Difference between revisions of "Nr. 3. Der Reichskanzler an den Botschafter in London, 16. Juni 1914"
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+ | [[Category:Documents dated 1914-06-16]] |
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WWI Document Archive > Official Papers > Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 — Volume 1 > Nr. 3.- Ganz vertraulich!
- Eigenhändig! Berlin, den 16. Juni 1914[2]
- Ew. Durchlaucht wird es nicht entgangen sein, daß der, wie
- wir wissen, zutreffend auf den Kriegsminister General Suchomlinow
- zurückgeführte Artikel der »Birschewija Wjedomosti« in Deutschland
- beträchtliches Aufsehen erregt hat. In der Tat hat wohl noch
- niemals ein offiziös inspirierter Artikel die kriegerischen Tendenzen
- der russischen Militaristenpartei so rücksichtslos enthüllt, wie es
- diese Presseäußerung tut. Um den französischen Chauvinismus
- auf die Dauer stärken zu können, ist er wohl zu plump geschrieben.
- Dagegen sind die Rückwirkungen auf die deutsche öffentliche
- Meinung unverkennbar und bedenklich.
- Waren es bisher nur die extremsten Kreise unter den All-
- deutschen und Militaristen, welche Rußland die planvolle Vorberei-
- tung eines baldigen Angriffskrieges auf uns zuschoben, so beginnen
- sich jetzt auch ruhigere Politiker dieser Ansicht zuzuneigen. Die
- nächste Folge ist der Ruf nach einer abermaligen sofortigen umfang-
- reichen Verstärkung der Armee. Dadurch wird, wie die Dinge nun ein-
- mal bei uns liegen, der Wettbewerb auch der Marine wachgerufen, die
- niemals zu kurz kommen will, wenn etwas für die Armee geschieht.
- Da, wie ich ganz vertraulich bemerke, S. M. der Kaiser sich
- schon ganz in diese Gedankengänge eingelebt hat, besorge ich für
- den Sommer und Herbst den Ausbruch eines neuen Rüstungsfiebers
- bei ims.
- So wenig sich bei der Unsicherheit der russischen Verhältnisse
- die wirklichen Ziele der russischen Politik mit einiger Sicherheit im
- voraus erkennen lassen und so sehr wir auch bei unsern politischen
- Dispositionen in Rechnung stellen müssen, daß Rußland noch am
- ehesten von allen europäischen Großmächten geneigt sein wird, das
- Risiko eines kriegerischen Abenteuers zu laufen, so glaube ich doch
- nicht, daß Rußland einen baldigen Krieg gegen uns plant. Wohl
- aber wünscht es, und man wird ihm das nicht übelnehmen können,
- bei einem Wiederausbruch der Balkankrisis, gedeckt durch seine
- umfangreichen militärischen Rüstungen, kräftiger als bei den
- letzten Balkanwirren auftreten zu können. Ob es alsdann zu
- einer europäischen Konflagration kommt, wird ausschließhch von
- der Haltung Deutschlands und Englands abhängen. Treten wir
- beide alsdann geschlossen als Garanten des europäischen Friedens
- auf, woran uns, sofern wir von vornherein dieses Ziel
- nach einem gemeinsamen Plane verfolgen, weder die
- Dreibunds- noch die Ententeverpflichtungen hindern, so wird sich
- der Krieg vermeiden lassen. Andernfalls kann ein beliebiger, auch
- ganz untergeordneter Interessengegensatz zwischen Rußland und
- Österreich-Ungarn die Kriegsfackel entzünden. Eine vorausschauende
- Politik muß diese Eventuahtät bei Zeiten ins Auge fassen.
- Nun liegt es auf der Hand, daß eine erhöhte Tätigkeit der
- deutschen Chauvinisten und Rüstungsfanatiker einer solchen deutsch-
- englischen Kooperation ebenso hinderlich sein würde, wie eine nicht
- dezidierte, den französischen und russischen Chauvinismus im ge-
- heimen begünstigende Haltung des englischen Kabinetts. Auf einen
- seinem Bevölkerungszuwachs entsprechenden Ausbau seines Heeres
- wird Deutschland nie verzichten können. An eine Erweiterung des
- Flottengesetzes wird nicht gedacht. Wohl aber wird ganz im
- Rahmen des Flottengesetzes die Mehrindienststellung von Auslands-
- kreuzern, die Armierung und Bemannung der Schlachtschiffe usw.
- dauernd steigende Aufwendungen erheischen. Es ist aber ein großer
- Unterschied, ob solche Maßnahmen als notwendige Folge allmählicher
- ruhiger Entwickelung in die Erscheinung treten, oder ob sie panik-
- artig unter dem Druck einer aufgeregten und von Kriegsbesorgnis
- erfüllten öffentlichen Meinung vorgenommen werden.
- Daß Sir Edward Grey den Gerüchten von einer englisch-russi-
- schen Marinekonvention im Unterhause mit Entschiedenheit ent-
- gegengetreten ist und sein Dementi in der »Westminster Gazette«
- noch hat unterstreichen lassen, ist durchaus erfreulich. Hätten sich
- diese Gerüchte bewahrheitet, und zwar auch nur in der Form, daß
- die englische und russische Marine ihre Kooperation für den
- Fall festlegten, daß in einem zukünftigen Kriege England und Ruß-
- land gemeinsam gegen Deutschland fechten sollten — ähnlich den
- Abmachungen, die England zur Zeit der Marokkokrisis mit Frank-
- reich getroffen hat, — so wäre dadurch allerdings nicht nur der
- russische und französische Chauvinismus stark gereizt worden,
- sondern es hätte auch bei uns eine nicht unberechtigte Beunruhi-
- gung der öffenthchen Meinung Platz gegriffen, die ihren Ausdruck
- in einem navy scare und einer abermaligen Vergiftung der sich
- langsam bessernden Beziehungen zu England gefunden hätte. In-
- mitten der nervösen Spannung, in der sich Europa seit den letzten
- Jahren befindet, wären die weiteren Folgen unübersehbar gewesen.
- Jedenfalls wäre der Gedanke an eine gemeinschaftliche, den Frieden
- verbürgende Mission Englands und Deutschlands bei etwa auf-
- tauchenden Komplikationen von vornherein in verhängnisvoller
- Weise gefährdet worden.
- Ew. Durchlaucht ersuche ich ergebenst, Sir Edward Grey
- meinen besonderen Dank für seine offenen und geraden Erklärungen
- zu sagen und daran anschließend in zwangloser und vorsichtiger
- Weise diejenigen allgemeinen Betrachtungen zum Ausdruck zu
- bringen, die ich vorstehend angedeutet habe.
- Ihrem gefälligen Bericht [3] über die Aufnahme, der Sie bei Sir
- Edward Grey begegnen, sehe ich mit besonderem Interesse entgegen.
- v. Bethmann Hollweg
- ↑ Nach dem vom Reichskanzler niedergeschriebenen Konzept.
- ↑ Abgegangen 16. Juni nachm.
- ↑ Siehe Nr. 5.
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