Nr. 2 Der Geschäftsträger in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat: Difference between revisions

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<center>Nr. 2</center>  
<center>Nr. 2</center>  


<center><font size=4>'''Der Geschäftsträger in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat'''</font></center>
<center><font size=4>'''Der Geschäftsträger in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat'''</font></center><br>


Bericht 386&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; Berlin, den 18. Juli 1914  
Bericht 386&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp; Berlin, den 18. Juli 1914 <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Auf Grund von Rücksprachen, die ich mit Unterstaatssekretär  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Auf Grund von Rücksprachen, die ich mit Unterstaatssekretär <br>
Zimmermann, ferner mit dem Balkan- und Dreibundreferenten im  
Zimmermann, ferner mit dem Balkan- und Dreibundreferenten im <br>
Auswärtigen Amt und mit dem österreichisch-ungarischen Botschafts-  
Auswärtigen Amt und mit dem österreichisch-ungarischen Botschafts- <br>
rat dahier hatte, beehre ich mich, Ew. Exz. über die von der öster-  
rat dahier hatte, beehre ich mich, Ew. Exz. über die von der öster- <br>
reichisch-ungarischen Regierung beabsichtigte Auseinandersetzung mit  
reichisch-ungarischen Regierung beabsichtigte Auseinandersetzung mit <br>
Serbien nachstehendes gehorsamst zu berichten:  
Serbien nachstehendes gehorsamst zu berichten: <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der Schritt, den das Wiener Kabinett sich entschlossen hat, in  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Der Schritt, den das Wiener Kabinett sich entschlossen hat, in <br>
Belgrad zu unternehmen, und der in der Überreichung einer Note  
Belgrad zu unternehmen, und der in der Überreichung einer Note <br>
bestehen wird, wird am 25. d. M. erfolgen. Die Hinausschiebung  
bestehen wird, wird am 25. d. M. erfolgen. Die Hinausschiebung <br>
der Aktion bis zu diesem Zeitpunkt hat ihren Grund darin, daß man  
der Aktion bis zu diesem Zeitpunkt hat ihren Grund darin, daß man <br>
die Abreise des Herrn Poincaré und Viviani von Petersburg abwarten  
die Abreise des Herrn Poincaré und Viviani von Petersburg abwarten <br>
möchte, um nicht den Zwei bundmächten eine Verständigung über  
möchte, um nicht den Zwei bundmächten eine Verständigung über <br>
eine etwaige Gegenaktion zu erleichtern. Bis dahin gibt man sich  
eine etwaige Gegenaktion zu erleichtern. Bis dahin gibt man sich <br>
in Wien durch die gleichzeitige Beurlaubung der Kriegsminister und  
in Wien durch die gleichzeitige Beurlaubung der Kriegsminister und <br>
des Chefs des Generalstabs den Anschein friedlicher Gesinnung, und  
des Chefs des Generalstabs den Anschein friedlicher Gesinnung, und <br>
auch auf die Presse und die Börse ist nicht ohne Erfolg eingewirkt  
auch auf die Presse und die Börse ist nicht ohne Erfolg eingewirkt <br>
worden. Daß das Wiener Kabinett in dieser Beziehung geschickt  
worden. Daß das Wiener Kabinett in dieser Beziehung geschickt <br>
vorgeht, wird hier anerkannt, und man bedauert nur, daß Graf Tisza,  
vorgeht, wird hier anerkannt, und man bedauert nur, daß Graf Tisza, <br>
der anfangs gegen ein schärferes Vorgehen gewesen sein soll, durch  
der anfangs gegen ein schärferes Vorgehen gewesen sein soll, durch <br>
seine Erklärung im ungarischen Abgeordnetenhaus den Schleier schon  
seine Erklärung im ungarischen Abgeordnetenhaus den Schleier schon <br>
etwas gelüftet hat.  
etwas gelüftet hat. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wie mir Herr Zimmermann sagte, wird die Note, soweit bis  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wie mir Herr Zimmermann sagte, wird die Note, soweit bis <br>
jetzt feststeht, folgende Forderungen enthalten:  
jetzt feststeht, folgende Forderungen enthalten: <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;1. Den Erlaß einer Proklamation durch den König von Serbien,,  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;1. Den Erlaß einer Proklamation durch den König von Serbien,, <br>
in der ausgesprochen werde, daß die serbische Regierung der groß-  
in der ausgesprochen werde, daß die serbische Regierung der groß- <br>
serbischen Bewegung vollkommen fernstehe und sie mißbillige.  
serbischen Bewegung vollkommen fernstehe und sie mißbillige. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;2. Die Einleitung einer Untersuchung gegen die Mitschuldigen  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;2. Die Einleitung einer Untersuchung gegen die Mitschuldigen <br>
an der Mordtat von Sarajevo und Teilnahme eines österreichischen  
an der Mordtat von Sarajevo und Teilnahme eines österreichischen <br>
Beamten an dieser Untersuchung.  
Beamten an dieser Untersuchung. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;3. Einschreiten gegen alle, die an der großserbischen Bewegung  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;3. Einschreiten gegen alle, die an der großserbischen Bewegung <br>
beteiligt seien.  
beteiligt seien. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Für die Annahme dieser Forderungen soll eine Frist von  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Für die Annahme dieser Forderungen soll eine Frist von <br>
48 Stunden gestellt werden.  
48 Stunden gestellt werden. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Daß Serbien derartige, mit seiner Würde als unabhängiger Staat  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Daß Serbien derartige, mit seiner Würde als unabhängiger Staat <br>
unvereinbare Forderungen nicht annehmen kann, liegt auf der Hand.  
unvereinbare Forderungen nicht annehmen kann, liegt auf der Hand. <br>
Die Folge wäre also der Krieg.  
Die Folge wäre also der Krieg. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Hier ist man durchaus damit einverstanden, daß Österreich die  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Hier ist man durchaus damit einverstanden, daß Österreich die <br>
günstige Stunde nutzt, selbst auf die Gefahr weiterer Verwickelungen  
günstige Stunde nutzt, selbst auf die Gefahr weiterer Verwickelungen <br>
hin. Ob man aber wirklich in Wien sich dazu aufraffen wird, er-  
hin. Ob man aber wirklich in Wien sich dazu aufraffen wird, er- <br>
scheint Herrn von Jagow wie Herrn Zimmermann noch immer  
scheint Herrn von Jagow wie Herrn Zimmermann noch immer <br>
zweifelhaft. Der Unterstaatssekretär äußerte sich dahin, daß Öster-  
zweifelhaft. Der Unterstaatssekretär äußerte sich dahin, daß Öster-<br>
reich-Ungarn, dank seiner Entschlußlosigkeit und Zerfahreniieit, jetzt  
reich-Ungarn, dank seiner Entschlußlosigkeit und Zerfahreniieit, jetzt <br>
eigentlich der kranke Mann in Europa geworden sei, wie früher die  
eigentlich der kranke Mann in Europa geworden sei, wie früher die <br>
Türkei, auf dessen Aufteilung Russen, Italiener, Rumänen, Serben  
Türkei, auf dessen Aufteilung Russen, Italiener, Rumänen, Serben <br>
und Montenegriner warteten. Em starkes und erfolgreiches Einschreiten  
und Montenegriner warteten. Em starkes und erfolgreiches Einschreiten <br>
gegen Serbien würde dazu füliren, daß die Österreicher und Ungarn  
gegen Serbien würde dazu füliren, daß die Österreicher und Ungarn <br>
sich wieder als staatliche Macht fühlten, würde das darniederliegende  
sich wieder als staatliche Macht fühlten, würde das darniederliegende <br>
wirtschaftliche Leben wieder aufrichten und die fremden Aspirationen  
wirtschaftliche Leben wieder aufrichten und die fremden Aspirationen <br>
auf Jahre hinaus niederhalten. Bei der Empörung, die heute in  
auf Jahre hinaus niederhalten. Bei der Empörung, die heute in <br>
der ganzen Monarchie über die Bluttat herrsche, könne man wohl  
der ganzen Monarchie über die Bluttat herrsche, könne man wohl <br>
auch der slawischen Truppen sicher sein. In einigen Jahren sei dies,  
auch der slawischen Truppen sicher sein. In einigen Jahren sei dies, <br>
bei weiterer Fortwirkung der slawischen Propaganda, wie General  
bei weiterer Fortwirkung der slawischen Propaganda, wie General <br>
Conrad von Hötzendorf selbst zugegeben habe, nicht mehr der Fall.  
Conrad von Hötzendorf selbst zugegeben habe, nicht mehr der Fall. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Man ist also hier der Ansicht, daß es für Österreich sich um  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Man ist also hier der Ansicht, daß es für Österreich sich um <br>
eine Schicksalsstunde handle, und aus diesem Grunde hat man hier,  
eine Schicksalsstunde handle, und aus diesem Grunde hat man hier, <br>
auf eine Anfrage aus Wien, ohne Zögern erklärt, daß wir mit jedem  
auf eine Anfrage aus Wien, ohne Zögern erklärt, daß wir mit jedem <br>
Vorgehen, zu dem man sich dort entschließe, einverstanden seien,  
Vorgehen, zu dem man sich dort entschließe, einverstanden seien, <br>
auch auf die Gefahr eines Krieges mit Rußland hin. Die Blanko-  
auch auf die Gefahr eines Krieges mit Rußland hin. Die Blanko- <br>
vollmacht, die man dem Kabinettschef des Grafen Berchtold, dem  
vollmacht, die man dem Kabinettschef des Grafen Berchtold, dem <br>
Grafen Hoyos, gab, der zur Übergabe eines Allerhöchsten Hand-  
Grafen Hoyos, gab, der zur Übergabe eines Allerhöchsten Hand- <br>
schreibens und eines ausführlichen Promemorias hierhergekommen  
schreibens und eines ausführlichen Promemorias hierhergekommen <br>
war, ging so weit, daß die österreichisch-ungarische Regierung er-  
war, ging so weit, daß die österreichisch-ungarische Regierung er- <br>
mächtigt wurde, mit Bulgarien wegen Aufnahme in den Dreibund  
mächtigt wurde, mit Bulgarien wegen Aufnahme in den Dreibund <br>
zu verhandeln.  
zu verhandeln. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In Wien scheint man ein so unbedingtes Eintreten Deutschlands  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;In Wien scheint man ein so unbedingtes Eintreten Deutschlands <br>
für die Donaumonarchie nicht erwartet zu haben, und Herr Zimmermann  
für die Donaumonarchie nicht erwartet zu haben, und Herr Zimmermann <br>
hat den Eindruck, als ob es den immer ängsthchen und entschluß-  
hat den Eindruck, als ob es den immer ängsthchen und entschluß- <br>
losen Stellen in Wien fast unangenehm wäre, daß von deutscher  
losen Stellen in Wien fast unangenehm wäre, daß von deutscher <br>
Seite nicht zur Vorsicht und Zurückhaltung gemahnt worden sei.  
Seite nicht zur Vorsicht und Zurückhaltung gemahnt worden sei. <br>
Wie sehr man in Wien in seinen Entschlüssen schwankt, beweise  
Wie sehr man in Wien in seinen Entschlüssen schwankt, beweise <br>
der Umstand, daß Graf Berchtold, drei Tage nachdem er hier  
der Umstand, daß Graf Berchtold, drei Tage nachdem er hier <br>
wegen eines Bündnisses mit Bulgarien hatte anfragen lassen, tele-  
wegen eines Bündnisses mit Bulgarien hatte anfragen lassen, tele- <br>
graphiert habe, daß er doch noch Bedenken trage, mit Bulgarien  
graphiert habe, daß er doch noch Bedenken trage, mit Bulgarien <br>
abzuschließen.  
abzuschließen. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Man hätte es daher hier auch lieber gesehen, wenn mit der Aktion  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Man hätte es daher hier auch lieber gesehen, wenn mit der Aktion <br>
gegen Serbien nicht so lange gewartet und der serbischen Regierung  
gegen Serbien nicht so lange gewartet und der serbischen Regierung <br>
nicht die Zeit gelassen würde, etwa unter russisch-französischem  
nicht die Zeit gelassen würde, etwa unter russisch-französischem <br>
Druck von sich aus eine Genugtuung anzubieten.  
Druck von sich aus eine Genugtuung anzubieten. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wie sich die anderen Mächte zu einem kriegerischen Konflikt  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wie sich die anderen Mächte zu einem kriegerischen Konflikt <br>
zwischen Österreich und Serbien stellen werden, wird nach hiesiger  
zwischen Österreich und Serbien stellen werden, wird nach hiesiger <br>
Auffassung wesentlich davon abhängen, ob Österreich sich mit einer  
Auffassung wesentlich davon abhängen, ob Österreich sich mit einer <br>
Züchtigung Serbiens begnügen oder auch territoriale Entschädigungen  
Züchtigung Serbiens begnügen oder auch territoriale Entschädigungen <br>
für sich fordern wird. Im ersteren Fall dürfte es gelingen, den  
für sich fordern wird. Im ersteren Fall dürfte es gelingen, den <br>
Krieg zu lokalisieren, im anderen Fall dagegen wären größere Ver-  
Krieg zu lokalisieren, im anderen Fall dagegen wären größere Ver-<br>
wickelungen wohl unausbleiblich.  
wickelungen wohl unausbleiblich. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Im Interesse der Lokalisierung des Krieges wird die Reichs-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Im Interesse der Lokalisierung des Krieges wird die Reichs- <br>
leitung sofort nach der Übergabe der österreichischen Note in Belgrad  
leitung sofort nach der Übergabe der österreichischen Note in Belgrad <br>
eine diplomatische Aktion bei den Großmächten einleiten. Sie wird  
eine diplomatische Aktion bei den Großmächten einleiten. Sie wird <br>
mit dem Hinweis darauf, daß der Kai; er auf der Nordlandreise und  
mit dem Hinweis darauf, daß der Kai; er auf der Nordlandreise und <br>
der Chef des Großen Generalstabs sowie der preußische Kriegs-  
der Chef des Großen Generalstabs sowie der preußische Kriegs- <br>
minister in Urlaub seien, behaupten, durch die Aktion Österreichs  
minister in Urlaub seien, behaupten, durch die Aktion Österreichs <br>
genau so überrascht worden zu sein wie die anderen Mächte.  
genau so überrascht worden zu sein wie die anderen Mächte. <br>
(Wie ich mir hier einzuschalten gestatte, ist nicht einmal die italienische  
(Wie ich mir hier einzuschalten gestatte, ist nicht einmal die italienische <br>
Regierung ins Vertrauen gezogen worden.) Sie wird geltend machen,  
Regierung ins Vertrauen gezogen worden.) Sie wird geltend machen, <br>
daß es im gemeinsamen Interesse aller monarchischen Staaten liege,  
daß es im gemeinsamen Interesse aller monarchischen Staaten liege, <br>
wenn »das Belgrader Anarchistennest« einmal ausgehoben werde, und  
wenn »das Belgrader Anarchistennest« einmal ausgehoben werde, und <br>
sie wird darauf hinarbeiten, daß die Mächte sich auf den  
sie wird darauf hinarbeiten, daß die Mächte sich auf den <br>
Standpunkt stellen, daß die Auseinandersetzung zwischen Öster-  
Standpunkt stellen, daß die Auseinandersetzung zwischen Öster- <br>
reich und Serbien eine Angelegenheit dieser beiden Staaten sei.  
reich und Serbien eine Angelegenheit dieser beiden Staaten sei. <br>
Von einer Mobilmachung deutscher Truppen soll abgesehen werden,  
Von einer Mobilmachung deutscher Truppen soll abgesehen werden, <br>
und man will auch durch unsere militärischen Stellen dahin wirken,  
und man will auch durch unsere militärischen Stellen dahin wirken, <br>
daß Österreich nicht die gesamte Armee und insbesondere die in  
daß Österreich nicht die gesamte Armee und insbesondere die in <br>
Galizien stehenden Truppen mobilisiere, um nicht automatisch eine  
Galizien stehenden Truppen mobilisiere, um nicht automatisch eine <br>
Gegenmobilisierung Rußlands auszulösen, die dann auch uns und  
Gegenmobilisierung Rußlands auszulösen, die dann auch uns und <br>
danach Frankreich zu gleichen Maßnahmen zwingen und damit den  
danach Frankreich zu gleichen Maßnahmen zwingen und damit den <br>
europäischen Krieg heraufbeschwören würde.  
europäischen Krieg heraufbeschwören würde. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Entscheidend für die Frage, ob die Lokalisierung des Krieges  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Entscheidend für die Frage, ob die Lokalisierung des Krieges <br>
gelingen wird, wird in erster Linie die Haltung Rußlands sein.  
gelingen wird, wird in erster Linie die Haltung Rußlands sein. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Will Rußland nicht auf alle Fälle den Krieg gegen Österreich  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Will Rußland nicht auf alle Fälle den Krieg gegen Österreich <br>
und Deutschland, so kann es in diesem Falle — und das ist das  
und Deutschland, so kann es in diesem Falle — und das ist das <br>
Günstige der gegenwärtigen Situation — sehr wohl untätig bleiben  
Günstige der gegenwärtigen Situation — sehr wohl untätig bleiben <br>
und sich den Serben gegenüber darauf berufen, daß es eine Kampf-  
und sich den Serben gegenüber darauf berufen, daß es eine Kampf- <br>
weise, die mit Bombenwerfen und Revolverschüssen arbeite, ebenso-  
weise, die mit Bombenwerfen und Revolverschüssen arbeite, ebenso- <br>
wenig wie die anderen zivilisierten Staaten billige. Dies insbesondere,  
wenig wie die anderen zivilisierten Staaten billige. Dies insbesondere, <br>
solange Österreich nicht die nationale Selbständigkeit Serbiens in  
solange Österreich nicht die nationale Selbständigkeit Serbiens in <br>
Frage stellt. Herr Zimmermann nimmt an, daß sowohl England  
Frage stellt. Herr Zimmermann nimmt an, daß sowohl England <br>
und Frankreich, denen ein Krieg zur Zeit kaum erwünscht wäre,  
und Frankreich, denen ein Krieg zur Zeit kaum erwünscht wäre, <br>
auf Rußland in friedlichem Sinne einwirken werden; außerdem baut  
auf Rußland in friedlichem Sinne einwirken werden; außerdem baut <br>
er darauf, daß das »Bluffen« eines der beliebtesten Requisite der  
er darauf, daß das »Bluffen« eines der beliebtesten Requisite der <br>
russischen Politik bildet, und der Russe zwar gern mit dem Schwerte  
russischen Politik bildet, und der Russe zwar gern mit dem Schwerte <br>
droht, es aber im entscheidenden Moment doch nicht gern für  
droht, es aber im entscheidenden Moment doch nicht gern für <br>
andere zieht.  
andere zieht. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;England wird österreich nicht hindern, Serbien zur Rechen-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;England wird österreich nicht hindern, Serbien zur Rechen- <br>
schaft zu ziehen ; nur eine Zertrümmerung des Landes wird es kaum  
schaft zu ziehen ; nur eine Zertrümmerung des Landes wird es kaum <br>
zulassen, vielmehr — getreu seinen Traditionen — vermutlich auch  
zulassen, vielmehr — getreu seinen Traditionen — vermutlich auch <br>
hier für das Nationalitätsprinzip eintreten. Ein Krieg zwischen  
hier für das Nationalitätsprinzip eintreten. Ein Krieg zwischen <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Zweibund und Dreibund dürfte England im jetzigen Zeitpunkt schon  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Zweibund und Dreibund dürfte England im jetzigen Zeitpunkt schon <br>
mit Rücksicht auf die Lage in Irland wenig willkommen sein. Kommt  
mit Rücksicht auf die Lage in Irland wenig willkommen sein. Kommt <br>
es gleichwohl dazu, so würden wir aber nach hiesiger Anschauung die  
es gleichwohl dazu, so würden wir aber nach hiesiger Anschauung die <br>
englischen Vettern auf der Seite unserer Gegner finden, da England be-  
englischen Vettern auf der Seite unserer Gegner finden, da England be- <br>
fürchtet, daß Frankreich im Falle einer neuen Niederlage auf die Stufe  
fürchtet, daß Frankreich im Falle einer neuen Niederlage auf die Stufe <br>
einer Macht zweiten Ranges herabsinken und damit die »balance  
einer Macht zweiten Ranges herabsinken und damit die »balance <br>
of power« gestört würde, deren Erhaltung England im eigenen In-  
of power« gestört würde, deren Erhaltung England im eigenen In- <br>
teresse für geboten erachtet.  
teresse für geboten erachtet. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Sehr wenig Freude würde Italien an einer Züchtigung Serbiens  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Sehr wenig Freude würde Italien an einer Züchtigung Serbiens <br>
durch Österreich empfinden, dem es eine Stärkung seines Einflusses  
durch Österreich empfinden, dem es eine Stärkung seines Einflusses <br>
auf dem Balkan keineswegs gönnen würde. Wie mir der Gesandte  
auf dem Balkan keineswegs gönnen würde. Wie mir der Gesandte <br>
von Bergen, der Referent für die Dreibundangelegenheiten im Aus-  
von Bergen, der Referent für die Dreibundangelegenheiten im Aus- <br>
wärtigen Amt, sagte, ist das Verhältnis zwischen Wien und Rom  
wärtigen Amt, sagte, ist das Verhältnis zwischen Wien und Rom <br>
einmal wieder alles weniger als freundschaftlich. In Wien sei man  
einmal wieder alles weniger als freundschaftlich. In Wien sei man <br>
sehr verstimmt gegen den italienischen Gesandten in Albanien, Aliotti,  
sehr verstimmt gegen den italienischen Gesandten in Albanien, Aliotti,<br>
der gegen Österreich stark intrigiert zu haben scheint, und der Bot-  
der gegen Österreich stark intrigiert zu haben scheint, und der Bot- <br>
schafter von Merey habe deshalb vor einigen Tagen den Auftrag er-  
schafter von Merey habe deshalb vor einigen Tagen den Auftrag er- <br>
halten, von Italien zu verlangen, daß dieses seine ganze Politik  
halten, von Italien zu verlangen, daß dieses seine ganze Politik <br>
ändere, da sonst ein längeres Einvernehmen nicht möglich sei. Der  
ändere, da sonst ein längeres Einvernehmen nicht möglich sei. Der <br>
Auftrag habe so scharf gelautet, daß San Giuliano ganz aufgebracht  
Auftrag habe so scharf gelautet, daß San Giuliano ganz aufgebracht <br>
sei, und in dieser Spannung zwischen Österreich und Italien liege  
sei, und in dieser Spannung zwischen Österreich und Italien liege <br>
ein die Situation sehr erschwerendes Moment. Die Aufteilung Serbiens  
ein die Situation sehr erschwerendes Moment. Die Aufteilung Serbiens<br>
oder auch nur die Annexion des die Bucht von Cattaro beherr-  
oder auch nur die Annexion des die Bucht von Cattaro beherr- <br>
schenden Berges Lowtschen in Montenegro durch Österreich würde  
schenden Berges Lowtschen in Montenegro durch Österreich würde <br>
Italien nicht, ohne dafür Kompensationen zu erlangen, dulden. Es  
Italien nicht, ohne dafür Kompensationen zu erlangen, dulden. Es <br>
erscheint nicht ausgeschlossen, daß Italien die Einberufung seiner  
erscheint nicht ausgeschlossen, daß Italien die Einberufung seiner <br>
Reserven, die es mit der inner politischen Lage rechtfertigen will, zu  
Reserven, die es mit der inner politischen Lage rechtfertigen will, zu <br>
dem Zweck vornimmt, um gegebenenfalls zur Besetzung von Valona  
dem Zweck vornimmt, um gegebenenfalls zur Besetzung von Valona <br>
zu schreiten. Herr Zimmermann ist der Meinung, daß Österreich  
zu schreiten. Herr Zimmermann ist der Meinung, daß Österreich <br>
sich dem nicht widersetzen sollte, da Valona eine neue Achillesferse  
sich dem nicht widersetzen sollte, da Valona eine neue Achillesferse <br>
für Italien bilden würde, und die Entfernung zwischen Brindisi und  
für Italien bilden würde, und die Entfernung zwischen Brindisi und <br>
Valona zu groß sei, als daß es den Italienern gelingen könnte, die  
Valona zu groß sei, als daß es den Italienern gelingen könnte, die <br>
Adria völlig zu sperren.  
Adria völlig zu sperren. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Vielleicht darf auch aus einer Äußerung des österreichisch-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Vielleicht darf auch aus einer Äußerung des österreichisch- <br>
ungarischen Botschaftsrats, wonach nach seiner persönlichen Meinung  
ungarischen Botschaftsrats, wonach nach seiner persönlichen Meinung <br>
Valona den Italienern gegeben werden könne, geschlossen werden,  
Valona den Italienern gegeben werden könne, geschlossen werden, <br>
daß man sich in Wien bereits mit einer Festsetzung der Italiener  
daß man sich in Wien bereits mit einer Festsetzung der Italiener <br>
in Südalbanien vertraut macht.  
in Südalbanien vertraut macht. <br>


&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wie ich ganz vertraulich gehört habe, ist der Botschaftsrat  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Wie ich ganz vertraulich gehört habe, ist der Botschaftsrat <br>
Prinz Stolberg in Wien, der vor einigen Tagen hier war, beauftragt  
Prinz Stolberg in Wien, der vor einigen Tagen hier war, beauftragt <br>
worden, die Frage einer Entschädigung Italiens mit dem Grafen  
worden, die Frage einer Entschädigung Italiens mit dem Grafen <br>
Berchtold zu besprechen und dabei in inoffizieller Form einfließen  
Berchtold zu besprechen und dabei in inoffizieller Form einfließen <br>
zu lassen, daß man Italien wohl dauernd gewinnen würde, wenn  
zu lassen, daß man Italien wohl dauernd gewinnen würde, wenn <br>
Österreich sich im Falle größerer Gebietserweiterungen zur Abtretung  
Österreich sich im Falle größerer Gebietserweiterungen zur Abtretung<br>
des südlichen Trentino, d. h. desjenigen Teils des Erzbistums Trient,  
des südlichen Trentino, d. h. desjenigen Teils des Erzbistums Trient, <br>
das nie zum alten deutschen Reich gehört hat, an Italien verstehen  
das nie zum alten deutschen Reich gehört hat, an Italien verstehen <br>
würde. Daß das Wiener Kabinett diesem Gedanken näher treten  
würde. Daß das Wiener Kabinett diesem Gedanken näher treten <br>
werde, wird hier allerdings kaum erwartet, und man hat absichtlich  
werde, wird hier allerdings kaum erwartet, und man hat absichtlich <br>
den Botschaftsrat und nicht den gleichfalls in Wien anwesenden  
den Botschaftsrat und nicht den gleichfalls in Wien anwesenden <br>
Botschafter beauftragt, das Gespräch auf das Trentino zu bringen,  
Botschafter beauftragt, das Gespräch auf das Trentino zu bringen, <br>
um nicht durch eine derartige offizielle Anregung zu verstimmen.  
um nicht durch eine derartige offizielle Anregung zu verstimmen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Was Bulgarien anlangt, so nimmt die hiesige österreichisch-  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Was Bulgarien anlangt, so nimmt die hiesige österreichisch- <br>
ungarische Botschaft an, daß König Ferdinand den Ausbruch eines  
ungarische Botschaft an, daß König Ferdinand den Ausbruch eines <br>
Krieges zwischen Österreich und Serbien benutzen würde, um zur  
Krieges zwischen Österreich und Serbien benutzen würde, um zur <br>
Rückgewinnung des im Bukarester Frieden verlorenen Gebietes  
Rückgewinnung des im Bukarester Frieden verlorenen Gebietes <br>
gleichfalls gegen Serbien loszuschlagen. Da die Gefahr besteht, daß  
gleichfalls gegen Serbien loszuschlagen. Da die Gefahr besteht, daß <br>
in diesem Falle Rumänien, wie im zweiten Balkankrieg, sich gegen  
in diesem Falle Rumänien, wie im zweiten Balkankrieg, sich gegen <br>
Bulgarien wenden würde — an einer dahingehenden Beeinflussung seitens  
Bulgarien wenden würde — an einer dahingehenden Beeinflussung seitens <br>
Rußlands, das direkt nichts gegen Bulgarien unternehmen wird,  
Rußlands, das direkt nichts gegen Bulgarien unternehmen wird, <br>
dürfte es auch diesmal nicht fehlen — so hat man von hier aus  
dürfte es auch diesmal nicht fehlen — so hat man von hier aus <br>
den König Carol, mit dessen Haltung man in letzter Zeit wenig  
den König Carol, mit dessen Haltung man in letzter Zeit wenig <br>
zufrieden war, in nicht mißzuverst eben der Weise wissen lassen, daß  
zufrieden war, in nicht mißzuverst eben der Weise wissen lassen, daß <br>
Deutschland sich auf Seiten Bulgariens stellen würde, falls Rumänien  
Deutschland sich auf Seiten Bulgariens stellen würde, falls Rumänien <br>
nicht Serbien fallen lasse. Nach der Antwort des Königs nimmt  
nicht Serbien fallen lasse. Nach der Antwort des Königs nimmt <br>
man hier an, daß Rumänien Ruhe halten wird, falls ihm eine Ent-  
man hier an, daß Rumänien Ruhe halten wird, falls ihm eine Ent- <br>
schädigung in Aussicht gestellt wird. Als solche käme das Gebiet  
schädigung in Aussicht gestellt wird. Als solche käme das Gebiet <br>
um Vidin in Betracht, dessen Bevölkerung in der Hauptsache aus  
um Vidin in Betracht, dessen Bevölkerung in der Hauptsache aus <br>
Rumänen besteht. Damit wäre dann wohl Rumänien für den Drei-  
Rumänen besteht. Damit wäre dann wohl Rumänien für den Drei- <br>
bund, der sich in diesem Falle als nützlicher und stärker als der  
bund, der sich in diesem Falle als nützlicher und stärker als der <br>
Zweibund erwiesen hätte, von selbst zurückgewonnen.  
Zweibund erwiesen hätte, von selbst zurückgewonnen. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Griechenland, das eine Verkleinerung Serbiens nicht ungern  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Griechenland, das eine Verkleinerung Serbiens nicht ungern <br>
sehen würde, wäre im Epirus zu entschädigen und hätte dafür  
sehen würde, wäre im Epirus zu entschädigen und hätte dafür <br>
Kawalla an Bulgarien abzutreten.  
Kawalla an Bulgarien abzutreten. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Was endlich Montenegro betrifft, so hofft man hier, daß der  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Was endlich Montenegro betrifft, so hofft man hier, daß der <br>
intelligente König Nikita es vorteilhaft finden wird, die Serben allein  
intelligente König Nikita es vorteilhaft finden wird, die Serben allein <br>
gegen Österreich kämpfen zu lassen. Für die Abtretung des Lowtschen,  
gegen Österreich kämpfen zu lassen. Für die Abtretung des Lowtschen, <br>
die Österreich gelegentlich einer so weitgehenden Umgestaltung der  
die Österreich gelegentlich einer so weitgehenden Umgestaltung der <br>
Balkan-Landkarte wohl für sich beanspruchen würde, könnte  
Balkan-Landkarte wohl für sich beanspruchen würde, könnte <br>
Montenegro in Nordalbanien entschädigt werden.  
Montenegro in Nordalbanien entschädigt werden. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Welches dabei das Schicksal des Fürstentums Albanien sein  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Welches dabei das Schicksal des Fürstentums Albanien sein <br>
wird, läßt sich heute noch kaum absehen. Fürs erste wird die trost-  
wird, läßt sich heute noch kaum absehen. Fürs erste wird die trost- <br>
lose Lage fortdauern, die in Paris' mit den Worten charakterisiert  
lose Lage fortdauern, die in Paris' mit den Worten charakterisiert <br>
worden ist : »les caisses sont vides, le thrône est Wied, tout est vide«  
worden ist : »les caisses sont vides, le thrône est Wied, tout est vide« <br>
und dem Fürsten den Beinamen »le Prince du Vide« eingetragen hat.  
und dem Fürsten den Beinamen »le Prince du Vide« eingetragen hat. <br>
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Genehmigen Ew. Exz. usw.  
&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;Genehmigen Ew. Exz. usw. <br>
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Revision as of 12:22, 22 September 2015

WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 4 > Anhang IV. > Nr. 2


Nr. 2
Der Geschäftsträger in Berlin an den Vorsitzenden im Ministerrat


Bericht 386                                    Berlin, den 18. Juli 1914

     Auf Grund von Rücksprachen, die ich mit Unterstaatssekretär
Zimmermann, ferner mit dem Balkan- und Dreibundreferenten im
Auswärtigen Amt und mit dem österreichisch-ungarischen Botschafts-
rat dahier hatte, beehre ich mich, Ew. Exz. über die von der öster-
reichisch-ungarischen Regierung beabsichtigte Auseinandersetzung mit
Serbien nachstehendes gehorsamst zu berichten:
     Der Schritt, den das Wiener Kabinett sich entschlossen hat, in
Belgrad zu unternehmen, und der in der Überreichung einer Note
bestehen wird, wird am 25. d. M. erfolgen. Die Hinausschiebung
der Aktion bis zu diesem Zeitpunkt hat ihren Grund darin, daß man
die Abreise des Herrn Poincaré und Viviani von Petersburg abwarten
möchte, um nicht den Zwei bundmächten eine Verständigung über
eine etwaige Gegenaktion zu erleichtern. Bis dahin gibt man sich
in Wien durch die gleichzeitige Beurlaubung der Kriegsminister und
des Chefs des Generalstabs den Anschein friedlicher Gesinnung, und
auch auf die Presse und die Börse ist nicht ohne Erfolg eingewirkt
worden. Daß das Wiener Kabinett in dieser Beziehung geschickt
vorgeht, wird hier anerkannt, und man bedauert nur, daß Graf Tisza,
der anfangs gegen ein schärferes Vorgehen gewesen sein soll, durch
seine Erklärung im ungarischen Abgeordnetenhaus den Schleier schon
etwas gelüftet hat.
     Wie mir Herr Zimmermann sagte, wird die Note, soweit bis
jetzt feststeht, folgende Forderungen enthalten:
     1. Den Erlaß einer Proklamation durch den König von Serbien,,
in der ausgesprochen werde, daß die serbische Regierung der groß-
serbischen Bewegung vollkommen fernstehe und sie mißbillige.
     2. Die Einleitung einer Untersuchung gegen die Mitschuldigen
an der Mordtat von Sarajevo und Teilnahme eines österreichischen
Beamten an dieser Untersuchung.
     3. Einschreiten gegen alle, die an der großserbischen Bewegung
beteiligt seien.
     Für die Annahme dieser Forderungen soll eine Frist von
48 Stunden gestellt werden.
     Daß Serbien derartige, mit seiner Würde als unabhängiger Staat
unvereinbare Forderungen nicht annehmen kann, liegt auf der Hand.
Die Folge wäre also der Krieg.
     Hier ist man durchaus damit einverstanden, daß Österreich die
günstige Stunde nutzt, selbst auf die Gefahr weiterer Verwickelungen
hin. Ob man aber wirklich in Wien sich dazu aufraffen wird, er-
scheint Herrn von Jagow wie Herrn Zimmermann noch immer
zweifelhaft. Der Unterstaatssekretär äußerte sich dahin, daß Öster-
reich-Ungarn, dank seiner Entschlußlosigkeit und Zerfahreniieit, jetzt
eigentlich der kranke Mann in Europa geworden sei, wie früher die
Türkei, auf dessen Aufteilung Russen, Italiener, Rumänen, Serben
und Montenegriner warteten. Em starkes und erfolgreiches Einschreiten
gegen Serbien würde dazu füliren, daß die Österreicher und Ungarn
sich wieder als staatliche Macht fühlten, würde das darniederliegende
wirtschaftliche Leben wieder aufrichten und die fremden Aspirationen
auf Jahre hinaus niederhalten. Bei der Empörung, die heute in
der ganzen Monarchie über die Bluttat herrsche, könne man wohl
auch der slawischen Truppen sicher sein. In einigen Jahren sei dies,
bei weiterer Fortwirkung der slawischen Propaganda, wie General
Conrad von Hötzendorf selbst zugegeben habe, nicht mehr der Fall.
     Man ist also hier der Ansicht, daß es für Österreich sich um
eine Schicksalsstunde handle, und aus diesem Grunde hat man hier,
auf eine Anfrage aus Wien, ohne Zögern erklärt, daß wir mit jedem
Vorgehen, zu dem man sich dort entschließe, einverstanden seien,
auch auf die Gefahr eines Krieges mit Rußland hin. Die Blanko-
vollmacht, die man dem Kabinettschef des Grafen Berchtold, dem
Grafen Hoyos, gab, der zur Übergabe eines Allerhöchsten Hand-
schreibens und eines ausführlichen Promemorias hierhergekommen
war, ging so weit, daß die österreichisch-ungarische Regierung er-
mächtigt wurde, mit Bulgarien wegen Aufnahme in den Dreibund
zu verhandeln.

     In Wien scheint man ein so unbedingtes Eintreten Deutschlands
für die Donaumonarchie nicht erwartet zu haben, und Herr Zimmermann
hat den Eindruck, als ob es den immer ängsthchen und entschluß-
losen Stellen in Wien fast unangenehm wäre, daß von deutscher
Seite nicht zur Vorsicht und Zurückhaltung gemahnt worden sei.
Wie sehr man in Wien in seinen Entschlüssen schwankt, beweise
der Umstand, daß Graf Berchtold, drei Tage nachdem er hier
wegen eines Bündnisses mit Bulgarien hatte anfragen lassen, tele-
graphiert habe, daß er doch noch Bedenken trage, mit Bulgarien
abzuschließen.

     Man hätte es daher hier auch lieber gesehen, wenn mit der Aktion
gegen Serbien nicht so lange gewartet und der serbischen Regierung
nicht die Zeit gelassen würde, etwa unter russisch-französischem
Druck von sich aus eine Genugtuung anzubieten.

     Wie sich die anderen Mächte zu einem kriegerischen Konflikt
zwischen Österreich und Serbien stellen werden, wird nach hiesiger
Auffassung wesentlich davon abhängen, ob Österreich sich mit einer
Züchtigung Serbiens begnügen oder auch territoriale Entschädigungen
für sich fordern wird. Im ersteren Fall dürfte es gelingen, den
Krieg zu lokalisieren, im anderen Fall dagegen wären größere Ver-
wickelungen wohl unausbleiblich.

     Im Interesse der Lokalisierung des Krieges wird die Reichs-
leitung sofort nach der Übergabe der österreichischen Note in Belgrad
eine diplomatische Aktion bei den Großmächten einleiten. Sie wird
mit dem Hinweis darauf, daß der Kai; er auf der Nordlandreise und
der Chef des Großen Generalstabs sowie der preußische Kriegs-
minister in Urlaub seien, behaupten, durch die Aktion Österreichs
genau so überrascht worden zu sein wie die anderen Mächte.
(Wie ich mir hier einzuschalten gestatte, ist nicht einmal die italienische
Regierung ins Vertrauen gezogen worden.) Sie wird geltend machen,
daß es im gemeinsamen Interesse aller monarchischen Staaten liege,
wenn »das Belgrader Anarchistennest« einmal ausgehoben werde, und
sie wird darauf hinarbeiten, daß die Mächte sich auf den
Standpunkt stellen, daß die Auseinandersetzung zwischen Öster-
reich und Serbien eine Angelegenheit dieser beiden Staaten sei.
Von einer Mobilmachung deutscher Truppen soll abgesehen werden,
und man will auch durch unsere militärischen Stellen dahin wirken,
daß Österreich nicht die gesamte Armee und insbesondere die in
Galizien stehenden Truppen mobilisiere, um nicht automatisch eine
Gegenmobilisierung Rußlands auszulösen, die dann auch uns und
danach Frankreich zu gleichen Maßnahmen zwingen und damit den
europäischen Krieg heraufbeschwören würde.

     Entscheidend für die Frage, ob die Lokalisierung des Krieges
gelingen wird, wird in erster Linie die Haltung Rußlands sein.
     Will Rußland nicht auf alle Fälle den Krieg gegen Österreich
und Deutschland, so kann es in diesem Falle — und das ist das
Günstige der gegenwärtigen Situation — sehr wohl untätig bleiben
und sich den Serben gegenüber darauf berufen, daß es eine Kampf-
weise, die mit Bombenwerfen und Revolverschüssen arbeite, ebenso-
wenig wie die anderen zivilisierten Staaten billige. Dies insbesondere,
solange Österreich nicht die nationale Selbständigkeit Serbiens in
Frage stellt. Herr Zimmermann nimmt an, daß sowohl England
und Frankreich, denen ein Krieg zur Zeit kaum erwünscht wäre,
auf Rußland in friedlichem Sinne einwirken werden; außerdem baut
er darauf, daß das »Bluffen« eines der beliebtesten Requisite der
russischen Politik bildet, und der Russe zwar gern mit dem Schwerte
droht, es aber im entscheidenden Moment doch nicht gern für
andere zieht.

     England wird österreich nicht hindern, Serbien zur Rechen-
schaft zu ziehen ; nur eine Zertrümmerung des Landes wird es kaum
zulassen, vielmehr — getreu seinen Traditionen — vermutlich auch
hier für das Nationalitätsprinzip eintreten. Ein Krieg zwischen

     Zweibund und Dreibund dürfte England im jetzigen Zeitpunkt schon
mit Rücksicht auf die Lage in Irland wenig willkommen sein. Kommt
es gleichwohl dazu, so würden wir aber nach hiesiger Anschauung die
englischen Vettern auf der Seite unserer Gegner finden, da England be-
fürchtet, daß Frankreich im Falle einer neuen Niederlage auf die Stufe
einer Macht zweiten Ranges herabsinken und damit die »balance
of power« gestört würde, deren Erhaltung England im eigenen In-
teresse für geboten erachtet.

     Sehr wenig Freude würde Italien an einer Züchtigung Serbiens
durch Österreich empfinden, dem es eine Stärkung seines Einflusses
auf dem Balkan keineswegs gönnen würde. Wie mir der Gesandte
von Bergen, der Referent für die Dreibundangelegenheiten im Aus-
wärtigen Amt, sagte, ist das Verhältnis zwischen Wien und Rom
einmal wieder alles weniger als freundschaftlich. In Wien sei man
sehr verstimmt gegen den italienischen Gesandten in Albanien, Aliotti,
der gegen Österreich stark intrigiert zu haben scheint, und der Bot-
schafter von Merey habe deshalb vor einigen Tagen den Auftrag er-
halten, von Italien zu verlangen, daß dieses seine ganze Politik
ändere, da sonst ein längeres Einvernehmen nicht möglich sei. Der
Auftrag habe so scharf gelautet, daß San Giuliano ganz aufgebracht
sei, und in dieser Spannung zwischen Österreich und Italien liege
ein die Situation sehr erschwerendes Moment. Die Aufteilung Serbiens
oder auch nur die Annexion des die Bucht von Cattaro beherr-
schenden Berges Lowtschen in Montenegro durch Österreich würde
Italien nicht, ohne dafür Kompensationen zu erlangen, dulden. Es
erscheint nicht ausgeschlossen, daß Italien die Einberufung seiner
Reserven, die es mit der inner politischen Lage rechtfertigen will, zu
dem Zweck vornimmt, um gegebenenfalls zur Besetzung von Valona
zu schreiten. Herr Zimmermann ist der Meinung, daß Österreich
sich dem nicht widersetzen sollte, da Valona eine neue Achillesferse
für Italien bilden würde, und die Entfernung zwischen Brindisi und
Valona zu groß sei, als daß es den Italienern gelingen könnte, die
Adria völlig zu sperren.

     Vielleicht darf auch aus einer Äußerung des österreichisch-
ungarischen Botschaftsrats, wonach nach seiner persönlichen Meinung
Valona den Italienern gegeben werden könne, geschlossen werden,
daß man sich in Wien bereits mit einer Festsetzung der Italiener
in Südalbanien vertraut macht.

     Wie ich ganz vertraulich gehört habe, ist der Botschaftsrat
Prinz Stolberg in Wien, der vor einigen Tagen hier war, beauftragt
worden, die Frage einer Entschädigung Italiens mit dem Grafen
Berchtold zu besprechen und dabei in inoffizieller Form einfließen
zu lassen, daß man Italien wohl dauernd gewinnen würde, wenn
Österreich sich im Falle größerer Gebietserweiterungen zur Abtretung
des südlichen Trentino, d. h. desjenigen Teils des Erzbistums Trient,
das nie zum alten deutschen Reich gehört hat, an Italien verstehen
würde. Daß das Wiener Kabinett diesem Gedanken näher treten
werde, wird hier allerdings kaum erwartet, und man hat absichtlich
den Botschaftsrat und nicht den gleichfalls in Wien anwesenden
Botschafter beauftragt, das Gespräch auf das Trentino zu bringen,
um nicht durch eine derartige offizielle Anregung zu verstimmen.
     Was Bulgarien anlangt, so nimmt die hiesige österreichisch-
ungarische Botschaft an, daß König Ferdinand den Ausbruch eines
Krieges zwischen Österreich und Serbien benutzen würde, um zur
Rückgewinnung des im Bukarester Frieden verlorenen Gebietes
gleichfalls gegen Serbien loszuschlagen. Da die Gefahr besteht, daß
in diesem Falle Rumänien, wie im zweiten Balkankrieg, sich gegen
Bulgarien wenden würde — an einer dahingehenden Beeinflussung seitens
Rußlands, das direkt nichts gegen Bulgarien unternehmen wird,
dürfte es auch diesmal nicht fehlen — so hat man von hier aus
den König Carol, mit dessen Haltung man in letzter Zeit wenig
zufrieden war, in nicht mißzuverst eben der Weise wissen lassen, daß
Deutschland sich auf Seiten Bulgariens stellen würde, falls Rumänien
nicht Serbien fallen lasse. Nach der Antwort des Königs nimmt
man hier an, daß Rumänien Ruhe halten wird, falls ihm eine Ent-
schädigung in Aussicht gestellt wird. Als solche käme das Gebiet
um Vidin in Betracht, dessen Bevölkerung in der Hauptsache aus
Rumänen besteht. Damit wäre dann wohl Rumänien für den Drei-
bund, der sich in diesem Falle als nützlicher und stärker als der
Zweibund erwiesen hätte, von selbst zurückgewonnen.
     Griechenland, das eine Verkleinerung Serbiens nicht ungern
sehen würde, wäre im Epirus zu entschädigen und hätte dafür
Kawalla an Bulgarien abzutreten.
     Was endlich Montenegro betrifft, so hofft man hier, daß der
intelligente König Nikita es vorteilhaft finden wird, die Serben allein
gegen Österreich kämpfen zu lassen. Für die Abtretung des Lowtschen,
die Österreich gelegentlich einer so weitgehenden Umgestaltung der
Balkan-Landkarte wohl für sich beanspruchen würde, könnte
Montenegro in Nordalbanien entschädigt werden.
     Welches dabei das Schicksal des Fürstentums Albanien sein
wird, läßt sich heute noch kaum absehen. Fürs erste wird die trost-
lose Lage fortdauern, die in Paris' mit den Worten charakterisiert
worden ist : »les caisses sont vides, le thrône est Wied, tout est vide« 
und dem Fürsten den Beinamen »le Prince du Vide« eingetragen hat.
     Genehmigen Ew. Exz. usw.
                                                                      v.   S c h o e n