Manifesto of the Ninety-Three German Intellectuals
October 4, 1914
An die Kulturwelt!
Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kultur erheben vor der gesamten Kulturwelt
Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine
Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten. Der eherne
Mund der Ereignisse hat die Ausstreuung erdichteter deutscher Niederlagen widerlegt. Um so
eifriger arbeitet man jetzt mit Entstellungen und Verdächtigungen. Gegen sie erheben wir
laut unsere Stimme. Sie soll die Verkünderin der Wahrheit sein.
Es ist nicht wahr, daß Deutschland diesen Krieg verschuldet hat.
Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung noch der Kaiser. Von deutscher Seite ist
das Äußerste geschehen, ihn abzuwenden. Dafür liegen der Welt die urkundlichen Beweise
vor. Oft genug hat Wilhelm II. in den 26 Jahren seiner Regierung sich als Schirmherr des
Weltfriedens erwiesen; oft genug haben selbst unsere Gegner dies anerkannt. Ja, dieser
nämliche Kaiser, den sie jetzt einen Attila zu nennen wagen, ist jahrzehntelang wegen
seiner unerschütterlichen Friedensliebe von ihnen verspottet worden. Erst als eine schon
lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es
sich erhoben wie ein Mann.
Es ist nicht wahr, daß wir freventlich die Neutralität Belgiens
verletzt haben. Nachweislich waren Frankreich und England zu ihrer Verletzung
entschlossen. Nachweislich war Belgien damit einverstanden. Selbstvernichtung wäre es
gewesen, ihnen nicht zuvorzukommen.
Es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen Bürgers Leben und
Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne daß die bitterste Notwehr es
gebot. Denn wieder und immer wieder, allen Mahnungen zum Trotz, hat die Bevölkerung sie
aus dem Hilterhalt beschossen, Verwundete verstümmelt, Ärzte bei der Ausübung ihres
Samariterwerkes ermordet. Man kann nicht niederträchtiger fälschen, als wenn man die
Verbrechen dieser Meuchelmörder verschweigt, um die gerechte Strafe, die sie erlitten
haben, den Deutschen zum Verbrechen zu machen.
Es ist nicht wahr, daß unsere Truppen brutal gegen Löwen gewütet
haben. An einer rasenden Einwohnerschaft, die sie im Quartier heimtückisch überfiel,
haben sie durch Beschießung eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben
müssen. Der größte Teil von Löwen ist erhalten geblieben. Das berühmte Rathaus steht
gänzlich unversehrt. Mit Selbstaufopferung haben unsere Soldaten es vor den Flammen
bewahrt. - Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch
zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wir uns in der Liebe
zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die
Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen.
Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des
Völkerrechts mißachtet. Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit. Im Osten aber tränkt das
Blut der von russischen Horden hingeschlachteten Frauen und Kinder die Erde, und im Westen
zerreißen Dumdumgeschosse unseren Kriegern die Brust. Sich als Verteidiger europäischer
Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und
Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf
die weiße Rasse zu hetzen.
Es ist nicht wahr, daß der Kampf gegen unseren sogenannten
Militarismus kein Kampf gegen unsere Kultur ist, wie unsere Feinde heuchlerisch vorgeben.
Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Zu
ihrem Schutz ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von
Raubzügen heimgesucht wurde wie kein zweites. Deutsches Heer und deutsches Volk sind
eins. Dieses Bewußtsein verbrüdert heute 70 Millionen Deutsche ohne Unterschied der
Bildung, des Standes und der Partei.
Wir können die vergifteten Waffen der Lüge unseren Feinden nicht entwinden. Wir
können nur in alle Welt hinausrufen, daß sie falsches Zeugnis ablegen wider uns. Euch,
die Ihr uns kennt, die Ihr bisher gemeinsam mit uns den höchsten Besitz der Menschheit
gehütet habt, Euch rufen wir zu:
Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk,
dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein
Herd und seine Scholle.
Dafür stehen wir Euch ein mit unserem Namen und mit unserer Ehre!
Adolf von Bayer, Exz. | Prof. Peter Behrens | Emil von Behring, Exz. |
Wilhelm von Bode, Exz. | Alois Brandl | Lujo Brentano |
Prof. Justus Brinkmann | Johannes Conrad | Franz von Defregger |
Richard Dehmel | Adolf Deißmann | Prof. Wilhelm Dörpfeld |
Friedrich von Duhn | Prof. Paul Ehrlich, Exz. | Albert Ehrhard |
Karl Engler, Exz. | Gerhard Esser | Rudolf Eucken |
Herbert Eulenberg | Heinrich Finke | Emil Fischer, Exz. |
Wilhelm Foerster | Ludwig Fulda | Eduard von Gebhardt |
J. J. de Groot | Fritz Haber | Ernst Haeckel, Exz. |
Max Halbe | Prof. Adolf von Harnack | Gerhard Hauptmann |
Karl Hauptmann | Gustav Hellmann | Wilhelm Herrmann |
Andreas Heusler | Adolf von Hildebrand | Ludwig Hoffmann |
Engelbert Humperdinck | Leopold Graf Kalckreuth | Arthur Kampf |
Fritz Aug. v. Kaulbach | Theodor Kipp | Felix Klein |
Max Klinger | Alois Knoepfler | Anton Koch |
Paul Laband, Exz. | Karl Lambrecht | Philipp Lenard |
Maximilian Lenz | Max Liebermann | Franz von Liszt |
Ludwig Manzel | Josef Mausbach | Georg von Mayr |
Sebastian Merkle | Eduard Meyer | Heinrich Morf |
Friedrich Naumann | Albert Neisser | Walter Nernst |
Wilhelm Ostwald | Bruno Paul | Max Planck |
Albert Plehn | Georg Reicke | Prof. Max Reinhardt |
Aois Riehl | Karl Robert | Wilhelm Röntgen, Exz. |
Max Rubner | Fritz Schaper | Adolf von Schlatter |
August Schmidlin | Gustav von Schmoller, Exz. | Reinhold Seeberg |
Martin Spahn | Franz von Stuck | Hermann Sudermann |
Hans Thoma | Wilhelm Trübner | Karl Vollmöller |
Richard Voß | Karl Voßler | Siegfried Wagner |
Wilhelm Waldeyer | August von Wassermann | Felix von Weingartner |
Theodor Wiegand | Wilhelm Wien | Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Exz. |
Richard Willstätter | Wilhelm Windelbrand | Wilhelm Wundt, Exz. |
References
Klaus Böhme (editor). Aufrufe und Reden deutscher Professoren in Ersten Weltkrieg.
Reclam Universal-Bibliothek Nr. 9787, Stuttgart, 1975; pp. 47 - 49, without the names of
the 93 subscribers.
Jürgen von Ungern-Sternberg and Wolfgang von Ungern-Sternberg. Der Aufruf "An die Kulturwelt!". Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg. Steiner, Stuttgart, 1996; 247 pp.