II, 63. Unterredung des Grafen Berchtold mit dem deutschen Botschafter, 26. Juli 1914

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Tagesbericht Nr. 3577


W i e n , den 26. Juli 1914            


Der deutsche Botschafter hat am 26. Juli bei mir vorgesprochen und mir auftraggemäß den Inhalt eines Telegrammes des deutschen Botschafters in Rom mitgeteilt, worin der letztere über eine Unterredung mit Marchese di San Giuliano betreffs der österreichisch-ungarischen-serbischen Krise referiert.

Der italienische Minister des Äußern soll in sehr gereiztem Tone unseren Schritt in Belgrad besprochen und betont haben, daß derselbe sich als ein aggressiver Akt darstelle, für dessen Konsequenzen die italienische Regierung nicht herangezogen werden könne. Der Dreibundvertrag sei rein defensiver Natur, unser Vorstoß gegen Serbien aber offensiv, und wenn Rußland dadurch in den Kampf hineingezogen werden sollte, wäre für Italien nicht der Casus foederis gegeben und würde letzteres sich passiv verhalten.

Baron Flotow bemühte sich, im Laufe der mehrstündigen Unterredung den Minister von seinem Standpunkte abzubringen, ihm unsere Aktion als einen Akt der Notwehr und Selbsterhaltung darzustellen und den defensiven Charakter einer eventuellen militärischen Stellungnahme Deutschlands und Österreichs-Ungarns gegen ein Eingreifen Rußlands hervorzuheben, wodurch Italien nach dem Bündnisvertrage verpflichtet werde, an unserer Seite zu kämpfen.

Marchese di San Giuliano, der mit großer Zähigkeit seine Anschauungsweise vertrat und auf die außerordentlichen Schwierigkeiten verwies, die ihm seitens der öffentlichen Meinung seines Landes angesichts dieses Konfliktes bereitet würden, bei welchem die Sympathien nicht auf unserer, sondern auf gegnerischer Seite stünden, machte schließlich geltend, daß wir nach Artikel VII des Dreibundvertrages auch im Falle der vorübergehenden Besetzung eines Gebietes am Balkan Italien gegenüber kompensationspflichtig seien, daß also Italien die Erfüllung der Stipulationen dieses Abkommens verlangen müßte.

Indem mir Herr von Tschirschky hievon Kenntnis gebe, betonte er, daß die deutsche Regierung sich in letzterer Beziehung mit der italienischen Regierung solidarisch erkläre, da nach dem Wortlaute des Allianzvertrages, so ungelegen dies im gegenwärtigen Falle erscheinen möge, für jede auch vorübergehende Okkupation von Gebieten »dans lés régions des Balcans«, sei es von Österreich-Ungarn, sei es von Italien, vom anderen Kontrahenten Kompensationsansprüche auf Grund vorhergehenden Übereinkommens gefordert werden können.

Auf meine Entgegnung, daß wir diesbezüglich anderer Auffassung seien, da dem Geiste des Dreibundvertrages und speziell des Artikels VII nach die fragliche Kompensationsbestimmung sich bloß auf türkisches Gebiet beziehen könne, replizierte Herr von Tschirschky mit der Bemerkung, daß die Abfassung des Artikels VII »unglücklicherweise« eine solche sei, den Anspruch der italienischen Regierung vollkommen zu rechtfertigen, und daß daher die deutsche Regierung in dieser Frage sich auf die Seite der italienischen Regierung stellen müsse, somit zwei Stimmen gegen eine in die Wagschale fallen.

Ich verhehlte dem Botschafter nicht mein Befremden über die starre Haltung des römischen Kabinettes in dieser Frage. Während des libyschen Feldzuges hätten die italienischen Truppen eine Reihe von ottomanischen Inseln im Ägäischen Meere besetzt, was für uns einen Kompensationsanspruch begründet habe. Ich hatte damals zugegeben, daß man Rhodos, Karpathos und Stampalia, welche am Ausgange des Ägäischen Meeres in das Mittelmeer gelegen seien, noch ausschalten könne, die übrigen aber unbedingt in das Gebiet des Ägäischen Meeres fallend rechnen müsse, für welche uns ein Kompensationsanspruch zustehe. Ich hätte letzteren damals nicht geltend gemacht, müßte aber nun, falls Italien eine so weitgehende und intransigente Interpretation für sich in Anspruch nehmen sollte, unsere Gegenrechnung präsentieren. Im übrigen sei ich der Ansicht, daß die Frage jetzt, wo wir ja nicht die Absicht hätten, weder temporär noch definitiv serbische Gebiete zu besetzen (vorübergehende Kriegsoperationen könnten doch nicht als temporäre Besetzung qualifiziert werden) nicht auf die Tagesordnung zu stellen wäre.



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