Nr. 10. Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler, 3 Juli 1914: Difference between revisions

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Belgrad, den 30. Juni 1914<sup>2</sup>
Belgrad, den 30. Juni 1914<sup>2</sup>



Revision as of 14:16, 1 May 2015

Nr. 10
Der Gesandte in Belgrad an den Reichskanzler1
























ja




















er mußte es ja doch
wissen!

Belgrad, den 30. Juni 19142

     Das grauenhafte Attentat in Sarajevo, das hier erst in den Abendstunden des 15. /28. Juni offiziös bekanntgegeben wurde, wahrscheinlich, um der an diesem Tage — dem sogenannten Widowdan, Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld am 15. Juni 1389 — abgehaltenen Volksfeier kein allzu frühes Ende zu bereiten, hat einen tiefen Eindruck in Serbien gemacht. Nicht etwa in dem Sinne, daß die Nachricht in den breiten Schichten der Be- völkerung das Gefühl besonderer, aus dem Herzen kommender Trauer ausgelöst hätte. In dieser Hin- sicht kann man höchstens sagen, daß verletzende und unziemUche Kundgebungen in der Öffentlichkeit unterbheben sind. Sondern weil man hier sofort instinktiv fühlte, daß für die von Serben begangene Bluttat nicht bloß die Brüder in Bosnien, sondern das ganze Serbentum die Verantwortung treffe. Nachdem es sich herausgestellt hat, daß beide Atten- täter sich bis vor wenigen Wochen in Belgrad auf- gehalten haben, der eine, Prinzip, als Handelsschüler, der andere, Tschabrinowitsch, als Setzer in der Staatsdruckerei, nachdem letzterer offen zugegeben hat, seine Bombe, wie seinerzeit der Attentäter in Cetinje, aus Belgrad bezogen zu haben, ist die Stimmung hier eine recht gedrückte. Zwar bemüht man sich, den anstürmenden Verdächtigungen und Anklagen dadurch die Spitze abzubrechen, daß man auf das Fiasko der früher gegen Serbien in den Agramer und Fried Jungprozessen erhobenen Anwürfe hinweist und immer wieder betont, wie ungerecht es sei, eine ganze Nation für die Untaten einzelner Überspannter verantwortlich zu machen. Aber es wird schwer sein zu bestreiten, daß das Königreich Serbien imd speziell Belgrad mit seiner unge{ügelten Presse, seinen fanatischen Omladina -Vereinen und seiner wüsten großserbischen Agitation, einen unver- gleichlichen Nährboden für solche exaltierten Ge- müter abgibt.

     In dieser peinlichen Situation hat die Regierung es für angebracht gehalten, vor allem in möglichst geräuschvoller und ostentativer Form ihre Verur- teilung der Tat und ihr Beileid zum Ausdruck zu bringen. Um die Attentäter wenigstens von ihren Rockschößen abzuschütteln, hat sie ein Communique veröffentlicht, worin die unseHge Tat in den schärfsten Ausdrücken verdammt wird. Ein inspirierter Ar- tikel der »Samouprawa« hebt hervor, wie schwer dieses Ereignis Serbien gerade in dem jetzigen Moment treffe, wo so vielfältige und wichtige Ver- handlimgen mit der Monarchie ihrer Lösung ent- gegengehen und wo Serbien, der fortwährenden Aufregungen müde, nichts sehnücher wünsche, als eine Periode ungestörter Ruhe.

     Im Pubükum, das durch offizielle Rücksichten nicht gebunden ist, hört man freihch auch andere Stimmen. Ganz abgesehen von geschmacklosen Vergleichen, wie mit der Tat Teils und der des Serben Milosch Obilitsch, der den Sultan Bajasid auf dem Amselfeld ermordete und heute noch als Nationalheld gefeiert wird, wird darauf hingewiesen, wie unbedacht es war, in dem fanatisierten3 Bosnien4 Manöver abzuhalten und vollends zu einem Zeit- punkt, wo der Widowdan empfängliche Gemüter immer von neuem mit patriotischer Erregung er- fülle. Ein erhebhcher Teil der serbischen Presse hat sich zum Echo dieser Stimmungen gemacht und spricht sogar von einer Provokation des serbischen patriotischen Gefühls5 durch die Abhaltung der Manöver. Diese Taktik bezweckt ' natürlich nichts anderes, als die Anschuldigungen zu parieren, die in der Öffentlichkeit Österreich-Ungarns gegen die planmäßig in Serbien betriebene großserbische Agitation erhoben werden.

     Die nicht abzuleugnende moralische Mitschuld Serbiens an dem Attentat bedeutet eine schwere Schädigung des durch die beiden letzten Kriege kaum erst wieder gehobenen Ansehens des Landes. Dies empfinden auch seine wärmsten Freunde und Gönner. So soll mein russischer Kollege auf die erste Nachricht von der Katastrophe ausgerufen

 haben: »Esperons qiie ce ne sera pas un Serbe.«


v.   G r i e s i n g e r

1 Nach der Ausfertigung.

2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 3. Juli vorm. Bericht lag dem Kaiser vor, von ihm am 4. Juli zurückgegeben. Wurde gemäß kaiserlicher Randverfügung am 7. Juli den Vertretungen in Wien, St. Petersburg, London, Rom, Paris und Bukarest mitgeteilt. Aktenstücke I.

3 »fanatisierten« vom Kaiser zweimal unterstrichen.

4 Am Rand Fragezeichen und Ausrufungszeichen des Kaisers.

5 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.