5. Serbiens Antwortnote: Difference between revisions

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Von einer Untersuchung und Bewertung der serbischen Ant-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Von einer Untersuchung und Bewertung der serbischen Ant- <br>
wortnote kann hier abgesehen werden, zumal 1914 die deutsche  
wortnote kann hier abgesehen werden, zumal 1914 die deutsche <br>
Regierung erst spät, am 27. Juli, hierzu Gelegenheit erhielt, also  
Regierung erst spät, am 27. Juli, hierzu Gelegenheit erhielt, also <br>
zu einer Zeit, wo die Einzelheiten der serbischen Note gegenüber  
zu einer Zeit, wo die Einzelheiten der serbischen Note gegenüber <br>
der Entwickelung cl^r Spannung zwischen Wien und Petersburg  
der Entwickelung cl^r Spannung zwischen Wien und Petersburg <br>
viel an Bedeutung verloren hatten. Die Beurteilung war jedenfalls  
viel an Bedeutung verloren hatten. Die Beurteilung war jedenfalls <br>
günstig; aber es ist möglich, daß dieses Urteil weniger ein begrün-  
günstig; aber es ist möglich, daß dieses Urteil weniger ein begrün- <br>
detes als ein opportunistisches war, denn am 30. Juli fragte Beth-  
detes als ein opportunistisches war, denn am 30. Juli fragte Beth- <br>
mann Hollweg im Auswärtigen Amt an, ,, welche Punkte des öster-  
mann Hollweg im Auswärtigen Amt an, ,, welche Punkte des öster- <br>
reichisch - ungarischen Ultimatums Serbien überhaupt abgelehnt  
reichisch - ungarischen Ultimatums Serbien überhaupt abgelehnt <br>
habe" (Weißbuch Nr. 421, Anm. 2). Ein eingehender Ver-  
habe" (Weißbuch Nr. 421, Anm. 2). Ein eingehender Ver- <br>
gleich der Antwortnote mit dem Ultimatum ist also, falls ein  
gleich der Antwortnote mit dem Ultimatum ist also, falls ein <br>
solcher deutscherseits überhaupt vorgenommen wurde, dem Reichs-  
solcher deutscherseits überhaupt vorgenommen wurde, dem Reichs- <br>
kanzler allem Anscheine nach bis dahin nicht vorgelegt worden,  
kanzler allem Anscheine nach bis dahin nicht vorgelegt worden, <br>
Berlin hat sich wohl zunächst mit der Wiener Mitteilung vom  
Berlin hat sich wohl zunächst mit der Wiener Mitteilung vom <br>
25. Juli: ,,in der Antwort seien mehrere Punkte unbefriedigend"  
25. Juli: ,,in der Antwort seien mehrere Punkte unbefriedigend" <br>
(Weißbuch Nr. 188), zufrieden gegeben und dann die österreichische  
(Weißbuch Nr. 188), zufrieden gegeben und dann die österreichische <br>
Erläuterung der Note (Rotbuch 1919, II, Nr. 96), die erst am 29. Juli  
Erläuterung der Note (Rotbuch 1919, II, Nr. 96), die erst am 29. Juli <br>
einging (Weißbuch Nr. 347), nicht weiter nachgeprüft. Ein ge-  
einging (Weißbuch Nr. 347), nicht weiter nachgeprüft. Ein ge- <br>
wisses Mißtrauen gegen Wien hat aber anscheinend bestanden,  
wisses Mißtrauen gegen Wien hat aber anscheinend bestanden, <br>
denn am 27. Juli verlangte Jagow die telegraphische Über-  
denn am 27. Juli verlangte Jagow die telegraphische Über- <br>
mittlung des Textes der serbischen Antwort (Weißbuch  
mittlung des Textes der serbischen Antwort (Weißbuch <br>
Nr. 246).  
Nr. 246). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Nach Auffassung der Wiener Regierung hat Serbien weder  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Nach Auffassung der Wiener Regierung hat Serbien weder <br>
die gestellten Forderungen in der durch die Note vom 23. Juli  
die gestellten Forderungen in der durch die Note vom 23. Juli <br>
gesetzten Frist erfüllt, noch in der nachher gelassenen Zeit den  
gesetzten Frist erfüllt, noch in der nachher gelassenen Zeit den <br>
Willen bekundet, sich friedlich mit Österreich - Ungarn zu ver-  
Willen bekundet, sich friedlich mit Österreich - Ungarn zu ver- <br>
ständigen. Die Antwortnote, die am 25. Juli dem österreichisch-  
ständigen. Die Antwortnote, die am 25. Juli dem österreichisch- <br>
ungarischen Gesandten überreicht wurde, formulierte in den  
ungarischen Gesandten überreicht wurde, formulierte in den <br>
meisten Punkten Vorbehalte, welche den Wert der gemachten  
meisten Punkten Vorbehalte, welche den Wert der gemachten <br>
Zugeständnisse wesentlich herabdrückten. Die Ablehnung betraf  
Zugeständnisse wesentlich herabdrückten. Die Ablehnung betraf <br>
aber gerade jene Punkte, welche nach österreichisch - ungarischer  
aber gerade jene Punkte, welche nach österreichisch - ungarischer <br>
Auffassung einige Garantie für die faktische Erreichung des ange-  
Auffassung einige Garantie für die faktische Erreichung des ange- <br>
strebten Zweckes enthielten (Rotbuch 1919, III, Nr. 25, Weiß-  
strebten Zweckes enthielten (Rotbuch 1919, III, Nr. 25, Weiß- <br>
buch Nr. 400).  
buch Nr. 400). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Kabinette in Petersburg, Paris und London haben wieder-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Kabinette in Petersburg, Paris und London haben wieder- <br>
holt behauptet, daß sie in Belgrad zur Nachgiebigkeit gegenüber  
holt behauptet, daß sie in Belgrad zur Nachgiebigkeit gegenüber <br>
den österreichisch-ungarischen Forderungen geraten hätten. Ein  
den österreichisch-ungarischen Forderungen geraten hätten. Ein <br>
Beweis hierfür ist nicht erbracht; nach den veröffentlichten Doku-  
Beweis hierfür ist nicht erbracht; nach den veröffentlichten Doku- <br>
menten ließe sich eher das Gegenteil annehmen.  
menten ließe sich eher das Gegenteil annehmen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Weder im russischen Orangebuch noch im serbischen Blau-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Weder im russischen Orangebuch noch im serbischen Blau- <br>
buch ist von irgendeinem Ratschlag die Rede, der von Petersburg  
buch ist von irgendeinem Ratschlag die Rede, der von Petersburg <br>
nach Belgrad gelangt wäre. Pokrowski teilt mit, daß in der Zeit  
nach Belgrad gelangt wäre. Pokrowski teilt mit, daß in der Zeit <br>
zwischen dem Mord von Sarajevo und dem 22. Juli Sasonow von  
zwischen dem Mord von Sarajevo und dem 22. Juli Sasonow von <br>
London aus wiederholt wegen der unvorsichtigen Handlungsweise  
London aus wiederholt wegen der unvorsichtigen Handlungsweise <br>
des russischen Vertreters in Belgrad gewarnt wurde. Am 22. Juli  
des russischen Vertreters in Belgrad gewarnt wurde. Am 22. Juli <br>
telegraphierte Benckendorff, Grey sei besorgt, der Nachfolger  
telegraphierte Benckendorff, Grey sei besorgt, der Nachfolger <br>
Hartwigs würde plötzlich ,,eine bestimmte Haltung annehmen",  
Hartwigs würde plötzlich ,,eine bestimmte Haltung annehmen", <br>
und das würde ,,eine außerordentlich schwer gutzumachende Tat-  
und das würde ,,eine außerordentlich schwer gutzumachende Tat- <br>
sache" sein (Prawda Nr. 7 vom 9. März 1919). Der englische Ge-  
sache" sein (Prawda Nr. 7 vom 9. März 1919). Der englische Ge- <br>
schäftsträger in Belgrad berichtete am 25. Juli, weder sein russischer  
schäftsträger in Belgrad berichtete am 25. Juli, weder sein russischer <br>
Kollege noch der französische Gesandte hätten Anweisungen ihrer  
Kollege noch der französische Gesandte hätten Anweisungen ihrer <br>
Regierungen erhalten, Serbien Ratschläge zu erteilen. Er fügt  
Regierungen erhalten, Serbien Ratschläge zu erteilen. Er fügt <br>
allerdings hinzu, er halte es für „höchst wahrscheinlich", daß die  
allerdings hinzu, er halte es für „höchst wahrscheinlich", daß die <br>
russische Regierung bereits die serbische zu äußerster Mäßigung  
russische Regierung bereits die serbische zu äußerster Mäßigung <br>
veranlaßt habe (Blaubuch Nr. 22). Ein Beweisstück für diese  
veranlaßt habe (Blaubuch Nr. 22). Ein Beweisstück für diese <br>
Annahme liegt jedoch nicht vor. In seinem Telegramm nach Wien  
Annahme liegt jedoch nicht vor. In seinem Telegramm nach Wien <br>
vom 24. Juli (Orangebuch Nr. 4) erklärte Sasonow vielmehr, die  
vom 24. Juli (Orangebuch Nr. 4) erklärte Sasonow vielmehr, die <br>
Mächte würden erst, im Falle sie sich von der Berechtigung ge-  
Mächte würden erst, im Falle sie sich von der Berechtigung ge- <br>
wisser österreichisch - ungarischer Forderungen durch Einsicht  
wisser österreichisch - ungarischer Forderungen durch Einsicht <br>
in die Ergebnisse der Untersuchung in Sarajevo überzeugt hätten,  
in die Ergebnisse der Untersuchung in Sarajevo überzeugt hätten, <br>
in der Lage sein, der serbischen Regierung dementsprechende  
in der Lage sein, der serbischen Regierung dementsprechende <br>
Ratschläge zu erteilen. Am 25. Juli bemerkte er zu Greys Vorschlag  
Ratschläge zu erteilen. Am 25. Juli bemerkte er zu Greys Vorschlag <br>
der Erteilung bedingter Ratschläge in Belgrad (Blaubuch Nr. 12),  
der Erteilung bedingter Ratschläge in Belgrad (Blaubuch Nr. 12), <br>
es sei hierzu zu spät (Blaubuch Nr. 17). Hieraus geht ebenfalls  
es sei hierzu zu spät (Blaubuch Nr. 17). Hieraus geht ebenfalls <br>
hervor, daß Petersburg nicht im Sinne der Mäßigung auf Belgrad  
hervor, daß Petersburg nicht im Sinne der Mäßigung auf Belgrad <br>
eingewirkt hatte. (Das Gegenteil behauptete freilich Grey nach  
eingewirkt hatte. (Das Gegenteil behauptete freilich Grey nach <br>
Weißbuch Nr. 258, Schebeko nach Blaubuch Nr. 118 und Bienvenu  
Weißbuch Nr. 258, Schebeko nach Blaubuch Nr. 118 und Bienvenu <br>
Martin in Gelbbuch Nr. 36 und 61, ohne aber Belege zu erbringen.)  
Martin in Gelbbuch Nr. 36 und 61, ohne aber Belege zu erbringen.) <br>
Nach einem Bericht des belgischen Geschäftsträgers in Petersburg  
Nach einem Bericht des belgischen Geschäftsträgers in Petersburg <br>
vom 26. Juli 1914 (Nr, 782/396) hätte Sasonow der serbischen  
vom 26. Juli 1914 (Nr, 782/396) hätte Sasonow der serbischen <br>
Regierung nahegelegt, „jenen Forderungen des Ultimatums, welche  
Regierung nahegelegt, „jenen Forderungen des Ultimatums, welche <br>
rechtlicher Art seien, nachzukommen, während ihr zu verstehen  
rechtlicher Art seien, nachzukommen, während ihr zu verstehen <br>
gegeben wurde, daß jene Forderungen, welche durch ihren poli-  
gegeben wurde, daß jene Forderungen, welche durch ihren poli- <br>
tischen Inhalt die Souveränität und Unabhängigkeit der Nation  
tischen Inhalt die Souveränität und Unabhängigkeit der Nation <br>
berührten, nicht den Gegenstand einer Kapitulation bilden dürften".  
berührten, nicht den Gegenstand einer Kapitulation bilden dürften". <br>
(Deutsche Allgemeine Zeitung vom 22. 5. 1919.) Eine zur Unnach-  
(Deutsche Allgemeine Zeitung vom 22. 5. 1919.) Eine zur Unnach- <br>
giebigkeit neigende Regierung mußte in diesem Ratschlag die  
giebigkeit neigende Regierung mußte in diesem Ratschlag die <br>
Aufforderung sehen, die österreichisch - ungarischen Forderungen  
Aufforderung sehen, die österreichisch - ungarischen Forderungen <br>
abzulehnen.  
abzulehnen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der serbische Gesandte in Petersburg hat in der ,,Nowoje  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der serbische Gesandte in Petersburg hat in der ,,Nowoje <br>
Wremja" vom 23. Dezember 1914 mitgeteilt, Sasonow habe am  
Wremja" vom 23. Dezember 1914 mitgeteilt, Sasonow habe am <br>
24. Juli ,, große Entschlossenheit" an den Tag gelegt und ihm gesagt,  
24. Juli ,, große Entschlossenheit" an den Tag gelegt und ihm gesagt, <br>
daß Rußland in keinem Fall aggressive Handlungen Österreichs  
daß Rußland in keinem Fall aggressive Handlungen Österreichs <br>
gegen Serbien zulassen könne. Er — Sasonow — habe Pourtales  
gegen Serbien zulassen könne. Er — Sasonow — habe Pourtales <br>
erklärt (was aber nicht zutrifft, vgl. Weißbuch Nr. 160, 204), daß  
erklärt (was aber nicht zutrifft, vgl. Weißbuch Nr. 160, 204), daß <br>
ein Überfall auf Serbien die größten Lebensinteressen Rußlands  
ein Überfall auf Serbien die größten Lebensinteressen Rußlands <br>
berühre, und deshalb die russische Regierung gezwungen sein  
berühre, und deshalb die russische Regierung gezwungen sein <br>
werde, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, die sie im gegebenen  
werde, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, die sie im gegebenen <br>
Moment für notwendig befinden werde (Norddeutsche All-  
Moment für notwendig befinden werde (Norddeutsche All- <br>
gemeine Zeitung vom 3. Januar 1915). Eine derartige Erklärung,  
gemeine Zeitung vom 3. Januar 1915). Eine derartige Erklärung, <br>
die in Belgrad natürlich mit den früheren Hinweisen auf einen  
die in Belgrad natürlich mit den früheren Hinweisen auf einen <br>
kommenden Krieg mit Österreich - Ungarn in Verbindung gebracht  
kommenden Krieg mit Österreich - Ungarn in Verbindung gebracht <br>
wurde, muß als Gegenteil einer Aufforderung zur Nachgiebigkeit  
wurde, muß als Gegenteil einer Aufforderung zur Nachgiebigkeit <br>
angesehen werden. Überdies hat der griechische Gesandte in  
angesehen werden. Überdies hat der griechische Gesandte in <br>
Belgrad am 25. Juli berichtet, es sei der dortigen Regierung be-  
Belgrad am 25. Juli berichtet, es sei der dortigen Regierung be- <br>
kannt, daß der Ministerrat in Petersburg die militärische Unter-  
kannt, daß der Ministerrat in Petersburg die militärische Unter- <br>
stützung Serbiens beschlossen habe, daß aber die Entscheidung  
stützung Serbiens beschlossen habe, daß aber die Entscheidung <br>
des Zaren noch ausstehe (Griechisches Weißbuch 1913-1917  
des Zaren noch ausstehe (Griechisches Weißbuch 1913-1917 <br>
Nr. 12).  
Nr. 12). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die französische Regierung riet Serbien nicht zum Nach-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die französische Regierung riet Serbien nicht zum Nach- <br>
geben, sondern zu versuchen, Zeit zu gewinnen, Einwände zu er-  
geben, sondern zu versuchen, Zeit zu gewinnen, Einwände zu er- <br>
heben und sich dem direkten Eingriff Österreich-Ungarns dadurch  
heben und sich dem direkten Eingriff Österreich-Ungarns dadurch <br>
zu entziehen, daß es sich bereit erklärte, sich einem Schiedsgericht  
zu entziehen, daß es sich bereit erklärte, sich einem Schiedsgericht <br>
Europas zu unterwerfen (Gelbbuch Nr. 26).  
Europas zu unterwerfen (Gelbbuch Nr. 26). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Grey wies den englischen Geschäftsträger in Belgrad an, der  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Grey wies den englischen Geschäftsträger in Belgrad an, der <br>
serbischen Regierung den Rat zu geben, ,, Teilnahme und Bedauern"  
serbischen Regierung den Rat zu geben, ,, Teilnahme und Bedauern" <br>
darüber auszusprechen, daß serbische Beamte an dem Morde von  
darüber auszusprechen, daß serbische Beamte an dem Morde von <br>
Sarajevo mitschuldig seien. Sie sollte ,, versprechen", vollste Ge-  
Sarajevo mitschuldig seien. Sie sollte ,, versprechen", vollste Ge- <br>
nugtuung zu geben, aber im übrigen müsse sie so antworten, wie sie  
nugtuung zu geben, aber im übrigen müsse sie so antworten, wie sie <br>
es im serbischen Interesse für das beste halte (Blaubuch Nr. 12;  
es im serbischen Interesse für das beste halte (Blaubuch Nr. 12; <br>
siehe den richtiggestellten Wortlaut bei Oman, S. 40). Der Ge-  
siehe den richtiggestellten Wortlaut bei Oman, S. 40). Der Ge- <br>
schäftsträger nahm davon Abstand, selbst diesen sehr bedingten  
schäftsträger nahm davon Abstand, selbst diesen sehr bedingten <br>
Rat zum Einlenken zu erteilen, da seine Dreiverbandskollegen ohne  
Rat zum Einlenken zu erteilen, da seine Dreiverbandskollegen ohne <br>
Instruktionen waren (Blaubuch Nr. 22).  
Instruktionen waren (Blaubuch Nr. 22). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die österreichisch - ungarische Regierung hat die serbische  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die österreichisch - ungarische Regierung hat die serbische <br>
Antwortnote als ungenügend erachtet und die diplomatischen  
Antwortnote als ungenügend erachtet und die diplomatischen <br>
Beziehungen zu Serbien noch am 25. Juli abgebrochen. Eine  
Beziehungen zu Serbien noch am 25. Juli abgebrochen. Eine <br>
Kriegserklärung erfolgte zunächst nicht, obwohl Serbien dadurch,  
Kriegserklärung erfolgte zunächst nicht, obwohl Serbien dadurch, <br>
daß es bereits vor Überreichung der Antwortnote mobilisierte  
daß es bereits vor Überreichung der Antwortnote mobilisierte <br>
(Weißbuch Nr. 158, Rotbuch 1919, II, Nr. 26), zeigte, welches  
(Weißbuch Nr. 158, Rotbuch 1919, II, Nr. 26), zeigte, welches <br>
seine künftige Haltung sein werde. Diese Mobilmachung verriet  
seine künftige Haltung sein werde. Diese Mobilmachung verriet <br>
auch, daß die serbische Regierung selbst in ihrer Antwort keine  
auch, daß die serbische Regierung selbst in ihrer Antwort keine <br>
Erfüllung der österreichisch - ungarischen Forderungen sah, und  
Erfüllung der österreichisch - ungarischen Forderungen sah, und <br>
,,daß in Belgrad zu einer friedlichen Austragung der Sache keine  
,,daß in Belgrad zu einer friedlichen Austragung der Sache keine <br>
Neigung bestand". (Rotbuch 1919, II, Nr. 57.)  
Neigung bestand". (Rotbuch 1919, II, Nr. 57.) <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die deutsche Regierung ist nicht in der Lage gewesen, zur  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die deutsche Regierung ist nicht in der Lage gewesen, zur <br>
österreichisch - ungarischen Beurteilung der serbischen Antwort  
österreichisch - ungarischen Beurteilung der serbischen Antwort <br>
Stellung zu nehmen, da letztere erst am 27. Juli zu ihrer Kenntnis  
Stellung zu nehmen, da letztere erst am 27. Juli zu ihrer Kenntnis <br>
gelangte (Weißbuch Nr. 271), die Gründe für die Ablehnung Wiens  
gelangte (Weißbuch Nr. 271), die Gründe für die Ablehnung Wiens <br>
sogar erst am 29. Juli (Weißbuch Nr. 347). Berlin hat offenbar  
sogar erst am 29. Juli (Weißbuch Nr. 347). Berlin hat offenbar <br>
ein Einlenken Serbiens gar nicht erwartet und deswegen mit einer  
ein Einlenken Serbiens gar nicht erwartet und deswegen mit einer <br>
militärischen Aktion, die von vornherein als wahrscheinlich an-  
militärischen Aktion, die von vornherein als wahrscheinlich an- <br>
genommen worden war, gerechnet. Von diesen Gesichtspunkten  
genommen worden war, gerechnet. Von diesen Gesichtspunkten <br>
ausgehend, ließ man deutscherseits am 25. Juli den Rat nach .Wien  
ausgehend, ließ man deutscherseits am 25. Juli den Rat nach .Wien <br>
gelangen, im Falle einer ablehnenden Antwort Serbiens die^>kriege-  
gelangen, im Falle einer ablehnenden Antwort Serbiens die^>kriege- <br>
rischen Operationen sofort zu beginnen und die Welt vor ein fait  
rischen Operationen sofort zu beginnen und die Welt vor ein fait <br>
accompli zu stellen, um so der Einmischung dritter Mächte vor-  
accompli zu stellen, um so der Einmischung dritter Mächte vor- <br>
zubeugen (Rotbuch 1919, II, Nr. 32, Weißbuch Nr. 213). In ähn-  
zubeugen (Rotbuch 1919, II, Nr. 32, Weißbuch Nr. 213). In ähn- <br>
lichem Sinne hatte sich Tisza bereits am 24. Juli ausgesprochen  
lichem Sinne hatte sich Tisza bereits am 24. Juli ausgesprochen <br>
(Rotbuch 1919, II, Nr. 21). Vom Standpunkt des Wiener und  
(Rotbuch 1919, II, Nr. 21). Vom Standpunkt des Wiener und <br>
Berliner Kabinetts erschien es notwendig, Serbien einen Denkzettel  
Berliner Kabinetts erschien es notwendig, Serbien einen Denkzettel <br>
zu geben, um der fortwährenden Beunruhigung ein Ende zu machen.  
zu geben, um der fortwährenden Beunruhigung ein Ende zu machen. <br>
Die Einmischung der Mächte brachte die Gefahr, daß Serbien  
Die Einmischung der Mächte brachte die Gefahr, daß Serbien <br>
wieder, wie im Jahre 1909, unter dem Drucke Europas leere Ver-  
wieder, wie im Jahre 1909, unter dem Drucke Europas leere Ver- <br>
sprechungen abgab. An diese hätte es sich noch weniger gehalten,  
sprechungen abgab. An diese hätte es sich noch weniger gehalten, <br>
als an die früheren, wenn es aus jener gefährlichen Lage durch  
als an die früheren, wenn es aus jener gefährlichen Lage durch <br>
seine Freunde „errettet" worden wäre. Im Rahmen der damals  
seine Freunde „errettet" worden wäre. Im Rahmen der damals <br>
befolgten Politik erscheint der deutsche Vorschlag als ein durch-  
befolgten Politik erscheint der deutsche Vorschlag als ein durch- <br>
aus vernünftiger. Hätte Österreich- Ungarn, wie viele erwarteten,  
aus vernünftiger. Hätte Österreich- Ungarn, wie viele erwarteten, <br>
sogleich nach Abbruch der Beziehungen zu Serbien Belgrad besetzt,  
sogleich nach Abbruch der Beziehungen zu Serbien Belgrad besetzt, <br>
so würden die Ereignisse wohl einen ganz anderen Verlauf ge-  
so würden die Ereignisse wohl einen ganz anderen Verlauf ge- <br>
nommen haben. Rußland hätte nicht durch den Druck seiner  
nommen haben. Rußland hätte nicht durch den Druck seiner <br>
Mobilmachung den Schwerpunkt der Geschehnisse so frühzeitig  
Mobilmachung den Schwerpunkt der Geschehnisse so frühzeitig <br>
nach Petersburg verlegen können. Im Besitz eines Faustpfandes  
nach Petersburg verlegen können. Im Besitz eines Faustpfandes <br>
wäre Wien sicherlich viel eher bereit gewesen, den Vermittlungs-  
wäre Wien sicherlich viel eher bereit gewesen, den Vermittlungs- <br>
vorschlägen der Mächte, auch Rußlands, Gehör zu schenken. Für  
vorschlägen der Mächte, auch Rußlands, Gehör zu schenken. Für <br>
die deutsche Regierung wäre es dann auch ungleich leichter ge-  
die deutsche Regierung wäre es dann auch ungleich leichter ge- <br>
wesen, mit Rücksicht auf die allgemeine Lage Einstellung der Opera-  
wesen, mit Rücksicht auf die allgemeine Lage Einstellung der Opera- <br>
tionen zu fordern. Der Gedanke einer Erledigung des Konfliktes  
tionen zu fordern. Der Gedanke einer Erledigung des Konfliktes <br>
durch einen militärischen Anfangserfolg lag so nahe, daß damals  
durch einen militärischen Anfangserfolg lag so nahe, daß damals <br>
sogar russischerseits die Frage einer freiwilligen Räumung Belgrads  
sogar russischerseits die Frage einer freiwilligen Räumung Belgrads <br>
durch die Serben erörtert worden ist (Weißbuch Nr. 345, Blau-  
durch die Serben erörtert worden ist (Weißbuch Nr. 345, Blau- <br>
buch Nr. 56).  
buch Nr. 56). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die militärischen Vorbedingungen zu einem derartigen raschen  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die militärischen Vorbedingungen zu einem derartigen raschen <br>
Vorgehen waren jedoch nicht gegeben. Als Termin für einen  
Vorgehen waren jedoch nicht gegeben. Als Termin für einen <br>
österreichisch - ungarischen Vormarsch kam erst der 12. August  
österreichisch - ungarischen Vormarsch kam erst der 12. August <br>
in Frage (Weißbuch Nr. 213). Die Wiener Regierung hat dann  
in Frage (Weißbuch Nr. 213). Die Wiener Regierung hat dann <br>
in unabsichtlicher oder bewußter Verkennung des Sinnes der  
in unabsichtlicher oder bewußter Verkennung des Sinnes der <br>
deutscherseits gemachten Anregung versucht, durch die  
deutscherseits gemachten Anregung versucht, durch die <br>
Kriegserklärung an Serbien ein fait accompli zu schaffen  
Kriegserklärung an Serbien ein fait accompli zu schaffen <br>
und „jedem Interventionsversuch den Boden zu entziehen" (Weiß-  
und „jedem Interventionsversuch den Boden zu entziehen" (Weiß- <br>
buch Nr. 257). Dieses Vorgehen war das denkbar verkehrteste.  
buch Nr. 257). Dieses Vorgehen war das denkbar verkehrteste. <br>
Es provozierte geradezu die Intervention Rußlands, während es  
Es provozierte geradezu die Intervention Rußlands, während es <br>
die Lage im Hinblick auf die Vermittlungsabsichten der anderen  
die Lage im Hinblick auf die Vermittlungsabsichten der anderen <br>
Mächte sehr viel schwieriger gestaltete. Wurde Serbien nach  
Mächte sehr viel schwieriger gestaltete. Wurde Serbien nach <br>
erfolgter Kriegserklärung und ohne eine ,, Lektion" erhalten zu  
erfolgter Kriegserklärung und ohne eine ,, Lektion" erhalten zu <br>
haben, von seinen Freunden „gerettet", dann konnte es mit Recht  
haben, von seinen Freunden „gerettet", dann konnte es mit Recht <br>
glauben, sich künftig Österreich - Ungarn gegenüber alles heraus-  
glauben, sich künftig Österreich - Ungarn gegenüber alles heraus- <br>
nehmen zu dürfen. Die Wiener Regierung hat also selbst die  
nehmen zu dürfen. Die Wiener Regierung hat also selbst die <br>
Zwangslage geschaffen, in der sie sich am Wendepunkt des 30. Juli  
Zwangslage geschaffen, in der sie sich am Wendepunkt des 30. Juli <br>
befand und nicht nachgeben konnte, ohne wesentUchen Schaden  
befand und nicht nachgeben konnte, ohne wesentlichen Schaden <br>
an ihrer innerpolitischen und außenpolitischen Geltung zu erleiden.  
an ihrer innerpolitischen und außenpolitischen Geltung zu erleiden. <br>
Mit Befremden entnimmt man ferner den österreichisch-unga-  
Mit Befremden entnimmt man ferner den österreichisch-unga- <br>
rischen Akten (Rotbuch 1919, II, Nr. 78, 97, III, Nr. 26),  
rischen Akten (Rotbuch 1919, II, Nr. 78, 97, III, Nr. 26), <br>
daß überdies unwahre Nachrichten über die Eröffnung der Feind-  
daß überdies unwahre Nachrichten über die Eröffnung der Feind- <br>
seligkeiten durch Serbien als Vorwand zur Kriegserklärung  
seligkeiten durch Serbien als Vorwand zur Kriegserklärung <br>
dienten.  
dienten. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Berliner Regierung wäre wohl kaum in d^r L^g3 g3W333n,  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die Berliner Regierung wäre wohl kaum in d^r L^g3 g3W333n, <br>
die Kriegserklärung, die ihr bereits am 27. Juli ang3kiifiiigt wjrde  
die Kriegserklärung, die ihr bereits am 27. Juli ang3kiifiiigt wjrde <br>
(Weißbuch Nr. 257), zu verhindern, selbst w^nn sie das Fehbrhafte  
(Weißbuch Nr. 257), zu verhindern, selbst w^nn sie das Fehbrhafte <br>
des Wiener Vorgehens rechtzeitig erkannte, denn sie mj3t3 an-  
des Wiener Vorgehens rechtzeitig erkannte, denn sie mj3t3 an- <br>
nehmen, daß Österreich-Ungarn die Bitte, von dieser papierenen  
nehmen, daß Österreich-Ungarn die Bitte, von dieser papierenen <br>
Kriegserklärung abzusehen, mit deren Möglichkeit von Anfang  
Kriegserklärung abzusehen, mit deren Möglichkeit von Anfang <br>
an gerechnet worden war, ablehnen und D3utschland für sich die  
an gerechnet worden war, ablehnen und D3utschland für sich die <br>
aus einem derartigen Schritte ergebenden politischen Nachteile  
aus einem derartigen Schritte ergebenden politischen Nachteile <br>
sicherlich verantwortlich machen würde.
sicherlich verantwortlich machen würde.<br>

Revision as of 13:17, 22 October 2015

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     Von einer Untersuchung und Bewertung der serbischen Ant-
wortnote kann hier abgesehen werden, zumal 1914 die deutsche
Regierung erst spät, am 27. Juli, hierzu Gelegenheit erhielt, also
zu einer Zeit, wo die Einzelheiten der serbischen Note gegenüber
der Entwickelung cl^r Spannung zwischen Wien und Petersburg
viel an Bedeutung verloren hatten. Die Beurteilung war jedenfalls
günstig; aber es ist möglich, daß dieses Urteil weniger ein begrün-
detes als ein opportunistisches war, denn am 30. Juli fragte Beth-
mann Hollweg im Auswärtigen Amt an, ,, welche Punkte des öster-
reichisch - ungarischen Ultimatums Serbien überhaupt abgelehnt
habe" (Weißbuch Nr. 421, Anm. 2). Ein eingehender Ver-
gleich der Antwortnote mit dem Ultimatum ist also, falls ein
solcher deutscherseits überhaupt vorgenommen wurde, dem Reichs-
kanzler allem Anscheine nach bis dahin nicht vorgelegt worden,
Berlin hat sich wohl zunächst mit der Wiener Mitteilung vom
25. Juli: ,,in der Antwort seien mehrere Punkte unbefriedigend"
(Weißbuch Nr. 188), zufrieden gegeben und dann die österreichische
Erläuterung der Note (Rotbuch 1919, II, Nr. 96), die erst am 29. Juli
einging (Weißbuch Nr. 347), nicht weiter nachgeprüft. Ein ge-
wisses Mißtrauen gegen Wien hat aber anscheinend bestanden,
denn am 27. Juli verlangte Jagow die telegraphische Über-
mittlung des Textes der serbischen Antwort (Weißbuch
Nr. 246).
     Nach Auffassung der Wiener Regierung hat Serbien weder
die gestellten Forderungen in der durch die Note vom 23. Juli
gesetzten Frist erfüllt, noch in der nachher gelassenen Zeit den
Willen bekundet, sich friedlich mit Österreich - Ungarn zu ver-
ständigen. Die Antwortnote, die am 25. Juli dem österreichisch-
ungarischen Gesandten überreicht wurde, formulierte in den
meisten Punkten Vorbehalte, welche den Wert der gemachten
Zugeständnisse wesentlich herabdrückten. Die Ablehnung betraf
aber gerade jene Punkte, welche nach österreichisch - ungarischer
Auffassung einige Garantie für die faktische Erreichung des ange-
strebten Zweckes enthielten (Rotbuch 1919, III, Nr. 25, Weiß-
buch Nr. 400).
     Die Kabinette in Petersburg, Paris und London haben wieder-
holt behauptet, daß sie in Belgrad zur Nachgiebigkeit gegenüber
den österreichisch-ungarischen Forderungen geraten hätten. Ein
Beweis hierfür ist nicht erbracht; nach den veröffentlichten Doku-
menten ließe sich eher das Gegenteil annehmen.
     Weder im russischen Orangebuch noch im serbischen Blau-
buch ist von irgendeinem Ratschlag die Rede, der von Petersburg
nach Belgrad gelangt wäre. Pokrowski teilt mit, daß in der Zeit
zwischen dem Mord von Sarajevo und dem 22. Juli Sasonow von
London aus wiederholt wegen der unvorsichtigen Handlungsweise
des russischen Vertreters in Belgrad gewarnt wurde. Am 22. Juli
telegraphierte Benckendorff, Grey sei besorgt, der Nachfolger
Hartwigs würde plötzlich ,,eine bestimmte Haltung annehmen",
und das würde ,,eine außerordentlich schwer gutzumachende Tat-
sache" sein (Prawda Nr. 7 vom 9. März 1919). Der englische Ge-
schäftsträger in Belgrad berichtete am 25. Juli, weder sein russischer
Kollege noch der französische Gesandte hätten Anweisungen ihrer
Regierungen erhalten, Serbien Ratschläge zu erteilen. Er fügt
allerdings hinzu, er halte es für „höchst wahrscheinlich", daß die
russische Regierung bereits die serbische zu äußerster Mäßigung
veranlaßt habe (Blaubuch Nr. 22). Ein Beweisstück für diese
Annahme liegt jedoch nicht vor. In seinem Telegramm nach Wien
vom 24. Juli (Orangebuch Nr. 4) erklärte Sasonow vielmehr, die
Mächte würden erst, im Falle sie sich von der Berechtigung ge-
wisser österreichisch - ungarischer Forderungen durch Einsicht
in die Ergebnisse der Untersuchung in Sarajevo überzeugt hätten,
in der Lage sein, der serbischen Regierung dementsprechende
Ratschläge zu erteilen. Am 25. Juli bemerkte er zu Greys Vorschlag
der Erteilung bedingter Ratschläge in Belgrad (Blaubuch Nr. 12),
es sei hierzu zu spät (Blaubuch Nr. 17). Hieraus geht ebenfalls
hervor, daß Petersburg nicht im Sinne der Mäßigung auf Belgrad
eingewirkt hatte. (Das Gegenteil behauptete freilich Grey nach
Weißbuch Nr. 258, Schebeko nach Blaubuch Nr. 118 und Bienvenu
Martin in Gelbbuch Nr. 36 und 61, ohne aber Belege zu erbringen.)
Nach einem Bericht des belgischen Geschäftsträgers in Petersburg
vom 26. Juli 1914 (Nr, 782/396) hätte Sasonow der serbischen
Regierung nahegelegt, „jenen Forderungen des Ultimatums, welche
rechtlicher Art seien, nachzukommen, während ihr zu verstehen
gegeben wurde, daß jene Forderungen, welche durch ihren poli-
tischen Inhalt die Souveränität und Unabhängigkeit der Nation
berührten, nicht den Gegenstand einer Kapitulation bilden dürften".
(Deutsche Allgemeine Zeitung vom 22. 5. 1919.) Eine zur Unnach-
giebigkeit neigende Regierung mußte in diesem Ratschlag die
Aufforderung sehen, die österreichisch - ungarischen Forderungen
abzulehnen.
     Der serbische Gesandte in Petersburg hat in der ,,Nowoje
Wremja" vom 23. Dezember 1914 mitgeteilt, Sasonow habe am
24. Juli ,, große Entschlossenheit" an den Tag gelegt und ihm gesagt,
daß Rußland in keinem Fall aggressive Handlungen Österreichs
gegen Serbien zulassen könne. Er — Sasonow — habe Pourtales
erklärt (was aber nicht zutrifft, vgl. Weißbuch Nr. 160, 204), daß
ein Überfall auf Serbien die größten Lebensinteressen Rußlands
berühre, und deshalb die russische Regierung gezwungen sein
werde, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, die sie im gegebenen
Moment für notwendig befinden werde (Norddeutsche All-
gemeine Zeitung vom 3. Januar 1915). Eine derartige Erklärung,
die in Belgrad natürlich mit den früheren Hinweisen auf einen
kommenden Krieg mit Österreich - Ungarn in Verbindung gebracht
wurde, muß als Gegenteil einer Aufforderung zur Nachgiebigkeit
angesehen werden. Überdies hat der griechische Gesandte in
Belgrad am 25. Juli berichtet, es sei der dortigen Regierung be-
kannt, daß der Ministerrat in Petersburg die militärische Unter-
stützung Serbiens beschlossen habe, daß aber die Entscheidung
des Zaren noch ausstehe (Griechisches Weißbuch 1913-1917
Nr. 12).
     Die französische Regierung riet Serbien nicht zum Nach-
geben, sondern zu versuchen, Zeit zu gewinnen, Einwände zu er-
heben und sich dem direkten Eingriff Österreich-Ungarns dadurch
zu entziehen, daß es sich bereit erklärte, sich einem Schiedsgericht
Europas zu unterwerfen (Gelbbuch Nr. 26).
     Grey wies den englischen Geschäftsträger in Belgrad an, der
serbischen Regierung den Rat zu geben, ,, Teilnahme und Bedauern"
darüber auszusprechen, daß serbische Beamte an dem Morde von
Sarajevo mitschuldig seien. Sie sollte ,, versprechen", vollste Ge-
nugtuung zu geben, aber im übrigen müsse sie so antworten, wie sie
es im serbischen Interesse für das beste halte (Blaubuch Nr. 12;
siehe den richtiggestellten Wortlaut bei Oman, S. 40). Der Ge-
schäftsträger nahm davon Abstand, selbst diesen sehr bedingten
Rat zum Einlenken zu erteilen, da seine Dreiverbandskollegen ohne
Instruktionen waren (Blaubuch Nr. 22).
     Die österreichisch - ungarische Regierung hat die serbische
Antwortnote als ungenügend erachtet und die diplomatischen
Beziehungen zu Serbien noch am 25. Juli abgebrochen. Eine
Kriegserklärung erfolgte zunächst nicht, obwohl Serbien dadurch,
daß es bereits vor Überreichung der Antwortnote mobilisierte
(Weißbuch Nr. 158, Rotbuch 1919, II, Nr. 26), zeigte, welches
seine künftige Haltung sein werde. Diese Mobilmachung verriet
auch, daß die serbische Regierung selbst in ihrer Antwort keine
Erfüllung der österreichisch - ungarischen Forderungen sah, und
,,daß in Belgrad zu einer friedlichen Austragung der Sache keine
Neigung bestand". (Rotbuch 1919, II, Nr. 57.)
     Die deutsche Regierung ist nicht in der Lage gewesen, zur
österreichisch - ungarischen Beurteilung der serbischen Antwort
Stellung zu nehmen, da letztere erst am 27. Juli zu ihrer Kenntnis
gelangte (Weißbuch Nr. 271), die Gründe für die Ablehnung Wiens
sogar erst am 29. Juli (Weißbuch Nr. 347). Berlin hat offenbar
ein Einlenken Serbiens gar nicht erwartet und deswegen mit einer
militärischen Aktion, die von vornherein als wahrscheinlich an-
genommen worden war, gerechnet. Von diesen Gesichtspunkten
ausgehend, ließ man deutscherseits am 25. Juli den Rat nach .Wien
gelangen, im Falle einer ablehnenden Antwort Serbiens die^>kriege-
rischen Operationen sofort zu beginnen und die Welt vor ein fait
accompli zu stellen, um so der Einmischung dritter Mächte vor-
zubeugen (Rotbuch 1919, II, Nr. 32, Weißbuch Nr. 213). In ähn-
lichem Sinne hatte sich Tisza bereits am 24. Juli ausgesprochen
(Rotbuch 1919, II, Nr. 21). Vom Standpunkt des Wiener und
Berliner Kabinetts erschien es notwendig, Serbien einen Denkzettel
zu geben, um der fortwährenden Beunruhigung ein Ende zu machen.
Die Einmischung der Mächte brachte die Gefahr, daß Serbien
wieder, wie im Jahre 1909, unter dem Drucke Europas leere Ver-
sprechungen abgab. An diese hätte es sich noch weniger gehalten,
als an die früheren, wenn es aus jener gefährlichen Lage durch
seine Freunde „errettet" worden wäre. Im Rahmen der damals
befolgten Politik erscheint der deutsche Vorschlag als ein durch-
aus vernünftiger. Hätte Österreich- Ungarn, wie viele erwarteten,
sogleich nach Abbruch der Beziehungen zu Serbien Belgrad besetzt,
so würden die Ereignisse wohl einen ganz anderen Verlauf ge-
nommen haben. Rußland hätte nicht durch den Druck seiner
Mobilmachung den Schwerpunkt der Geschehnisse so frühzeitig
nach Petersburg verlegen können. Im Besitz eines Faustpfandes
wäre Wien sicherlich viel eher bereit gewesen, den Vermittlungs-
vorschlägen der Mächte, auch Rußlands, Gehör zu schenken. Für
die deutsche Regierung wäre es dann auch ungleich leichter ge-
wesen, mit Rücksicht auf die allgemeine Lage Einstellung der Opera-
tionen zu fordern. Der Gedanke einer Erledigung des Konfliktes
durch einen militärischen Anfangserfolg lag so nahe, daß damals
sogar russischerseits die Frage einer freiwilligen Räumung Belgrads
durch die Serben erörtert worden ist (Weißbuch Nr. 345, Blau-
buch Nr. 56).
     Die militärischen Vorbedingungen zu einem derartigen raschen
Vorgehen waren jedoch nicht gegeben. Als Termin für einen
österreichisch - ungarischen Vormarsch kam erst der 12. August
in Frage (Weißbuch Nr. 213). Die Wiener Regierung hat dann
in unabsichtlicher oder bewußter Verkennung des Sinnes der
deutscherseits gemachten Anregung versucht, durch die
Kriegserklärung an Serbien ein fait accompli zu schaffen
und „jedem Interventionsversuch den Boden zu entziehen" (Weiß-
buch Nr. 257). Dieses Vorgehen war das denkbar verkehrteste.
Es provozierte geradezu die Intervention Rußlands, während es
die Lage im Hinblick auf die Vermittlungsabsichten der anderen
Mächte sehr viel schwieriger gestaltete. Wurde Serbien nach
erfolgter Kriegserklärung und ohne eine ,, Lektion" erhalten zu
haben, von seinen Freunden „gerettet", dann konnte es mit Recht
glauben, sich künftig Österreich - Ungarn gegenüber alles heraus-
nehmen zu dürfen. Die Wiener Regierung hat also selbst die
Zwangslage geschaffen, in der sie sich am Wendepunkt des 30. Juli
befand und nicht nachgeben konnte, ohne wesentlichen Schaden
an ihrer innerpolitischen und außenpolitischen Geltung zu erleiden.
Mit Befremden entnimmt man ferner den österreichisch-unga-
rischen Akten (Rotbuch 1919, II, Nr. 78, 97, III, Nr. 26),
daß überdies unwahre Nachrichten über die Eröffnung der Feind-
seligkeiten durch Serbien als Vorwand zur Kriegserklärung
dienten.
     Die Berliner Regierung wäre wohl kaum in d^r L^g3 g3W333n,
die Kriegserklärung, die ihr bereits am 27. Juli ang3kiifiiigt wjrde
(Weißbuch Nr. 257), zu verhindern, selbst w^nn sie das Fehbrhafte
des Wiener Vorgehens rechtzeitig erkannte, denn sie mj3t3 an-
nehmen, daß Österreich-Ungarn die Bitte, von dieser papierenen
Kriegserklärung abzusehen, mit deren Möglichkeit von Anfang
an gerechnet worden war, ablehnen und D3utschland für sich die
aus einem derartigen Schritte ergebenden politischen Nachteile
sicherlich verantwortlich machen würde.