Nr. 1 Der Gesandte in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat
Bericht 364 Berlin, den 2. Juli 19 14
S. M. der Kaiser hat die Reise zur Beerdigung nach Wien aufgegeben, wie offiziell gesagt werden wird, wegen eines kleinen Unwohlseins. Nach meinen Informationen ist aber der wirkhche Grund, daß man, um den Kaiser Franz Josef zu schonen, den Kaiser Wilhelm gebeten hat, von dem Besuche Umgang zu nehmen. Warum man in Wien nach Ablehnung aller anderen hohen Besuche nicht auch gleich den Besuch des Kaisers abgelehnt, sondern noch alle Einzel- heiten der Reise vereinbart hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Die gestrige Alarmnachricht, derzufolge Österreich -Ungarn die Führung der Untersuchung in Serbien für sich in Anspruch genommen und Serbien diese Einmischung abgelehnt hätte, ist inzwischen de- mentiert worden. Im hiesigen Auswärtigen Amt hofft man auch, daß Serbien jetzt nichts unterlassen werde, um an dem Komplott schuldige Personen zur Rechenschaft zu ziehen. Unterstaatssekretär Zimmermann hat auch zunächst den hiesigen serbischen Geschäfts- träger ernstlich auf die Folgen hingewiesen, zu denen ein Versagen Serbiens in dieser Hinsicht führen könnte, und hat ferner dem hiesigen russischen Botschafter nahegelegt, seine Regierung zu bestimmen, in Belgrad die gleiche Sprache zu führen. Herr Zimmermann hat, wie er mir mitgeteilt hat, diesen Rat damit begründet, daß bei der Entrüstung, welche die Tat von Sarajevo in Österreich -Ungarn er- zeugt habe, man nicht wissen könne, was geschieht, wenn die ser- bische Regierung ihre Pflicht nicht erfülle. Daß aber ein Konflikt zwischen Serbien und Österreich-Ungarn sofort Bulgarien gegen Griechenland in Bewegung setzen und in seinen weiteren Folgen gar nicht zu übersehen sein würde, dies brau( he er dem Botschafter nicht auszuführen, und das lasse ihn ■ — Zimmermann — hoffen, daß die von dem Wimsche, den Weltfrieden zu erhalten, geleitete russische Regierung bereit sein werde, ihre Stimme in Belgrad im Sinne eines loyalen entgegenkommenden Verhaltens hören zu lassen.
Genehmigen Ew. Exz. usw.
G. H. Lerchenfeld