Nr. 203. Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler, 26. Juli 1914

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Nr. 203

Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1

St. Petersburg, den 24. JuH 19142

Nach der Parade in Krasnoje Selo und einem Diner auf der »France« hat der Präsident der französischen Repubhk die Kronstädter Reede gestern abend wieder verlassen. Die Herrn Poincare hier zuteil gewordene Aufnahme war, wie nicht anders zu erwarten stand, eine sehr freundhche. Die offiziellen Veran- staltungen zeugten von dem Wimsche, dem Staatschef der verbündeten Repubhk ganz besondere äußerhche Ehren zu er- weisen, die offenbar auch darauf be- rechnet waren, seiner persönlichen Eitel- keit lu schmeicheln. Bei dem Besuch zum Beispiel, den Herrn Poincarö von Peterhof aus in St. Petersburg machte, wurde er nicht allein bei seiner Fahrt von Newa-Quai zum Winterpalais, sondern auch bei allen seinen Ausfahrten von einer Schwadron Kosaken eskortiert, die zu diesem Zwecke ihre scharlachrote Uniform, die sonst im Sommer selbst bei Paraden nicht angelegt wird, trugen.

Abgesehen von diesen äußerlichen Ehrenbezeugungen, läßt sich nicht sagen, daß die dem französischem Gaste hier zuteil gewordene Aufnalime eine besonders warme gewesen ist. Wer lediglich die hiesigen nationalistischen Blätter und die überschwenghchen Festberichte der sehr zahlreich hier erschienenen franzö- sischen Journalisten liest, wird ein sehr falsches Bild von der Stimmung gewinnen, die während der Tage des Präsidenten- besuches hier geherrscht hat. Jeder un- parteiische Beobachter muß die auffallende Gleichgültigkeit, welche die große Masse des Pubhkums dem Besuche gegenüber zeigte, konstatiert haben. Selbst an dem Tage, an welchem Herr Poincar6 der Resi- denz selbst seinen Besuch abstattete, und trotz des bei diesem Besuch aufgebotenen großen Apparates war von einer besonders regenTeilnahme des Publikums ,geschweige denn von irgend welcher Begeisterung nichts zu merken. Bei der Ankunft des Präsidenten und seiner Fahrt die Newa- Quais entlang bis zum Winter-Palais hatte sich trotz des schönen Wetters verhältnismäßig wenig Publikum einge- funden, das Herrn Poincar6 nicht nur keine Ovationen bereitete, sondern über- haupt kaum grüßte. Die auf polizeiliche Anordnung dekorierten, aber keineswegs besonders reich beflaggten Straßen, durch welche der Präsident mit seiner Eskorte und einem zahlreichen Gefolge am Nach- mittag eine Rundfahrt machte, waren durchaus nicht besonders belebt,und nur an den Straßenecken erwarteten einige Schau- lustige die Vorbeifahrt des Cortege3.

Am meisten Leben zeigte sich noch am Newski-Prospekt, als der Präsident

das kommt vom Bunde der Abso- luten Monarchie und der Absoluten Sojialistischen- Sanscuiotten Republik !


nach den heutigen Meldungen des Marin eattaches,

nach Aussage des Russ. Afjrin"-

attac/ies, isi iie im Werden !


sich am Abend nach dem Diner auf der französischen Botschaft nach der Stadt- Duma begab.

Wie ich bereits anderweitig hervor- gehoben habe, ist die große Teilnahm- losigkeit der Bewohner der Hauptstadt während des Besuchs des Herrn Poincare ni( ht zum geringsten auf die Arbeiter- streiks :{urückiuj Uhren, die während der Anwesenheit der französischen Gäste zu ernsten Zusammenstößen mit der Poh'zei und der Truppe geführt haben. Man muß es als eine Ironie des Schicksals empfinden, daß zu der gleiclien Zeit, zu welcher im Lager von Krasnoje Selo die russischen Garden den Ga>t des Zaren mit den Klängen der »Marseillaise«4 be- grüßten, in den Vorstädten Petersburgs die Kosaken auf die Arbeiter einhieben, welche dieselbe Marseillaise sangen.

Als sich gelegenth( h meiner Unter- haltungen mit Herrn Sasonow das Ge- spräch dem Besuch des Herrn Poincare zuwandte, hob der Minister den fried- fertigen Ton der gewechselten Trink- sprüche hervor. Ich konnte nicht umhin, Herrn Sasonow darauf aufmerksam zu machen, daß nicht die bei derartigen Be- suchen ausgetauschten Toaste, sondern die daran geknüpften Preßkommentare den Stoff zur Beunruhigung geliefert hätten. Derartige Kommentare seien auch diesmal ni( ht ausgeblieben, wotei sogar die Nachricht des angeblichen Ab- schlusses einer russisc h-englischen Marine- konvention verbreitet worden sei. Herr Sasonow griff die' en Satz auf und meinte unwilhg, eine solc:he Marinekonvention existiere nur »in der Idee des »BerUner heute noch! Tageblattes c( und im Mond«. ^^^'*

Das von der rus^i'^clien Regierung ^^r^^" • über den Besuch des Herrn Poincare in der Presse veröffentlichte Communique ist in der Anlage gehorsamst beigefügt. F. Pourtal^s

1 Nach der Ausfertigung. 2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts : 26. Juli nachm. Ausfertigung wurde dem Kaiser zugeleitet, der durch Randverfügung Mitteilung an den Botschafter in Paris anordnete; vom Kaiser am 28. Juli ins Amt zurück- gelangt. Bericht wurde am 30. Juli dem Botschafter in Paris mitgeteilt. Vgl. deutsches Weißbuch vom Mai 191 5. 3 Hinter »Cortege« Ausrufungszeichen des Kaisers. 4 »Marseillaise« zweimal vom Kaiser unterstrichen.