Nr. 120. Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler, 23. Juli 1914: Difference between revisions
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<center><font size=4>'''Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler<sup>1</sup>'''</font></center><br> | <center><font size=4>'''Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler<sup>1</sup>'''</font></center><br> | ||
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<br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br> | <br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br> | ||
das Bild paßt viel <br> | <i>das Bild paßt viel <br> | ||
besser auf Peters-<br> | besser auf Peters-<br> | ||
burg !<br> | burg !<br> | ||
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richtig <br> | richtig <br> | ||
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ist bereits da! <br> | ist bereits da! <br> | ||
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er irrt ! <br> | er irrt ! <br> | ||
<br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br> | <br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br><br> | ||
qui vivra verra! <br> | qui vivra verra!</i> <br> | ||
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| width=" | St. Petersburg, den 21. Juli 1914<sup>2</sup><br> | ||
St. Petersburg, den 21. Juli 1914<sup>2</sup><br> | |||
Herr Sasonow, der in der vorigen Woche mehrere <br> | Herr Sasonow, der in der vorigen Woche mehrere <br> | ||
Tage auf seinem Landgut im Gouvernement Grodno <br> | Tage auf seinem Landgut im Gouvernement Grodno <br> | ||
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gegen Serbien immer schlechter werde. <br> | gegen Serbien immer schlechter werde. <br> | ||
Der Minister ergriff die Gelegenheit, um seinem <br> | Der Minister ergriff die Gelegenheit, um seinem <br> | ||
Groll gegen die österreichisch -ungarische Politik wieder <br> | Groll gegen die österreichisch-ungarische Politik wieder <br> | ||
in gewohnter Weise freien Lauf zu lassen. Daß Kaiser <br> | in gewohnter Weise freien Lauf zu lassen. Daß Kaiser <br> | ||
Franz Joseph und auch Graf Berchtold friedliebend <br> | Franz Joseph und auch Graf Berchtold friedliebend <br> | ||
Line 84: | Line 81: | ||
Erzherzog Franz Ferdinand gesetzt. Der Tod des <br> | Erzherzog Franz Ferdinand gesetzt. Der Tod des <br> | ||
Erzherzogs habe sie keineswegs entmutigt, sie seien <br> | Erzherzogs habe sie keineswegs entmutigt, sie seien <br> | ||
vielmehr diejenigen, welche die | vielmehr diejenigen, welche die gefährliche Politik, <br> | ||
die Österreich-Ungarn gegenwärtig treibe, inspi- <br> | die Österreich-Ungarn gegenwärtig treibe, inspi- <br> | ||
rierten | rierten<sup>3</sup>. Die eigentlichen Leiter dieser Politik <br> | ||
seien besonders zwei Männer, deren zunehmender <br> | seien besonders zwei Männer, deren zunehmender <br> | ||
Einfluß im höchsten Maße | Einfluß im höchsten Maße bedenklich erscheine, <br> | ||
nämlich Graf Forgách, der »ein Intrigant der <br> | |||
schlimmsten Sorte« und Graf Tisza, der | schlimmsten Sorte« und Graf Tisza, der »<i>ein halber <br> | ||
Narr sei.</i>« <br> | |||
Ich entgegnete Herrn Sasonow, seine maßlosen, <br> | Ich entgegnete Herrn Sasonow, seine maßlosen, <br> | ||
gegen die österreichisch -ungarische | gegen die österreichisch-ungarische Politik gerichteten <br> | ||
Vorwürfe schienen mir durch seine allzu großen <br> | Vorwürfe schienen mir durch seine allzu großen <br> | ||
Sympathien für die Serben stark beeinflußt und in <br> | Sympathien für die Serben stark beeinflußt und in <br> | ||
keiner Weise gerechtfertigt. Man könne billiger- <br> | keiner Weise gerechtfertigt. Man könne billiger- <br> | ||
weise nicht | weise nicht umhin, die von dem Wiener Kabinett <br> | ||
seit dem Attentat in Sarajevo beobachtete maß- <br> | seit dem Attentat in Sarajevo beobachtete maß- <br> | ||
volle Zurückhaltung anzuerkennen. Es scheine mir <br> | volle Zurückhaltung anzuerkennen. Es scheine mir <br> | ||
überhaupt verfrüht, schon jetzt, bevor das Ergebnis <br> | überhaupt verfrüht, schon jetzt, bevor das Ergebnis <br> | ||
der Untersuchung über das Attentat | der Untersuchung über das Attentat vorliege, dar- <br> | ||
über zu urteilen, inwieweit Österreich-Ungarn be- <br> | über zu urteilen, inwieweit Österreich-Ungarn be- <br> | ||
rechtigt sei, die serbische | rechtigt sei, die serbische Regierung für die groß- <br> | ||
serbische Agitation | serbische Agitation verantwortlich zu machen. Nach <br> | ||
allem aber, was schon jetzt bekannt sei, könne <br> | allem aber, was schon jetzt bekannt sei, könne <br> | ||
man kaum daran zweifeln, daß die großserbische <br> | man kaum daran zweifeln, <i>daß die großserbische <br> | ||
Agitation von Serbien aus unter den Augen der <br> | Agitation von Serbien aus unter den Augen der <br> | ||
serbischen Regierung geschürt werde, und daß <br> | serbischen Regierung geschürt werde, und daß <br> | ||
auch das schändliche Attentat in Serbien vorbereitet <br> | auch das schändliche Attentat in Serbien vorbereitet <br> | ||
worden sei. Ein großer Staat könne aber auf die <br> | worden</i> sei. Ein großer Staat könne aber auf die <br> | ||
Dauer unmöghch an seinen Grenzen eine Propa- <br> | Dauer unmöghch an seinen Grenzen eine Propa- <br> | ||
ganda dulden, durch die seine Sicherheit direkt be- <br> | ganda dulden, durch die seine Sicherheit direkt be- <br> | ||
droht werde. Sollten daher, wie es allerdings den <br> | droht werde. Sollten daher, wie es allerdings den <br> | ||
Anschein habe, durch den Prozeß gegen die Ur- <br> | Anschein habe, durch den Prozeß gegen die Ur- <br> | ||
heber des Attentates | heber des Attentates wirklich Fäden aufgedeckt <br> | ||
werden, welche von Serbien ausgingen, und sollte <br> | werden, welche von Serbien ausgingen, und sollte <br> | ||
bewiesen werden, daß die serbische | bewiesen werden, daß die serbische Regierung <br> | ||
gegenüber den gegen Österreich gerichteten Machen- <br> | gegenüber den gegen Österreich gerichteten Machen- <br> | ||
schaften eine | schaften eine bedauerliche Konnivenz gezeigt habe, <br> | ||
so sei die österreichisch -ungarische Regierung zweifel- <br> | so sei die österreichisch-ungarische Regierung zweifel- <br> | ||
los berechtigt, in Belgrad eine ernste Sprache zu führen. <br> | los berechtigt, in Belgrad eine ernste Sprache zu führen. <br> | ||
Ich könnte mir nicht denken, daß in diesem Falle <br> | Ich könnte mir nicht denken, daß in diesem Falle <br> | ||
Line 130: | Line 127: | ||
serbischen Propaganda in Österreich-Ungarn von <br> | serbischen Propaganda in Österreich-Ungarn von <br> | ||
Serbien aus oder gar von der serbischen Regierung <br> | Serbien aus oder gar von der serbischen Regierung <br> | ||
keineswegs erwiesen sei | <i>keineswegs erwiesen sei</i><sup>4</sup>. Man könne für <i>die Taten <br> | ||
Einzelner nicht ein ganzes Land verantwortlich <br> | Einzelner nicht</i> ein ganzes Land <i>verantwortlich <br> | ||
machen. Der Mörder des Erzherzogs sei überdies<br> | machen</i>. Der Mörder des Erzherzogs sei überdies<br> | ||
nicht einmal serbischer Untertan. Eine | nicht einmal serbischer Untertan. Eine groß- <br> | ||
serbische Propaganda gäbe es allerdings in Öster- <br> | serbische Propaganda gäbe es <i>allerdings in Öster- <br> | ||
reich, sie sei aber die Folge der schlechten Re- <br> | reich</i>, sie sei aber die Folge der schlechten Re- <br> | ||
gierungsmethode, durch die Österreich sich von <br> | gierungsmethode, durch die Österreich sich von <br> | ||
jeher ausgezeichnet habe. Ebenso wie es eine groß- <br> | jeher ausgezeichnet habe. Ebenso wie es eine groß- <br> | ||
Line 141: | Line 138: | ||
italienischen Irredenta und von der Los-von-Rom- <br> | italienischen Irredenta und von der Los-von-Rom- <br> | ||
Bewegung sprechen. Das Wiener Kabinett habe <br> | Bewegung sprechen. Das Wiener Kabinett habe <br> | ||
nicht den geringsten Grund, sich über die Haltung <br> | nicht den geringsten Grund, sich über die <i>Haltung <br> | ||
der serbischen Regierung zu | der serbischen Regierung</i> zu beklagen, diese <i>be- <br> | ||
nehme sich vielmehr vollständig korrekt. <br> | nehme sich vielmehr vollständig</i> korrekt. <br> | ||
Ich warf hier ein, es genüge wohl nicht, daß <br> | Ich warf hier ein, es genüge wohl nicht, daß <br> | ||
die Mitglieder der serbischen Regierung selbst sich <br> | die Mitglieder der serbischen Regierung selbst sich <br> | ||
Line 150: | Line 147: | ||
berechtigt, zu verlangen, daß von Seiten der <br> | berechtigt, zu verlangen, daß von Seiten der <br> | ||
serbischen Behörden aktiv gegen die österreich- <br> | serbischen Behörden aktiv gegen die österreich- <br> | ||
feindliche Propaganda vorgegangen werde, denn die <br> | |||
Regierung könne sich unmöglich jeder Verantwortung <br> | Regierung könne sich unmöglich jeder Verantwortung <br> | ||
für das, was im Lande vor sich gehe, entziehen. <br> | für das, was im Lande vor sich gehe, entziehen. <br> | ||
Nach diesem Prinzip, entgegnete Herr Sasonow, <br> | Nach diesem Prinzip, entgegnete Herr Sasonow, <br> | ||
müßte Rußland auch die schwedische Regierung <br> | müßte Rußland auch die schwedische Regierung <br> | ||
für die | für die <i>antirussische Agitation,</i> die seit etwa <br> | ||
anderthalb Jahren in Schweden betrieben werde, <br> | anderthalb Jahren in <i>Schweden betrieben werde,</i> <br> | ||
verantwortlich machen. <br> | verantwortlich machen. <br> | ||
Ich wies darauf hin, daß es sich in Schweden <br> | Ich wies darauf hin, daß es sich in Schweden <br> | ||
nur um eine | nur um eine politische Agitation und nicht wie in <br> | ||
Serbien um eine Propaganda der Tat handele. <br> | Serbien um eine Propaganda der Tat handele. <br> | ||
Herr Sasonow bemerkte darauf, daß diejenigen, <br> | Herr Sasonow bemerkte darauf, daß diejenigen, <br> | ||
Line 168: | Line 165: | ||
widerte, daß ich immer nur von einem Ziele hätte <br> | widerte, daß ich immer nur von einem Ziele hätte <br> | ||
reden hören, nämhch: der »Klärung« des Verhält- <br> | reden hören, nämhch: der »Klärung« des Verhält- <br> | ||
nisses Österreich -Ungarns zu Serbien. <br> | nisses Österreich-Ungarns zu Serbien. <br> | ||
Der Minister fuhr erregt fort, auf jeden Fall <br> | Der Minister fuhr erregt fort, auf jeden Fall <br> | ||
dürfe Österreich-Ungarn, wenn es durchaus den <br> | dürfe Österreich-Ungarn, wenn es durchaus den <br> | ||
Frieden stören wolle, nicht vergessen, daß es in <br> | Frieden stören wolle, nicht vergessen, daß es in <br> | ||
diesem Falle mit Europa | diesem Falle mit <i>Europa zu rechnen habe.</i> Rußland <br> | ||
würde seinem Schritt in Belgrad, der auf eine Er- <br> | würde seinem Schritt in Belgrad, der auf eine Er- <br> | ||
niedrigung Serbien[s]5 absehe, nicht gleichgültig zu- <br> | niedrigung Serbien[s]<sup>5</sup> absehe, nicht gleichgültig zu- <br> | ||
sehen können. Ich bemerkte, ich vermöchte in <br> | sehen können. Ich bemerkte, ich vermöchte in <br> | ||
ernsten Vorstellungen, in welchen Serbien an seine <br> | ernsten Vorstellungen, in welchen Serbien an seine <br> | ||
völkerrechthchen Pflichten erinnert würde, noch <br> | völkerrechthchen Pflichten erinnert würde, noch <br> | ||
keine Erniedrigung [ | <i>keine Erniedrigung [zu<sup>6</sup>] erblicken.</i> Herr Sasonow <br> | ||
erwiderte, es komme darauf an, wie dieser Schritt <br> | erwiderte, es komme darauf an, wie dieser Schritt <br> | ||
erfolge, auf jeden Fall dürfe von einem Ultimatum <br> | erfolge, auf jeden Fall <i>dürfe von einem Ultimatum <br> | ||
nicht die Rede sein<sup>7</sup>. <br> | nicht die Rede</i> sein<sup>7</sup>. <br> | ||
Der Minister wies im Laufe des Gesprächs <br> | Der Minister wies im Laufe des Gesprächs <br> | ||
wiederholt darauf hin, daß nach den ihm vorliegen- <br> | wiederholt darauf hin, daß nach den ihm vorliegen- <br> | ||
Line 191: | Line 188: | ||
Am Schluß der Unterhaltung frug ich Herrn <br> | Am Schluß der Unterhaltung frug ich Herrn <br> | ||
Sasonow, was nach seiner Ansicht an dem in der <br> | Sasonow, was nach seiner Ansicht an dem in der <br> | ||
letzten Zeit in der Presse viel erörterten | letzten Zeit in der Presse viel erörterten angeblicher. <br> | ||
Plan einer Vereinigung von Serbien und Montenegro <br> | Plan einer Vereinigung von Serbien und Montenegro <br> | ||
wäre. Der Minister bemerkte, eine solche Vereini- <br> | wäre. Der Minister bemerkte, eine solche Vereini- <br> | ||
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der österreichisch-serbischen Spannung auch meinem <br> | der österreichisch-serbischen Spannung auch meinem <br> | ||
italienischen Kollegen gegenüber Ausdruck gegeben <br> | italienischen Kollegen gegenüber Ausdruck gegeben <br> | ||
und dabei bemerkt, Rußland würde es nicht dulden <br> | und dabei bemerkt, Rußland würde es <i>nicht dulden <br> | ||
können, daß Österreich-Ungarn Serbien gegenüber <br> | können,</i> daß Österreich-Ungarn Serbien gegenüber <br> | ||
eine drohende Sprache führe oder militärische Maß- <br> | eine <i>drohende Sprache führe oder militärische Maß- <br> | ||
regeln treffe. »La | regeln treffe.</i> »La politique de la Russie«, hat Herr <br> | ||
Sasonow gesagt, »est pacifique, mais pas | Sasonow gesagt, »est pacifique, mais pas passive«. <br> | ||
F. P o u r t a l è s <br> | |||
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<sup>5</sup> Ausfertigung irrig: Serbien. <br> | <sup>5</sup> Ausfertigung irrig: Serbien. <br> | ||
<sup>6</sup> In Ausfertigung fehlt irrig: zu. <br> | <sup>6</sup> In Ausfertigung fehlt irrig: zu. <br> | ||
<sup>7</sup> | <sup>7</sup> »Ultimatum nicht die Rede« vom Kaiser zweimal unterstrichen. <br> |
Latest revision as of 15:31, 19 May 2015
WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 120.
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St. Petersburg, den 21. Juli 19142 F. P o u r t a l è s |
1 Nach der Ausfertigung.
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 23. Juli vorm. Bericht lag dem
Kaiser vor, von ihm am 27. Juli zurückgegeben. Gemäß k. Randverfügung
am 30. Juli durch Erlaß den Botschaften in Wien, Rom, London und
Paris mitgeteilt.
3 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers.
4 Am Rand zwei Ausrufungszeichen des Kaisers.
5 Ausfertigung irrig: Serbien.
6 In Ausfertigung fehlt irrig: zu.
7 »Ultimatum nicht die Rede« vom Kaiser zweimal unterstrichen.