III, 99. Unterredung des Grafen Berchtold mit dem russischen Botschafter, 1. August 1914

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Tagesbericht Nr. 3737


W i e n , den 1. August 1914


Der kaiserlich russische Botschafter suchte mich heute in freundschaftlicher Weise auf, um sich, wie er sagte, nach etwaigen Neuigkeiten zu erkundigen. Er hoffe noch immer, daß es gelingen werde, den bestehenden Streitfall durch direkte Verhandlungen zu beheben. Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge wäre es wohl besser, sich hiezu auf neutrales Terrain zu begeben, wofür London besonders geeignet wäre. Es sei überaus bedauerlich, daß man in Deutschland anscheinend den Krieg forcieren wolle. Rußland hätte ja in Berlin bereits die bündigsten Versicherungen abgegeben, daß seine militärischen Maßnahmen keinen feindlichen Charakter gegen die Monarchie oder Deutschland trügen. Allerdings müßte man in Petersburg nach wie vor darauf bestehen, daß wir den Konflikt mit Serbien nicht lösen, ohne Rußland zu konsultieren, dessen Interesse bei dieser Frage im Spiele sei.

Ich ging auf diese Darlegung Herrn Schebekos nicht weiter ein, begann jedoch ein freundschaftliches, nicht offizielles Gespräch, in dessen Verlaufe ich den Herrn russischen Botschafter auf die vielfachen Torheiten der russischen Balkanpolitik aufmerksam machte. Es gäbe eine weit breitere Grundlage zu einer Auseinandersetzung zwischen uns und Rußland, wenn man sich nur e i n m a l in Petersburg dazu entschließen könnte, nicht immer und ausschließlich das Schicksal der Balkanstaaten zum Angelpunkte des Verhaltens gegen uns zu machen.

Herr Schebeko antwortete gleichfalls s e h r freundschaftlich, erörterte in akademischer Weise die mannigfaltigen Verpflichtungen Rußlands als orthodoxer und slawischer Staat, verwies auf gewisse sentimentale Veranlagungen des russischen Volkes und verließ mich mit der Bemerkung, eigentlich handle es sich zwischen uns und Rußland um ein großes Mißverständnis.

Unmittelbar darauf erhielt ich den Besuch Herrn Dumaines, der ebenso friedliche Töne anschlug wie sein russischer Kollege, mit wehmütigem Bedauern auf das kriegerische Vorgehen Kaiser Wilheims verwies und seiner Überzeugung Ausdruck gab, es müsse eine Formel gefunden werden, die unseren gerechten Ansprüchen Rechnung trage, Rußlands Interessen an Serbien befriedige und den Weg zum Frieden eröffne.



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