5. Serbiens Antwortnote

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WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 5 (Commentary) > II. Der österreichisch-serbische Konflikt > 5. Serbiens Antwortnote


     Von einer Untersuchung und Bewertung der serbischen Ant- wortnote kann hier abgesehen werden, zumal 1914 die deutsche Regierung erst spät, am 27. Juli, hierzu Gelegenheit erhielt, also zu einer Zeit, wo die Einzelheiten der serbischen Note gegenüber der Entwickelung cl^r Spannung zwischen Wien und Petersburg viel an Bedeutung verloren hatten. Die Beurteilung war jedenfalls günstig; aber es ist möglich, daß dieses Urteil weniger ein begrün- detes als ein opportunistisches war, denn am 30. Juli fragte Beth- mann Hollweg im Auswärtigen Amt an, ,, welche Punkte des öster- reichisch - ungarischen Ultimatums Serbien überhaupt abgelehnt habe" (Weißbuch Nr. 421, Anm. 2). Ein eingehender Ver- gleich der Antwortnote mit dem Ultimatum ist also, falls ein solcher deutscherseits überhaupt vorgenommen wurde, dem Reichs- kanzler allem Anscheine nach bis dahin nicht vorgelegt worden, Berlin hat sich wohl zunächst mit der Wiener Mitteilung vom 25. Juli: ,,in der Antwort seien mehrere Punkte unbefriedigend" (Weißbuch Nr. 188), zufrieden gegeben und dann die österreichische Erläuterung der Note (Rotbuch 1919, II, Nr. 96), die erst am 29. Juli einging (Weißbuch Nr. 347), nicht weiter nachgeprüft. Ein ge- wisses Mißtrauen gegen Wien hat aber anscheinend bestanden, denn am 27. Juli verlangte Jagow die telegraphische Über- mittlung des Textes der serbischen Antwort (Weißbuch Nr. 246).      Nach Auffassung der Wiener Regierung hat Serbien weder die gestellten Forderungen in der durch die Note vom 23. Juli gesetzten Frist erfüllt, noch in der nachher gelassenen Zeit den Willen bekundet, sich friedlich mit Österreich - Ungarn zu ver- ständigen. Die Antwortnote, die am 25. Juli dem österreichisch- ungarischen Gesandten überreicht wurde, formulierte in den meisten Punkten Vorbehalte, welche den Wert der gemachten Zugeständnisse wesentlich herabdrückten. Die Ablehnung betraf aber gerade jene Punkte, welche nach österreichisch - ungarischer Auffassung einige Garantie für die faktische Erreichung des ange- strebten Zweckes enthielten (Rotbuch 1919, III, Nr. 25, Weiß- buch Nr. 400).      Die Kabinette in Petersburg, Paris und London haben wieder- holt behauptet, daß sie in Belgrad zur Nachgiebigkeit gegenüber den österreichisch-ungarischen Forderungen geraten hätten. Ein Beweis hierfür ist nicht erbracht; nach den veröffentlichten Doku- menten ließe sich eher das Gegenteil annehmen.      Weder im russischen Orangebuch noch im serbischen Blau- buch ist von irgendeinem Ratschlag die Rede, der von Petersburg nach Belgrad gelangt wäre. Pokrowski teilt mit, daß in der Zeit zwischen dem Mord von Sarajevo und dem 22. Juli Sasonow von London aus wiederholt wegen der unvorsichtigen Handlungsweise des russischen Vertreters in Belgrad gewarnt wurde. Am 22. Juli telegraphierte Benckendorff, Grey sei besorgt, der Nachfolger Hartwigs würde plötzlich ,,eine bestimmte Haltung annehmen", und das würde ,,eine außerordentlich schwer gutzumachende Tat- sache" sein (Prawda Nr. 7 vom 9. März 1919). Der englische Ge- schäftsträger in Belgrad berichtete am 25. Juli, weder sein russischer Kollege noch der französische Gesandte hätten Anweisungen ihrer Regierungen erhalten, Serbien Ratschläge zu erteilen. Er fügt allerdings hinzu, er halte es für „höchst wahrscheinlich", daß die russische Regierung bereits die serbische zu äußerster Mäßigung veranlaßt habe (Blaubuch Nr. 22). Ein Beweisstück für diese Annahme liegt jedoch nicht vor. In seinem Telegramm nach Wien vom 24. Juli (Orangebuch Nr. 4) erklärte Sasonow vielmehr, die Mächte würden erst, im Falle sie sich von der Berechtigung ge- wisser österreichisch - ungarischer Forderungen durch Einsicht in die Ergebnisse der Untersuchung in Sarajevo überzeugt hätten, in der Lage sein, der serbischen Regierung dementsprechende Ratschläge zu erteilen. Am 25. Juli bemerkte er zu Greys Vorschlag der Erteilung bedingter Ratschläge in Belgrad (Blaubuch Nr. 12), es sei hierzu zu spät (Blaubuch Nr. 17). Hieraus geht ebenfalls hervor, daß Petersburg nicht im Sinne der Mäßigung auf Belgrad eingewirkt hatte. (Das Gegenteil behauptete freilich Grey nach Weißbuch Nr. 258, Schebeko nach Blaubuch Nr. 118 und Bienvenu Martin in Gelbbuch Nr. 36 und 61, ohne aber Belege zu erbringen.) Nach einem Bericht des belgischen Geschäftsträgers in Petersburg vom 26. Juli 1914 (Nr, 782/396) hätte Sasonow der serbischen Regierung nahegelegt, „jenen Forderungen des Ultimatums, welche rechtlicher Art seien, nachzukommen, während ihr zu verstehen gegeben wurde, daß jene Forderungen, welche durch ihren poli- tischen Inhalt die Souveränität und Unabhängigkeit der Nation berührten, nicht den Gegenstand einer Kapitulation bilden dürften". (Deutsche Allgemeine Zeitung vom 22. 5. 1919.) Eine zur Unnach- giebigkeit neigende Regierung mußte in diesem Ratschlag die Aufforderung sehen, die österreichisch - ungarischen Forderungen abzulehnen.      Der serbische Gesandte in Petersburg hat in der ,,Nowoje Wremja" vom 23. Dezember 1914 mitgeteilt, Sasonow habe am 24. Juli ,, große Entschlossenheit" an den Tag gelegt und ihm gesagt, daß Rußland in keinem Fall aggressive Handlungen Österreichs gegen Serbien zulassen könne. Er — Sasonow — habe Pourtales erklärt (was aber nicht zutrifft, vgl. Weißbuch Nr. 160, 204), daß ein Überfall auf Serbien die größten Lebensinteressen Rußlands berühre, und deshalb die russische Regierung gezwungen sein werde, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, die sie im gegebenen Moment für notwendig befinden werde (Norddeutsche All- gemeine Zeitung vom 3. Januar 1915). Eine derartige Erklärung, die in Belgrad natürlich mit den früheren Hinweisen auf einen kommenden Krieg mit Österreich - Ungarn in Verbindung gebracht wurde, muß als Gegenteil einer Aufforderung zur Nachgiebigkeit angesehen werden. Überdies hat der griechische Gesandte in Belgrad am 25. Juli berichtet, es sei der dortigen Regierung be- kannt, daß der Ministerrat in Petersburg die militärische Unter- stützung Serbiens beschlossen habe, daß aber die Entscheidung des Zaren noch ausstehe (Griechisches Weißbuch 1913-1917 Nr. 12).      Die französische Regierung riet Serbien nicht zum Nach- geben, sondern zu versuchen, Zeit zu gewinnen, Einwände zu er- heben und sich dem direkten Eingriff Österreich-Ungarns dadurch zu entziehen, daß es sich bereit erklärte, sich einem Schiedsgericht Europas zu unterwerfen (Gelbbuch Nr. 26).      Grey wies den englischen Geschäftsträger in Belgrad an, der serbischen Regierung den Rat zu geben, ,, Teilnahme und Bedauern" darüber auszusprechen, daß serbische Beamte an dem Morde von Sarajevo mitschuldig seien. Sie sollte ,, versprechen", vollste Ge- nugtuung zu geben, aber im übrigen müsse sie so antworten, wie sie es im serbischen Interesse für das beste halte (Blaubuch Nr. 12; siehe den richtiggestellten Wortlaut bei Oman, S. 40). Der Ge- schäftsträger nahm davon Abstand, selbst diesen sehr bedingten Rat zum Einlenken zu erteilen, da seine Dreiverbandskollegen ohne Instruktionen waren (Blaubuch Nr. 22).      Die österreichisch - ungarische Regierung hat die serbische Antwortnote als ungenügend erachtet und die diplomatischen Beziehungen zu Serbien noch am 25. Juli abgebrochen. Eine Kriegserklärung erfolgte zunächst nicht, obwohl Serbien dadurch, daß es bereits vor Überreichung der Antwortnote mobilisierte (Weißbuch Nr. 158, Rotbuch 1919, II, Nr. 26), zeigte, welches seine künftige Haltung sein werde. Diese Mobilmachung verriet auch, daß die serbische Regierung selbst in ihrer Antwort keine Erfüllung der österreichisch - ungarischen Forderungen sah, und ,,daß in Belgrad zu einer friedlichen Austragung der Sache keine Neigung bestand". (Rotbuch 1919, II, Nr. 57.)      Die deutsche Regierung ist nicht in der Lage gewesen, zur österreichisch - ungarischen Beurteilung der serbischen Antwort Stellung zu nehmen, da letztere erst am 27. Juli zu ihrer Kenntnis gelangte (Weißbuch Nr. 271), die Gründe für die Ablehnung Wiens sogar erst am 29. Juli (Weißbuch Nr. 347). Berlin hat offenbar ein Einlenken Serbiens gar nicht erwartet und deswegen mit einer militärischen Aktion, die von vornherein als wahrscheinlich an- genommen worden war, gerechnet. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, ließ man deutscherseits am 25. Juli den Rat nach .Wien gelangen, im Falle einer ablehnenden Antwort Serbiens die^>kriege- rischen Operationen sofort zu beginnen und die Welt vor ein fait accompli zu stellen, um so der Einmischung dritter Mächte vor- zubeugen (Rotbuch 1919, II, Nr. 32, Weißbuch Nr. 213). In ähn- lichem Sinne hatte sich Tisza bereits am 24. Juli ausgesprochen (Rotbuch 1919, II, Nr. 21). Vom Standpunkt des Wiener und Berliner Kabinetts erschien es notwendig, Serbien einen Denkzettel zu geben, um der fortwährenden Beunruhigung ein Ende zu machen. Die Einmischung der Mächte brachte die Gefahr, daß Serbien wieder, wie im Jahre 1909, unter dem Drucke Europas leere Ver- sprechungen abgab. An diese hätte es sich noch weniger gehalten, als an die früheren, wenn es aus jener gefährlichen Lage durch seine Freunde „errettet" worden wäre. Im Rahmen der damals befolgten Politik erscheint der deutsche Vorschlag als ein durch- aus vernünftiger. Hätte Österreich- Ungarn, wie viele erwarteten, sogleich nach Abbruch der Beziehungen zu Serbien Belgrad besetzt, so würden die Ereignisse wohl einen ganz anderen Verlauf ge- nommen haben. Rußland hätte nicht durch den Druck seiner Mobilmachung den Schwerpunkt der Geschehnisse so frühzeitig nach Petersburg verlegen können. Im Besitz eines Faustpfandes wäre Wien sicherlich viel eher bereit gewesen, den Vermittlungs- vorschlägen der Mächte, auch Rußlands, Gehör zu schenken. Für die deutsche Regierung wäre es dann auch ungleich leichter ge- wesen, mit Rücksicht auf die allgemeine Lage Einstellung der Opera- tionen zu fordern. Der Gedanke einer Erledigung des Konfliktes durch einen militärischen Anfangserfolg lag so nahe, daß damals sogar russischerseits die Frage einer freiwilligen Räumung Belgrads durch die Serben erörtert worden ist (Weißbuch Nr. 345, Blau- buch Nr. 56).      Die militärischen Vorbedingungen zu einem derartigen raschen Vorgehen waren jedoch nicht gegeben. Als Termin für einen österreichisch - ungarischen Vormarsch kam erst der 12. August in Frage (Weißbuch Nr. 213). Die Wiener Regierung hat dann in unabsichtlicher oder bewußter Verkennung des Sinnes der deutscherseits gemachten Anregung versucht, durch die Kriegserklärung an Serbien ein fait accompli zu schaffen und „jedem Interventionsversuch den Boden zu entziehen" (Weiß- buch Nr. 257). Dieses Vorgehen war das denkbar verkehrteste. Es provozierte geradezu die Intervention Rußlands, während es die Lage im Hinblick auf die Vermittlungsabsichten der anderen Mächte sehr viel schwieriger gestaltete. Wurde Serbien nach erfolgter Kriegserklärung und ohne eine ,, Lektion" erhalten zu haben, von seinen Freunden „gerettet", dann konnte es mit Recht glauben, sich künftig Österreich - Ungarn gegenüber alles heraus- nehmen zu dürfen. Die Wiener Regierung hat also selbst die Zwangslage geschaffen, in der sie sich am Wendepunkt des 30. Juli befand und nicht nachgeben konnte, ohne wesentUchen Schaden an ihrer innerpolitischen und außenpolitischen Geltung zu erleiden. Mit Befremden entnimmt man ferner den österreichisch-unga- rischen Akten (Rotbuch 1919, II, Nr. 78, 97, III, Nr. 26), daß überdies unwahre Nachrichten über die Eröffnung der Feind- seligkeiten durch Serbien als Vorwand zur Kriegserklärung dienten.      Die Berliner Regierung wäre wohl kaum in d^r L^g3 g3W333n, die Kriegserklärung, die ihr bereits am 27. Juli ang3kiifiiigt wjrde (Weißbuch Nr. 257), zu verhindern, selbst w^nn sie das Fehbrhafte des Wiener Vorgehens rechtzeitig erkannte, denn sie mj3t3 an- nehmen, daß Österreich-Ungarn die Bitte, von dieser papierenen Kriegserklärung abzusehen, mit deren Möglichkeit von Anfang an gerechnet worden war, ablehnen und D3utschland für sich die aus einem derartigen Schritte ergebenden politischen Nachteile sicherlich verantwortlich machen würde.