkehren
würde. Daraus würde eine ungünstige diplomatische Situation
erwachsen. Ferner würden die Verbündeten bei einer ablehnenden
Haltung für die etwaige Entstehung eines Weltbrandes verant-
wortlich werden. Ihre Aufgabe müsse sein, diese Katastrophe
aufzuhalten. Ihre Stellung im eigenen Lande würde anderenfalls
unhaltbar. Zum mindesten müßte die Verantwortung auf Rußland
abgewälzt werden. Schließlich als letztes und stärkstes Argument
drohte Bethmann mit der Kündigung der bundesgenössischen
Unterstützung. „Wir müssen es ablehnen, uns von Wien leicht-
fertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand
hineinziehen zu lassen."

Bethmann Hollweg schwankte offensichtlich zwischen der
Aufgabe einen ,, Modus zu finden, der die Verwirklichung des von
Österreich-Ungarn erstrebten Zieles ermöglichte, der großserbischen
Propaganda den Lebensnerv zu unterbinden," und zu verhindern,
daß gleichzeitig ein Weltkrieg entfesselt werde, bzw. wenn dieser
nicht zu vermeiden sei, die Bedingungen, unter denen er zu führen
wäre, nach Tunlichkeit zu verbessern (Weißbuch Nr. 323). Zweifel-
los wünschte er, den Weltkrieg zu vermeiden. Er wollte aber,
wenn irgend möglich, das ursprüngliche Ziel, die Unterbindung
der großserbischen Propaganda, nicht opfern. Von Tag zu Tag,
fast von Stunde zu Stunde, trat das größere Ziel, die Erhaltung
des Weltfriedens, mehr in den Vordergrund. Daß dies dem Kanzler
zum Bewußtsein kam, sieht man in der Steigerung seiner Argu-
mentation. Der Hinweis auf die Gefahr, daß die Mittelmächte als
Kriegstreiber erscheinen würden und daß dies die Stellung der
deutschen Regierung im eigenen Lande unmöglich mache, ist der
Auftakt zu der Erklärung, daß Berlin Wien nicht unter allen Um-
ständen Gefolgschaft leisten werde. Die Warnung vor der Abkehr
der öffentlichen Meinung Europas ist im Grunde die gleiche Ar-
gumentation, wie die, daß Rußland ins Unrecht gesetzt werden
müsse. Letztere wurde ja auch gelegentlich unterstrichen durch
einen Hinweis auf den (angeblich) von London und Paris auf Peters-
burg ausgeübten Druck. Dies ,,ins Unrecht setzen" spielte in
jenem Augenblick, wie überhaupt in der Politik, eine besonders
große Rolle. Dieselbe Warnung, die von Berlin nach Wien ging,
ist auch von Paris nach Petersburg gerichtet worden. Die fran-
zösische Regierung hat die russische gewarnt, sich nicht durch
offenkundige Mobilmachung gegenüber Deutschland ins Unrecht
zu setzen. Ursprünglich hatte sich Serbien gegen Österreich-
Ungarn ins Unrecht gesetzt. Dies suchte die Wiener Regierung
zu benutzen, um den großserbischen Treibereien ein Ende zu machen.
Da sie in ihrem Vorgehen das Maß des Erwarteten und Zugebilligten
erheblich überschritt, setzte sie sich ins Unrecht. Dies benutzte
Rußland, um seinerseits durch Mobilmachung und scharfes Vor-
gehen gegen Österreich-Ungarn, sowie durch einen Appell an die
Solidarität seiner Verbündeten eine europäische Krisis herbeizu-
führen, die mit einem, zum mindesten diplomatischen Erfolg des
Dreiverbandes enden sollte. Grey hat Lichnowsky am 31. Juli
(Weißbuch Nr. 489) auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß Wien
seinerseits Rußland ins Unrecht setzte, damit das Gleichgewicht
wieder hergestellt werde, und er die Möglichkeit erhielte, auf Peters-
burg und Paris einen Druck auszuüben. Fraglich erscheint, ob
es Grey mit seinen Absichten ernst war. Seine Argumentation
stimmt aber jedenfalls mit der von Bethmann Hollweg überein.
Den Gegner ins Unrecht zu setzen, war namentlich bei dem etwaigen
Eintritt in den Krieg von überragender Bedeutung. Wie sehr sich
Rußland durch seine ungerechtfertigte Mobilmachung gegen Deutsch-
land ins Unrecht gesetzt hat, zeigen deutlich die Bemühungen
der Ententemächte, diese Tatsache zu bemänteln bzw. totzu-
schweigen.

Allmählich scheint die deutsche Regierung zu der Auffassung
gekommen zu sein, daß ihre Bundestreue von der Wiener Regierung
mißbraucht werde. Diese Einsicht, verbunden mit der Erkenntnis,
daß Rußland auf das schnellste mobilisiere, und der Mitteilung,
daß England nicht neutral bleiben werde, haben jene Kopflosigkeit
verursacht, von der die deutschen Akten ein so beredtes Zeugnis
ablegen. Die deutsche Regierung, die einen Weltkrieg nicht ge-
wollt hatte, deren Präventivaktion gegen Serbien letzten Endes
nur den Zwecken der Erhaltung des europäischen Friedens dienen
sollte, sah sich plötzlich in einer Falle. Die Haltung ihres Bundes-
genossen, den sie unterstützt hatte, versetzte sie ins Unrecht.
Während sie bisher wohl geglaubt hatte, um den Weltkrieg zu
vermeiden, genüge es, wenn Deutschland selbst ihn nicht wolle,
sah sie sich jetzt diplomatisch eingefangen und erkannte, daß ihre
Gegner sie um keinen Preis, auch nicht um den Preis einer diplo-
matischen Niederlage, herauslassen würden. Denn der Entschluß
zum Nachgeben, der überdies mit einer beispiellosen Schnelligkeit
hätte gefaßt werden müssen, hing nicht von Berlin, sondern von
Wien ab, und in Wien war man, wie wir heute wissen, wie man
damals aber schon geahnt haben muß, zum Einlenken in diesem
Sinne nicht bereit. Der Kaiser hat die Lage ebenfalls so emp-
funden und am 30. Juli in der Sprache seiner Marginalien folgender-
maßen ausgedrückt: ,, England dekouvriert sich im Moment, wo
es der Ansicht ist, daß wir im Läpp jagen eingestellt
sind und sozusagen erledigt!" (Weißbuch Nr. 368). ,, Dabei
wird uns die Dummheit und Ungeschicklichkeit un-
seres Verbündeten zum Fallstrick gemacht....
Das Netz wird uns plötzlich über den Kopf gezogen.. . ." (Weiß-
buch Nr. 401).