Nr. 10. Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler, 3 Juli 1914: Difference between revisions

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<center><font size=4>'''Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler<sup>1</sup>'''</font></center><br>
<center><font size=4>'''Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler<ref>Nach der Ausfertigung. </ref>'''</font></center><br>


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<i>er mußte es ja doch<br>
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wissen!</i>
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Belgrad, den 30. Juni 1914<sup>2</sup>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Das grauenhafte Attentat in Sarajevo, das  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Belgrad, den 30. Juni 1914<ref>Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 3. Juli vorm. Bericht lag dem <br>
hier erst in den Abendstunden des 15. /28. Juni  
Kaiser vor, von ihm am 4. Juli zurückgegeben. Wurde gemäß kaiserlicher <br>
offiziös bekanntgegeben wurde, wahrscheinlich, um  
Randverfügung am 7. Juli den Vertretungen in Wien, St. Petersburg, London, <br>
der an diesem Tage — dem sogenannten Widowdan,  
Rom, Paris und Bukarest mitgeteilt. <br></ref><br><br>
Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld am  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Das grauenhafte Attentat in Sarajevo, das <br>
15. Juni 1389 — abgehaltenen Volksfeier kein allzu  
hier erst in den Abendstunden des 15. /28. Juni <br>
frühes Ende zu bereiten, hat einen tiefen Eindruck  
offiziös bekanntgegeben wurde, wahrscheinlich, um <br>
in Serbien gemacht. Nicht etwa in dem Sinne,  
der an diesem Tage — dem sogenannten Widowdan, <br>
daß die Nachricht in den breiten Schichten der Be-  
Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld am <br>
völkerung das Gefühl besonderer, aus dem Herzen  
15. Juni 1389 — abgehaltenen Volksfeier kein allzu <br>
kommender Trauer ausgelöst hätte. In dieser Hin-  
frühes Ende zu bereiten, hat einen tiefen Eindruck <br>
sicht kann man höchstens sagen, daß verletzende  
in Serbien gemacht. Nicht etwa in dem Sinne, <br>
und unziemUche Kundgebungen in der Öffentlichkeit  
daß die Nachricht in den breiten Schichten der Be-<br>
unterbheben sind. Sondern weil man hier sofort  
völkerung das Gefühl besonderer, aus dem Herzen <br>
instinktiv fühlte, daß für die von Serben begangene  
kommender Trauer ausgelöst hätte. In dieser Hin- <br>
Bluttat nicht bloß die Brüder in Bosnien, sondern  
sicht kann man höchstens sagen, daß verletzende <br>
das ganze Serbentum die Verantwortung treffe.  
und unziemUche Kundgebungen in der Öffentlichkeit <br>
Nachdem es sich herausgestellt hat, daß beide Atten-  
unterbheben sind. Sondern weil man hier sofort <br>
täter sich bis vor wenigen Wochen in Belgrad auf-  
instinktiv fühlte, daß für die von Serben begangene <br>
gehalten haben, der eine, Prinzip, als Handelsschüler,  
Bluttat nicht bloß die Brüder in Bosnien, sondern <br>
der andere, Tschabrinowitsch, als Setzer in der  
<i>das ganze Serbentum die Verantwortung treffe.</i> <br>
Staatsdruckerei, nachdem letzterer offen zugegeben  
Nachdem es sich herausgestellt hat, daß beide Atten-<br>
hat, seine Bombe, wie seinerzeit der Attentäter in  
täter sich bis vor wenigen Wochen in Belgrad auf- <br>
Cetinje, aus Belgrad bezogen zu haben, ist die  
gehalten haben, der eine, Prinzip, als Handelsschüler, <br>
Stimmung hier eine recht gedrückte. Zwar bemüht  
der andere, Tschabrinowitsch, als Setzer in der <br>
man sich, den anstürmenden Verdächtigungen und  
Staatsdruckerei, nachdem letzterer offen zugegeben<br>
Anklagen dadurch die Spitze abzubrechen, daß man  
hat, seine Bombe, wie seinerzeit der Attentäter in <br>
auf das Fiasko der früher gegen Serbien in den  
Cetinje, aus Belgrad bezogen zu haben, ist die <br>
Agramer und Fried Jungprozessen erhobenen Anwürfe  
Stimmung hier eine recht gedrückte. Zwar bemüht <br>
hinweist und immer wieder betont, wie ungerecht  
man sich, den anstürmenden Verdächtigungen und <br>
es sei, eine ganze Nation für die Untaten einzelner  
Anklagen dadurch die Spitze abzubrechen, daß man <br>
Überspannter verantwortlich zu machen. Aber es  
auf das Fiasko der früher gegen Serbien in den <br>
wird schwer sein zu bestreiten, daß das Königreich  
Agramer und Fried Jungprozessen erhobenen Anwürfe<br>
Serbien imd speziell Belgrad mit seiner unge{ügelten  
hinweist und immer wieder betont, wie ungerecht <br>
Presse, seinen fanatischen Omladina -Vereinen und  
es sei, eine ganze Nation für die Untaten einzelner <br>
seiner wüsten großserbischen Agitation, einen unver-  
Überspannter verantwortlich zu machen. Aber es <br>
gleichlichen Nährboden für solche exaltierten Ge-  
wird schwer sein zu bestreiten, daß das Königreich <br>
müter abgibt.  
Serbien und speziell Belgrad mit seiner unge{ügelten <br>
 
Presse, <i>seinen fanatischen Omladina-Vereinen</i> und <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In dieser peinlichen Situation hat die Regierung  
seiner <i>wüsten großserbischen Agitation,</i> einen unver- <br>
es für angebracht gehalten, vor allem in möglichst  
gleichlichen Nährboden für solche exaltierten Ge- <br>
geräuschvoller und ostentativer Form ihre Verur-  
müter abgibt. <br>
teilung der Tat und ihr Beileid zum Ausdruck zu  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In dieser peinlichen Situation hat die Regierung <br>
bringen. Um die Attentäter wenigstens von ihren  
es für angebracht gehalten, vor allem in möglichst <br>
Rockschößen abzuschütteln, hat sie ein Communique  
geräuschvoller und ostentativer Form ihre Verur- <br>
veröffentlicht, worin die unseHge Tat in den schärfsten  
teilung der Tat und ihr Beileid zum Ausdruck zu <br>
Ausdrücken verdammt wird. Ein inspirierter Ar-  
bringen. Um die Attentäter wenigstens von ihren <br>
tikel der »Samouprawa« hebt hervor, wie schwer  
Rockschößen abzuschütteln, hat sie ein Communique<br>
dieses Ereignis Serbien gerade in dem jetzigen  
veröffentlicht, worin die unseHge Tat in den schärfsten <br>
Moment treffe, wo so vielfältige und wichtige Ver-  
Ausdrücken verdammt wird. Ein inspirierter Ar- <br>
handlimgen mit der Monarchie ihrer Lösung ent-  
tikel der »Samouprawa« hebt hervor, wie schwer <br>
gegengehen und wo Serbien, der fortwährenden  
dieses Ereignis Serbien gerade in dem jetzigen <br>
Aufregungen müde, nichts sehnücher wünsche, als  
Moment treffe, wo so vielfältige und wichtige Ver- <br>
eine Periode ungestörter Ruhe.  
handlimgen mit der Monarchie ihrer Lösung ent- <br>
 
gegengehen und wo Serbien, der fortwährenden <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Im Pubükum, das durch offizielle Rücksichten  
Aufregungen müde, nichts sehnücher wünsche, als <br>
nicht gebunden ist, hört man freihch auch andere  
eine Periode ungestörter Ruhe. <br>
Stimmen. Ganz abgesehen von geschmacklosen  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Im Pubükum, das durch offizielle Rücksichten <br>
Vergleichen, wie mit der Tat Teils und der des  
nicht gebunden ist, hört man freihch auch andere <br>
Serben Milosch Obilitsch, der den Sultan Bajasid  
Stimmen. Ganz abgesehen von geschmacklosen <br>
auf dem Amselfeld ermordete und heute noch als  
Vergleichen, wie <i>mit der Tat Teils</i> und der des <br>
Nationalheld gefeiert wird, wird darauf hingewiesen,  
Serben Milosch Obilitsch, der den Sultan Bajasid <br>
wie unbedacht es war, in dem fanatisierten<sup>3</sup> Bosnien<sup>4</sup>  
auf dem Amselfeld <i>ermordete</i> und heute noch als <br>
Manöver abzuhalten und vollends zu einem Zeit-  
<i>Nationalheld gefeiert</i> wird, wird darauf hingewiesen, <br>
punkt, wo der Widowdan empfängliche Gemüter  
wie unbedacht es war, in dem <i>fanatisierten<ref> »fanatisierten« vom Kaiser zweimal unterstrichen.</ref> Bosnien<ref>Am Rand Fragezeichen und Ausrufungszeichen des Kaisers.</ref></i> <br>
immer von neuem mit patriotischer Erregung er-  
Manöver abzuhalten und vollends zu einem Zeit- <br>
fülle. Ein erhebhcher Teil der serbischen Presse  
punkt, wo der Widowdan empfängliche Gemüter <br>
hat sich zum Echo dieser Stimmungen gemacht  
immer von neuem mit patriotischer Erregung er- <br>
und spricht sogar von einer Provokation des serbischen  
fülle. Ein erhebhcher Teil der serbischen Presse <br>
patriotischen Gefühls<sup>5</sup> durch die Abhaltung der  
hat sich zum Echo dieser Stimmungen gemacht <br>
Manöver. Diese Taktik bezweckt ' natürlich nichts  
und spricht sogar von einer <i>Provokation des serbischen <br>
anderes, als die Anschuldigungen zu parieren, die  
patriotischen</i> Gefühls<ref>Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.</ref> durch die Abhaltung der <br>
in der Öffentlichkeit Österreich-Ungarns gegen die  
Manöver. Diese Taktik bezweckt ' natürlich nichts <br>
planmäßig in Serbien betriebene großserbische  
anderes, als die Anschuldigungen zu parieren, die <br>
Agitation erhoben werden.  
in der Öffentlichkeit Österreich-Ungarns gegen die <br>
 
<i>planmäßig in Serbien</i> betriebene <i>großserbische <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die nicht abzuleugnende moralische Mitschuld  
Agitation</i> erhoben werden. <br>
Serbiens an dem Attentat bedeutet eine schwere  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Die nicht abzuleugnende <i>moralische Mitschuld <br>
Schädigung des durch die beiden letzten Kriege  
Serbiens</i> an dem <i>Attentat</i> bedeutet eine schwere <br>
kaum erst wieder gehobenen Ansehens des Landes.  
Schädigung des durch die beiden letzten Kriege <br>
Dies empfinden auch seine wärmsten Freunde und  
kaum erst wieder gehobenen Ansehens des Landes. <br>
Gönner. So soll mein russischer Kollege auf die  
Dies empfinden auch seine wärmsten Freunde und <br>
erste Nachricht von der Katastrophe ausgerufen  
Gönner. So soll mein russischer Kollege auf die <br>
:&nbsp;haben: »Esperons qiie ce ne sera pas un Serbe.«  
erste Nachricht von der Katastrophe ausgerufen <br>
 
haben: »Esperons qiie ce ne sera pas un Serbe.«<br><br>
 
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:::::::::::::v. &nbsp; G r i e s i n g e r
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<sup>1</sup> Nach der Ausfertigung.
<references />
 
<sup>2</sup> Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 3. Juli vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 4. Juli zurückgegeben. Wurde gemäß kaiserlicher
Randverfügung am 7. Juli den Vertretungen in Wien, St. Petersburg, London,
Rom, Paris und Bukarest mitgeteilt.
Aktenstücke I.
 
<sup>3</sup> »fanatisierten« vom Kaiser zweimal unterstrichen.


<sup>4</sup> Am Rand Fragezeichen und Ausrufungszeichen des Kaisers.
<p align="center">
[[Nr. 9. Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt, 3. Juli 1914| Nr. 9]] < Previous - Next > [[Nr. 11. Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler, 4. Juli 1914| Nr. 11]]
</p>


<sup>5</sup> Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
[[Category:Documents dated 1914-06-30]]

Latest revision as of 03:44, 10 March 2019

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 10.


Nr. 10
Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler[1]





















ja































































er mußte es ja doch
wissen!

                                  Belgrad, den 30. Juni 1914[2]

     Das grauenhafte Attentat in Sarajevo, das
hier erst in den Abendstunden des 15. /28. Juni
offiziös bekanntgegeben wurde, wahrscheinlich, um
der an diesem Tage — dem sogenannten Widowdan,
Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld am
15. Juni 1389 — abgehaltenen Volksfeier kein allzu
frühes Ende zu bereiten, hat einen tiefen Eindruck
in Serbien gemacht. Nicht etwa in dem Sinne,
daß die Nachricht in den breiten Schichten der Be-
völkerung das Gefühl besonderer, aus dem Herzen
kommender Trauer ausgelöst hätte. In dieser Hin-
sicht kann man höchstens sagen, daß verletzende
und unziemUche Kundgebungen in der Öffentlichkeit
unterbheben sind. Sondern weil man hier sofort
instinktiv fühlte, daß für die von Serben begangene
Bluttat nicht bloß die Brüder in Bosnien, sondern
das ganze Serbentum die Verantwortung treffe.
Nachdem es sich herausgestellt hat, daß beide Atten-
täter sich bis vor wenigen Wochen in Belgrad auf-
gehalten haben, der eine, Prinzip, als Handelsschüler,
der andere, Tschabrinowitsch, als Setzer in der
Staatsdruckerei, nachdem letzterer offen zugegeben
hat, seine Bombe, wie seinerzeit der Attentäter in
Cetinje, aus Belgrad bezogen zu haben, ist die
Stimmung hier eine recht gedrückte. Zwar bemüht
man sich, den anstürmenden Verdächtigungen und
Anklagen dadurch die Spitze abzubrechen, daß man
auf das Fiasko der früher gegen Serbien in den
Agramer und Fried Jungprozessen erhobenen Anwürfe
hinweist und immer wieder betont, wie ungerecht
es sei, eine ganze Nation für die Untaten einzelner
Überspannter verantwortlich zu machen. Aber es
wird schwer sein zu bestreiten, daß das Königreich
Serbien und speziell Belgrad mit seiner unge{ügelten
Presse, seinen fanatischen Omladina-Vereinen und
seiner wüsten großserbischen Agitation, einen unver-
gleichlichen Nährboden für solche exaltierten Ge-
müter abgibt.
     In dieser peinlichen Situation hat die Regierung
es für angebracht gehalten, vor allem in möglichst
geräuschvoller und ostentativer Form ihre Verur-
teilung der Tat und ihr Beileid zum Ausdruck zu
bringen. Um die Attentäter wenigstens von ihren
Rockschößen abzuschütteln, hat sie ein Communique
veröffentlicht, worin die unseHge Tat in den schärfsten
Ausdrücken verdammt wird. Ein inspirierter Ar-
tikel der »Samouprawa« hebt hervor, wie schwer
dieses Ereignis Serbien gerade in dem jetzigen
Moment treffe, wo so vielfältige und wichtige Ver-
handlimgen mit der Monarchie ihrer Lösung ent-
gegengehen und wo Serbien, der fortwährenden
Aufregungen müde, nichts sehnücher wünsche, als
eine Periode ungestörter Ruhe.
     Im Pubükum, das durch offizielle Rücksichten
nicht gebunden ist, hört man freihch auch andere
Stimmen. Ganz abgesehen von geschmacklosen
Vergleichen, wie mit der Tat Teils und der des
Serben Milosch Obilitsch, der den Sultan Bajasid
auf dem Amselfeld ermordete und heute noch als
Nationalheld gefeiert wird, wird darauf hingewiesen,
wie unbedacht es war, in dem fanatisierten[3] Bosnien[4]
Manöver abzuhalten und vollends zu einem Zeit-
punkt, wo der Widowdan empfängliche Gemüter
immer von neuem mit patriotischer Erregung er-
fülle. Ein erhebhcher Teil der serbischen Presse
hat sich zum Echo dieser Stimmungen gemacht
und spricht sogar von einer Provokation des serbischen
patriotischen
Gefühls[5] durch die Abhaltung der
Manöver. Diese Taktik bezweckt ' natürlich nichts
anderes, als die Anschuldigungen zu parieren, die
in der Öffentlichkeit Österreich-Ungarns gegen die
planmäßig in Serbien betriebene großserbische
Agitation
erhoben werden.
     Die nicht abzuleugnende moralische Mitschuld
Serbiens
an dem Attentat bedeutet eine schwere
Schädigung des durch die beiden letzten Kriege
kaum erst wieder gehobenen Ansehens des Landes.
Dies empfinden auch seine wärmsten Freunde und
Gönner. So soll mein russischer Kollege auf die
erste Nachricht von der Katastrophe ausgerufen
haben: »Esperons qiie ce ne sera pas un Serbe.«

                                      v.   G r i e s i n g e r


  1. Nach der Ausfertigung.
  2. Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 3. Juli vorm. Bericht lag dem
    Kaiser vor, von ihm am 4. Juli zurückgegeben. Wurde gemäß kaiserlicher
    Randverfügung am 7. Juli den Vertretungen in Wien, St. Petersburg, London,
    Rom, Paris und Bukarest mitgeteilt.
  3. »fanatisierten« vom Kaiser zweimal unterstrichen.
  4. Am Rand Fragezeichen und Ausrufungszeichen des Kaisers.
  5. Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.

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