II, 90. Graf Berchtold an Grafen Mensdorff in London, 28. Juli 1914: Difference between revisions

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WWI Archive > Dokumente zum Kriegsausbruch > II, 90. Graf Berchtold an Grafen Mensdorff in London, 28. Juli 1914



Graf Berchtold an Grafen Mensdorff in London[1]


Telegramm Nr. 179


W i e n , den 28. Juli 1914            
Chiffr. 1. Uhr a. m. 29./7.            


C h i f f r e


Der englische Botschafter hat heute bei mir vorgesprochen und auftraggemäß den Standpunkt Sir Edward Greys zu unserem Konflikte mit Serbien wie folgt auseinandergesetzt.

Die englische Regierung habe mit lebhaftem Interesse den bisherigen Verlauf der Krise verfolgt und lege Wert darauf, uns zu versichern, daß sie Sympathien für unseren Standpunkt hege und unsere Griefs gegen Serbien vollkommen verstehe. Auch wolle sie betonen, daß sie keine warmen Gefühle für Serbien übrig habe, vielmehr wohl weiß, was sich letzteres in der Vergangenheit zuschulden habe kommen lassen.

Wenn somit England keinen Grund habe, unseren Streitfall mit Serbien an sich zum Gegenstande besonderer Präokkupation zu machen, so könne derselbe doch nicht der Aufmerksamkeit des Londoner Kabinetts entgehen, weil dieser Konflikt weitere Kreise ziehen und dadurch den europäischen Frieden in Frage stellen könne.

Nur aus diesem für England in Betracht kommenden Grunde habe sich Sir Edward Grey veranlaßt gesehen, eine Einladung an die Regierung jener Staaten zu richten, die an diesem Konflikte nicht näher interessiert seien (Deutschland, Italien und Frankreich), um gemeinschaftlich mit ihnen im Wege fortlaufenden Gedankenaustausches die Möglichkeiten zu prüfen und zu erörtern, wie die Differenz möglichst rasch ausgeglichen werden könnte. Nach dem Muster der Londoner Konferenz während der letzten Balkankrise sollten, nach Anschauung des englischen Staatssekretärs, die Londoner Botschafter der genannten Staaten sich zu dem angegebenen Zwecke in fortlaufendem Kontakte mit ihm halten. Grey habe bereits von den betreffenden Regierungen sehr freundschaftlich gehaltene Antworten erhalten, worin dieselben dem angeregten Gedanken zustimmen. Gegenwärtig wäre es der Wunsch des Stäatssekretärs, wenn möglich, den Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Österreich-Ungarn und Serbien in elfter Stunde zu verhindern, wenn dies aber nicht tunlich wäre, doch vorzubeugen, daß es zu einem blutigen Zusammenstoße komme, eventuell dadurch, daß die Serben sich zurückziehen und den Kampf nicht aufnehmen könnten. Die von Serbien an uns eingelangte Antwort scheine die Möglichkeit zu bieten, eine Basis für eine Verständigung abzugeben. England sei gerne bereit, hiebei in unserem Sinne und nach unseren Wünschen seinen Einfluß zur Geltung zu bringen.

Ich dankte dem Botschafter für die Sympathiekundgebung Sir Edward Greys und erwiderte ihm, daß ich der Auffasung des Staatssekretärs volle Würdigung zu zollen wisse. Sein Standpunkt sei aber von dem meinigen naturgemäß verschieden, da England an dem Streitfalle zwischen uns und Serbien nicht direkt interessiert sei und der Staatssekretär wohl kaum gründlich orientiert sein könne über die schwerwiegende Bedeutung der zu lösenden Fragen für die Monarchie. Wenn Sir Edward Grey von der Möglichkeit rede, den Ausbruch der Feindseligkeiten zu verhindern, so komme dieser Gedanke zu spät, da gestern bereits serbischerseits auf unsere Grenzsoldaten geschossen und heute von uns der Krieg an Serbien erklärt wurde. Was die Idee eines Transigierens auf Grund der serbischen Antwortnote anbelangt, müsse ich eine solche ablehnen. Wir hätten die integrale Annahme gefordert, Serbien habe sich durch Winkelzüge aus der Verlegenheit zu ziehen gesucht. Uns seien diese serbischen Methoden nur zu gut bekannt. Man dürfe nicht glauben, daß man es mit einer Kulturnation zu tun habe und nicht übersehen, wie oft sie unsere Langmut getäuscht.

Sir Maurice Bunsen könne dies nun durch seine hier erworbenen Lokalkenntnisse gewiß richtig einschätzen und werde in der Lage sein, Sir Edward Grey hierüber ein genaues Bild zu geben.

Sir Edward Grey wolle dem europäischen Frieden dienen, was gewiß nicht auf Widerstand bei uns stoßen würde. Er müsse jedoch bedenken, daß der europäische Friede nicht dadurch gerettet würde, daß sich Großmächte hinter Serbien stellen und für dessen Straffreiheit eintreten. Denn, selbst wenn wir auf einen solchen Ausgleichsversuch eingehen wollten, würde dadurch Serbien nur umsomehr ermutigt, auf dem bisherigen Pfade weiterzugehen, was den Frieden binnen der allerkürzesten Zeit abermals in Frage stellen möchte.

Der englische Botschafter versicherte mich zum Schlusse, daß er unseren Standpunkt vollkommen verstehe, andererseits aber bedauere, daß unter diesen Umständen der Wunsch der englischen Regierung, einen friedlichen Ausgleich zu erzielen, für den Augenblick keine Aussicht auf Verwirklichung habe. Er hoffe, weiterhin mit mir in Kontakt bleiben zu dürfen, was ihm wegen der großen Gefahr einer europäischen Konflagration von besonderem Werte wäre.

Mit meiner Versicherung, daß ich dem Botschafter jederzeit zur Verfügung stehe, schloß unsere Konversation.




  1. Die Fassung im Österreichisch-ungarischen Rotbuch, Nr. 41.



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