Nr. 288 Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler, 28. Juli 1914: Difference between revisions
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Revision as of 13:55, 11 June 2015
Nr. 288
Der Botschafter in Petersburg an den Reichskanzler1
danke ! Nein das war mir nicht bekannt ! Ich konnte nicht und Königsmör- dern stellen würde, selbst auf die Ge- fahr hin einen Europ. Krieg zu entfesseln. Lateinisch. |
St. Petersburg, den 26. Juli 19142 Alle hiesigen Blätter besprechen in eingehenden Ausführungen den Ernst der durch die Ablehnung des österreichischen Ultimatums von Serbien ge- schaffenen Lage. Der gegenwärtigen Situation widmet die heutige »Nowoje Wremja« drei Artikel. Der erste, die »österreichische Depesche« überschriebene Artikel sucht die in der österreichischen Note enthaltenen Hinweise auf die verbrecherische Tätigkeit serbischer Offiziere und Beamte zu diskreditieren, und ver- gleicht sie mit dem Friedjung- Prozeß. Das Vor- gehen Österreichs beweise nur eins, nämlich die Absicht, Serbien zu vernichten. Weiter heißt es dann, Österreich werde sich ohne das Einverständnis Deutschlands nie da^u entschließen, eine neue und öffentliche Verletzung des Völkerrechts ^u begehen. Der deutsche Kaiser brauche nur jjjref Worte \u sagen, und Österreich werde seine Note \u- rücknehmen3. Dem Kaiser sei bekannt, daß Rußland Serbien mit seiner ganzen militärischen Macht unterstützen werde, daß der Überfall auf 7e7zaTTich auf ^^^'^^^^ ^^" ^'"^'^^ ""'^ Rußland bedeute, sowie, daß sZtenZn Banditen ^^^'■'^^^'^ und Frankreich dann in den Krieg hmemgezogen werden wurden. Die moralische Verantwortung für die drohende Vernichtung der eiiropäischen Zivilisation falle auf Denischla.nd und seinen erhabenen Führer. — «Frieden oder Krieg« lautet die Überschrift des zweiten Artikels. Das Vorgehen Österreichs wird darin als Raubzug dargestellt, mit dem zugleich Ts^^^Slavisch^'oda- ^^^^' ^^'^ 'i^opi Serbiens hinweg das Schwert gegen Rußland gerichtet sei ; Rußland wisse, daß die Her- ausforderung ihm gelte ; Rußland habe das Kriegs- gewitter nicht geweckt, es werde aber voll und ganz für seine Ehre eintreten. Noch habe Österreich Zeit, sich zu besinnen, noch habe es Zeit, dem Blutgerichte zu entrinnen. Den, der den Krieg beginne, strafe Gott! Der dritte Artikel heißt: »Die gegenwärtige Lage«. Die Antwort auf die Frage, ob wir uns am Vorabend eines europäischen Krieges befinden, müsse man in Berlin suchen. Wenn Deutschland be- schlossen habe, daß es unvorteilhaft sei, weitere Kräftevermehrungen des Zweibundes, insbesondere Rußlands, abzuwarten, und es für erforderlich halte, den Krieg jetzt schon herbeizuführen, würden alle Bemühungen der Mächte erfolglos sein. In dem Falle sei es zweifellos, daß die unerhörte öster- reichische Note unter Mitwirkung Deutschlands zustande gekommen sei, daß dieser Schritt, den Krieg zu provozieren und Rußland und Frankreich darin zu verwickeln, von Deutschland ausgehe. Die dies- bezüglichen Nachrichten in diplomatischen Kreisen seien aber unbestimmt. Jedenfalls sei, wenn es sich um einen Bluff gehandelt habe, die Absicht nicht gelungen. Weiter heißt es dann: »Ein fried- licher Ausgang ist nur dann möglich, wenn hinter dem Rücken Österreichs nicht Deutschland steht, das sich entschlossen hat, Krieg zu führen. Dann ist alles vergeblich und die Stunde des europäischen Kriegs nicht mehr abzuwehren.« Gestützt auf seine Macht und das unerschütter- liche Bündnis mit Frankreich sehe Rußland den Ereignissen ruhig entgegen. Die Friedensliebe Ruß- lands sei bekannt, aber Rußland erkenne seine historische Aufgabe und sei bereit, auch die ent- scheidendsten Schritte zu tun, die die Ereignisse er- fordern sollten. Im Gegensatz zur »Nowoje Wremja« steht die »Semschtschina«. Sie verurteilt das Ultimatum, schreibt aber dann, es sei fern von ihr, Serbien auf- zuhetzen. Die russische Regierung sei verpflichtet, nach Möglichkeit Serbien zurückzuhalten sowie gleichzeitig auf Österreich einzuwirken. Offenbar sei die Regierung auch in dieser Richtung tätig. Sollte Österreich es auf einen Krieg abgesehen haben, so müsse man Maßnahmen ergreifen, um denselben zu verhindern, ohne dabei Europa in den Krieg zu verv/ickeln. Durch Deutschland oder Italien müsse man auf Österreich einwirken. Bei einem «allgemeinen Schlachten« würde Rußland auch in einen Krieg mit Deutschland ver- wickelt werden, den weder Rußland noch die Deutschen wollten. »Bis jetzt bestehen zwischen uns noch gute Beziehungen, warum sollen die zur Er- haltung des Friedens nicht ausgenutzt werden ? « Über die Äußerung Suchomlinows, daß alles bereit sei, könne man sich ja freuen, aber darum würde man in Deutschland vielleicht noch eher auf unsere Stimme, Österreich zu beeinflussen, hören. Die Nachricht von der ablehnenden Haltung Österreichs gegenüber der serbischen Antwort bedeute noch nicht, daß Österreich den Einwirkungen Deutschlands unzugänglich sein werde. Ähnlich betrachtet die »Rjetsch« die Situation. »Es scheint,« schreibt das Blatt, »daß ungeachtet der Provokation der ,Nowo je Wremja' die äußersten Maßnalimen von Deutschland noch nicht beabsichtigt sind. Daß die Hoffnung auf einen friedlichen Aus- gang oder im äußersten Falle auf eine Lokalisierung des Konflikts noch nicht verloren ist, kann man aus den von uns wiedergegebenen Nachrichten einiger Londoner Handelskreise schließen, welche die von England einzimehmende Stellung betreffen. England beabsichtige, seine Vermittelung anzubieten, deren Zweck darin besteht, die österreichische Note in zwei Teile zu teilen, nämlich einen politischen, der Gegenstand der Verhandlungen der Mächte sein muß und den anderen über die sarajevosche An- gelegenheit, die zwischen Österreich und Serbien verhandelt werden soll. In diesem Falle handele es sich nicht um Verschuldungen Serbiens, es liege ein — .Präventiv -Krieg' vor, und dies nicht be- merken — heiße den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen«. »Es ist Zeit, ein Ende zu machen«, schreibt der »Petersburgski Kurjer«, Für Rußland sei es ein Lebensinteresse, daß die slawischen Staaten, die eine Seitendeckung für Rußland auf dem Wege nach den Dardanellen gegen den »Drang nach dem Osten« bilden, nicht unter fremden Einfluß geraten. Ein Krieg gegen Österreich und Deutschland würde auch unter der russischen Intelligenz populär sein, die in Deutschland die verkörperte Reaktion und die Wiege des Militarismus sehe. Der »Swjet« verlangt die »unverzügliche Mobil- machung der russischen Armee«. Die »Birshewija Wjedomosti« stellen fest, daß Rußlands Antwort auf die »schreiend drohende« österreichische Note eine einmütige Unterstützung in der ganzen russischen Presse gefunden habe. Das Verhalten der russischen Regierung habe gezeigt, daß Diplomatie und öffentliche Meinung einen Anschlag Österreichs auf das Territorium und die Unabhängig- keit Serbiens für durchaus unzulässig halten, F. Pourtalès 1 Nach der Ausfertigung. 2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 28. Juli vorm. Bericht lag dem Kaiser vor, von ihm am 30. Juli zurückgegeben. 3 Am Rand Ausrufungszeichen des Kaisers. |