Nr. 18 Der Gesandte in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat

From World War I Document Archive
Revision as of 15:58, 30 September 2015 by Woodz2 (talk | contribs) (Created page with " WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 4 > Anhang IV Berichte, Telegramme und Telep...")
(diff) ← Older revision | Latest revision (diff) | Newer revision → (diff)
Jump to navigation Jump to search

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 4 > Anhang IV. > Nr. 18


Nr. 18

Der Gesandte in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat'

Bericht 410                                    Berlin, den 30. Juh 1914

     Heute habe ich endlich den Reichskanzler gesehen. Er hatte mich schon wiederholt bestellt gehabt, war aber bisher jedesmal ver- hindert worden, mich zu empfangen.

     Er beauftragte mich, Sr. M. dem König zu melden, daß er seit zwei Tagen mehrere Briefe und Telegramme angefangen habe, um darin Sr. M. die Lage zu schildern, daß aber jedesmal vor der Fertig- stellung eine Änderung der Lage eingetreten sei, die den begonnenen Bericht vollständig überholt hätte.

     Über die heutige Lage könne er mir folgendes mitteilen:

     Deutschland habe es übernommen, mit einer Vermittlungsaktion einzusetzen. Er — der Kanzler — habe dem Wiener Kabinett den Rat erteilt, in Petersburg zu erklären, daß Österreich-Ungarn mit seiner Aktion gegen Serbien keine Territorialerwerbung anstrelDe und auch nicht beabsichtige, den Besitzstand Serbiens zu tangieren, daß es sich vielmehr nur um eine temporäre Besetzung serbischer Gebiets- teile handle zu dem Zweck, von Serbien Garantien für künftiges Wohlverhalten zu erzwingen, da auf die bloßen mündlichen wie schriftüchen Erklärungen der serbischen Regierung nichts zu geben sei.

     Er habe in Wien geltend gemacht, daß es darauf ankomme, Rußland ins Unrecht zu setzen.

     Sir Edward Grey habe in der gleichen Richtung durch ihn — den Reichskanzler — auf Österreich-Ungarn zu wirken versucht und habe sich stark gemacht, wenn Österreich-Ungarn diese Erklärung in Petersburg abgebe, Rußland zur Mäßigung zu veranlassen.

     Außerdem finde ein Austausch von Telegrammen zwischen dem Deutschen Kaiser und dem Zaren statt. Die ersten Depeschen, in denen der Zar das Vorgehen Österreichs als ungerechtfertigt hinstellte, und der Kaiser es erklärte, hätten sich gekreuzt.

     Vorläufig wäre von Wien noch keine Antwort da. Der Kanzler hab'e aber heute nacht in energischster Weise dem Wiener Kabinett erklärt, daß Deutschland sich nicht in das Schlepptau der Balkan- pohtik Österreichs stellen könne. Für den Fall, daß Österreich zustimmend antworte, gebe der Reichskanzler die Hoffnung auf die Erhaltung des Friedens nicht auf. Sicher sei dies aber nicht, da die von Rußland bereits vorgenommene Mobilisierung den russischen Rückzug sehr erschwere. Das Vorgehen Deutschlands werde dadurch sehr erschwert, daß man nicht wisse, was bei den getroffenen Maß- regeln in Rußland uud Frankreich Bluff oder Ernst sei.

     Solange die österreichische Antwort nicht eingetroffen sei, gehe Deutschland nicht damit vor, den »Zustand der drohenden Kriegs- gefalir« zu erklären, dem, wie die Dinge in Deutschland lä^en, die Mo- bihsierung, und zwar nach unserer Militärverfassung die Mobilisierung der ganzen Armee, folgen müsse. Lange dürfe mit der Entscheidung in Deutschland nicht gezögert werden, da wir sonst gegen Rußland und Frankreich ins Hintertreffen kämen.

     Vorläufig sei man in Deutschland, nachdem schon die Beschüt- zung gewisser Kunstbauten (Brücken, Tunnel, Fernspruch anlagen^ usw.) durch die Polizei verfügt worden sei, dazu über[ge]gangen, auch den militärischen Schutz zu verfügen.

     Gegen Deutschland habe Rußland noch nicht mobilisiert.

     Italien stehe zum Dreibund und habe nur eine gewisse Modi- fikation seiner Hilfeleistung angekündigt.

     Die Haltung von Bulgarien und Rumänien sei unsicher.

     England habe keinen Zweifel gelassen, daß, wenn der Krieg ausbreche, es nicht in der Lage sei, ruhig zuzusehen. England werde mit den Ententemächten gehen.

     Der Reichskanzler äußerte zum Schluß ; Es sei traurig, sagen zu müssen, daß gewissermaßen durch elementare Kräfte und die lang- dauernde Verhetzung zwischen den Kabinetten möglicherweise ein Krieg entfesselt wäre, den kein Staat wünsche.

     Genehmigen Ew. Exz. usw.

                                                                 G.  H.  L e r c h e n f e l d


1 Nach den Münchener Akten auszugsweise telephonisch nach München über- mittelt. 2 Vielleicht ist »Funkspruchanlagen« zu lesen.