Nr. 11. Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler, 4. Juli 1914: Difference between revisions

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<center><font size=4>'''Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler<sup>1</sup>'''</font></center>
<center>Nr. 11</center>


Geheim ! Wien, den 2. Juli 1914<sup>2</sup>
<center><font size=4>'''Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler<sup>1</sup>'''</font></center><br>


Im Anschluß an meine anderweite Berichterstattung<sup>3</sup> beehre ich
Geheim! &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; Wien, den 2. Juli 1914<sup>2</sup><br>
mich, über meine heutige Audienz bei Sr. M. dem Kaiser Franz Joseph
nachstehendes zu melden.


Der Kaiser kam mir bei meinem Eintritte in sein Kabinett mit
Im Anschluß an meine anderweite Berichterstattung<sup>3</sup> beehre ich <br>
elastischem Schritte entgegen und forderte mich nach Entgegennahme
mich, über meine heutige Audienz bei Sr. M. dem Kaiser Franz Joseph <br>
meines Allerhöchsten Auftrages auf, an seinem Schreibtische Platz
nachstehendes zu melden. <br>
zu nehmen. Der Kaiser sagte dann, die Zeiten seien sehr ernst.
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der Kaiser kam mir bei meinem Eintritte in sein Kabinett mit <br>
Er wisse ja nicht, wie lange ihm noch zu leben beschieden sein
elastischem Schritte entgegen und forderte mich nach Entgegennahme <br>
werde, aber er fürchte, in seinen letzten Lebenstagen würde ihm
meines Allerhöchsten Auftrages auf, an seinem Schreibtische Platz <br>
keine Ruhe vergönnt sein. Der Kaiser sprach dann über die wachsende
zu nehmen. Der Kaiser sagte dann, die Zeiten seien sehr ernst. <br>
Gefahr »da unten« und meinte, »ich sehe sehr schwaiz in die Zukunft«.
Er wisse ja nicht, wie lange ihm noch zu leben beschieden sein <br>
Man müsse aber an die Zukunft denken und schon jetzt nach Mög-
werde, aber er fürchte, in seinen letzten Lebenstagen würde ihm <br>
lichkeit Vorsorge treffen. Er hätte sehr gern sich mit unserem Aller-
keine Ruhe vergönnt sein. Der Kaiser sprach dann über die wachsende<br>
gnädigsten Herrn über alle die ihn beschäftigenden politischen Fragen
Gefahr »da unten« und meinte, »ich sehe sehr schwarz in die Zukunft«. <br>
ausgesprochen. Nun sei das leider für jetzt unmöglich geworden.  
Man müsse aber an die Zukunft denken und schon jetzt nach Mög- <br>
Statt dessen werde er aber den Prinzen Hohenlohe tunlichst bald
lichkeit Vorsorge treffen. Er hätte sehr gern sich mit unserem Aller- <br>
nach Berlin senden, der mit seinen Anschauungen wohl vertraut sei.
gnädigsten Herrn über alle die ihn beschäftigenden politischen Fragen <br>
Er hoffe zuversichtlich, daß mein Kaiser dem Prinzen volles Vertrauen
ausgesprochen. Nun sei das leider für jetzt unmöglich geworden. <br>
entgegenbringen werde, »denn er verdient es«. Er habe den Prinzen
Statt dessen werde er aber den Prinzen Hohenlohe tunlichst bald <br>
beauftragt, ganz offen und rückhaltlos mit Sr. M. dem Kaiser und
nach Berlin senden, der mit seinen Anschauungen wohl vertraut sei. <br>
dessen Ratgebern zu sprechen.
Er hoffe zuversichtlich, daß mein Kaiser dem Prinzen volles Vertrauen <br>
 
entgegenbringen werde, »denn er verdient es«. Er habe den Prinzen <br>
Der Kaiser berührte dann die albanische Frage. In Albanien
beauftragt, ganz offen und rückhaltlos mit Sr. M. dem Kaiser und <br>
gehe es sehr schlecht. Mit den Leuten dort sei nichts zu machen :
dessen Ratgebern zu sprechen. <br>
Jeder Albanese sei bestechlich, und auf keinen könne man sich ver-
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der Kaiser berührte dann die albanische Frage. In Albanien <br>
lassen. Prinz Wied habe gewiß den besten Willen, aber anscheinend
gehe es sehr schlecht. Mit den Leuten dort sei nichts zu machen : <br>
sei er nicht der Mann für die ihm gestellte Aufgabe, wobei er aber
Jeder Albanese sei bestechlich, und auf keinen könne man sich ver- <br>
nicht entscheiden wolle, ob ein anderer es besser gemacht haben
lassen. Prinz Wied habe gewiß den besten Willen, aber anscheinend <br>
würde. Man habe wohl die Verpflichtung, den Fürsten von Albanien
sei er nicht der Mann für die ihm gestellte Aufgabe, wobei er aber <br>
so lange wie möglich zu halten und seine persönliche Sicherheit zu
nicht entscheiden wolle, ob ein anderer es besser gemacht haben <br>
garantieren. Weiter könne er aber nicht gehen. Die Albaner möchten
würde. Man habe wohl die Verpflichtung, den Fürsten von Albanien <br>
dann sehen, wie sie untereinander fertig werden würden. Österreich
so lange wie möglich zu halten und seine persönliche Sicherheit zu <br>
interressiere nur die Integrität des albanischen Staates. Solange
garantieren. Weiter könne er aber nicht gehen. Die Albaner möchten <br>
diese gewahrt werde, denke man hier an keine Intervention.
dann sehen, wie sie untereinander fertig werden würden. Österreich <br>
 
interressiere nur die Integrität des albanischen Staates. Solange <br>
Turkan Pascha scheine auch ein recht übler Herr zu sein,
diese gewahrt werde, denke man hier an keine Intervention. <br>
der jetzt nun schon zum zweiten Male seinen Fürsten und sein Land
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Turkan Pascha scheine auch ein recht übler Herr zu sein, <br>
im Stiche lasse. Daß man ein so übel beleumrmdetes Subjekt wie  
der jetzt nun schon zum zweiten Male seinen Fürsten und sein Land <br>
Herrn AHotti von Rom aus nach Durazzo geschickt habe, sei be-
im Stiche lasse. Daß man ein so übel beleumrmdetes Subjekt wie <br>
dauerlich und zeige von der Schwäche der italienischen Regierung.  
Herrn AHotti von Rom aus nach Durazzo geschickt habe, sei be- <br>
Doch sei Marquis di San Giuliano durchaus korrekt, und es gehe ja
dauerlich und zeige von der Schwäche der italienischen Regierung. <br>
jetzt glücklicherweise entschieden besser im Verhältnis mit Rom.
Doch sei Marquis di San Giuliano durchaus korrekt, und es gehe ja <br>
 
jetzt glücklicherweise entschieden besser im Verhältnis mit Rom. <br>
Erfreulich sei es, daß die Beziehungen zu Griechenland wärmer
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Erfreulich sei es, daß die Beziehungen zu Griechenland wärmer <br>
geworden seien. Mit so vernünftigen Leuten wie die Herren Veniselos
geworden seien. Mit so vernünftigen Leuten wie die Herren Veniselos <br>
und Streit werde man gewiß auf diesem guten Wege weiterkommen.  
und Streit werde man gewiß auf diesem guten Wege weiterkommen. <br>
 
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wenn er, der Kaiser, auch gewiß nichts für König Ferdinand <br>
Wenn er, der Kaiser, auch gewiß nichts für König Ferdinand
übrig habe, so sei doch Bulgarien ein großes Land und bedeutender <br>
übrig habe, so sei doch Bulgarien ein großes Land und bedeutender
Entwicklung fähig. Bulgarien sei, außer vielleicht Griechenland, der <br>
Entwicklung fähig. Bulgarien sei, außer vielleicht Griechenland, der
einzige Balkanstaat, der gar keine widerstreitenden Interessen mit <br>
einzige Balkanstaat, der gar keine widerstreitenden Interessen mit
Österreich habe. Er halte es deshalb für richtig, die Beziehungen <br>
Österreich habe. Er halte es deshalb für richtig, die Beziehungen
zu diesem Lande zu pflegen und fester zu gestalten. <br>
zu diesem Lande zu pflegen und fester zu gestalten.  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Traurig dagegen sei das Kapitel »Rumänien«. »Ich weiß, daß <br>
 
Ihr Kaiser volles Vertrauen zu König Carol hat«, meinten S. M. <br>
Traurig dagegen sei das Kapitel »Rumänien«. »Ich weiß, daß
wörtlich. »Ich habe es nicht.« Wenn der König auch versuche, <br>
Ihr Kaiser volles Vertrauen zu König Carol hat«, meinten S. M.
sich möglichst gut mit Worten nach allen Seiten hin zu decken, so <br>
wörtlich. »Ich habe es nicht.« Wenn der König auch versuche,  
sei er, der Kaiser, doch fest überzeugt, daß der König nicht mehr <br>
sich möglichst gut mit Worten nach allen Seiten hin zu decken, so
die Kraft habe, sein Land zu führen, sondern er werde von der <br>
sei er, der Kaiser, doch fest überzeugt, daß der König nicht mehr
Volksstimmung geführt. Übrigens habe der König ja mit aller <br>
die Kraft habe, sein Land zu führen, sondern er werde von der
Deutlichkeit seinerzeit schon dem Prinzen Fürstenberg erklärt, er <br>
Volksstimmung geführt. Übrigens habe der König ja mit aller
fühle sich nicht imstande, seinen Verpflichtungen dem Dreibunde <br>
Deutlichkeit seinerzeit schon dem Prinzen Fürstenberg erklärt, er
gegenüber nachzukommen. Die von ihm oft gerühmte Politik der <br>
fühle sich nicht imstande, seinen Verpflichtungen dem Dreibunde
freien Hand werde notwendig dahin führen, daß er gegen Österreich <br>
gegenüber nachzukommen. Die von ihm oft gerühmte Politik der  
werde marschieren müssen. <br>
freien Hand werde notwendig dahin führen, daß er gegen Österreich
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Ein Lichtblick in der sonst so trüben politischen Lage sei die <br>
werde marschieren müssen.
Besserung der Beziehungen zwischen Berlin und London, die natur- <br>
 
gemäß auch eine günstige Rückwirkung auf die Beziehungen zwischen <br>
Ein Lichtblick in der sonst so trüben politischen Lage sei die  
Wien und London zur Folge gehabt hätten. Sir Edward Grey habe <br>
Besserung der Beziehungen zwischen Berlin und London, die natur-
sich im Laufe der Jahre entschieden in politischer Beziehung zu <br>
gemäß auch eine günstige Rückwirkung auf die Beziehungen zwischen
seinem Vorteil verändert, und er glaube, daß die sonst nicht gerade <br>
Wien und London zur Folge gehabt hätten. Sir Edward Grey habe
brillante Londoner Konferenz doch das Gute gehabt habe, Deutsch- <br>
sich im Laufe der Jahre entschieden in politischer Beziehung zu
land und auch Österreich dem Minister näherzubringen, der unsere <br>
seinem Vorteil verändert, und er glaube, daß die sonst nicht gerade
Politik jetzt wohl richtiger beurteilt wie früher. »Wenn wir England <br>
brillante Londoner Konferenz doch das Gute gehabt habe, Deutsch-
nur ganz von seinen Freunden Frankreich und Rußland abbringen <br>
land und auch Österreich dem Minister näherzubringen, der unsere
könnten«, meinte S. M. Ich bemerkte hier, daß S. M. überzeugt sein <br>
Politik jetzt wohl richtiger beurteilt wie früher. »Wenn wir England
könnten, daß S. M. unser allergnädigster Kaiser, und der Herr <br>
nur ganz von seinen Freunden Frankreich und Rußland abbringen
Reichskanzler auch weiter auf dem bisher mit großer Geduld <br>
könnten«, meinte S. M. Ich bemerkte hier, daß S. M. überzeugt sein
und Beharrlichkeit verfolgten Wege weiterschreiten würden, um <br>
könnten, daß S. M. unser allergnädigster Kaiser, und der Herr
England mehr und mehr von der Kongruenz unserer Interessen zu <br>
Reichskanzler auch weiter auf dem bisher mit großer Geduld
überzeugen. Ein völliges Abdrängen von seinen jetzigen Entente- <br>
und Beharrlichkeit verfolgten Wege weiterschreiten würden, um
freunden würde aber wohl in absehbarer Zeit kaum möglich sein. Wir <br>
England mehr und mehr von der Kongruenz unserer Interessen zu
müßten mit einer allmählich fortschreitenden Besserung unseres Ver- <br>
 
hältnisses zu England uns für jetzt zufrieden geben. Vielleicht <br>
 
würden einmal Ereignisse in der Welt eintreten, durc h welche unsere<br>
 
Bemühungen rascher zum Ziele geführt werden würden. <br>
17
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;S. M. kam dann zum Schluß nochmals auf den serbischen Nach- <br>
 
bar zu sprechen. Die Belgrader Intrigen seien unerträglich. Mit <br>
überzeugen. Ein völliges Abdrängen von seinen jetzigen Entente-
den Leuten sei eben im guten nichts anzufangen. S. M. erwähnten <br>
freunden würde aber wohl in absehbarer Zeit kaum möglich sein. Wir
hier die Stellung, die Herr von Hartwig in Belgrad einnehme, und <br>
müßten mit einer allmählich fortschreitenden Besserung unseres Ver-
die Besorgnisse, die ihm die russischen sogenannten Probemobilisierungen<br>
hältnisses zu England uns für jetzt zufrieden geben. Vielleicht
im Herbst, also zu einer Zeit, wo hier die Rekruten eingestellt <br>
würden einmal Ereignisse in der Welt eintreten, durc h welche unsere
würden und die Armee nicht vollkommen schlagfertig sei, einflößten.<br>
Bemühungen rascher zum Ziele geführt werden würden.
Er hoffe, daß mein Kaiser und die Kaiserliche Regierung die Ge- <br>
 
fahren ermäßen, die für die Monarchie in der serbischen Nachbar- <br>
S. M. kam dann zum Schluß nochmals auf den serbischen Nach-  
schaft lägen. Man müsse, wie gesagt, an die Zukunft denken und <br>
bar zu sprechen. Die Belgrader Intrigen seien unerträglich. Mit
die Machtstellung der im Dreibund Verbündeten wahren. Ich be- <br>
den Leuten sei eben im guten nichts anzufangen. S. M. erwähnten
nutzte diese Bemerkung des Kaisers, um auch Sr. M. gegenüber — <br>
hier die Stellung, die Herr von Hartwig in Belgrad einnehme, und
wie ich es in diesen Tagen dem Grafen Berchtold gegenüber sehr <br>
die Besorgnisse, die ihm die russischen sogenannten Probemobilisierungen
nachdrücklich bereits getan habe — nochmals darauf hinzuweisen, daß<br>
im Herbst, also zu einer Zeit, wo hier die Rekruten eingestellt
S. M. sicher darauf bauen könne, Deutschland geschlossen hinter der <br>
würden und die Armee nicht vollkommen schlagfertig sei, einflößten.  
Monarchie zu finden, sobald es sich um die Verteidigung eines ihrer <br>
Er hoffe, daß mein Kaiser und die Kaiserli he Regierung die Ge-
Lebensinteressen handele. Die Entscheidung darüber, wann und wo <br>
fahren ermäßen, die für die Monarchie in der serbischen Nachbar-
ein solches Lebensinteresse vorliege, müsse Österreich selbst überlassen<br>
schaft lägen. Man müsse, wie gesagt, an die Zukunft denken und
bleiben. Aus Stimmungen und Wünschen heraus, wenn sie auch noch <br>
die Machtstellung der im Dreibund Verbündeten waliren. Ich be-
so verständhch seien, könne verantwortliche Politik nicht gemacht <br>
nutzte diese Bemerkung des Kai>ers, um auch Sr. M. gegenüber —
werden. Es müsse vor jedem entscheidenden Schritt sehr genau erwogen<br>
wie ich es in diesen Tagen dem Grafen Berchtold gegenüber sehr
werden, wie weit man gehen wolle und müsse und mit welchen <br>
nachdrückUch bereits getan habe — nochmals daiauf hinzuweisen, daß
Mitteln das ins Auge gefaßte Ziel zu errreichen sei. In erster Linie <br>
S. M. sicher darauf bauen könne, Deutschland geschlossen hinter der
müsse bei jedem folgenschweren Schritte die allgemeine politische <br>
Monarchie zu finden, S(;bald es sich um die Verteidigung eines ihrer
Lage erwogen und die voraussichtliche Haltung der anderen Mächte <br>
Lebensinteressen handele. Die Entscheidung darüber, wann und wo
und Staaten in Rücksicht gezogen und das Terrain sorgfältig vor- <br>
ein solches Lebensinteresse vorhege, müsse Österreich selbst überlassen
bereitet werden. Ich könne nur wiederholen, daß mein Kaiser hinter <br>
bleiben. Aus Stimmungen und Wünschen heraus, wenn sie auch noch
jedem festen Entschlüsse Österreich -Ungarns stehen werde. S. M. <br>
so verständhch seien, könne verantwortliche Politik nicht gemacht
stimmten diesen meinen Worten lebhaft zu und meinten, ich hätte <br>
werden. Es müsse vor jedem entscheidenden Schritt sehr genau erwogen
gewiß recht. <br>
werden, wie weit man gehen wolle und müsse und mit welchen
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der Kaiser erwähnte dann noch, daß der plötzliche Tod des <br>
Mitteln das ins Auge gefaßte Ziel zu errreichen sei. In erster Linie
Generals Pollio ein herber Verlust für Italien und auch für uns sei. <br>
müsse bei jedem folgenschweren Schritte die allgemeine politische
»Alles stirbt um mich herum,« sagte S. M., »es ist zu traurig.« <br>
Lage erwogen und die voraussichtliche Haltung der anderen Mächte
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der Kaiser sprach dann noch über seine Sommerpläne in Ischl, <br>
und Staaten in Rücksicht gezogen und das Terrain sorgfältig vor-
die Aussichten der Hirschjagd und geruhten mich nach fast ein- <br>
bereitet werden. Ich könne nur wiederholen, daß n ein Kaiser hinter
stündiger Audienz in gnädigster Weise zu entlassen. <br>
jedem festen Entschlüsse Österreich -Ungarns stehen werde. S. M.
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Während ich diesen Bericht — zwischen 12 und 1 Uhr nachts — <br>
stimmten diesen meinen Worten lebhaft zu und meinten, ich hätte
niederschreibe, hör ich das Johlen und Pfeifen einer großen Menschen- <br>
gewiß recht.
menge, die eine Demonstration vor der nahe gelegenen russischen <br>
 
Botschaft veranstalten. Zahlreichen Schutzmannschaften ist es soeben <br>
Der Kaiser erwähnte dann noch, daß der plötzliche Tod des
gelungen, die Demonstranten von der russischen Botschaft abzu- <br>
Generals Pollio ein herber Verlust für Italien und auch für uns sei.  
drängen, und nach einer Ansprache, die von jemandem an die Menge <br>
»Alles stirbt um mich herum,« sagte S. M., »es ist zu traurig.«
gerichtet wurde, die ich aber nicht verstehen konnte, zieht die Menge <br>
 
soeben ab unter Absingung des »Gott erhalte« und der »Wacht am <br>
Der Kaiser sprach dann noch über seine Sommerpläne in Ischl,  
Rhein«. <br>
die Aussichten der Hirschjagd und geruhten mich nach fast ein-
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; v o n &nbsp; T s c h i r s c h k y
stündiger Audienz in gnädigster Weise zu entlassen.  
 
Während ich diesen Bericht — zwischen 12 und i Uhr nachts —
niederschreibe, höreich da-. Johlen und Pfeifen einer großen Menschen-  
menge, die eine Demonstration vor der nahe gelegenen russischen
Botschaft veranstalten. Zahlreichen Schutzmannschaften ist es soeben
gelungen, die Demonstranten von der russischen Botschaft abzu-
 
 
 
i8
 
drängen, und nach einer Ansprache, die von jemandem an die Menge
gerichtet wurde, die ich aber nicht verstehen konnte, zieht die Menge
soeben ab unter Absingung des »Gott erhalte« und der »Wacht am
Rhein«.
 
von Tschi rschky


<hr>
<hr>
<sup>1</sup> Nach einer bei den Akten befindlichen Abschrift  
<sup>1</sup> Nach einer bei den Akten befindlichen Abschrift <br>
 
<sup>2</sup> Eingangsvermerk, des Auswärtigen Amts: 4. Juli nachm. Dazu die Notiz: <br>
<sup>2</sup> Eingangsvermerk, des Auswärtigen Amts: 4. Juli nachm. Dazu die Notiz:  
11 Vom Unterstaatssekretär persönlich beantwortet«. Die Antwort ist nicht <br>
11 Vom Unterstaatssekretär persönlich beantwortet«. Die Antwort ist nicht  
bei den Akten. <br>
<sup>3</sup> Siehe [[Nr. 9. Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt, 3. Juli 1914|Nr. 9]].


bei den Akten.
[[Category:Documents dated 1914-07-02]]
<sup>3</sup> Siehe Nr. 9.

Latest revision as of 03:46, 10 March 2019

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 11.


Nr. 11
Der Botschafter in Wien an den Reichskanzler1


Geheim!                                  Wien, den 2. Juli 19142

Im Anschluß an meine anderweite Berichterstattung3 beehre ich
mich, über meine heutige Audienz bei Sr. M. dem Kaiser Franz Joseph
nachstehendes zu melden.
     Der Kaiser kam mir bei meinem Eintritte in sein Kabinett mit
elastischem Schritte entgegen und forderte mich nach Entgegennahme
meines Allerhöchsten Auftrages auf, an seinem Schreibtische Platz
zu nehmen. Der Kaiser sagte dann, die Zeiten seien sehr ernst.
Er wisse ja nicht, wie lange ihm noch zu leben beschieden sein
werde, aber er fürchte, in seinen letzten Lebenstagen würde ihm
keine Ruhe vergönnt sein. Der Kaiser sprach dann über die wachsende
Gefahr »da unten« und meinte, »ich sehe sehr schwarz in die Zukunft«.
Man müsse aber an die Zukunft denken und schon jetzt nach Mög-
lichkeit Vorsorge treffen. Er hätte sehr gern sich mit unserem Aller-
gnädigsten Herrn über alle die ihn beschäftigenden politischen Fragen
ausgesprochen. Nun sei das leider für jetzt unmöglich geworden.
Statt dessen werde er aber den Prinzen Hohenlohe tunlichst bald
nach Berlin senden, der mit seinen Anschauungen wohl vertraut sei.
Er hoffe zuversichtlich, daß mein Kaiser dem Prinzen volles Vertrauen
entgegenbringen werde, »denn er verdient es«. Er habe den Prinzen
beauftragt, ganz offen und rückhaltlos mit Sr. M. dem Kaiser und
dessen Ratgebern zu sprechen.
     Der Kaiser berührte dann die albanische Frage. In Albanien
gehe es sehr schlecht. Mit den Leuten dort sei nichts zu machen :
Jeder Albanese sei bestechlich, und auf keinen könne man sich ver-
lassen. Prinz Wied habe gewiß den besten Willen, aber anscheinend
sei er nicht der Mann für die ihm gestellte Aufgabe, wobei er aber
nicht entscheiden wolle, ob ein anderer es besser gemacht haben
würde. Man habe wohl die Verpflichtung, den Fürsten von Albanien
so lange wie möglich zu halten und seine persönliche Sicherheit zu
garantieren. Weiter könne er aber nicht gehen. Die Albaner möchten
dann sehen, wie sie untereinander fertig werden würden. Österreich
interressiere nur die Integrität des albanischen Staates. Solange
diese gewahrt werde, denke man hier an keine Intervention.
     Turkan Pascha scheine auch ein recht übler Herr zu sein,
der jetzt nun schon zum zweiten Male seinen Fürsten und sein Land
im Stiche lasse. Daß man ein so übel beleumrmdetes Subjekt wie
Herrn AHotti von Rom aus nach Durazzo geschickt habe, sei be-
dauerlich und zeige von der Schwäche der italienischen Regierung.
Doch sei Marquis di San Giuliano durchaus korrekt, und es gehe ja
jetzt glücklicherweise entschieden besser im Verhältnis mit Rom.
     Erfreulich sei es, daß die Beziehungen zu Griechenland wärmer
geworden seien. Mit so vernünftigen Leuten wie die Herren Veniselos
und Streit werde man gewiß auf diesem guten Wege weiterkommen.
     Wenn er, der Kaiser, auch gewiß nichts für König Ferdinand
übrig habe, so sei doch Bulgarien ein großes Land und bedeutender
Entwicklung fähig. Bulgarien sei, außer vielleicht Griechenland, der
einzige Balkanstaat, der gar keine widerstreitenden Interessen mit
Österreich habe. Er halte es deshalb für richtig, die Beziehungen
zu diesem Lande zu pflegen und fester zu gestalten.
     Traurig dagegen sei das Kapitel »Rumänien«. »Ich weiß, daß
Ihr Kaiser volles Vertrauen zu König Carol hat«, meinten S. M.
wörtlich. »Ich habe es nicht.« Wenn der König auch versuche,
sich möglichst gut mit Worten nach allen Seiten hin zu decken, so
sei er, der Kaiser, doch fest überzeugt, daß der König nicht mehr
die Kraft habe, sein Land zu führen, sondern er werde von der
Volksstimmung geführt. Übrigens habe der König ja mit aller
Deutlichkeit seinerzeit schon dem Prinzen Fürstenberg erklärt, er
fühle sich nicht imstande, seinen Verpflichtungen dem Dreibunde
gegenüber nachzukommen. Die von ihm oft gerühmte Politik der
freien Hand werde notwendig dahin führen, daß er gegen Österreich
werde marschieren müssen.
     Ein Lichtblick in der sonst so trüben politischen Lage sei die
Besserung der Beziehungen zwischen Berlin und London, die natur-
gemäß auch eine günstige Rückwirkung auf die Beziehungen zwischen
Wien und London zur Folge gehabt hätten. Sir Edward Grey habe
sich im Laufe der Jahre entschieden in politischer Beziehung zu
seinem Vorteil verändert, und er glaube, daß die sonst nicht gerade
brillante Londoner Konferenz doch das Gute gehabt habe, Deutsch-
land und auch Österreich dem Minister näherzubringen, der unsere
Politik jetzt wohl richtiger beurteilt wie früher. »Wenn wir England
nur ganz von seinen Freunden Frankreich und Rußland abbringen
könnten«, meinte S. M. Ich bemerkte hier, daß S. M. überzeugt sein
könnten, daß S. M. unser allergnädigster Kaiser, und der Herr
Reichskanzler auch weiter auf dem bisher mit großer Geduld
und Beharrlichkeit verfolgten Wege weiterschreiten würden, um
England mehr und mehr von der Kongruenz unserer Interessen zu
überzeugen. Ein völliges Abdrängen von seinen jetzigen Entente-
freunden würde aber wohl in absehbarer Zeit kaum möglich sein. Wir
müßten mit einer allmählich fortschreitenden Besserung unseres Ver-
hältnisses zu England uns für jetzt zufrieden geben. Vielleicht
würden einmal Ereignisse in der Welt eintreten, durc h welche unsere
Bemühungen rascher zum Ziele geführt werden würden.
     S. M. kam dann zum Schluß nochmals auf den serbischen Nach-
bar zu sprechen. Die Belgrader Intrigen seien unerträglich. Mit
den Leuten sei eben im guten nichts anzufangen. S. M. erwähnten
hier die Stellung, die Herr von Hartwig in Belgrad einnehme, und
die Besorgnisse, die ihm die russischen sogenannten Probemobilisierungen
im Herbst, also zu einer Zeit, wo hier die Rekruten eingestellt
würden und die Armee nicht vollkommen schlagfertig sei, einflößten.
Er hoffe, daß mein Kaiser und die Kaiserliche Regierung die Ge-
fahren ermäßen, die für die Monarchie in der serbischen Nachbar-
schaft lägen. Man müsse, wie gesagt, an die Zukunft denken und
die Machtstellung der im Dreibund Verbündeten wahren. Ich be-
nutzte diese Bemerkung des Kaisers, um auch Sr. M. gegenüber —
wie ich es in diesen Tagen dem Grafen Berchtold gegenüber sehr
nachdrücklich bereits getan habe — nochmals darauf hinzuweisen, daß
S. M. sicher darauf bauen könne, Deutschland geschlossen hinter der
Monarchie zu finden, sobald es sich um die Verteidigung eines ihrer
Lebensinteressen handele. Die Entscheidung darüber, wann und wo
ein solches Lebensinteresse vorliege, müsse Österreich selbst überlassen
bleiben. Aus Stimmungen und Wünschen heraus, wenn sie auch noch
so verständhch seien, könne verantwortliche Politik nicht gemacht
werden. Es müsse vor jedem entscheidenden Schritt sehr genau erwogen
werden, wie weit man gehen wolle und müsse und mit welchen
Mitteln das ins Auge gefaßte Ziel zu errreichen sei. In erster Linie
müsse bei jedem folgenschweren Schritte die allgemeine politische
Lage erwogen und die voraussichtliche Haltung der anderen Mächte
und Staaten in Rücksicht gezogen und das Terrain sorgfältig vor-
bereitet werden. Ich könne nur wiederholen, daß mein Kaiser hinter
jedem festen Entschlüsse Österreich -Ungarns stehen werde. S. M.
stimmten diesen meinen Worten lebhaft zu und meinten, ich hätte
gewiß recht.
     Der Kaiser erwähnte dann noch, daß der plötzliche Tod des
Generals Pollio ein herber Verlust für Italien und auch für uns sei.
»Alles stirbt um mich herum,« sagte S. M., »es ist zu traurig.« 
     Der Kaiser sprach dann noch über seine Sommerpläne in Ischl,
die Aussichten der Hirschjagd und geruhten mich nach fast ein-
stündiger Audienz in gnädigster Weise zu entlassen.
     Während ich diesen Bericht — zwischen 12 und 1 Uhr nachts —
niederschreibe, hör ich das Johlen und Pfeifen einer großen Menschen-
menge, die eine Demonstration vor der nahe gelegenen russischen
Botschaft veranstalten. Zahlreichen Schutzmannschaften ist es soeben
gelungen, die Demonstranten von der russischen Botschaft abzu-
drängen, und nach einer Ansprache, die von jemandem an die Menge
gerichtet wurde, die ich aber nicht verstehen konnte, zieht die Menge
soeben ab unter Absingung des »Gott erhalte« und der »Wacht am
Rhein«.
                                               v o n   T s c h i r s c h k y


1 Nach einer bei den Akten befindlichen Abschrift
2 Eingangsvermerk, des Auswärtigen Amts: 4. Juli nachm. Dazu die Notiz:
11 Vom Unterstaatssekretär persönlich beantwortet«. Die Antwort ist nicht
bei den Akten.
3 Siehe Nr. 9.