C. Die Gefahren der russischen Haltung: Difference between revisions

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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Angesichts der militärischen Maßnahmen Rußlands wies die  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Angesichts der militärischen Maßnahmen Rußlands wies die <br>
deutsche Regierung die Kabinette in London, Paris und Peters-  
deutsche Regierung die Kabinette in London, Paris und Peters- <br>
burg auf die Erklärung der österreichisch-ungarischen Regierung  
burg auf die Erklärung der österreichisch-ungarischen Regierung <br>
hin, daß sie keinen territorialen Gewinn in Serbien beabsichtige,  
hin, daß sie keinen territorialen Gewinn in Serbien beabsichtige, <br>
den Bestand des Königreichs nicht antasten, sondern nur Ruhe  
den Bestand des Königreichs nicht antasten, sondern nur Ruhe <br>
schaffen wolle. Die englische und die französische Regierung  
schaffen wolle. Die englische und die französische Regierung <br>
wurden an die Gefahren erinnert, die eine russische Mobilmachung  
wurden an die Gefahren erinnert, die eine russische Mobilmachung <br>
für den Frieden Europas bedeutete, und gebeten, in Petersburg  
für den Frieden Europas bedeutete, und gebeten, in Petersburg <br>
einen mäßigenden und beruhigenden Einfluß auszuüben. Ruß-  
einen mäßigenden und beruhigenden Einfluß auszuüben. Ruß- <br>
land gegenüber erklärte sich die deutsche Regierung bereit, den  
land gegenüber erklärte sich die deutsche Regierung bereit, den <br>
russischen Wunsch, daß der Bestand des serbischen Königreichs  
russischen Wunsch, daß der Bestand des serbischen Königreichs <br>
nicht angetastet werde, zu unterstützen, und betonte zugleich,  
nicht angetastet werde, zu unterstützen, und betonte zugleich, <br>
daß eine Mobilisierung der russischen Armee unausbleiblich einen  
daß eine Mobilisierung der russischen Armee unausbleiblich einen <br>
europäischen Krieg zur Folge haben müsse (Weißbuch Nr. 198,  
europäischen Krieg zur Folge haben müsse (Weißbuch Nr. 198, <br>
199, 200, 219).  
199, 200, 219). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Dieser Schritt der deutschen Regierung begegnete in London  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Dieser Schritt der deutschen Regierung begegnete in London <br>
keinem Entgegenkommen. Die englische Regierung war inzwischen  
keinem Entgegenkommen. Die englische Regierung war inzwischen <br>
von ihrem ursprüngHchen Standpunkt der Nichteinmischung  
von ihrem ursprünglichen Standpunkt der Nichteinmischung <br>
abgegangen und wünschte, die Regelung des österreichisch-serbi-  
abgegangen und wünschte, die Regelung des österreichisch-serbi- <br>
schen Konfliktes im Wege einer Botschafterkonferenz in London  
schen Konfliktes im Wege einer Botschafterkonferenz in London <br>
herbeizuführen. Das einzige bekannte Telegramm, das Grey  
herbeizuführen. Das einzige bekannte Telegramm, das Grey <br>
am 26. und 27. Juli nach Petersburg richtete (Blaubuch Nr. 47),  
am 26. und 27. Juli nach Petersburg richtete (Blaubuch Nr. 47), <br>
enthält keinerlei Rat zur Mäßigung (siehe auch Weißbuch Nr. 218,  
enthält keinerlei Rat zur Mäßigung (siehe auch Weißbuch Nr. 218, <br>
236).  
236). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In Paris fand dagegen der deutsche Vorschlag zunächst eine  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In Paris fand dagegen der deutsche Vorschlag zunächst eine <br>
günstige Aufnahme. Der deutsche Botschafter meldete unter  
günstige Aufnahme. Der deutsche Botschafter meldete unter <br>
dem 26. Juli:  
dem 26. Juli: <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Der stellvertretende Minister der auswärtigen Angelegenheiten ver-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Der stellvertretende Minister der auswärtigen Angelegenheiten ver- <br>
sicherte mir, daß unser Appell an Solidarität des Bestrebens um Friedens-  
sicherte mir, daß unser Appell an Solidarität des Bestrebens um Friedens- <br>
erhaltung hier ungemein wohltuend berühre und gebührend beachtet werde.  
erhaltung hier ungemein wohltuend berühre und gebührend beachtet werde. <br>
Er für seine Person sei gern bereit, in Petersburg beruhigend einwirken zu  
Er für seine Person sei gern bereit, in Petersburg beruhigend einwirken zu <br>
lassen, nachdem durch österreichisch-ungarische Versicherung, daß keine  
lassen, nachdem durch österreichisch-ungarische Versicherung, daß keine <br>
Annexion beabsichtigt, Vorbedingung geschaffen sei. Er könne mir aller-  
Annexion beabsichtigt, Vorbedingung geschaffen sei. Er könne mir aller- <br>
dings noch nicht förmliche Erklärung namens der französischen Regierung  
dings noch nicht förmliche Erklärung namens der französischen Regierung <br>
über Modus der Einwirkung geben, da er zunächst mit abwesendem Minister-  
über Modus der Einwirkung geben, da er zunächst mit abwesendem Minister- <br>
präsidenten ins Benehmen treten müsse..." (Weißbuch Nr. 235).  
präsidenten ins Benehmen treten müsse..." (Weißbuch Nr. 235). <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Diese günstige Aufnahme verwandelte sich jedoch nachträg-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Diese günstige Aufnahme verwandelte sich jedoch nachträg- <br>
lich in ihr Gegenteil. Der Schritt des deutschen Botschafters ist,  
lich in ihr Gegenteil. Der Schritt des deutschen Botschafters ist, <br>
ebenso wie der vom 24. Juli, im Gelbbuch (Nr. 56 und besonders  
ebenso wie der vom 24. Juli, im Gelbbuch (Nr. 56 und besonders <br>
Nr. 57, 61, 62) entstellt wiedergegeben und verdächtigt worden.  
Nr. 57, 61, 62) entstellt wiedergegeben und verdächtigt worden. <br>
Die französische Regierung gab vor, der deutsche Vorschlag  
Die französische Regierung gab vor, der deutsche Vorschlag <br>
gemeinsamer Tätigkeit zur Erhaltung des Friedens sei ein Ver-  
gemeinsamer Tätigkeit zur Erhaltung des Friedens sei ein Ver- <br>
such, Frankreich einzuschüchtern (Orangebuch Nr. 29), Frank-  
such, Frankreich einzuschüchtern (Orangebuch Nr. 29), Frank- <br>
reich und Rußland zu veruneinigen und Rußland dadurch bloß-  
reich und Rußland zu veruneinigen und Rußland dadurch bloß- <br>
zustellen, daß die französische Regierung zu Vorstellungen in Peters-  
zustellen, daß die französische Regierung zu Vorstellungen in Peters- <br>
burg verleitet würde (Orangebuch Nr. 35).  
burg verleitet würde (Orangebuch Nr. 35). <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In Petersburg hatten die deutschen Mahnungen anscheinend  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In Petersburg hatten die deutschen Mahnungen anscheinend <br>
Erfolg. Sasonow versicherte den deutschen Botschafter seiner  
Erfolg. Sasonow versicherte den deutschen Botschafter seiner <br>
Friedensliebe :  
Friedensliebe: <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Minister bat mich, Euerer Exzellenz für beide Mitteilungen, die einen  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;„Minister bat mich, Euerer Exzellenz für beide Mitteilungen, die einen <br>
sehr guten Eindruck machten, zu danken und dabei zu versichern, daß der  
sehr guten Eindruck machten, zu danken und dabei zu versichern, daß der <br>
Appell an unsere altbewährten guten Beziehungen warmen Widerhall bei ihm  
Appell an unsere altbewährten guten Beziehungen warmen Widerhall bei ihm <br>
findet und ihn tief rührt. Euere Exzellenz könnten versichert sein, daß Ruß-  
findet und ihn tief rührt. Euere Exzellenz könnten versichert sein, daß Ruß- <br>
land das Vertrauen in seine Friedensliebe nicht täuschen werde. Er sei bereit,  
land das Vertrauen in seine Friedensliebe nicht täuschen werde. Er sei bereit, <br>
in seinem Entgegenkommen gegen Österreich bis zur Grenze zu gehen und  
in seinem Entgegenkommen gegen Österreich bis zur Grenze zu gehen und <br>
alle Mittel zu erschöpfen, um Krisis friedlicher Lösung entgegenzuführen."  
alle Mittel zu erschöpfen, um Krisis friedlicher Lösung entgegenzuführen." <br>
(Weißbuch Nr. 282.)  
(Weißbuch Nr. 282.) <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die russischen Kriegsvorbereitungen wurden aber, wie sich  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die russischen Kriegsvorbereitungen wurden aber, wie sich <br>
bald herausstellen sollte, unverändert fortgesetzt. Am 27. und  
bald herausstellen sollte, unverändert fortgesetzt. Am 27. und <br>
28. Juli liefen zahlreiche Meldungen über Mobilmachungsmaß-  
28. Juli liefen zahlreiche Meldungen über Mobilmachungsmaß- <br>
nahmen in allen Teilen Rußlands ein. Sogar in Kowno wurde der  
nahmen in allen Teilen Rußlands ein. Sogar in Kowno wurde der <br>
Kriegszustand erklärt (Weißbuch Nr. 264).
Kriegszustand erklärt (Weißbuch Nr. 264).

Latest revision as of 02:18, 8 January 2016

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     Angesichts der militärischen Maßnahmen Rußlands wies die
deutsche Regierung die Kabinette in London, Paris und Peters-
burg auf die Erklärung der österreichisch-ungarischen Regierung
hin, daß sie keinen territorialen Gewinn in Serbien beabsichtige,
den Bestand des Königreichs nicht antasten, sondern nur Ruhe
schaffen wolle. Die englische und die französische Regierung
wurden an die Gefahren erinnert, die eine russische Mobilmachung
für den Frieden Europas bedeutete, und gebeten, in Petersburg
einen mäßigenden und beruhigenden Einfluß auszuüben. Ruß-
land gegenüber erklärte sich die deutsche Regierung bereit, den
russischen Wunsch, daß der Bestand des serbischen Königreichs
nicht angetastet werde, zu unterstützen, und betonte zugleich,
daß eine Mobilisierung der russischen Armee unausbleiblich einen
europäischen Krieg zur Folge haben müsse (Weißbuch Nr. 198,
199, 200, 219).
     Dieser Schritt der deutschen Regierung begegnete in London
keinem Entgegenkommen. Die englische Regierung war inzwischen
von ihrem ursprünglichen Standpunkt der Nichteinmischung
abgegangen und wünschte, die Regelung des österreichisch-serbi-
schen Konfliktes im Wege einer Botschafterkonferenz in London
herbeizuführen. Das einzige bekannte Telegramm, das Grey
am 26. und 27. Juli nach Petersburg richtete (Blaubuch Nr. 47),
enthält keinerlei Rat zur Mäßigung (siehe auch Weißbuch Nr. 218,
236).
     In Paris fand dagegen der deutsche Vorschlag zunächst eine
günstige Aufnahme. Der deutsche Botschafter meldete unter
dem 26. Juli:

     „Der stellvertretende Minister der auswärtigen Angelegenheiten ver-
sicherte mir, daß unser Appell an Solidarität des Bestrebens um Friedens-
erhaltung hier ungemein wohltuend berühre und gebührend beachtet werde.
Er für seine Person sei gern bereit, in Petersburg beruhigend einwirken zu
lassen, nachdem durch österreichisch-ungarische Versicherung, daß keine
Annexion beabsichtigt, Vorbedingung geschaffen sei. Er könne mir aller-
dings noch nicht förmliche Erklärung namens der französischen Regierung
über Modus der Einwirkung geben, da er zunächst mit abwesendem Minister-
präsidenten ins Benehmen treten müsse..." (Weißbuch Nr. 235).

     Diese günstige Aufnahme verwandelte sich jedoch nachträg-
lich in ihr Gegenteil. Der Schritt des deutschen Botschafters ist,
ebenso wie der vom 24. Juli, im Gelbbuch (Nr. 56 und besonders
Nr. 57, 61, 62) entstellt wiedergegeben und verdächtigt worden.
Die französische Regierung gab vor, der deutsche Vorschlag
gemeinsamer Tätigkeit zur Erhaltung des Friedens sei ein Ver-
such, Frankreich einzuschüchtern (Orangebuch Nr. 29), Frank-
reich und Rußland zu veruneinigen und Rußland dadurch bloß-
zustellen, daß die französische Regierung zu Vorstellungen in Peters-
burg verleitet würde (Orangebuch Nr. 35).
     In Petersburg hatten die deutschen Mahnungen anscheinend
Erfolg. Sasonow versicherte den deutschen Botschafter seiner
Friedensliebe:

     „Minister bat mich, Euerer Exzellenz für beide Mitteilungen, die einen
sehr guten Eindruck machten, zu danken und dabei zu versichern, daß der
Appell an unsere altbewährten guten Beziehungen warmen Widerhall bei ihm
findet und ihn tief rührt. Euere Exzellenz könnten versichert sein, daß Ruß-
land das Vertrauen in seine Friedensliebe nicht täuschen werde. Er sei bereit,
in seinem Entgegenkommen gegen Österreich bis zur Grenze zu gehen und
alle Mittel zu erschöpfen, um Krisis friedlicher Lösung entgegenzuführen."
(Weißbuch Nr. 282.)

     Die russischen Kriegsvorbereitungen wurden aber, wie sich
bald herausstellen sollte, unverändert fortgesetzt. Am 27. und
28. Juli liefen zahlreiche Meldungen über Mobilmachungsmaß-
nahmen in allen Teilen Rußlands ein. Sogar in Kowno wurde der
Kriegszustand erklärt (Weißbuch Nr. 264).