III, 105. Graf Szögyény an Grafen Berchtold, 2. August 1914: Difference between revisions

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Telegramm Nr. 362




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B e r l i n ,  den 2. August 1914<br>
Aufg. 2 Uhr  • / .  p. m.<br>
Eingetr. 6 Uhr 40 M. p. m.</p>
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    Im Nachhange zu meinem Telegramme Nr. 354 von gestern nachts<ref>Siehe [[III, 101. Graf Szögyény an Grafen Berchtold, 2. August 1914|III, Nr. 101]].    </ref>.
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    Nachdem ich Seiner Majestät Kaiser Wilhelm melden ließ, daß ich ein Telegramm Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät zu übergeben hätte, ließ Höchstderselbe mich noch spät abends zu sich bitten.
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    Kaiser Wilhelm befand sich im Familienkreis in einem kleinen Garten des hiesigen Schlosses. Während unserer langen Unterredung stellte der Kaiser vor allem fest, daß er in fortlaufendem Depeschenwechsel mit dem Zaren stehe, aber zu seinem lebhaften Bedauern gestehen müsse, daß er den jetzigen Geisteszustand Kaiser Nikolaus' absolut nicht verstehe. Er wisse auch nicht, ob der russische Kaiser seine an ihn, Kaiser Wilhelm, gerichteten Depeschen mit seinen Ratgebern vereinbart hätte; der jetzige Hauptratgeber des Zaren sei wahrscheinlich sein Kriegsminister, doch scheine noch immer der Gesundbeter Rasputin ausschlaggebenden Einfluß auf ihn auszuüben. Des Zaren Telegramme enthielten fortwährend Widersprüche, und er könne leider kein anderes Wort als »Lüge« für dieselben gebrauchen. Auf die befristete Anfrage Deutschlands sei von Petersburg die Antwort noch ausständig. Es wäre ein  —  wie gewöhnlich in englischer Sprache abgefaßtes  —  Telegramm des Kaisers von Rußland eingetroffen, in dem Höchstderselbe ihm (Kaiser Wilhelm) versicherte, daß die in Rußland angeordnete allgemeine Mobilisierung &nbsp;  n i c h t  &nbsp; eine Spitze gegen Deutschland habe. Die Antwort aus Paris enthalte nur leere »Phrasen« ; hingegen hätte Sir E. Grey mit Zustimmung seines königlichen Herrn sich telegraphisch angeboten, die Neutralität Frankreichs in einem eventuellen Krieg zwischen Deutschland und Rußland zu garantieren. Selbstverständlich werde er (Kaiser Wilhelm) von Frankreich ein »Faustpfand« verlangen. Er habe den Eindruck, daß Frankreich über die Mobilmachung Deutschlands in hohem Grade erschrocken sei. Unter diesen Umständen werde es sich darum handeln, zwar mit Ruhe aber mit großer Entschiedenheit in der bisher beobachteten Richtung zu verharren; vor allem sei er entschlossen, mit Frankreich abzurechnen, was ihm hoffentlich gelingen werde.
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    Über seine fortgesetzten Bemühungen zur Gewinnung von neuen und Festlegung der alten Bundesgenossen habe er sich noch gestern dem k. u. k. Militärattaché gegenüber ausgesprochen, und er wolle mir nur wiederholen, daß er auf Italien in jeder Hinsicht fort einwirke, an die Könige von Rumänien, Bulgarien und Griechenland sehr kategorische Briefe gerichtet habe und, wie er mir streng vertraulich hinzufügen könne, im Begriffe stehe, mit der Türkei einen Vertrag abzuschließen.
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    Zum Schlusse ersuchte mich Kaiser Wilhelm, unserem Allergnädigsten Herrn zu melden, daß er Allerhöchstdesselben Telegramm mit wärmstem Dank entgegengenommen habe und dasselbe sofort selbst beantworten werde.
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    Über die mannhafte Haltung des Reichskanzlers sowie über dessen richtige Durchführung seiner Intentionen äußerte sich Kaiser sehr lobend, ebenso über seinen Botschafter in Petersburg, welcher nicht nur Deutschlands, sondern auch Österreich¬Ungarns Interessen sehr geschickt zu wahren bemüht sei.</blockquote>
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Latest revision as of 12:02, 19 June 2009

WWI Archive > Dokumente zum Kriegsausbruch > III, 105. Graf Szögyény an Grafen Berchtold, 2. August 1914



Telegramm Nr. 362


B e r l i n , den 2. August 1914
Aufg. 2 Uhr • / . p. m.
Eingetr. 6 Uhr 40 M. p. m.


C h i f f r e


Im Nachhange zu meinem Telegramme Nr. 354 von gestern nachts[1].

Nachdem ich Seiner Majestät Kaiser Wilhelm melden ließ, daß ich ein Telegramm Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät zu übergeben hätte, ließ Höchstderselbe mich noch spät abends zu sich bitten.

Kaiser Wilhelm befand sich im Familienkreis in einem kleinen Garten des hiesigen Schlosses. Während unserer langen Unterredung stellte der Kaiser vor allem fest, daß er in fortlaufendem Depeschenwechsel mit dem Zaren stehe, aber zu seinem lebhaften Bedauern gestehen müsse, daß er den jetzigen Geisteszustand Kaiser Nikolaus' absolut nicht verstehe. Er wisse auch nicht, ob der russische Kaiser seine an ihn, Kaiser Wilhelm, gerichteten Depeschen mit seinen Ratgebern vereinbart hätte; der jetzige Hauptratgeber des Zaren sei wahrscheinlich sein Kriegsminister, doch scheine noch immer der Gesundbeter Rasputin ausschlaggebenden Einfluß auf ihn auszuüben. Des Zaren Telegramme enthielten fortwährend Widersprüche, und er könne leider kein anderes Wort als »Lüge« für dieselben gebrauchen. Auf die befristete Anfrage Deutschlands sei von Petersburg die Antwort noch ausständig. Es wäre ein — wie gewöhnlich in englischer Sprache abgefaßtes — Telegramm des Kaisers von Rußland eingetroffen, in dem Höchstderselbe ihm (Kaiser Wilhelm) versicherte, daß die in Rußland angeordnete allgemeine Mobilisierung   n i c h t   eine Spitze gegen Deutschland habe. Die Antwort aus Paris enthalte nur leere »Phrasen« ; hingegen hätte Sir E. Grey mit Zustimmung seines königlichen Herrn sich telegraphisch angeboten, die Neutralität Frankreichs in einem eventuellen Krieg zwischen Deutschland und Rußland zu garantieren. Selbstverständlich werde er (Kaiser Wilhelm) von Frankreich ein »Faustpfand« verlangen. Er habe den Eindruck, daß Frankreich über die Mobilmachung Deutschlands in hohem Grade erschrocken sei. Unter diesen Umständen werde es sich darum handeln, zwar mit Ruhe aber mit großer Entschiedenheit in der bisher beobachteten Richtung zu verharren; vor allem sei er entschlossen, mit Frankreich abzurechnen, was ihm hoffentlich gelingen werde.

Über seine fortgesetzten Bemühungen zur Gewinnung von neuen und Festlegung der alten Bundesgenossen habe er sich noch gestern dem k. u. k. Militärattaché gegenüber ausgesprochen, und er wolle mir nur wiederholen, daß er auf Italien in jeder Hinsicht fort einwirke, an die Könige von Rumänien, Bulgarien und Griechenland sehr kategorische Briefe gerichtet habe und, wie er mir streng vertraulich hinzufügen könne, im Begriffe stehe, mit der Türkei einen Vertrag abzuschließen.

Zum Schlusse ersuchte mich Kaiser Wilhelm, unserem Allergnädigsten Herrn zu melden, daß er Allerhöchstdesselben Telegramm mit wärmstem Dank entgegengenommen habe und dasselbe sofort selbst beantworten werde.

Über die mannhafte Haltung des Reichskanzlers sowie über dessen richtige Durchführung seiner Intentionen äußerte sich Kaiser sehr lobend, ebenso über seinen Botschafter in Petersburg, welcher nicht nur Deutschlands, sondern auch Österreich¬Ungarns Interessen sehr geschickt zu wahren bemüht sei.




  1. Siehe III, Nr. 101.



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