View source for 3. Die russische Gesamtmobilmachung

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Am 29. Juli mittags teilte Sasonow dem deutschen Bot- <br>
schafter mit, daß die russische Mobilmachung gegen Österreich- <br>
Ungarn beschlossen sei und in wenigen Stunden veröffentlicht <br>
werden solle. Der Botschafter bezeichnete diesen Schritt als für <br>
den Frieden äußerst gefährlich und wies, wie er dies schon wieder- <br>
holt an den vorhergehenden Tagen getan hatte, darauf hin, daß <br>
die Mobilmachung gegen Österreich-Ungarn sich auch gegen <br>
Deutschland richte, da Deutschlands vertragsmäßige Verpflich- <br>
tungen gegen diese Macht allgemein bekannt seien (Weißbuch <br>
Nr. 343). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Noch am gleichen Tage wurde jedoch die Gesamtmobilmachung <br>
beschlossen*). Mit dem Befehl des Zaren in der Tasche, versicherte <br>
der russische Generalstabschef um 3 Uhr nachmittags dem deut- <br>
schen Militärattache, in den militärischen Vorkehrungen Ruß- <br>
lands sei keine Änderung eingetreten. Nirgends sei bisher eine <br>
Mobilmachung erfolgt und werde auch an den deutschen <br>
Grenzen nicht beabsichtigt (Weißbuch Nr. 370). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Abends zwischen 6 und 7 Uhr warnte der deutsche Botschafter <br>
gemäß dem Telegramm vom selben Tage (Weißbuch Nr. 342) <br>
erneut vor den Folgen einer Mobilmachung (Weißbuch Nr. 378). <br>
Sasonow hat diese Mitteilung sehr erregt entgegengenommen <br>
und sie, obwohl ihr Inhalt genau mit den früheren Warnungen <br>
übereinstimmte, als Drohung ausgelegt, die er als Rechtfertigung <br>
der bereits beschlossenen Mobilmachung gegen Deutschland zu <br>
benutzen suchte. Er telegraphierte nach Paris und London: <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Der deutsche Botschafter erklärte mir heute den Beschluß seiner Re- <br>
gierung, die eigene Mobilisierung durchzuführen, wenn Rußland die von ihm <br>
betriebenen militärischen Vorbereitungen nicht einstellt. Indessen sind diese <br>
von uns nur infolge der bereits stattgefundenen Mobilisation von acht Korps <br>
in Österreich und infolge der offenbaren Unlust des letzteren, auf irgendwelche <br>
Weise der friedlichen Beilegung des eigenen Streites mit Serbien zuzustimmen, <br>
vorgenommen worden. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Da wir den Wunsch Deutschlands nicht erfüllen können, bleibt es uns <br>
nur übrig, unsere Bewaffnung zu beschleunigen und mit der <br>
wahrscheinlichen Unvermeidlichkeit des Krieges zu <br>
rechnen. Wollen Sie die französische Regierung davon in Kenntnis setzen <br>
und ihr gleichzeitig unseren aufrichtigen Dank aussprechen für die mir gegen- <br>
über im Namen der französischen Regierung erfolgte Erklärung <br>
des französischen Botschafters, daß wir im vollen <br>
Maße auf die Unterstützung des verbündeten Frank- <br>
reichs rechnen können. Unter den gegenwärtigen Umständen ist <br>
diese Erklärung für uns besonders wertvoll. Es wäre äußerst wünschens- <br>
wert, daß auch England, ohne Zeit zu verlieren, <br>
sich Frankreich und Rußland anschließt, denn nur auf <br>
diese Weise wird es ihm gelingen, die gefährliche Störung des europäischen <br>
Gleichgewichts abzuwenden." (Prawda Nr. 7 vom 9. 3. 1919, Orangebuch <br>
Nr. 58.) <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Ebenso wie er den Verbündeten gegenüber den Sachverhalt <br>
fälschte, um den Eintritt des Bündnisfalles auch formell herbei- <br>
zuführen, gab Sasonow dem Zaren eine falsche Darstellung der <br>
Erklärung des deutschen Botschafters. Dies geht deutlich aus <br>
dem Telegramm des Zaren an den Kaiser vom 29. Juli abends <br>
hervor, in dem es heißt: „Danke für Dein versöhnliches und <br>
freundschaftliches Telegramm. Dagegen war die heute von Deinem <br>
Botschafter meinem Minister übergebene offizielle Mitteilung in <br>
einem ganz anderen Tone gehalten." (Weißbuch Nr. 366.) Der <br>
Unterschied bestand lediglich in der Auslegung Sasonows, nicht <br>
im Wortlaut der Telegramme. Denn abgesehen davon, daß dienst- <br>
liche Telegramme naturgemäß anders stilisiert werden als persön- <br>
liche Mitteilungen regierender Herrscher, besteht kein Wider- <br>
spruch zwischen der Warnung, „daß weiteres Fortschreiten der <br>
russischen Mobilmachungsmaßnahmen Deutschland zur Mobil- <br>
machung zwingen würde, und daß dann der europäische Krieg <br>
kaum noch aufzuhalten sein werde", und den Worten Kaiser <br>
Wilhelms: „Natürlich würden militärische Maßnahmen von selten <br>
Rußlands, die Österreich als Drohung ansehen würde, ein Unheil <br>
beschleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und meine <br>
Stellung als Vermittler gefährden. . . . Das Telegramm des Kaisers <br>
enthält sogar eine weitergehende Mahnung als das des Kanzlers. <br>

Der Zar ist anscheinend von Anfang der Krise an zum Kriege <br>
gedrängt worden. Bereits am 29. Juli telegraphierte er dem <br>
Kaiser: „Ich sehe voraus, daß ich sehr bald dem auf mich aus- <br>
geübten Druck erliegen und gezwungen sein werde, äußerste Maß- <br>
nahmen zu ergreifen, die zum Kriege führen werden." (Weiß- <br>
buch Nr. 332.) Noch am gleichen Tage erlag er dem Druck und <br>
genehmigte die Gesamtmobilmachung. Abends ging das Tele- <br>
gramm ein, in dem der Kaiser erklärte, daß er den Wunsch des <br>
Zaren nach Erhaltung des Friedens teile, und daß die deutsche <br>
Regierung ihre Bemühungen fortsetze, eine direkte Verständigung <br>
zwischen Petersburg und Wien zu fördern (Weißbuch Nr. 359). Die <br>
Wirkung dieses „versöhnlichen und freundschaftlichen Telegramms" <br>
auf den Zaren ist aus den Verhandlungen des Suchomlinow- <br>
prozesses bekannt. Der Zar rief in der Nacht vom 29. zum 30. Juli <br>
sowohl den Kriegsminister wie auch den Generalstabschef tele- <br>
phonisch an und befahl, die allgemeine Mobilmachung rück- <br>
gängig zu machen und es bei der Teilmobilmachung gegen Öster- <br>
reich-Ungarn bewenden zu lassen. Die beiden Generäle beschlossen, <br>
diesem Befehl nicht Folge zu leisten. Zusammen mit Sasonow <br>
stimmten sie am folgenden Tage den Zaren um, und die Gesamt- <br>
mobilmachung nahm ihren Fortgang. Der russische General- <br>
adjutant Fürst Trubetzkoi erklärte am 30. Juli dem General von <br>
Chelius, das Telegramm des Kaisers habe einen tiefen Eindruck <br>
auf den Zaren gemacht, aber dieser könne leider nichts mehr <br>
ändern, denn die Mobilisierung gegen Österreich sei bereits be- <br>
fohlen worden, und Sasonow habe wohl den Zaren überzeugt, <br>
daß ein Zurückweichen nicht mehr möglich sei (Weißbuch Nr. 445). <br>
Doch sagte er nichts von einer allgemeinen Mobilmachung. Pourta- <br>
les berichtete ebenfalls am 30. Juli, „daß das Telegramm des Kaisers <br>
seine Wirkung auf den Zaren nicht verfehlt habe, daß aber Sasonow <br>
eifrig bemüht sei, daran zu arbeiten, daß der Zar fest bleibe". <br>
(Weißbuch Nr. 401.) Die Gesamtmobilmachung wurde den <br>
30. Juli über geheim gehalten. Sasonow verhandelte mit dem <br>
deutschen Botschafter über die Vermittlung in Wien und stellte <br>
die bekannte Formel auf, die in ihrer Anmaßung bereits von den <br>
Entschlüssen zeugte, die jede Vermittlungstätigkeit vereiteln <br>
sollten. Die allgemeine Mobilmachung verschwieg er. <br>

Diese Geheimhaltung des Mobilmachungsbeschlusses ist viel- <br>
leicht auf den Rat Vivianis vom 30. Juli zurückzuführen, „bei <br>
den Vorsichts- und Verteidigungsmaßnahmen unmittelbar keinerlei <br>

Anordnungen zu treffen, die Deutschland einen Vorwand zu einer <br>
ganzen oder teilweisen Mobilmachung seiner Kräfte bieten würde". <br>
(Gelbbuch Nr. 101.) Im gleichen Sinne berichtete Iswolski unter <br>
Nr. 210, ebenfalls am 30. Juli: <br>

„Margerit, den ich eben gesprochen habe, sagte mir, die französische <br>
Regierung, die sich keineswegs in unsere militärischen Vorbereitungen ein- <br>
mischen will, würde in Anbetracht der fortgesetzten Verhandlungen wegen <br>
Wahrung des Friedens es für äußerst wünschenswert halten, daß diese <br>
Vorbereitungen einen möglichst wenig offenen und <br>
herausfordernden Charakter tragen. Der Kriegsminister, der <br>
denselben Gedanken entwickelte, sagte seinerseits Graf Ignatjew (dem russischen <br>
Militärattache), wir könnten erklären, daß wir im höchsten Interesse des Friedens <br>
bereit seien, die Mobilisationsmaßnahmen zeitweilig zu verlangsamen, was uns <br>
nicht hindern würde, die militärischen Vorbereitungen fort- <br>
zusetzen und sie sogar zu verstärken, indem wir uns nach <br>
Möglichkeit der Massentruppentransporte enthalten. Um Ql'o Uhr findet eine <br>
Ministerberatung unter Vorsitz Poincarés statt, nach der ich sofort mit Viviani <br>
zusammenkommen werde". (Prawda Nr. 7 vom 9. 3. 1919.) <br>

Dieser Freundesrat blieb aber unbeachtet. Am 31. Juli früh <br>
prangten die Mobilmachungsanschläge an allen Straßenecken <br>
Petersburgs. Jeder Zweifel war nunmehr ausgeschlossen, und <br>
der deutsche Botschafter meldete die Tatsache der allgemeinen <br>
Mobilmachung nach Berlin (Weißbuch Nr. 473). Zugleich unter- <br>
nahm er von sich aus Schritte, um die Rückgängigmachung dieses <br>
verhängnisvollen Befehls zu erwirken (Weißbuch Nr. 535, 539). <br>
Diese Schritte hatten keinen Erfolg. <br>

Die russische Regierung suchte auch jetzt noch die Tatsache <br>
der Gesamtmobilmachung im Ausland geheim zu halten, ver- <br>
mutlich, um die deutschen Gegenmaßnahmen als Provokation <br>
hinstellen zu können, wie dies in Frankreich mit Erfolg geschehen <br>
ist. Asquith erklärte am 31. Juli im Unterhaus: „Wir haben soeben, <br>
nicht aus Petersburg, sondern aus Deutschland erfahren, daß <br>
Rußland eine allgemeine Mobilmachung seines Heeres und seiner <br>
Flotte verkündet hat." (Weißbuch Nr. 576; vgl. auch Nr. 518.) <br>
Sogar der russische Botschafter in Berlin war ohne Nachricht <br>
(2. belg. Graubuch Nr. 20). Nur in Paris wußte man Bescheid. <br>
Abends um 7 Uhr erklärte zwar die französische Regierung, noch <br>
keine Kenntnis der Mobilmachung zu haben (Weißbuch Nr. 528, <br>
Gelbbuch Nr. 117). Aber diese Angabe war erlogen. Denn Is- <br>
wolski hat am 31. Juli berichtet, am Morgen sei ein Telegramm <br>
von Paleologue eingetroffen, „das die volle Mobilisation der russi- <br>
schen Armee ohne jede Ausnahme bestätigt". (Prawda Nr. 7, <br>
vom 9. 3. 1919.) <br>

Von den zahlreich einlaufenden Mobilmachungsmeldungen. <br>
der Botschaft und der Konsulate in Rußland abgesehen, war die <br>
deutsche Regierung auf die russische Gesamtmobilmachung nicht <br>
vorbereitet. Der Kaiser äußerte am 1. August zum österreichisch- <br>
ungarischen Legationsrat Graf Larisch, „daß die Tatsache der <br>
allgemeinen Mobilmachung Rußlands ihn vollkommen überrascht <br>
hätte". (Rotbuch 1919, III, Nr. 84.) Sasonow hat niemals <br>
von dieser Möglichkeit gesprochen. Russischerseits war vielmehr <br>
wiederholt versichert worden, daß eine Mobilmachung gegen <br>
Deutschland nicht in Frage komme. Diese Tatsache ist wesent- <br>
lich zur Beurteilung der russischen Absichten, und zweifellos wird <br>
man damals in Berlin gerade aus der Unaufrichtigkeit dieser Er- <br>
klärungen den Kriegswillen Rußlands gefolgert haben. <br>

Die deutsche Regierung wurde durch die allgemeine Mobil- <br>
machung in Rußland vor eine schwere Entscheidung gestellt. <br>
Nicht nur Rußland hatte mobilisiert, auch in Frankreich waren <br>
die Kriegsvorbereitungen weit vorgeschritten. Deutschland hatte <br>
seinerseits lediglich Maßnahmen vorbeugender Art getroffen. <br>
Es waren (am 29. Juli) die Truppen von den Übungsplätzen in ihre <br>
Garnisonen zurückbeordert und die Urlauber zurückberufen worden. <br>
Am 30. Juli wurde mit der Aufstellung des Grenzschutzes be- <br>
gonnen. Keinerlei Mobilmachungsbefehl war ergangen. Nun- <br>
mehr wurde, am 31. Juli mittags, „Drohende Kriegsgefahr" ver- <br>
kündet und Rußland in einem mit zwölf Stunden befristeten Ulti- <br>
matum aufgefordert, seine Kriegsmaßnahmen einzustellen (Weiß- <br>
buch Nr. 490). Es erschien notwendig, von der russischen Re- <br>
gierung hierbei auch die Einstellung der gegen Österreich-Ungarn <br>
getroffenen Maßnahmen zu verlangen, um der Antwort vorzu- <br>
beugen, die Mobilmachung sei lediglich gegen Österreich gerichtet <br>
(Jagow zu Goschen, Blaubuch Nr. 121). Da aus Petersburg keiner- <br>
lei Antwort einging, wurde der deutsche Botschafter am 1. August <br>
angewiesen, den Krieg zu erklären (Weißbuch Nr. 542). Diesen <br>
Auftrag führte er am 1. August, 7 Uhr abends, aus (Weißbuch <br>
Nr. 588, Orangebuch Nr. 76). <br>

Es hat niemals irgendein Zweifel darüber bestehen können, <br>
daß die Gesamtmobilmachung der russischen Armee den Krieg <br>
mit Deutschland bedeuten würde. Auch im Lager unserer Gegner <br>
urteilte man nicht anders. <br>

Nach dem französischen Gelbbuch über die französisch- <br>
russische Allianz (Nr. 71) erklärte der französische General Bois- <br>
deffre am 18. August 1892 bei den Verhandlungen über die Militär- <br>
konvention dem Zaren Alexander III., daß die Mobilmachung <br>
der Kriegserklärung gleichkomme. Mobilisieren heiße, seinen <br>
Gegner zwingen, das gleiche zu tun. Die Mobilmachung habe <br>
die Ausführung der strategischen Transporte und der Truppen- <br>
zusammenziehungen zur Folge. Eine Million Mann an seiner <br>
Grenze mobilisieren lassen, ohne gleichzeitig dasselbe zu tun, <br>
hieße, sich jeder Möglichkeit der Sicherung begeben. Es hieße, <br>
sich in die Lage eines Menschen zu versetzen, der mit einer Pistole <br>
in der Tasche sich die seines Nachbarn an die Stirn drücken ließe, <br>
ohne die seine hervorzuziehen. Der Zar Alexander pflichtete dieser <br>
Auffassung bei. <br>

Der Aufmarsch der zahlenmäßig weit überlegenen russischen <br>
Streitkräfte bedeutete eine Bedrohung, welche die deutsche Re- <br>
gierung niemals und unter keinen Umständen untätig mit- <br>
ansehen konnte. Es mußten in solchem Falle unbedingt Gegen- <br>
maßregeln getroffen werden, und diese Gegenmaßregeln konnten <br>
nur in einem kriegerischen Vorgehen bestehen. Denn, wie der <br>
ganzen Welt bekannt war, lag die Überlegenheit der deutschen <br>
Armee in ihrer größeren Beweglichkeit. Die Sicherheit des Reiches <br>
beruhte auf der schnellen Mobilmachung. Die Aussicht der deut- <br>
schen Truppen, den Millionenheeren des Zaren erfolgreich zu <br>
begegnen, begründete sich mit der Möglichkeit, sie nach rascher <br>
vollzogenem Aufmarsch zu schlagen, ehe sie vollständig zusammen- <br>
gezogen waren. Dies wußte alle Welt. <br>

Rußland war es bekannt. Um Deutschland gegenüber einen <br>
möglichst großen Vorsprung zu gewinnen, wurde die Tatsache <br>
der Mobilmachung zunächst ängstlich geheim gehalten. Die <br>
diplomatischen Verhandlungen scheinen zum sehr großen Teil <br>
den Zweck verfolgt zu haben, die militärischen Vorbereitungen <br>
Rußlands zu verschleiern. Dementsprechend heißt es in dem <br>
„Protokoll einer besonderen Beratung über die vorbereitenden <br>
Kriegsarbeiten bezüglich Organisation des rückwärtigen Dienstes <br>
an der Südwestfront gemäß Plan A", Petersburg, den 8. No- <br>
vember 1912: <br>

„Es ist unbedingt erforderlich, daß die Anordnung, die Verkündung <br>
der Mobilmachung sei auch die Verkündung des Krieges, geändert wird. Eine <br>
solche Anordnung kann zu schweren Mißverständnissen in den Beziehungen <br>
zu denjenigen Mächten führen, mit denen auf Grund dieser oder jener politischen <br>
Umstände Krieg oder die Eröffnung der Feindseligkeiten, wenigstens nicht <br>
gleich von Anfang an, beabsichtigt ist. <br>

Andererseits kann es sich als vorteilhaft erweisen, den Aufmarsch zu <br>
vollziehen, ohne die Feindseligkeiten zu beginnen, damit dem Gegner nicht <br>
unwiederbringlich die Hoffnung genommen wird, der Krieg könne noch ver- <br>
mieden werden. Unsere Maßnahmen müssen hierbei durch diplomatische <br>
Scheinverhandlungen maskiert werden, um die Befürchtungen des <br>
Gegners möglichst einzuschläfern. <br>

Wenn solche Maßnahmen die Möglichkeit geben, einige Tage zu gewinnen, <br>
so müssen sie unbedingt ergriffen werden." („Rußlands Mobilmachung für <br>
den Weltkrieg," Anlage 5.) <br>

In Frankreich haben sich Politiker und Militärschriftsteller <br>
seit Begründung des Zweibundes mit jener Frage beschäftigt, <br>
und Milliarden französischen Geldes sind allein zu dem Zwecke <br>
verausgabt worden, die russische Mobilmachung zu beschleunigen. <br>

In England war man sich über diese Lage der Dinge nicht <br>
weniger im klaren. Der englische Botschafter hat, wie bereits <br>
erwähnt, am 25. Juli Sasonow die ernste Hoffnung ausgesprochen, <br>
Rußland werde nicht durch Mobilisierung den Krieg beschleunigen. <br>
Er warnte ihn, wie das Blaubuch (Nr. 17) angibt, daß, wenn Ruß- <br>
land mobilisiere, Deutschland nicht mit bloßer Mobilisierung <br>
zufrieden sein, noch Rußland Zeit lassen werde, die seinige aus- <br>
zuführen, sondern wahrscheinlich sogleich den Krieg erklären werde. <br>

Die deutsche Regierung hat über ihre Haltung im Falle <br>
einer russischen Mobilmachung von Anfang an keinen Zweifel <br>
gelassen und frühzeitig darauf hingewiesen, daß eine derartige <br>
Bedrohung der Sicherheit des Reiches nicht nur allen Verhand- <br>
lungen ein Ende bereiten, sondern auch unabwendbar zum Kriege <br>
führen müsse. Auf die ersten sicheren Nachrichten von russischen <br>
Kriegsvorbereitungen an der deutschen Grenze hin hat der Reichs- <br>
kanzler den Botschaftern in Petersburg, Paris und London am <br>
26. Juli jene inhaltlich gleichlautenden Telegramme gesandt <br>
(Weißbuch Nr. 198, 199, 200), in denen er auf die ernsten Folgen <br>
hinwies, die ein derartiges Vorgehen haben müsse. Frankreich <br>
und England wurden gebeten, einen beruhigenden Einfluß auf <br>
Rußland auszuüben. In einem weiteren Telegramm nach Peters- <br>
burg vom gleichen Tage heißt es wörtlich : „D i e M o b i l i - <br>
sierung aber bedeutet den Krie g." (Weißbuch <br>
Nr. 219.) <br>

Als am 31, Juli die Meldung des deutschen Botschafters <br>
einlief, daß in Rußland die allgemeine Mobilmachung angeordnet <br>
sei, hat Deutschland weder sofort seinerseits mobilisiert, noch <br>
sogleich den Krieg erklärt. Die deutsche Regierung sah sich aber <br>
genötigt, „Drohende Kriegsgefahr" zu verkünden und in Form <br>
eines Ultimatums Einstellung der militärischen Maßnahmen zu <br>
verlangen. Die russische Regierung ließ diese Aufforderung un- <br>
beantwortet. Sasonow erklärte dem deutschen Botschafter, <br>
die Mobilmachung könne nicht mehr aufgehalten werden (Weiß- <br>
buch Nr, 536). Das gleiche sagte der Zar in seinem Telegramm <br>
vom 31. Juli (Weißbuch Nr. 487). Am 1. August telegraphierte <br>
er dem Kaiser: „Ich verstehe, daß Du gezwungen bist, mobil zu <br>
machen." (Weißbuch Nr. 546.) Auch ein letzter Versuch des <br>
Botschafters, den Zaren zur Abwendung des Krieges zu bewegen, <br>
blieb vergebens. <br>

An Rußlands Willen, den Weltkrieg herbeizuführen, <br>
konnte mit dem Augenblick kein Zweifel mehr bestehen, wo die <br>
Petersburger Regierung sich zur allgemeinen Mobilmachung <br>
entschloß. Diese Absicht bestätigt auch ein Telegramm Sasonows <br>
nach London vom 2. August 1914, in dem er seinen Schritt zu <br>
rechtfertigen suchte. Er telegraphierte: <br>

„Deutschland ist offen bemüht, die Verantwortung für den Bruch auf <br>
uns zu schieben. Unsere allgemeine Mobilmachung ist durch die riesige Ver- <br>
antwortung hervorgerufen, die auf uns fallen würde, wenn wir nicht alle Vor- <br>
sichtsmaßregeln treffen würden, während Österreich, sich auf Verhandlungen, <br>
die den Charakter des Aufschubs trugen, beschränkend, Belgrad bombardiert. <br>
Der Zar verpflichtete sich durch das Wort vor dem deutschen Kaiser, daß <br>
er keine herausfordernden Handlungen unternehmen werde, solange die Ver- <br>
handlungen mit Österreich fortgesetzt werden. Nach einer solchen Bürgschaft <br>
und nach allen Friedensbeweisen Rußlands hatte Deutschland gar kein Recht <br>
und konnte nicht unsere Behauptung bezweifeln, daß wir mit Freude jede <br>
friedliche Lösung, die mit der Würde und der Unabhängigkeit Serbiens vereinbar <br>
ist, annehmen würden. Ein andererAuswegwäremit unserer <br>
eigenen Würde gänzlich unvereinbar und würde <br>
natürlich das europäische Gleichgewicht durch Be- <br>
festigung der Hegemonie Deutschlands erschüttern. <br>
Dieser europäische und Weltcharakter des Konfliktes <br>
ist unendlich wichtiger als der Anlaß, der ihn ge- <br>
schaffen ha t." (Prawda Nr. 7 vom 9. März 1909.) <br>

Weil Rußland in erster Linie die Prestigefrage im Auge hatte, <br>
wollte es nicht die Tage und Stunden warten, die eine diplomatische <br>
Lösung des Konfliktes ermöglicht hätten ! <br>

Das vom Zaren in seinem Telegramm vom 31. Juli (Weiß- <br>
buch Nr. 487) gegebene Ehrenwort, die russischen Truppen würden <br>
keine herausfordernde Aktion unternehmen, solange die Verhand- <br>
lungen mit Österreich-Ungarn andauerten, konnte den bedroh- <br>
lichen Charakter der russischen Mobilmachung in keiner Weise <br>
verringern. Denn es hätte ja ganz in Rußlands Hand gelegen, <br>
diese Verhandlungen zum Scheitern zu bringen, sobald seine <br>
gewaltigen Heere fertig aufmarschiert waren, und dann mit er- <br>
drückender Übermacht in Deutschland einzufallen. Bethmann <br>
Hollweg telegraphierte am 31. Juli nach London: <br>

„Eine russische mobilisierte Armee an unserer Grenze, ohne daß wir <br>
mobilisiert haben, ist auch ohne ,provocative action' eine Lebensgefahr für <br>
uns. Die Provokation, deren sich Rußland dadurch schuldig gemacht hat, <br>
daß es in einem Augenblick gegen uns mobilisiert hat, wo wir auf seine Bitten <br>
in Wien vermittelten, ist überdies so stark, daß kein Deutscher es verstehen <br>
würde, wenn wir dagegen nicht mit scharfen Maßregeln antworteten." (Weiß- <br>
buch Nr. 529.) <br>

Am 2. August telegraphierte er: <br>

„Widerspruch zwischen den nicht anzuzweifelnden Erklärungen des <br>
Zaren und Handlungen seiner Regierung im ganzen Verlauf der Krisis so offen- <br>
kundig, und Haltung der Regierung trotz entgegenstehender Versicherungen <br>
faktisch so unfreundlich, daß wir uns trotz Versicherung Zaren durch Ge- <br>
samtmobilmachung schwer provoziert fühlen mußten." (Weißbuch Nr. 696.) <br>

Die gegen Österreich-Ungarn gerichtete Mobilmachung be- <br>
deutete bereits für unsere Verbündeten eine sehr ernste Gefahr. <br>
Bei einer solchen teilweisen Mobilmachung hätte Rußland aber <br>
mit dem Angriff zögern müssen, solange es nicht gegen Deutsch- <br>
land gerüstet war, da es wußte, daß Deutschland in solchem <br>
Falle mobilisieren und seinem Bundesgenossen zu Hilfe kommen <br>
würde. Eine derartige Rückversicherung bestand für das Reich <br>
nicht, sowie die russische Mobilmachung allgemein war. Deshalb <br>
sind auch alle Vergleiche mit der russischen und österreichisch- <br>
ungarischen Mobilisation im Jahre 1912 hinfällig. Keine Groß- <br>
macht stand bereit, für Deutschland ins Feld zu ziehen, wenn die <br>
russischen Heere sich in Marsch setzten, während im Gegenteil <br>
andere Mächte auf diesen Augenblick warteten, um ebenfalls über <br>
uns herzufallen. Deshalb konnte das Versprechen des Zaren <br>
Deutschland keine Sicherheit bieten. Es bedurfte auch nicht <br>
erst der Enthüllungen des Suchomlinowprozesses, um zu zeigen, <br>
wie wenig damals das Wort des Zaren in Rußland galt. Denn, <br>
obwohl Kaiser Wilhelm am 1. August in seinem letzten Telegramm <br>
an den Zaren (Weißbuch Nr. 600) diesen dringend bat, seine <br>
Truppen anzuweisen, auf keinen Fall die deutsche Grenze zu ver- <br>
letzen, fielen noch am selben Tage russische Abteilungen in deut- <br>
sches Gebiet ein. (Weißbuch Nr. 629, 662, 664.) <br>

Im übrigen mag das Wort regierender Herrscher in jenen <br>
Tagen in Berlin niedrig im Kurse gestanden haben, nachdem sich <br>
die Zusage des Königs von England an Prinz Heinrich, England <br>
werde sich in einem europäischen Konflikt neutral verhalten <br>
(Weißbuch Nr. 207, 374), als gänzlich wertlos erwiesen hatte, <br>
Kaiser Wilhelm zum mindesten scheint das Wort König Georgs <br>
ernst genommen zu haben (Weißbuch Nr. 474; siehe auch seine <br>
Aufzeichnung für den amerikanischen Botschafter vom 10. August <br>
1914). <br>

Rußlands allgemeine Mobilmachung bedeutete den Krieg, <br>
und zwar den Weltkrieg, denn an dem Eingreifen Frankreichs <br>
bestand kein Zweifel. Auch über die Haltung Englands war man <br>
sich in Berlin offenbar im klaren, trotz der widerspruchsvollen <br>
Berichterstattung Lichnowskys. Von den Versuchen abgesehen, <br>
den Krieg auf Rußland zu beschränken, sind daher alle politischen <br>
Handlungen vom 31. Juli mittags an als Kriegsmaßnahmen an- <br>
zusprechen, bzw, als Versuche, die bestmöglichen Vorbedingungen <br>
für den bevorstehenden Kampf zu schaffen. Unter der Wirkung <br>
der ungeheuren Erregung und der beginnenden Kriegspsychose <br>
ist dann manches geschehen, das befremden muß und sicherlich <br>
besser unterblieben wäre. <br>

Die Auseinandersetzung mit Frankreich und der Versuch, <br>
England wenigstens vorläufig neutral zu erhalten, werden weiter <br>
unten zu behandeln sein. Die nächsten Aufgaben der politischen <br>
Leitung waren, sich mit den Verbündeten zu verständigen, wenn <br>
möglich, neue Bundesgenossen zu werben und neutrale Staaten <br>
zu einer wohlwollenden Haltung zu bewegen. Die weitere Auf- <br>
gabe, Deutschlands Recht auf Selbstverteidigung der öffentlichen <br>
Meinung der Welt gegenüber zu vertreten und den Charakter des <br>
Krieges als Defensivkrieg vor der Geschichte zu dokumentieren, <br>
ist nicht genügend berücksichtigt und jedenfalls nicht mit Erfolg <br>
gelöst worden. <br>

Es scheint zunächst eine gewisse Besorgnis geherrscht zu <br>
haben, ob Österreich-Ungarn auch sofort seine Haupt- <br>
kräfte gegen Rußland einsetzen und den Aufmarsch gegen Serbien <br>
abbrechen werde (Weißbuch Nr. 503, 627). Bereits am 29. Juli <br>
war in Berlin eine Verbalnote übergeben worden, in der es heißt: <br>
„Der Chef des k. und k. Generalstabs hält es nun für unbedingt <br>
geboten, ohne Verzug Klarheit darüber zu gewinnen, ob wir mit <br>
starken Kräften gegen Serbien marschieren können oder unsere <br>
Hauptmacht gegen Rußland zu verwenden haben werden." <br>
(Weißbuch Nr. 352.) In Berlin hoffte man aber bis zuletzt auf <br>
einen günstigen Ausgang der Vermittlungsaktion und ging auf <br>
die Frage des Generals von Conrad nicht ein. Hieraus entstand <br>
bei Kriegsausbruch ein gewisses Dilemma. Auch ist die späte <br>
Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Rußland (5. August, Weiß- <br>
buch Nr. 878, 879) auf den Wunsch zurückzuführen, die nun- <br>
mehr recht verwickelte Mobilmachung ungestört durchführen <br>
zu können (Weißbuch Nr. 772). Russischerseits herrschte übrigens <br>
das gleiche Bestreben (Weißbuch Nr. 704). <br>

Obwohl die Haltung Italiens nicht zweifelhaft sein <br>
konnte, wurde von Berlin aus der Appell an die Bundestreue <br>
immer wieder erneuert (Weißbuch Nr. 492, 628, 694). Auch wurde <br>
der Flügeladjutant von Kleist entsandt, um insbesondere auf den <br>
König einzuwirken (Weißbuch Nr. 745, 771, 850). Ob Italien <br>
überhaupt in der Lage gewesen wäre, seinen Vertragspflichten <br>
nachzukommen, erscheint zweifelhaft. Sicher ist, daß das hart- <br>
näckige Festhalten des Wiener Kabinetts an seiner verfehlten <br>
Auslegung des Art. VII des Dreibundvertrages jede Möglichkeit <br>
ausschloß. Die italienische Regierung hat bereits frühzeitig <br>
darauf hingewiesen, daß ihre Auffassung darüber, ob der Bündnis- <br>
fall gegeben sei oder nicht, von der Frage der Kompensationen <br>
abhängig sein werde (Weißbuch Nr. 150). Österreich-Ungarns <br>
Hartnäckigkeit und seine Abneigung gegen den erpresserischen <br>
Verbündeten ließ alle deutschen Bemühungen scheitern. <br>

Auch darüber bestand kein Zweifel, daß Rumänien <br>
seinen Bündnisverpflichtungen nicht nachkommen werde. Trotz- <br>
dem wurde alles versucht, die rumänische Regierung zum Ein- <br>
greifen zu veranlassen. Um ihr dies zu ermöglichen, wurde Bul- <br>
garien zu bindenden Erklärungen über seine Haltung gedrängt <br>
(Weißbuch Nr. 544, 549, 729). Man verstieg sich auch zu einem <br>
Angebot Bessarabiens als Belohnung für erfüllte Bundespflicht <br>
(Weißbuch Nr. 506, 830). In Anbetracht der intimen Beziehungen <br>
zwischen Rom und Bukarest war aber nicht daran zu denken, <br>
daß Rumänien eine andere Haltung einnehmen werde, als Italien <br>
(Weißbuch Nr. 868). <br>

Die noch schwebenden Verhandlungen über ein Bündnis <br>
mit der Türkei wurden sofort zum Abschluß gebracht (Weiß- <br>
buch Nr. 508, 547, 726). Auch der Vertragsschluß mit Bul- <br>
garien wurde beschleunigt (Weißbuch Nr. 673, 697). <br>

Von Dänemark wurde nichts anderes als eine neutrale <br>
Haltung erwartet (Weißbuch Nr. 494) ; ebenso von Holland <br>
(Weißbuch Nr. 674) und der Schweiz (Weißbuch Nr. 500). <br>
Dagegen scheint man mit der Möglichkeit gerechnet zu haben, <br>
daß Schweden in den Krieg eingreifen könnte (Weißbuch <br>
Nr. 123, 319, 406, 520). In der Mitteilung nach Stockholm, daß <br>
Finnland von russischen Truppen entblößt sei (Weißbuch Nr. 552), <br>
liegt die Aufforderung versteckt, sich dieser ehemals schwedischen <br>
Provinz zu bemächtigen. Es bedarf keiner Ausführung, wie aus- <br>
sichtslos ein derartiges Vorgehen war. Cooperation im Kriegs- <br>
falle ist nur nach gründlichen politischen und militärischen Vor- <br>
bereitungen denkbar. An solchen Vorbereitungen für den Welt- <br>
krieg hat es jedoch deutscherseits ganz gefehlt. <br>

Die Aussichtslosigkeit allein hielt aber die Berliner Regierung <br>
nicht vom Versuch ab, hat sie doch sogar Japan aufgefordert, <br>
„in richtiger Würdigung des großen Momentes die gegebenen Kon- <br>
sequenzen zu ziehen" (Weißbuch Nr. 545). In Wien wollte man <br>
bereits am 23. Juli (!) Tokio „auf die sich bietende günstige Ge- <br>
legenheit" aufmerksam machen (Rotbuch 1919, I, Nr. 70). <br>

Die Festsetzung des Termins für die Mobilmachung muß als <br>
rein militärische Frage angesehen werden. Ursprünglich wurde <br>
anscheinend der 2. August als erster Mobilmachungstag in Aus- <br>
sicht genommen (Weißbuch Nr, 479). Weshalb dieser Beschluß <br>
geändert worden ist, geht aus dem Weißbuch nicht hervor. <br>

Daß nach der Kriegserklärung der Generalstab ausgiebig <br>
zu Worte kam, ist nur natürlich. Die Vorschläge, die er an- <br>
brachte, sind aber zum Teil sehr befremdlich. Der Gedanke an <br>
eine Revolutionierung Indiens, Ägyptens, Südafrikas, Polens und <br>
des Kaukasus mutet wie ein schlechter Roman an (Weißbuch <br>

Nr. 662, 751, 876). Das Weißbuch gibt nur einige Beispiele des <br>
planlosen Vorgehens militärischer Stellen, wie die Absicht der <br>
„Verhaftung verschiedener hoher luxemburgischer Beamter" <br>
(Weißbuch Nr. 684) und des geplanten Vorgehens des Oberkom- <br>
mandos in den Marken gegen die französische Botschaft (Weiß- <br>
buch Nr. 721). Man kann nur sagen : „Wehe, wenn sie losgelassen !" <br>
Andererseits ist diese Planlosigkeit und das Fehlen eines engen <br>
Zusammenhanges zwischen politischer und militärischer Leitung <br>
ein weiterer Beweis dafür, daß der Krieg nicht langer Hand vor- <br>
bereitet, also auch nicht gewollt war. <br>

Daß die Verletzung der luxemburgischen und belgischen <br>
Neutralität nur aus militärischen Gründen erfolgte, geht aus dem <br>
Weißbuch einwandfrei hervor. Hierüber abschließend zu ur- <br>
teilen, wird erst möglich sein, wenn die Geschichte des Schlieffen- <br>
planes und seiner Behandlung bekannt wird. Man möchte an- <br>
nehmen, daß eine genügende Verständigung zwischen der poli- <br>
tischen Leitung und den militärischen Stellen nicht stattgefunden <br>
hat. Denn es ist bekannt, daß 1914 ein anderer Kriegsplan, der <br>
die Schonung der belgischen Neutralität vorgesehen hätte, gar <br>
nicht vorhanden war (Rotbuch 1919, III, Nr. 114). Der deutschen <br>
Regierung blieb also keine Wahl. Es fragt sich aber, ob sie nicht <br>
bereits in früheren Jahren, zum mindesten seit Einführung der <br>
schweren Mörser, dem vorbeugen konnte, daß sie im Kriegsfalle <br>
gezwungen würde, eine Völkerrechtsverletzung zu begehen und <br>
den Feldzug mit einem derartig unheilvollen Schritt zu beginnen. <br>

Erfreulich ist immerhin, daß offenbar die politische Leitung <br>
und die militärischen Stellen in dem Wunsche übereinstimmten, <br>
Belgien die größtmögliche Schonung angedeihen zu lassen. <br>

<hr>
 *) Rene Puaux: Les Etudes de la Guerre, Heft 2, S. 131. (Amtliche <br>
russische Mitteilung vom 5. 9. 1917.) <br>