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&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Zur unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges übergehend, <br>
legt Kautsky großes Gewicht auf die Zusammenkünfte Kaiser Wil- <br>
helms mit dem Erzherzog-Thronfolger in Miramare im April 1914 <br>
und zwei Monate später in Konopischt. Er weiß ebensowenig wie <br>
andere, was dort verhandelt wurde, und kennt nur den Bericht <br>
Tschirschkys vom 17. Juni (D. Nr. 4), daß in Konopischt über alle <br>
möglichen Fragen eingehend gesprochen wurde, und daß auch die <br>
verfehlte Politik Tiszas gegenüber den ungarländischen Rumänen <br>
einen Gegenstand der Unterredungen bildete. Ebenso steht, wie <br>
Kautsky zugibt, in dem am 5. Juli in Berlin überreichten Memoran- <br>
dum der österreichisch-ungarischen Regierung (D. Nr. 14) die <br>
r u m ä n i s c h e&nbsp; Frage im Vordergrund. Wenn nun aber aus dem <br>
Schlußsatz, daß es ein gemeinsames Interesse der Zentralmächte <br>
sei, „im jetzigen Stadium der Balkankrise rechtzeitig und energisch <br>
einer von Rußland planmäßig angestrebten und geförderten Ent- <br>
wicklung entgegenzutreten, die später vielleicht nicht mehr rück- <br>
gängig zu machen wäre", die Folgerung gezogen wird, das Memo- <br>
randum sei „kaum anders aufzufassen, als daß es in der Sprache <br>
der Diplomatie den Präventivkrieg gegen Rußland fordert" (K. <br>
Seite 39), so bietet die Denkschrift für eine solche Auslegung keinen <br>
Anhalt, denn sie bezeichnet im Hinblick auf die veränderte, vom <br>
Dreibund wegstrebende Haltung Rumäniens folgende Maßnahmen <br>
als nötig (D. Nr. 14, Seite 28, Absatz 3 und 4): <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In m i l i t ä r i s c h e r &nbsp;Beziehung andere Dispositionen für <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;den Fall eines Krieges mit Rußland und die Anlage von <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Befestigungen gegen Rumänien, <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;in &nbsp;p o l i t i s c h e r&nbsp; Hinsicht den Anschluß Bulgariens an <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;den Dreibund und ein bulgarisch-türkisches Bündnis. <br>

&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Diese vier Vorschläge: Änderung des Aufmarsches im Mobil- <br>
machungsfalle, Anlage von Befestigungen und Abschluß von zwei <br>
Bündnissen sind Maßnahmen &nbsp;a u f l a n g e S i c h t&nbsp; und sprechen <br>
nicht für, sondern eher gegen das Vorhandensein eines Planes, <br>
Rußland in nächster Zeit zum Entscheidungskampf herauszu- <br>
fordern. Daß jedenfalls auf deutscher Seite „die Absicht, einen <br>
e u r o p ä i s c h e n&nbsp; Krieg zu entfesseln, damals (am 5. Juli, am <br>
Tage der Überreichung des Memorandums) nicht bestand", erklärt <br>
der Verfasser selbst auf Seite 48. Ein Irrtum ist es, wenn er an- <br>
fügt, das deutsche Weißbuch vom Juni 1919 „verschweige, daß <br>
man damals schon den Österreichern freie Hand zu einem Kriege <br>
g e g e n &nbsp; S e r b i e n&nbsp; gab auf die Gefahr hin, damit einen Krieg <br>
gegen Rußland hervorzurufen". Der Bericht der deutschen Vierer- <br>
kommission erinnert vielmehr daran, daß die deutsche Regierung <br>
schon in der am 3. August 1914 dem Reichstag vorgelegten Denk- <br>
schrift offen aussprach, „daß sie der nach dem Attentat von Sara- <br>
jevo in Wien gehegten Auffassung zugestimmt und eine dort für <br>
nötig erachtete Aktion gebilligt habe" (Weißbuch Juni 1919, Seite 57). <br>
Der Bericht wiederholt später nochmals, Deutschland habe der <br>
österreichischen Auffassung, auf dem Eindruck einer militärischen <br>
Expedition zu bestehen, „zugestimmt und Österreich dabei er- <br>
mutigt". Daß dies auf die Gefahr eines Krieges mit Rußland hin <br>
geschah, wurde schon am 3. August 1914 amtlich niedergelegt. <br>
Aber Kautsky selbst führt in dem Bericht Szögyenys vom 6. Juli <br>
(Seite 47), dem Briefe Jagows vom 18. Juli (Seite 66), dem bayeri- <br>
schen Bericht vom gleichen Tage (Seite 80) und dem des belgischen <br>
Gesandten Baron Beyens vom 28. Juli (Seite 65) überzeugende <br>
Beweise dafür an, daß in den leitenden politischen Kreisen Berlins <br>
die Gefahr einer russischen Intervention sehr stark unterschätzt <br>
wurde. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Bei dieser Auffassung ist es schwer verständlich, daß einer <br>
mehr als drei Jahre nach den Ereignissen, am 30. August 1917, <br>
von dem in der kritischen Zeit nicht in Europa weilenden späteren <br>
Unterstaatssekretär Freiherrn von dem Bussche gemachten Auf- <br>
zeichnung besonderes Gewicht beigelegt wird, wonach am 6. Juli <br>
eine „Beratung militärischer Stellen" in Potsdam stattgefunden, <br>
„auf alle Fälle vorbereitende Maßnahmen für einen „Krieg" be- <br>
schlossen worden und „entsprechende Befehle" ergangen sein sollen <br>
(D. Anhang VIII und K. Seite 49). Die Bewertung dieser nach- <br>
träglichen Aktennotiz steht nicht im Einklang mit dem Ergebnis <br>
der Nachforschungen, die das Auswärtige Amt im Oktober 1919 <br>
bei den in Betracht kommenden Behörden und Persönlichkeiten <br>
über den Inhalt dieser Besprechungen hatte anstellen lassen, wobei <br>
sich ergab, daß es sich lediglich um kurze Informationen einer An- <br>
zahl von Offizieren handelte (Anhang zu den Vorbemerkungen der <br>
deutschen Vorkriegsakten). Wie soll man schließlich die schon er- <br>
wähnte Auffassung, daß „die Absicht, einen europäischen Krieg <br>
zu entfesseln, damals nicht bestand" (K. Seite 48) in Einklang <br>
bringen mit der Behauptung, daß zu derselben Zeit „eine Ver- <br>
schwörung zum mindesten gegen Serbien und Rußland, wenn nicht <br>
gegen den Frieden der Welt" (K. Seite 50) stattgefunden hat? <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Das Hauptargument für die These des bewußt herbeigeführten <br>
Präventivkrieges, nämlich der Potsdamer „Kronrat" oder „Kriegs- <br>
rat" unter Teilnahme der Generalstabschefs beider Kaiserreiche, <br>
ist hinfällig geworden, denn nicht darauf kommt es an, ob einige <br>
Offiziere mehr oder weniger über das Vorhaben Österreich-Ungarns <br>
unterrichtet wurden, sondern darauf, daß nicht von deutscher Seite <br>
eine gemeinsame Beratung der politisch und militärisch leitenden <br>
Persönlichkeiten beider Länder veranlaßt worden ist. Vom &nbsp;r e a l - <br>
p o l i t i s c h e n&nbsp; Standpunkt aus muß es sogar als ein Fehler be- <br>
zeichnet werden, daß nicht wenigstens die deutschen Zivil- und <br>
Militärbehörden in gemeinsamer Beratung unter sich die Lage be- <br>
sprochen haben, wie es in Österreich-Ungarn geschehen ist. In <br>
m i l i t ä r i s c h e r&nbsp; Beziehung ferner war es ein schweres Ver- <br>
säumnis, daß man sich nicht vergewisserte, welche Vorsorge der <br>
österreichisch-ungarische Generalstab getroffen hatte, um im Falle <br>
des Mißlingens der „Lokalisierung" des Konflikts die Masse der <br>
Truppen rasch gegen Norden zu werfen, gegen Serbien aber nicht <br>
mehr als 3—4 Armeekorps mit rein defensivem Auftrag zu lassen. <br>
Vom &nbsp;m o r a l i s c h e n&nbsp; Gesichtspunkte sind diese politischen und <br>
militärischen Versäumnisse eine große Rechtfertigung der deutschen <br>
Haltung, aber es war für die Einleitung des Kampfes gegen die <br>
russische Übermacht ein ungemein erschwerender Umstand, daß <br>
nach der eigenhändigen Niederschrift des österreichisch-ungarischen <br>
Generalstabschefs am 1. August infolge der Einleitung des Auf- <br>
marsches gegen Serbien mit zu starken Kräften „große technische <br>
Schwierigkeiten" bestanden, „die überwiegenden Hauptkräfte gegen <br>
Rußland zu versammeln" (G. Seite 311, Anm. 2).