The printable version is no longer supported and may have rendering errors. Please update your browser bookmarks and please use the default browser print function instead.
WWI Archive > Dokumente zum Kriegsausbruch > I, 8. Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten, 7. Juli 1914
Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten
(7 Juli 1914)
K. Z. 58
G.M.K.P.Z. 512
P r o t o k o l l
des zu W i e n am 7. Juli 1914 abgehaltenen M i n i s t e r r a t e s für gemeinsame Angelegenheiten unter
dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hauses und des Äußern Grafen B e r c h t o l d.
G e g e n w ä r t i g e :
Der k. k. Ministerpräsident Graf S t ü r g k h ,
der k. ung. Ministerpräsident Graf T i s z a ,
der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Dr. Ritter von B i l i n s k i ,
der k. u. k. Kriegsminister FZM. Ritter von K r o b a t i n ,
der k. u. k. Chef des Generalstabes G. d. I. Freiherr von C o n r a d ,
der Vertreter des k. u. k. Marinekommandanten Konteradmiral von K a i l e r .
Protokollführer: Legationsrat Graf Hoyos.
G e g e n s t a n d : Bosnische Angelegenheiten. Die diplomatische Aktion gegen Serbien.
Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, indem er bemerkt, der Ministerrat sei einberufen
worden, um über die Maßnahmen zu beraten, welche zur Sanierung der anläßlich der Katastrophe
in Sarajevo zutage getretenen innerpolitischen Übelstände in Bosnien und der Herzegowina
angewendet werden sollten. Es gäbe seiner Ansicht nach verschiedene interne Maßnahmen
in-Bosnien selbst, deren Anwendung ihm gegenüber den krisenhaften Zustanden geboten
erscheine; vorerst sollte man sich aber klar werden, ob der Moment nicht gekommen sei, um
Serbien durch eine Kraftäußerung für immer unschädlich zu machen. Ein solcher entscheidender
Schlag könne nicht ohne diplomatische Vorbereitungen geführt werden, daher habe er mit der
deutschen Regierung Fühlung genommen. Die Besprechungen in Berlin hatten zu einem sehr
befriedigenden Resultate geführt, indem sowohl Kaiser Wilhelm als Herr von Bethmann Hollweg
uns für den Fall einer kriegerischen Komplikation mit Serbien die unbedingte Unterstützung
Deutschlands mit allem Nachdrucke zugesichert hatten. Nun müßten wir noch mit Italien und
Rumänien rechnen, und da sei er in Übereinstimmung mit dem Berliner Kabinett der Ansicht, daß
es besser wäre zu handeln und etwaige Kompensationsansprüche abzuwarten.
Er sei sich klar darüber, daß ein Waffengang mit Serbien den Krieg mit Rußland zur Folge
haben könnte. Rußland treibe aber gegenwärtig eine Politik, die, auf lange Sicht berechnet, den
Zusammenschluß der Balkanstaaten, inbegriffen Rumänien, zum Zwecke hat, um dieselben
sodann im geeignet scheinenden Momente gegen die Monarchie ausspielen zu können. Er sei der
Ansicht, daß wir uns darüber Rechenschaft geben müssen, daß unsere Situation sich einer solchen
Politik gegenüber immer mehr verschlechtern müsse, um so mehr, als ein untätiges
Gewährenlassen bei unseren Südslawen und Rumänien als Zeichen der Schwäche ausgelegt
werden müßte und der werbenden Kraft der beiden angrenzenden - Staatswesen Vorschub leisten
würde.
Die logische Folge, die sich aus dem Gesagten ergebe, wäre, unseren Gegnern
zuvorzukommen und durch eine rechtzeitige Abrechnung mit Serbien den bereits in vollem Gange
befindlichen Entwicklungsprozeß aufzuhalten, was später zu tun nicht mehr möglich sein würde.
Der k ö n i g l i c h u n g a r i s c h e M i n i s t e r p r ä s i d e n t stimmt damit überein, daß die Lage sich in den
letzten Tagen durch die in der Untersuchung festgestellten Tatsachen und durch die Haltung der
serbischen Presse verändert habe, und betont, daß auch er die Möglichkeit einer kriegerischen
Aktion gegen Serbien für naher geruckt halte, als er es gleich nach dem Attentat von Sarajevo
geglaubt habe. Er würde aber einem überraschenden Angriff auf Serbien ohne vorhergehende
diplomatische Aktion, wie dies beabsichtigt zu sein scheine und bedauerlicherweise auch in Berlin
durch den Grafen Hoyos besprochen würde, niemals zustimmen, weil wir in diesem Falle, seiner
Ansicht nach, in den Augen Europas einen sehr schlechten Stand hätten und auch mit großer
Wahrscheinlichkeit mit der Feindschaft des ganzen Balkan - außer Bulgariens - rechnen müßten,
ohne daß Bulgarien, welches gegenwärtig sehr geschwächt sei, uns entsprechend unterstützen
würde.
Wir müßten unbedingt Forderungen gegen Serbien formulieren und erst ein Ultimatum
stellen, wenn Serbien sie nicht erfülle. Diese Forderungen müßten zwar harte, aber nicht
unerfüllbare sein. Wenn Serbien sie annehme, würden wir einen eklatanten diplomatischen Erfolg
aufzuweisen haben und unser Prestige würde am Balkan steigen. Nehme man unsere Forderungen
aber nicht an, so würde auch er für eine kriegerische Aktion sein, müsse aber schon jetzt betonen,
daß wir mit einer solchen zwar die Verkleinerung, nicht aber die vollständige Vernichtung
Serbiens bezwecken durften, weil einerseits diese von Rußland ohne einen Kampf auf Leben und
Tod niemals zugegeben werden könnte, und weil auch er als ungarischer Ministerpräsident es
niemals zugeben könnte, daß die Monarchie einen Teil von Serbien annektiere.
Es sei nicht Sache Deutschlands, zu beurteilen, ob wir jetzt gegen Serbien losschlagen
sollten oder nicht. Er persönlich sei der Ansicht, daß ein Krieg im jetzigen Augenblicke nicht
unbedingt geführt werden müsse. Gegenwärtig müsse man damit rechnen, daß die Agitation
gegen uns in Rumänien eine sehr starke sei, daß wir, angesichts der aufgeregten öffentlichen
Meinung, mit einem rumänischen Angriffe würden rechnen müssen und auf jeden Fall eine
beträchtliche Macht in Siebenbürgen würden halten müssen, um die Rumänen einzuschüchtern.
Jetzt, wo Deutschland erfreulicherweise die Bahn zum Anschluß Bulgariens an den Dreibund
freigegeben habe, eröffne sich uns ein vielversprechendes Gebiet zu einer erfolgreichen
diplomatischen Aktion am Balkan, indem wir durch den Zusammenschluß Bulgariens und der
Türkei und deren An Schluß an den Dreibund ein Gegengewicht gegen Rumänien und Serbien
schaffen und dadurch Rumänien zur Wiederkehr zum Dreibunde zwingen könnten. Auf
europäischem Gebiete müsse man auch berücksichtigen, daß das Kraftverhältnis Frankreichs zu
Deutschland sich wegen der niedrigeren Geburtszahlen immer verschlechtern werde, und daß
Deutschland daher in der Zukunft immer mehr Truppen gegen Rußland disponibel haben würde.
Dies seien alles Momente, die bei einer so verantwortungsvollen Entschließung, wie sie
heute gefaßt werden sollte, bedacht werden müßten, und daher müsse er wieder darauf
zurückkommen, daß er sich trotz der Krise in Bosnien, die übrigens auch durch eine energische
Verwaltungsreform im Innern saniert werden könnte, nicht unbedingt für den Krieg entschließen
wolle, sondern auch einen entsprechenden diplomatischen Erfolg, -der eine starke Demütigung
Serbiens mit sich brachte, für geeignet halte, unsere Stellung zu verbessern und uns eine
ersprießliche Balkanpolitik zu ermöglichen.
Der V o r s i t z e n d e bemerkt hiezu, die Geschichte der letzten Jahre hatte gezeigt, daß
diplomatische Erfolge gegen Serbien zwar das Ansehen der Monarchie zeitweilig gehoben, aber
die tatsächlich bestehende Spannung in unseren Beziehungen zu Serbien sich nur noch verstärkt
hatte. Weder unser Erfolg in der Annexionskrise noch jener bei Schaffung Albaniens, noch das
spätere Nachgeben Serbiens infolge unseres Ultimatums im Herbste vorigen Jahr es hatte an den
tatsächlichen Verhältnis sen etwas geändert . Eine radikale Losung der durch die systematisch von
Belgrad aus betriebene großserbische Propaganda aufgeworfenen Frage, deren zersetzende
Wirkung bei uns bis nach Agram und Zara gespürt werde, sei wohl nur durch ein energisches
Eingreifen möglich.
Bezüglich der vom königlich ungarischen Ministerpräsidenten erwähnten Gefahr einer
feindseligen Haltung Rumäniens bemerkt der Vorsitzende, daß derzeit eine solche weniger zu
befürchten sei als für die Zukunft, wo sich die rumänisch-serbische Interessengemeinschaft immer
mehr herausbilden werde. König Carol habe allerdings gelegentlich Zweifel in der Richtung
ausgesprochen, gegebenenfalls seiner Bundespflicht gegenüber der Monarchie durch aktive
Hilfeleistung nachkommen zu können. Dagegen sei es kaum anzunehmen, daß er sich zu einer
kriegerischen Operation gegen die Monarchie hinreißen lassen, beziehungsweise einer darauf
hinausgehenden Stimmung der öffentlichen Meinung nicht Widerstand leisten könnte. Übrigens
komme auch die Furcht Rumaniens vor Bulgarien in Betracht, welche ersteres in seiner
Bewegungsfreiheit selbst unter den heutigen Verhältnissen einigermaßen behindern müßte.
Was die Bemerkung des ungarischen Ministerpräsidenten bezüglich des
Krafteverhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland anbelange, so glaube er darauf
hinweisen zu sollen, daß der verminderten Bevölkerungszunahme Frankreichs die in ungleich
höherem Verhältnisse gesteigerte Bevölkerungszunahme Rußlands gegenüberstehe, so daß die
Behauptung, daß Deutschland in der Zukunft immer mehr disponible Truppen gegen Frankreich
haben werde, wohl nicht stichhaltig erscheine.
Der k. k. Ministerpräsident bemerkt, der heutige Ministerrat sei eigentlich zu dem Zwecke
einberufen worden, um über die in Bosnien und der Herzegowina zu ergreifenden inneren
Maßregeln zu beraten, die geeignet waren, einerseits die jetzige Untersuchung wegen des
Attentates erfolgreich, zu gestalten und andererseits der großserbischen Bewegung in Bosnien
entgegenzuwirken. Nun müßten diese Fragen neben der Hauptfrage zurücktreten, ob wir die
innere Krise in Bosnien durch eine Kraftäußerung gegen Serbien lösen sollen.
Diese Hauptfrage sei durch zwei Momente gerade jetzt aktuell geworden; erstens, weil der
Landeschef für Bosnien und Herzegowina auf Grund seiner Wahrnehmungen und seiner Kenntnis
der bosnischen Verhältnisse von der Voraussetzung ausgehe, daß keine Maßregeln im Inneren
einen Erfolg haben könnten, wenn wir uns nicht entschließen, nach außen einen kräftigen Schlag
gegen Serbien zu führen. Auf Grund dieser Wahrnehmungen des Generals Potiorek müsse man
sich die Frage stellen, ob die von Serbien ausgehende schismatische Tätigkeit aufgehalten werden
könnte, und ob wir die beiden Provinzen überhaupt halten könnten, wenn wir nicht gegen das
Königreich vorgehen.
In den letzten Tagen habe die ganze Situation ein anderes Gesicht bekommen und sei jetzt
eine psychologische Situation geschaffen, die seiner Ansicht nach unbedingt zu einer kriegerischen
Auseinandersetzung mit Serbien hindränge. Er stimme mit dem königlich ungarischen
Ministerpräsidenten zwar darin überein, daß wir und nicht die deutsche Regierung beurteilen
müßten, ob ein Krieg notwendig sei oder nicht; er müsse aber doch bemerken, daß es auf unsere
Entschließung einen sehr großen Einfluß ausüben sollte, wenn an der Stelle, welche wir als
treueste Stutze unserer Politik im Dreibunde ansehen müßten, uns, wie wir gehört, ruckhaltlose
Bundnistreue zugesagt und überdies nahegelegt werde, sofort zu handeln, nachdem man sich dort
angefragt habe. Graf Tisza sollte diesem Umstande doch Bedeutung beimessen und in Erwägung
ziehen, daß wir durch eine Politik des Zauderns und der Schwache Gefahr laufen, dieser
ruckhaltlosen Unterstützung des Deutschen Reiches zu einem späteren Zeitpunkte nicht mehr so
sicher zu sein. Es sei dies das zweite Moment, welches bei den zu fassenden Beschlüssen neben
dem Interesse an der Herstellung geordneter Verhältnisse in Bosnien berücksichtigt werden sollte.
Wie der Konflikt begonnen werden solle, sei eine Detailfrage, und wenn die ungarische
Regierung der Ansicht sei, daß ein überraschender Angriff »sans crier gare«, wie Graf Tisza sich
ausgedrückt hätte, nicht gangbar sei, so müsse man eben~einen anderen Weg finden; doch würde
er dringendst wünschen, daß, was immer geschehe, rasch gehandelt werde und unsere
Volkswirtschaft vor einer längeren Periode der Beunruhigung bewahrt bleibe. Alles dies seinen
Details neben der prinzipiellen Frage, ob es unbedingt zu einer kriegerischen Aktion kommen solle
oder nicht, und da sei vor allem das Interesse um das Ansehen und den Bestand der Monarchie
maßgebend, deren südslawische Provinzen er für verloren halten würde, wenn nichts geschehe.
Daher sollte man heute prinzipiell beschließen, daß es zum Handeln kommen wird und
soll. Auch er teile die Meinung des Vorsitzenden, daß die Situation durch-einen diplomatischen
Erfolg in keiner Weise gebessert werden könnte. Wenn daher der Weg einervorhergehenden
diplomatischen Aktion gegen Serbien aus internationalen Gründen betreten werde, so müßte dies
mit der festen Absicht geschehen, daß diese Aktion nur mit einem Kriege enden dürfe.
Der g e m e i n s a m e F i n a n z m i n i s t e r bemerkt, Graf Stürgkh habe sich darauf berufen, daß der
Landeschef den Krieg wünsche. General Potiorek stehe seit zwei Jahren auf dem Standpunkte,
daß wir eine Kraftprobe mit Serbien bestehen müßten, um Bosnien und die Herzegowina behalten
zu können. Man dürfe nicht vergessen, daß der Landeschef, der an Ort und Stelle sei, die Sachen
besser beurteilen könne. Auch Herr von Bilinski hegt die Überzeugung, daß der
Entscheidungskampf früher oder später unvermeidlich sei. Er habe nie daran gezweifelt, daß
Deutschland im Ernstfalle bei uns stehe und habe schon im November 1912 diesbezüglich von
Herrn von Tschirschky die bündigsten Zusicherungen erhalten. Die jüngsten Ereignisse in Bosnien
hatten bei der serbischen Bevölkerung eine sehr gefährliche Stimmung erzeugt, insbesondere das
Serbenpogrom in Sarajevo habe dazu geführt, daß alle Serben sehr erregt und erbittert seien, und
daß man daher auch nicht mehr entscheiden könne, wer unter den Serben noch loyal und wer
GroBserbe sei. Im Lande selbst werde man diese Situation nie sanieren konnen; das einzige Mittel
hiezu sei eine endgültige Entscheidung darüber, ob die großserbische Idee eine Zukunft habe oder
nicht.
Wenn auch der königlich ungarische Ministerpräsident sich jetzt mit einem diplomatischen
Erfolge zufrieden geben würde, so könne er dies vom Standpunkte der bosnischen Interessen
nicht tun. Das Ultimatum, welches wir im vorigen Herbste an Serbien richteten, habe die
Stimmung in Bosnien verschlechtert und den Haß gegen uns nur gesteigert. Dort erzählt man sich
allgemein im Volke, daß König Peter kommen und das Land befreien werde. Der Serbe ist nur der
Gewalt zugänglich, ein diplomatischer Erfolg würde in Bosnien gar keinen Eindruck machen und
wäre eher schädlich als etwas anderes.
Der k ö n i g l i c h u n g a r i s c h e M i n i s t e r p r ä s i d e n t bemerkt, er habe zwar die höchste Meinung
von dem derzeitigen Landeschef als Militär; was die Zivilverwaltung anbelange, so könne man
aber nicht leugnen, daß sie vollständig versagt habe, und daß da eine Reform unbedingt
durchgeführt werden müßte. Er wolle jetzt hierauf nicht naher eingehen, zumal es auch nicht der
Moment sei, um grolle Veränderungen vorzunehmen; er müsse nur feststellen, daß bei der Polizei
die unbeschreiblichsten Zustande herrschen müssen, um es moglich zu machen, daß sechs oder
sieben der Polizei bekannte Gestalten sich am Tage des Attentates auf der Route des ermordeten
Thronfolgers mit Bomben und Revolvern bewaffnet aufstellen konnten ohne daß die Polizei einen
einzigen beobachtete oder fortschaffte. Er sehe nicht ein, warum die Verhältnisse in Bosnien nicht
durch eine gründliche Reform der Verwaltung wesentlich gebessert werden könnten.
Der k. u. k. K r i e g s m i n i s t e r ist der Ansicht, daß ein diplomatischer Erfolg keinen Wert
habe. Ein solcher Erfolg werde nur als Schwache ausgelegt. Vom militärischen Standpunkte
müsse er betonen, daß es günstiger wäre, den Krieg sogleich als zu einem spateren Zeitpunkte zu
fuhren, da sich das Kräfteverhältnis in der Zukunft unverhältnismäßig zu unseren Ungünsten
verschieben werde. Was die Modalitäten des Kriegsbeginnes betreffe, so müsse er hervorheben,
daß die beiden grollen Kriege der letzten Jahre, sowohl der russisch-japanische Krieg als auch der
Balkankrieg, ohne vorherige Kriegserklärung begonnen worden seien. Er sei der Ansicht, daß man
vorerst nur die gegen Serbien vorgesehene Mobilisierung durchführen und mit der allgemeinen
Mobilisierung zuwarten sollte, bis erkennbar sei, ob Rußland sich rühre oder nicht.
Wir hätten schon zwei Gelegenheiten versäumt, um die serbische Frage zu losen und
jedesmal die Entscheidung hinausgeschoben. Wenn wir es jetzt wieder taten und auf diese
neuerliche Provokation gar nicht reagierten, so würde dies in allen südslawischen Provinzen als
Zeichen der Schwäche aufgefaßt werden und wir würden eine Stärkung der gegen uns gerichteten
Agitation herbeiführen.
In militärischer Hinsicht wäre es wünschenswert, wenn die Mobilisierung sofort und
möglichst heimlich durchgeführt würde und eine Sommation an Serbien erst nach vollendeber
Mobilisierung gerichtet werden könnte. Dies wäre auch wegen der russischen Streitkräfte günstig,
da die russischen Grenzkorps wegen der Ernteurlaube gerade jetzt nicht die vollen Stände haben.
Es entspinnt sich hierauf eine Diskussion über die Ziele einer kriegerischen Aktion gegen
Serbien, wobei der Standpunkt des königlich ungarischen Ministerpräsidenten, daß Serbien zwar
verkleinert, mit Rucksicht auf Rußland aber nicht ganz vernichtet werden dürfe, angenommen
wird. Der k. k. M i n i s t e r p r ä s i d e n t betont, daß es sich auch empfehlen durfte, die Dynastie
Karageorgevich zu entfernen und einem europaischen Fürsten die Krone zu geben sowie ein
gewisses Abhängigkeitsverhältnis des verkleinerten Königreiches zur Monarchie in militärischer
Hinsicht herbeizuführen.
Der k ö n i g l i c h u n g a r i s c h e M i n i s t e r p r ä s i d e n t ist noch immer der Ansicht, daß eine
erfolgreiche Balkanpolitik für die Monarchie durch den Anschluß . Bulgariens an den Dreibund
möglich wäre, und verweist auf die furchtbare Kalamität eines europäischen Krieges unter - den
derzeitigen Verhältnissen. Es möge nicht übersehen werden, daß allerhand Zukunftseventualitäten
denkbar seien - wie Ablenkung Rußlands durch asiatische Komplikationen, Revanchekrieg des
wiedererstarkten Bulgariens gegen Serbien usw., - welche unsere Stellung gegenüber dem
großserbischen Probleme wesentlich günstiger gestalten könnten, als dies heute der Fall ist.
Der V o r s i t z e n d e bemerkt hierzu, daß man allerdings verschiedene Zukunftsmöglichkeiten
ausdenken könne, die eine uns günstige Situation ergeben würden. Er befürchte aber, daß für eine
solche Entwicklung keine Zeit vorhanden sei. Man müsse mit der Tatsache rechnen, daß von
feindlicher Seite ein Entscheidungskampf gegen die Monarchie vorbereitet werde, und daß
Rumänien der russischen und französischen Diplomatie Helfersdienste leiste. Man dürfe nicht
annehmen, daß die Politik mit Bulgarien uns einen vollen Ersatz für den Verlust Rumäniens bieten
könne. Rumänien sei aber seiner Ansicht nach nicht wieder zu gewinnen, solange die
großserbische Agitation existiere, da diese auch die großrumänische Agitation zur Folge habe und
Rumanien ihr erst dann entgegentreten könnte, wenn es sich durch die Vernichtung Serbiens am
Balkan isoliert fühlen und einsehen würde, daß es nur am Dreibunde eine Stütze finden könne.
Auch durfe man nicht ubersehen, daß bezüglich des Anschlusses Bulgariens an den Dreibund noch
nicht der erste Schritt geschehen sei. Wir wissen nur, daß die jetzige bulgarische Regierung vor
Monaten diesen Wunsch ausgesprochen habe und damals auch im Begriffe stand, eine Allianz mit
der Türkei einzugehen. Letzteres sei bisher nicht erfolgt, die Türkei vielmehr seither mehr unter
russischen und französischen Einfluß geraten. Die Haltung des Ministeriums Radoslawoff gebe
allerdings keinen Grund, daran zu zweifeln, daß dasselbe auch heute noch entschlossen sei,
positiven Vorschlagen, die von uns in der angedeuteten Richtung in Sofia gemacht werden
könnten, ein williges Ohr zu leihen. Als sicheren Baustein in unserer Balkanpolitik könne man
diese Orientierung aber derzeit noch nicht einschätzen; dies um so weniger, als die gegenwärtige
bulgarische Regierung doch auf sehr schwacher Grundlage stehe, der Anschluß an den Dreibund
von der stets bis zu einem gewissen Grade unter russischem Einflusse stehenden öffentlichen
Meinung desavouiert und das Ministerium Radoslawoff über den Haufen geworfen werden
könnte. Auch sei zu bedenken, daß Deutschland die bulgarische Aktion vorderhand nur unter der
Bedingung angenommen habe, daß die Abmachungen mit Bulgarien keine Spitze gegen Rumänien
haben durften. Es werde nicht leicht sein, diese Bedingung ganz zu erfüllen, und könnten daraus
für die Zukunft unklare Situationen sich ergeben.
Es wird hierauf in längerer Debatte die Kriegsfrage weiter eingehend diskutiert. Am
Schlusse dieser Erörterungen kann konstatiert werden:
1. Daß alle Versammelten eine tunlichst rasche Entscheidung des Streitfalles mit Serbien
im kriegerischen oder friedlichen Sinne wünschen;
2. daß der Ministerrat bereit wäre, sich der Ansicht des königlich ungarischen
Ministerpräsidenten anzuschließen, wonach erst mobilisiert werden solle, nachdem konkrete
Forderungen an Serbien gerichtet und dieselben zurückgewiesen sowie ein Ultimatum gestellt
worden ist.
Dagegen sind alle Anwesenden mit Ausnahme des königlich ungarischen
Ministerpräsidenten der Ansicht, daß ein rein diplomatischer Erfolg, wenn er auch mit einer
eklatanten Demütigung Serbiens enden würde, wertlos wäre, und daß daher solche weitgehende
Forderungen an Serbien gestellt werden müßten, die ein' Ablehnung voraussehen ließen, damit
eine radikale Losung im Weg militärischen Eingreifens angebahnt würde.
G r a f T i s z a bemerkt, daß er bestrebt sei, dem Standpunkt aller anderen Anwesenden
entgegenzukommen und daher auch insofern eine Konzession machen würde, als er zugeben
wolle, daß die an Serbien zu richtenden Forderungen sehr harte sein sollten, je doch nicht solcher
Art, daß man unsere Absicht, unannehmbare Forderungen zu stellen, klar erkennen könne. Sonst
hätten wir ein unmögliche rechtliche Grundlage für eine Kriegserklärung. Der Text der Note
müsse sehr genau studiert werden, und er würde jedenfalls Wert darauflegen, die Note zur
Einsicht zu erhalten, bevor sie abgesendet werde. Auch müsse er betonen, daß er für seine Person
genötigt wäre, die Konsequenzen daraus zu ziehen, wenn sein Standpunkt nicht berücksichtigt
werde.
Hierauf wird die Sitzung bis zum Nachmittag unterbrochen.
Beim Wiederzusammentritt des Ministerrats ist auch der Chef des Generalstabes und der
Stellvertreter des Marinekommandanten anwesend.
Der K r i e g s m i n i s t e r ergreift auf Wunsch des Vorsitzenden das Wort, um an den Chef des
Generalstabes nachstehende drei Fragen zu richten:
1. Ob es möglich wäre, zuerst nur gegen Serbien zu mobilisieren, und erst. nachträglich,
wenn sich die Notwendigkeit dazu ergibt, auch gegen Rußland.
2. Ob man zur Einschüchterung Rumäniens größere Truppenmengen in Siebenbürgen
zurückhalten könnte und
3. wo man den Kampf gegen Rußland aufnehmen würde.
Der Chef des Generalstabes gibt auf diese Anfragen geheime Aufklärungen und ersucht
darum, daß dieselben nicht in das Protokoll aufgenommen werden mögen.
Es entspinnt sich auf Grund dieser Aufklärungen eine längere Debatte über die
Kräfteverhältnisse und den wahrscheinlichen Verlauf eines europaischen Krieges, die sich wegen
ihres geheimen Charakters nicht zur Aufnahme in das Protokoll eignet.
Am Schlusse dieser Debatte wiederholt der k ö n i g l i c h u n g a r i s c h e M i n i s t e r p r ä s i d e n t seinen
früheren Standpunkt hinsichtlich der Kriegsfrage und richtet einen neuerlichen Appell an die
Anwesenden, sie möchten ihre Entscheidung sorgfältig prüfen.
Es werden hierauf die Punkte besprochen, welche als die Forderungen an Serbien in der
Note aufgenommen werden könnten.
Es wurde bezüglich dieser Punkte im Ministerrate kein definitiver Beschluß gefaßt; sie
wurden nur aufgestellt, um ein Bild darüber zu erlangen, welche Forderungen gestellt werden
könnten.
Hierauf verlaßt der Chef des Generalstabes und der Vertreter des Marinekommandanten
den Ministerrat, der sich mit der inneren Situation in Bosnien und den daselbst zu ergreifenden
Maßnahmen befaßt. Hierzu ergreift der gemeinsame Finanzminister das Wort und erklärt, er habe
aus Konferenzen, die er in den letzten Tagen mit Parteiführern gepflogen, die Überzeugung
gewonnen, daß eine Auflösung des Landtages nicht ratsam wäre, weil sie mit politischen
Verlusten verbunden wäre. Jetzt könne man wegen der allgemeinen Erregung der Gemüter keine
Sitzungen abhalten, und er wolle daher den Landtag schließen und erst im September für eine
kurze Session einberufen. Er hoffe, daß es dann möglich sein werde, das Budget und die
Kmetenvorlage votieren zu lassen; dies hänge in erster Linie davon ab, daß Dimovich - wie er
hoffe - die Parteileitung der regierungsfreundlichen Serben nicht aus der Hand gebe und so den
Bestand der gegenwärtigen Regierungsmajorität ermögliche. Mit der Schließung des Landtages
hörten die Diäten und auch die Immunität der Abgeordneten auf, so daß der diesbezügliche
Wunsch des Landeschefs und auch des Kriegsministers erfüllt werde, auch wenn er den Landtag
nicht auflöse. Herr von Bilinski bespricht sodann eine Reihe anderer Maßregeln, welche er für
zweckmäßig hält, darunter die Auflösung des großen serbischen Vereines Prosvjeta.
Der k ö n i g l i c h u n g a r i s c h e M i n i s t e r p r ä s i d e n t will jetzt .keine größeren Veränderungen
vorschlagen. Er verweist neuerlich auf die Zustände in der Polizei von Sarajevo und erklärt, der
Niedergang des administrativen Apparates in Bosnien sei die direkte Folge der seit einigen Jahren
bestehenden präponderierenden Stellung des Landeschefs, der als Militär unmöglich jene
Erfahrung in administrativer Hinsicht besitzen könnte, die für eine gute Verwaltung notwendig
sei.
Der g e m e i n s a m e F i n a n z m i n i s t e r verteidigt den Landeschef auch als Administrator, gibt
aber zu, daß es wünschenswert wäre, wenn die Zivilverwaltung von der Militärverwaltung ganz
getrennt und ein Statthalter wie in Dalmatien neben dem Armeeinspektor eingesetzt würde.
Es werden sodann an der Hand eines Vorschlages des k. u. k. Kriegsministers spezielle
Maßnahmen besprochen, welche in Bosnien verfügt werden sollen.
Hiebei tritt die übereinstimmende Ansicht aller Anwesenden zutage, daß einige Vorschläge
General Krobatins anzunehmen wären, andere aber zu weit gehen, daß es aber im allgemeinen
nicht möglich sei, über interne Verwaltungsmaßregeln Definitives festzustellen, bevor über die
Hauptfrage, ob der Krieg gegen Serbien geführt werden soll, eine Entscheidung gefallen sei.
Der V o r s i t z e n d e konstatiert, daß, wenn auch noch immer eine Divergenz zwischen den
Ansichten aller Teilnehmer und jener des Grafen Tisza bestehe, man sich nähergekommen sei,
nachdem auch die Verschläge des königlich ungarischen Ministerpräsidenten aller
Wahrscheinlichkeit nach zu der von ihm und den übrigen Mitgliedern der Konferenz für
notwendig gehaltenen kriegerischen Auseinandersetzung mit Serbien führen werden.
Graf Berchtold teilt dem Ministerrate mit, daß er die Absicht habe, am 8. d. M. nach Ischl
zu reisen und Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät Vortrag zu erstatten. Der k ö n i g l i c h
u n g a r i s c h e M i n i s t e r p r ä s i d e n t bittet den Vorsitzenden, Seiner Majestät auch einen von ihm zu
verfassenden alleruntertänigsten Vortrag über seine Auffasuung der Lage zu unterbreiten<a href="#N_1_">1</a>.
Nachdem ein Communiqué für die Presse aufgesetzt worden ist, hebt der Vorsitzende die
Sitzung auf.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, am 16. August 1914.
Franz Joseph m. p.
Schriftführer:
A. Hoyos m.p. Berchtold m.p.
WWI Archive > Dokumente zum Kriegsausbruch > I, 8. Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten, 7. Juli 1914