III, 16. Graf Szápáry an Grafen Berchtold, 29. Juli 1914

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Telegramm Nr. 173


P e t e r s b u r g , den 29. Juli 1914           
Aufg. 10 Uhr • / . a. m.           
Eingetr. 4 Uhr • / . p. M.           


C h i f f r e


Herrn Sazonow heute im Sinne Euer Exzellenz Erlaß Nr. 3530 vom 25. d. M. gesprochen[1].

Da ich schon vorgestern aus Eigenem die meisten in der zitierten Weisung enthaltenen Konsiderationen vorgebracht hatte, wiederholte ich dieselben präziser mit dem Hinweis, daß ich nunmehr im selben Sinne auf Grund Instruktionen sprechen könne. Minister schien enttäuscht, da er erwartet hatte, ich würde zu der von ihm vorgestern angeregten Mediation Stellung nehmen. Er fragte, ob ich auf meine Meldung Antwort hätte, was ich verneinte. Sazonow meinte sodann, daß dies nicht allzuviel Gutes wäre und daß die Situation jedenfalls ernst sei. Die serbische Antwort sei so konziliant gewesen, daß er erstaunt sei, daß man dieselbe als ungenügend angesehen habe. Ich kritisierte die Note Herrn Pašic' im Sinne des bezüglichen Wiener Communiqués und hob hervor, daß besonders der am meisten im Vordergrund stehende Punkt der Mitwirkung bei der Untersuchung über das Attentat unglaublicherweise glatt abgelehnt worden sei. Wenn sich die serbische Regierung wenigstens auch hier auf eine Bitte um Interpretierung beschränkt hätte! Der Minister erklärte hierauf, daß wir also nur wegen des einen Punktes uneinig seien! Ich korrigierte, die serbische Regierung sei auch bei vielen anderen nur der Form nach entgegengekommen, daß aber die Ablehnung dieses Punktes wohl den schlechtesten Eindruck hervorrufen mußte. Sodann bat Herr Sazonow nochmals dringend um Übermittlung des Dossiers, welches den Mächten versprochen sei und noch nicht vorliege. Man wolle dasselbe doch sehen, bevor der Krieg mit Serbien begonnen habe. Wenn Kriegsausbruch einmal erfolgt sei, sei es zu spät, Dossiers zu prüfen. Dies alles besprach der Minister trotz sichtlicher Enttäuschung in ziemlich ruhiger und freundschaftlicher Weise, und ich hatte den Eindruck, daß er noch Hoffnung darauf setzte, im Dossier etwas zu finden, was ihm das Abrücken von Serbien ermöglichen könnte.

Unser territoriale Desinteressement, dessen Ankündigung er wohl ohnehin erwartet hatte, machte ihm nicht viel Eindruck. Daß wir die Souveränität Serbiens zu schonen gedacht, wollte er unter Hinweis auf die Natur unserer Forderungen nicht recht gelten lassen. Daß wir nicht Balkanpolitik gegen Rußland machen wollen, führte zu einer längeren akademischen und historischen Erörterung über die Reformära, Sandschakbahn usw., bei welcher alte Griefs zum Vorschein kamen. Dies alles spielte sich aber in vollkommen freundschaftlicher Form ab. Ich verabschiedete mich sodann, weil der Minister zu seinem kaiserlichen Herrn nach Peterhof beschieden war.

Meine Impression ging dahin, daß der Minister bei der vorhandenen Unlust, mit uns in Konflikt zu geraten, sich an Strohhalme klammert, in der Hoffnung, doch noch der gegenwärtigen Situation zu entkommen. Ich muß speziell konstatieren, daß er im Gegensatze zu früheren Spannungsperioden diesmal nie von öffentlicher Meinung, Slawentum, Orthodoxie spricht und stets politisch sachlich diskutiert, indem er besonders das Interesse Rußlands an dem Unterbleiben einer Infeodierung Serbiens hervorhebt. Die seither erfolgte Kriegserklärung an Serbien dürfte nunmehr bald die wahren Absichten Rußlands in die Erscheinung treten lassen.

Öffentliche Meinung ist bis jetzt merkwürdig ruhig gewesen, so daß Berufung auf dieselbe einstweilen schwer gewesen wäre. Kriegserklärung dürfte allerdings starke Reperkussion hervorbringen.

In diplomatischen Kreisen ist die Stimmung im allgemeinen sehr pessimistisch. Englische und hiesige Verhältnisse sehr genau kennender japanischer Kollege hält Eingreifen Rußlands für unvermeidlich. Italienischer Botschafter vermag noch immer nicht recht daran zu glauben, Herr Spalajkovic, welcher sich bisher auf englischen Mediationsvorschlag einiges zu gute getan zu haben scheint, soll auf Eintreffen der Kriegserklärungsnachricht sehr niedergeschlagen gewesen sein. In kommerziellen Kreisen ruft ungeheures Sinken des Rubelkurses Bestürzung hervor.




  1. Siehe II, Nr. 42



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