A. Aufnahme der österreichisch-ungarischen Note in Petersburg: Difference between revisions

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die am 24. Juli in Petersburg bekannt gewordenen öster-
reichisch-ungarischen Forderungen an Serbien riefen bei der
dortigen Regierung eine außerordentliche Erregung hervor (Weiß-
buch Nr. 160, 204, 291). Allem Anschein nach wurde angenommen,
daß Österreich-Ungarn machtpolitische Ziele auf dem Balkan
verfolge. Es ist in Petersburg von einer Revision des Bukarester
Friedens, von einer Besetzung des Sandschak, einem Vormarsch
auf Saloniki oder Konstantinopel und ähnlichem die Rede ge-
wesen (Rotbuch 1919, II, Nr. 73). Sasonow sprach am 24. Juli
zu Pourtales von den weitgehenden Plänen, die Österreich-Ungarn
habe: ,,Erst solle Serbien verspeist werden, dann werde Bulgarien
darankommen, und dann werden wir sie am Schwarzen Meer
haben". (Weißbuch Nr. 204.)
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Rußland war von Anfang an bereit, Krieg zu führen, um seinen
Anspruch durchzusetzen, die Art der Regelung des austro-serbischen
Konfliktes selbst zu bestimmen. Am 24. Juli früh erklärte Sasonow
dem englischen Botschafter, daß Krieg drohe. Die russische
Mobilmachung werde auf jeden Fall ausgeführt werden müssen
(Blaubuch Nr. 6). Der Ministerrat, der am 24. Juli nachmittags
tagte, befaßte sich in erster Linie mit der Frage, ob die innere
Lage Rußland den Krieg gestatte. Diese Frage wurde anscheinend
bejaht (Weißbuch Nr. 205). Am 25. Juli fand ein Kronrat statt,
in dem (nach Gelbbuch Nr. 50) die Mobilmachung von 13 Armee-
korps gegen Österreich-Ungarn ,,ins Auge gefaßt" wurde. Der
Schönfärber Paleologue berichtete hierüber: „Diese Mobilisation
würde jedoch nur ausgeführt, wenn Österreich Serbien mit Waffen-
gewalt zwingen wollte, und nur nach Einholung der Ansicht des
Ministers des Äußern, dem die Aufgabe zufällt, das Datum fest-
zusetzen, wobei ihm freistehe, die Verhandlungen selbst in dem
Falle fortzuführen, daß Belgrad besetzt würde."
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;P^ Tatsächlich ist jedoch diese TeilmobiUsation bereits am
25. JuH in die Wege geleitet worden. Der Zar telegraphierte am
30. Juli, also nach Bekanntgabe der Mobilmachung gegen Öster-
reich-Ungarn, an den Kaiser: ,,Die militärischen Maßnahmen,
die jetzt in Kraft getreten sind, wurden vor fünf Tagen zum Zwecke
der Verteidigung wegen der Vorbereitung Österreichs (gegen Ser-
bien!) getroffen." (Weißbuch Nr. 390.) Im Anschluß an den
Kronrat vom 25. Juli wurden die Truppenübungen abgebrochen,
die Manöver abgesagt und die Kriegsschüler vorzeitig zu Offizieren
befördert (Weißbuch Nr. 194, 291), Maßnahmen, die die Bedeutung
der getroffenen Entscheidungen kennzeichneten.
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Hierbei ist besonders hervorzuheben, daß spätestens im Laufe
des 25. Juli das im Orangebuch nicht wiedergegebene Telegramm
des russischen Geschäftsträgers in Wien über seine Unterredung
mit Berchtold vom 24. Juli eingegangen sein muß, in der ihm
der Minister erklärte, das Ziel der österreichisch-ungarischen
Aktion bestehe darin, die unhaltbare Situation Serbiens zu Öster-
reich-Ungarn zu klären und zu diesem Zwecke die serbische Re-
gierung zu veranlassen, einerseits die gegen den derzeitigen Bestand
der Monarchie gerichteten Strömungen öffentlich zu desavouieren
und durch administrative Maßnahmen zu unterdrücken, anderer-
seits Österreich-Ungarn die Möglichkeit zu bieten, sich von der
gewissenhaften Durchführung dieser Maßnahmen Rechenschaft
zu geben. Österreich-Ungarn bezwecke keine Gebietserwerbung,
sondern lediglich die Erhaltung des Bestehenden (Rotbuch 1919,
II, Nr. 23). Darin, daß Berchtold mit dieser Erklärung die Initia-
tive ergriff, lag ein bedeutendes Entgegenkommen. Der Umstand,
daß allein Rußland gegenüber die Demarche in Belgrad in dieser
Weise erläutert wurde, zeigte, daß die Wiener Regierung bereit
war, auf das besondere Verhältnis Serbiens zu Rußland Rücksicht
zu nehmen. Trotz dieses Entgegenkommens und der Erklärung
über die Wiener Absichten ergriff jedoch Rußland am 25. Juli
weitgehende militärische Maßnahmen gegen Österreich-Ungarn.

Revision as of 13:26, 29 October 2015

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     Die am 24. Juli in Petersburg bekannt gewordenen öster- reichisch-ungarischen Forderungen an Serbien riefen bei der dortigen Regierung eine außerordentliche Erregung hervor (Weiß- buch Nr. 160, 204, 291). Allem Anschein nach wurde angenommen, daß Österreich-Ungarn machtpolitische Ziele auf dem Balkan verfolge. Es ist in Petersburg von einer Revision des Bukarester Friedens, von einer Besetzung des Sandschak, einem Vormarsch auf Saloniki oder Konstantinopel und ähnlichem die Rede ge- wesen (Rotbuch 1919, II, Nr. 73). Sasonow sprach am 24. Juli zu Pourtales von den weitgehenden Plänen, die Österreich-Ungarn habe: ,,Erst solle Serbien verspeist werden, dann werde Bulgarien darankommen, und dann werden wir sie am Schwarzen Meer haben". (Weißbuch Nr. 204.)      Rußland war von Anfang an bereit, Krieg zu führen, um seinen Anspruch durchzusetzen, die Art der Regelung des austro-serbischen Konfliktes selbst zu bestimmen. Am 24. Juli früh erklärte Sasonow dem englischen Botschafter, daß Krieg drohe. Die russische Mobilmachung werde auf jeden Fall ausgeführt werden müssen (Blaubuch Nr. 6). Der Ministerrat, der am 24. Juli nachmittags tagte, befaßte sich in erster Linie mit der Frage, ob die innere Lage Rußland den Krieg gestatte. Diese Frage wurde anscheinend bejaht (Weißbuch Nr. 205). Am 25. Juli fand ein Kronrat statt, in dem (nach Gelbbuch Nr. 50) die Mobilmachung von 13 Armee- korps gegen Österreich-Ungarn ,,ins Auge gefaßt" wurde. Der Schönfärber Paleologue berichtete hierüber: „Diese Mobilisation würde jedoch nur ausgeführt, wenn Österreich Serbien mit Waffen- gewalt zwingen wollte, und nur nach Einholung der Ansicht des Ministers des Äußern, dem die Aufgabe zufällt, das Datum fest- zusetzen, wobei ihm freistehe, die Verhandlungen selbst in dem Falle fortzuführen, daß Belgrad besetzt würde."

     P^ Tatsächlich ist jedoch diese TeilmobiUsation bereits am 25. JuH in die Wege geleitet worden. Der Zar telegraphierte am 30. Juli, also nach Bekanntgabe der Mobilmachung gegen Öster- reich-Ungarn, an den Kaiser: ,,Die militärischen Maßnahmen, die jetzt in Kraft getreten sind, wurden vor fünf Tagen zum Zwecke der Verteidigung wegen der Vorbereitung Österreichs (gegen Ser- bien!) getroffen." (Weißbuch Nr. 390.) Im Anschluß an den Kronrat vom 25. Juli wurden die Truppenübungen abgebrochen, die Manöver abgesagt und die Kriegsschüler vorzeitig zu Offizieren befördert (Weißbuch Nr. 194, 291), Maßnahmen, die die Bedeutung der getroffenen Entscheidungen kennzeichneten.

     Hierbei ist besonders hervorzuheben, daß spätestens im Laufe des 25. Juli das im Orangebuch nicht wiedergegebene Telegramm des russischen Geschäftsträgers in Wien über seine Unterredung mit Berchtold vom 24. Juli eingegangen sein muß, in der ihm der Minister erklärte, das Ziel der österreichisch-ungarischen Aktion bestehe darin, die unhaltbare Situation Serbiens zu Öster- reich-Ungarn zu klären und zu diesem Zwecke die serbische Re- gierung zu veranlassen, einerseits die gegen den derzeitigen Bestand der Monarchie gerichteten Strömungen öffentlich zu desavouieren und durch administrative Maßnahmen zu unterdrücken, anderer- seits Österreich-Ungarn die Möglichkeit zu bieten, sich von der gewissenhaften Durchführung dieser Maßnahmen Rechenschaft zu geben. Österreich-Ungarn bezwecke keine Gebietserwerbung, sondern lediglich die Erhaltung des Bestehenden (Rotbuch 1919, II, Nr. 23). Darin, daß Berchtold mit dieser Erklärung die Initia- tive ergriff, lag ein bedeutendes Entgegenkommen. Der Umstand, daß allein Rußland gegenüber die Demarche in Belgrad in dieser Weise erläutert wurde, zeigte, daß die Wiener Regierung bereit war, auf das besondere Verhältnis Serbiens zu Rußland Rücksicht zu nehmen. Trotz dieses Entgegenkommens und der Erklärung über die Wiener Absichten ergriff jedoch Rußland am 25. Juli weitgehende militärische Maßnahmen gegen Österreich-Ungarn.